Sara
Der diminituvo[12], der im (chilenischen) Spanisch mit seiner zuckrigen Zunge eine Schicht Süße an allen möglichen Stellen anbringt. Wie ich süchtig nach seiner weichmachenden Wirkung bin. Wie ich im Supermarkt, mit „nena / bonita / guapa“ (Mädchen / Hübsche / Schöne) angesprochen werde, und ein „mi amor“ nachgeschoben wird. Wie sich meine Stimmung bei diesen einfachen Akten zwischenmenschlicher Begegnungen hebt, weil diese Zärtlichkeit scheinbar ohne mein Zutun über mir ausgekippt wird. Eine sprachliche Solidarität gerade unter FLINTA*, die gar nicht darüber nachdenken müssen, inwieweit sich ihre Alltagserfahrungen in Bezug auf sexistische Diskriminierungen ähneln.
Auch in einer meiner Liebesgeschichten gab es diese Süße. Und dann sehr viel Bitterkeit.
Wie die meisten Liebesgeschichten fängt auch diese höchst romantisch an. Mit Emily Dickinson:
To make a prairie it takes a clover and one bee,
One clover, and a bee.
And revery.
The revery alone will do,
If bees are few.
In den Jahren nach dem Anfang lerne ich nach und nach verschiedenste toxische Schattierungen einer Partnerschaft kennen, in der keine*r ein sadistisches Arschloch ist, aber dennoch, nicht zuletzt wegen unterschiedlicher physischer Voraussetzungen, klar ein Machtverhältnis, ein Ungleichgewicht besteht. Streits, die nun zum Alltag gehören, werden ab einem gewissen Zeitpunkt regelmäßig mit Ohrfeigen bedacht.
Randnotiz: Soll ich jetzt schreiben, „er hat mich geschlagen“? Bei so einem Satz denken doch alle, mich eingeschlossen, mindestens an Blutergüsse im Gesicht, imaginieren besagtes sadistisches Arschloch, einer, der oben steht und eine, die unten liegt, und mit den Füßen getreten wird.
Was tut man aber, wenn all das nicht zutrifft? Wenn es keinen Sadismus und noch immer viel Liebe gibt? Wenn auch das eigene Verhalten im Streit nicht fair ist – aber dennoch: Nichts rechtfertigt physische Gewalt, wenn es nicht um Selbstverteidigung geht! Oder? Und überhaupt: Wie zum Teufel bin ich, die Feministin, denn hier gelandet?!
So bewege ich mich viele Jahre in dieser Beziehung mit ebendiesen höchst widersprüchlichen Gefühlen. Und habe kaum hilfreiche äußere Bezugspunkte, denn was ich dazu lese, sehe oder höre, trifft nicht auf mich zu – meistens weil der Typus „sadistisches / kontrollierendes Arschloch“ gezeigt wird. Auch begehe ich nicht den „Fehler“ darüber mit niemanden zu sprechen: Ich spreche mit meinem Therapeuten, ich spreche mit einer Handvoll oder vielleicht sogar zwei Handvoll Freund*innen, ich spreche mit kurzfristig gesuchten Notfallangeboten, ich versuche in einer Art Paarberatung mit meinem Partner zu sprechen. Der Satz „Du hast mich provoziert“ ist seitdem für mich kein billiges Klischee aus einem schlecht geschriebenen Drehbuch sondern ein Erfahrungswert mit höchst bitterem Geschmack.
Ein Geschmack, der die ganze Zunge lähmt und sich in den Gaumen einbrennt.
Als ich kürzlich die Netflix-Doku „Johnny Depp vs. Amber Heard“ sehe, steigt er wieder in mir hoch. Kurz darauf lese ich Doris Knechts Roman „Über Beziehungen“ und stolpere darin über eine Passage, in der eine der Protagonistinnen beschreibt, wie sie gemeinsam mit Johnny Depp erwachsen wurde und wie schockierend die Vorwürfe seiner Exfrau sind und wie offensichtlich darin der Süchtige mit all seinen Abgründen zum Vorschein kommt und dass sie weiß, dass die Exfrau diesbezüglich die Wahrheit sagt, weil sie selbst ebenfalls genau diese Zustände kennt, als eine, die jahrelang in einer Beziehung und Co-Abhängigkeit von ihrem Mann, einem Alkoholiker/Drogensüchtigen, lebte.
