Alisha

Der voranschreitende Verfall, der uns vermeintlich in Bedrängnis bringt, der uns vor uns hertreibt und uns Deadlines im Leben setzt. Das und das musst du erreicht haben, bis deine Falten einen gewissen Tiefheitsgrad erreicht haben und dort solltest du dann sein, wenn dein Körper beginnt, Kinder zu produzieren als keine Option mehr zu sehen. Bis spätestens dann solltest du eine*n Partner*in haben, der*die dich erfüllt, bis dahin einen Ort, an dem du für immer bleiben möchtest.

Mátyás Dunajcsik schreibt in seinen Verlorenen Gedichten:

Dieses Gedicht fragt,
an einem Straßenkampf teilzunehmen
klingt sicher radikal,
aber deine eigenen toxischen
Kommunikationsmuster zu überwinden
und dich dafür zu entscheiden,
außerhalb deiner Komfortzone
zu leben und zu lieben,
hast du das schon mal probiert?

Ich wundere mich manchmal, dass ich nicht schon längst in einer neuen Partnerschaft lebe. Es gibt Phasen, da stört es mich, es gibt Phasen, da finde ich wunderbar, dass ich lebe, wie ich lebe, Situationships, Romantic Friendships, Selbstliebe, Affären. Für das, was gemeinhin als romantische Liebesbeziehung bezeichnet wird, mit Personen egal welchen Geschlechts, hat es in den letzten Jahren nicht gereicht, sich nicht angeboten, sich nicht getragen. Auch wenn das nicht direkt eine bewusste Entscheidung war, mittlerweile denke ich viel darüber nach, ob Partnerschaft als Modell noch relevant für mich ist. Besonders in einer klassisch monogamen, heterosexuellen Form. 

Kann man als Frau in einer Hetero-Beziehung wirklich emanzipiert leben? Wer diese Fragen mit „nein“ beantwortet, denkt laut dem Podcast Feuer und Brot heterofatalistisch.

Heterofatalismus als Inbegriff der Bitterkeit und zwar laut Yuhe Faye Wang geschlechterübergreifend: “It’s possible, then, that people feel obligated to confess to heterosexuality as if it were a sin precisely because we have diverted responsibility for structural problems onto people’s personal choices ... For straight people, men and women both, the confession allows them to express their genuine shame about benefiting from an oppressive system.”
[Es ist also möglich, dass Menschen sich verpflichtet fühlen, ihre Heterosexualität zu beichten, als ob es eine Sünde wäre, genau deshalb, weil wir Verantwortung von strukturellen Problemen auf die persönlichen Entscheidungen der Leute verlegt haben...Für heterosexuelle Menschen, Männer und Frauen zugleich, ermöglicht dieses Zugeständnis ihre ehrliche Scham darüber auszudrücken, von einem diskriminierenden System zu profitieren.]

Auch hier wird also eine individuelle Entscheidung gegen kollektive Strukturen ausgespielt. Später beschreibt Wang, dass dieses Denken und Handeln aber nichts an den Strukturen ändert, es ist quasi schimpfen und jammern, aber nichts wirklich ändern.

Die Suche nach einer Partnerschaft kann sich so schnell als kapitalistische Bitterkeitsmaschine herausstellen. Gleichzeitig ist es zu kurz gegriffen, dass Bitterkeit an einer klassischen Geschlechterdychotomie liegt, natürlich spielen hier viele Mechanismen hinein unter anderem meine ganz persönlichen, individuellen Ansprüche, Prägungen und Vorlieben.

Außerdem gilt nicht nur für heterosexuelle Liebesbeziehungen, dass sie schnell eine bittere Wendung nehmen können. Wang: „Toxic dynamics are not exclusive to heterosexuality“. [Toxische Dynamiken kommen nicht ausschließlich in heterosexuellen Beziehungen vor]. 
Auch queere oder nicht-monogame Beziehungen sind vor gewaltvollen Mechanismen nicht gefeit. Ich würde noch hinzufügen, dass das auch für jegliche andere Beziehungsformen wie Freundschaften, familiäre Beziehungen und Arbeitskontakte gilt. Der Druck auf Liebesbeziehungen ist nur um einiges größer, weil sie so ultimativ mit persönlichem Glück verknüpft sind.

Daher ist es wichtig, trotzdem zu versuchen, aktiv diese Missstände zu beheben von allen Parteien, denn auch heterosexuelle Liebesbeziehungen und sexuelle Begegnungen müssen sich einer feministischen Generalüberholung unterziehen, wenn wir das Patriarchat loswerden wollen. Dazu gehören aber auch veraltete Annahmen über romantische Liebe im Allgemeinen.

Dinçer Güçyeter: „Der naive Glaube an die unendliche, bedingungslose Liebe, an die schönen Zeiten, an ein sorgenfreies Leben war besonders in deiner Generation sehr ausgeprägt.“

Auch queeren Erzählungen, auch Tieren und Gegenständen, wird die große Romantik umgehängt und freudvoll von uns bewundert. Ich will diese zuckerige Hülle auch haben, sie scheint so süß, lecker, wer will nicht Lust und Liebe, am besten konstant und ohne sich ständig dafür anstrengen zu müssen. Außerhalb der Komfortzone zu leben, wie Matyas Dunajcsik es in seinem Gedicht fordert, also sich gesellschaftlichen Normen und Konventionen zu widersetzen, ist nun mal herausfordernd, anstrengend und gerade wenn es um die Liebe geht, das klassische, romantische Bild so verlockend.

Ohne irgendeine Form von Partnerschaft zählt man gesellschaftlich als irgendwie unfertig. Fühle ich mich nicht auch so, manchmal, also intrinsisch? Wie ein wilder Teenagerjunge, der sich ein bisschen übernommen hat mit seiner eigenen Rebellion? Wenn ich Bitterkeit fühle, schmecke, wie viel davon kommt aus der mangelnden Erfüllung meiner Bedürfnisse heraus und wie viel davon, dass ich an gesellschaftlichen Erwartungen scheitere?

Die Realität der eigenen Partnerschaftserfahrungen, keine davon ist nur bitter, aber auch keine so süß wie das Bild, das die Gesellschaft davon zeichnet. Sei es weil wir in unseren Sozialisierungen feststecken und es ein Kampf ist, sie wie Schlangenhäute abzustreifen, oder sei es, weil wir allgemein viel zu hohe Erwartungen an eine Partnerschaft stecken, die uns alle Bedürfnisse erfüllen soll, sonst zählt sie nicht als süß und erfüllt. Das bedeutet nicht, dass wir romantische Liebe jetzt sofort abschaffen könnten oder sollten. Vielleicht können wir ihr aber ein paar mehr süße Narrative hinzufügen, die Alternativen für langlebige und erfüllte zwischenmenschliche Beziehungen aufzeigen. 

Verfasst von: Alisha Gamisch und Sara Gómez