Mein eigenes Gewand, ein Korsett, der Co-Abhängigkeit: Jahrelang versuche ich eigene Verantwortung und die Verantwortung meines Gegenübers auseinander zu nehmen, zu dröseln, zu sortieren. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Woran es genau liegt oder ob es eine bestimmte Anzahl an Jahren bedurfte, weiß ich bis heute nicht, jedenfalls kommt ein Jahr, an dessen Anfang ich beschließe, dass ich der Beziehung noch ein Jahr gebe. Am Ende dieses Jahres trenne ich mich.
Mein Expartner gehört, auch wenn wir uns selten sehen, immer noch zu den wichtigsten Menschen in meinem Leben. Unsere einstige Beziehung ist atlantisgleich verstaut in einem Schrein unter Wasser. Nur manchmal steigt der bittere Geschmack meine Speiseröhre hoch und dann fühle ich, was in all dem Analysieren und Auseinandernehmen, dem Fürchten und Hoffen, dem Entscheiden und In-die-Tat-Umsetzen kaum Platz hatte, ich spüre große, flammenrote Wut:
Es gibt keinen herrschaftsfreien Raum, auch nicht in der Liebe. Das ist so bitter.
„Die Strukturen stützen Gewalt gegen Frauen und gleichzeitig stützt Gewalt gegen Frauen die Strukturen“ (Die stille Gewalt, Asha Hedayati).
In Deutschland wird jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und / oder sexualisierter Gewalt; etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner und an jedem dritten Tag, wie es mittlerweile so schlagkräftig heißt, tötet ein (Ex-)Partner eine Frau, die er (noch immer) als sein Eigentum definiert. Dass der dazugehörige Begriff Femizid erst seit 2020 in den Duden aufgenommen wurde, verdeutlicht das Tempo, das man hierzulande bei der Erkennung und Bekämpfung systematischer, da patriarchatsbedingter, Frauenmorde hinlegt. Ich behaupte sogar, Hand aufs Herz, dass sich Deutschland einfachheitshalber an diese Statistik gewöhnt hat. Die Verstümmelung vom Selbstwert und -bewusstsein von FLINTA* und das mühsame, stückweise Aufbauen desselben, wird quasi ins BIP eingerechnet. Dass diese Rechnung allerdings nicht mal auf dem Taschenrechner der FDP aufgehen sollte, frappiert mich nach wie vor. Prävention, so belegen es zahlreiche Studien, würde insgesamt nicht mehr kosten, sondern auf längere Sicht weniger als die Konsequenzen dieser pandemischen Gewaltstrukturen, und darüber hinaus Leben schützen. Und damit meine ich nicht ungeborenes Leben wie es Abtreibungsgegner*innen gerne proklamieren, die zunehmend an Macht gewinnen, von São Paulo bis Stuttgart, sondern ganz konkret das Leben der Frauen[13], das täglich von Partnern oder Expartnern bedroht und ihnen an jedem dritten Tag genommen wird. Ich verzichte hier bewusst aufs Gendern. Denn noch „2021 waren 80,3 Prozent der Opfer weiblich, 78,8 Prozent der Tatverdächtigen waren männlich.“
Wenn ich, eine weiße, nicht-behinderte Akademikerin, mit wenig Geld aber kulturellem Kapital ausgestattet, Partnerschaftsgewalt erlebt habe, die niemals irgendwo zur Anzeige gekommen ist – wie hoch mag insgesamt die Dunkelziffer der Gewalt sein, die nirgendwo außerhalb der Betroffenen ihre Spuren hinterlässt? Und was bedeutet das für all die FLINTA*, die dadurch an einem gesunden, lustvollen, schönen, kreativen, ausgewogenen, gleichberechtigen, süßen … Leben gehindert werden?
Kein Schluss-Strich unter dieses Thema, aber Zwischenbilanz mit der Künstlerin Sophia Süßmilch ziehend: „Wie gut, dass ich so eine hohe Ambiguitätstoleranz habe“.
[12] Entspricht der sogenannten Verniedlichungsform.
[13] Ich spreche von Frauen, da nach wie vor keine Zahlen zur Gewalt an queeren Menschen in Deutschland erhoben werden und trans*Frauen, wenn ihre Transition im Augen des Staates nicht abgeschlossen ist, nicht in der Statistik aufgenommen sind. Bitter!
Weitere Kapitel:
Der diminituvo[12], der im (chilenischen) Spanisch mit seiner zuckrigen Zunge eine Schicht Süße an allen möglichen Stellen anbringt. Wie ich süchtig nach seiner weichmachenden Wirkung bin. Wie ich im Supermarkt, mit „nena / bonita / guapa“ (Mädchen / Hübsche / Schöne) angesprochen werde, und ein „mi amor“ nachgeschoben wird. Wie sich meine Stimmung bei diesen einfachen Akten zwischenmenschlicher Begegnungen hebt, weil diese Zärtlichkeit scheinbar ohne mein Zutun über mir ausgekippt wird. Eine sprachliche Solidarität gerade unter FLINTA*, die gar nicht darüber nachdenken müssen, inwieweit sich ihre Alltagserfahrungen in Bezug auf sexistische Diskriminierungen ähneln.
Auch in einer meiner Liebesgeschichten gab es diese Süße. Und dann sehr viel Bitterkeit.
Wie die meisten Liebesgeschichten fängt auch diese höchst romantisch an. Mit Emily Dickinson:
To make a prairie it takes a clover and one bee,
One clover, and a bee.
And revery.
The revery alone will do,
If bees are few.
In den Jahren nach dem Anfang lerne ich nach und nach verschiedenste toxische Schattierungen einer Partnerschaft kennen, in der keine*r ein sadistisches Arschloch ist, aber dennoch, nicht zuletzt wegen unterschiedlicher physischer Voraussetzungen, klar ein Machtverhältnis, ein Ungleichgewicht besteht. Streits, die nun zum Alltag gehören, werden ab einem gewissen Zeitpunkt regelmäßig mit Ohrfeigen bedacht.
Randnotiz: Soll ich jetzt schreiben, „er hat mich geschlagen“? Bei so einem Satz denken doch alle, mich eingeschlossen, mindestens an Blutergüsse im Gesicht, imaginieren besagtes sadistisches Arschloch, einer, der oben steht und eine, die unten liegt, und mit den Füßen getreten wird.
Was tut man aber, wenn all das nicht zutrifft? Wenn es keinen Sadismus und noch immer viel Liebe gibt? Wenn auch das eigene Verhalten im Streit nicht fair ist – aber dennoch: Nichts rechtfertigt physische Gewalt, wenn es nicht um Selbstverteidigung geht! Oder? Und überhaupt: Wie zum Teufel bin ich, die Feministin, denn hier gelandet?!
So bewege ich mich viele Jahre in dieser Beziehung mit ebendiesen höchst widersprüchlichen Gefühlen. Und habe kaum hilfreiche äußere Bezugspunkte, denn was ich dazu lese, sehe oder höre, trifft nicht auf mich zu – meistens weil der Typus „sadistisches / kontrollierendes Arschloch“ gezeigt wird. Auch begehe ich nicht den „Fehler“ darüber mit niemanden zu sprechen: Ich spreche mit meinem Therapeuten, ich spreche mit einer Handvoll oder vielleicht sogar zwei Handvoll Freund*innen, ich spreche mit kurzfristig gesuchten Notfallangeboten, ich versuche in einer Art Paarberatung mit meinem Partner zu sprechen. Der Satz „Du hast mich provoziert“ ist seitdem für mich kein billiges Klischee aus einem schlecht geschriebenen Drehbuch sondern ein Erfahrungswert mit höchst bitterem Geschmack.
Ein Geschmack, der die ganze Zunge lähmt und sich in den Gaumen einbrennt.
Als ich kürzlich die Netflix-Doku „Johnny Depp vs. Amber Heard“ sehe, steigt er wieder in mir hoch. Kurz darauf lese ich Doris Knechts Roman „Über Beziehungen“ und stolpere darin über eine Passage, in der eine der Protagonistinnen beschreibt, wie sie gemeinsam mit Johnny Depp erwachsen wurde und wie schockierend die Vorwürfe seiner Exfrau sind und wie offensichtlich darin der Süchtige mit all seinen Abgründen zum Vorschein kommt und dass sie weiß, dass die Exfrau diesbezüglich die Wahrheit sagt, weil sie selbst ebenfalls genau diese Zustände kennt, als eine, die jahrelang in einer Beziehung und Co-Abhängigkeit von ihrem Mann, einem Alkoholiker/Drogensüchtigen, lebte.
Mein eigenes Gewand, ein Korsett, der Co-Abhängigkeit: Jahrelang versuche ich eigene Verantwortung und die Verantwortung meines Gegenübers auseinander zu nehmen, zu dröseln, zu sortieren. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Woran es genau liegt oder ob es eine bestimmte Anzahl an Jahren bedurfte, weiß ich bis heute nicht, jedenfalls kommt ein Jahr, an dessen Anfang ich beschließe, dass ich der Beziehung noch ein Jahr gebe. Am Ende dieses Jahres trenne ich mich.
Mein Expartner gehört, auch wenn wir uns selten sehen, immer noch zu den wichtigsten Menschen in meinem Leben. Unsere einstige Beziehung ist atlantisgleich verstaut in einem Schrein unter Wasser. Nur manchmal steigt der bittere Geschmack meine Speiseröhre hoch und dann fühle ich, was in all dem Analysieren und Auseinandernehmen, dem Fürchten und Hoffen, dem Entscheiden und In-die-Tat-Umsetzen kaum Platz hatte, ich spüre große, flammenrote Wut:
Es gibt keinen herrschaftsfreien Raum, auch nicht in der Liebe. Das ist so bitter.
„Die Strukturen stützen Gewalt gegen Frauen und gleichzeitig stützt Gewalt gegen Frauen die Strukturen“ (Die stille Gewalt, Asha Hedayati).
In Deutschland wird jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und / oder sexualisierter Gewalt; etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner und an jedem dritten Tag, wie es mittlerweile so schlagkräftig heißt, tötet ein (Ex-)Partner eine Frau, die er (noch immer) als sein Eigentum definiert. Dass der dazugehörige Begriff Femizid erst seit 2020 in den Duden aufgenommen wurde, verdeutlicht das Tempo, das man hierzulande bei der Erkennung und Bekämpfung systematischer, da patriarchatsbedingter, Frauenmorde hinlegt. Ich behaupte sogar, Hand aufs Herz, dass sich Deutschland einfachheitshalber an diese Statistik gewöhnt hat. Die Verstümmelung vom Selbstwert und -bewusstsein von FLINTA* und das mühsame, stückweise Aufbauen desselben, wird quasi ins BIP eingerechnet. Dass diese Rechnung allerdings nicht mal auf dem Taschenrechner der FDP aufgehen sollte, frappiert mich nach wie vor. Prävention, so belegen es zahlreiche Studien, würde insgesamt nicht mehr kosten, sondern auf längere Sicht weniger als die Konsequenzen dieser pandemischen Gewaltstrukturen, und darüber hinaus Leben schützen. Und damit meine ich nicht ungeborenes Leben wie es Abtreibungsgegner*innen gerne proklamieren, die zunehmend an Macht gewinnen, von São Paulo bis Stuttgart, sondern ganz konkret das Leben der Frauen[13], das täglich von Partnern oder Expartnern bedroht und ihnen an jedem dritten Tag genommen wird. Ich verzichte hier bewusst aufs Gendern. Denn noch „2021 waren 80,3 Prozent der Opfer weiblich, 78,8 Prozent der Tatverdächtigen waren männlich.“
Wenn ich, eine weiße, nicht-behinderte Akademikerin, mit wenig Geld aber kulturellem Kapital ausgestattet, Partnerschaftsgewalt erlebt habe, die niemals irgendwo zur Anzeige gekommen ist – wie hoch mag insgesamt die Dunkelziffer der Gewalt sein, die nirgendwo außerhalb der Betroffenen ihre Spuren hinterlässt? Und was bedeutet das für all die FLINTA*, die dadurch an einem gesunden, lustvollen, schönen, kreativen, ausgewogenen, gleichberechtigen, süßen … Leben gehindert werden?
Kein Schluss-Strich unter dieses Thema, aber Zwischenbilanz mit der Künstlerin Sophia Süßmilch ziehend: „Wie gut, dass ich so eine hohe Ambiguitätstoleranz habe“.
[12] Entspricht der sogenannten Verniedlichungsform.
[13] Ich spreche von Frauen, da nach wie vor keine Zahlen zur Gewalt an queeren Menschen in Deutschland erhoben werden und trans*Frauen, wenn ihre Transition im Augen des Staates nicht abgeschlossen ist, nicht in der Statistik aufgenommen sind. Bitter!