Sara
Während als Frauen sozialisierte Menschen vor allem mit romantischer Liebe von klein auf indoktriniert werden (abertausende Stunden mit Disneyfilmen, romantic comedies, Lektüre von Promi-Beziehungsgeschichten und nicht zuletzt „Schönheitspflege“ verbracht!), sind für cis Männer Action, Unabhängigkeit, Gefühlskälte und Gewalt vorgesehen. Narrative, die von der Antike bis in SciFi-Welten reichen.
Als vor Kurzem auf Social Media die Umfrage viral ging, wie oft (cis) Männer an das Römische Reich denken, und die Antwort von vielen „ziemlich oft" war, musste ich bitter auflachen und hätte im nächsten Moment am liebsten bittere Tränen geweint. Hier lässt so gut veranschaulichen, wie Gendernormen greifen, nicht nur inhaltlich, sondern auch, wofür es in meinem Leben nicht genügend Zeit bzw. Platz gibt. Weil ich bereits beim Einsteigen in der U-Bahn statt über einen guten Platz für mich und mein Buch (über das Römische Reich, haha) schlicht über einen Platz für MICH nachdenke, weil ich mir Platz im ganz eigentlichen Sinne verschaffen muss, sodass ich gar nicht unbedingt Platz in meinem Kopf habe für Themen, die als intellektuell(er), die als „wichtig“ gelten.
„Die Zeit von Menschen, die sich permanent gegen Angriffe wehren müssen, die damit beschäftigt sind, zu überleben, oder an Orte verbannt sind ..., ist nicht frei, sondern fremdbestimmt durch die Macht, die andere über sie ausüben. Ihre Zeit löst sich nahezu auf“ (Teresa Bücker, Alle_Zeit). Während ich also bewusst über Sexismus als eine mein Leben strukturierende Diskriminierungs- ergo Macht-Form nachdenke oder unbewusst nachspüre, hat mein männliches Gegenüber die Zeit sich Gedanken über die Spuren, die Nero hinterlassen hat, zu machen. Und beim nächsten Kneipenabend werde ich immer noch über Sexismus nachdenken, unfreiwillig, während er schon sein viertes Buch über das Römische Reich lesen konnte. Kämen noch andere Merkmale hinzu, die zu (Mehrfach)-Diskriminierung führten, würde noch mehr Zeit flöten gehen für diese nicht selbst ausgesuchte Beschäftigung – dann müsste ich über Rassismus, Ableismus, Homophobie und vieles andere mehr nachdenken, weil ich dazu gezwungen werde, nicht weil ich will.
Und dann wird von Rechtsaußen bis zur Mitte gegähnt und gepöbelt angesichts der Häufung sogenannter „Identitätsthemen“. Als wäre Identität ein vernachlässigbares Etwas, das man auch mal auf Pause stellen kann. Als würde es nicht um Haut und Haar gehen, als wäre es nicht der Körper, in den all die Qualen eingeschrieben sind, als würden sich nicht genau class[9], race[10], gender[11], Be-hinderung eben genau in dem Tempel, der der Körper eigentlich sein sollte, abspielen. Als wäre Identität eine von vielen Währungen, die wir auch gegen etwas Anderes, z. B. das Römische Reich, eintauschen könnten. „Unterschiede von Haut und Haar sind alt. Der Glaube an die Überlegenheit von Haut und Haar, der Gedanke, diese Faktoren könnten eine Gesellschaft angemessen strukturieren und würden auf tiefere, unauslöschliche Eigenschaften hinweisen – das ist der neue Gedanke im Herzen dieser neuen Menschen, die rettungslos in dem tragischen Irrglauben genährt wurden, weiß zu sein.“ (Ta-Nehisi Coates, Zwischen mir und der Welt)
Ich will nicht, dass FLINTA* bitter werden, ich will, dass sie ihre Wut spüren und
(aus-) agieren können. „Hass ist Zerstörung, Wut ist Veränderung“ – zitiere ich in meinen Selbstverteidigungskursen Audre Lorde. Ich will, dass meine Teilnehmer*innen lernen, ihre Wut als Waffe stets bei sich zu tragen, um sich und ihr Leben im Ernstfall verteidigen zu können. Überzeugte, aus sich herausquellende, nicht-zurückgehaltene Wut, die keine Rücksicht mehr nimmt, die kämpft, nicht weil sie hasst, sondern weil sie nur so überleben, nur so ihre Würde behalten oder wieder erlangen kann.
Hass ist mir persönlich fremd. Wut nicht, Neid und Eifersucht nicht, Enttäuschung und Verzweiflung nicht, Bitterkeit nicht. Hass, stelle ich mir konvex vor, das nach außen gekehrte Gefühl in Reaktion auf ein anderes, das nicht empfunden werden darf oder ausgehalten werden kann. Scham und Verlustangst etwa.
Der Mann, der die Frau tötet, die er als sein Eigentum definiert hatte – der hasst sie. Hasst sie dafür, dass sie sich emanzipierte, dass sie ihn verlassen oder schlicht eine Veränderung will. Hasst sie lieber, als dass er sich seiner Scham stellt. „Wenn wir uns schämen, fürchten wir um unser Überleben“ (Lea Schneider, Scham).
Erst mit Moshtari Hilals Buch Hässlichkeit wird mir der Zusammenhang von Hass und Hässlichkeit derart eklatant vor Augen geführt. Dass Frauen so darauf bedacht sind, schön zu sein, scheinbare Hässlichkeiten zu kompensieren, unsere Schönheit zu behalten oder wiederherzustellen, weil diese Jahrtausende lang unser größtes, meist einziges Kapital war und teils bis heute ist. Unser Körper, unsere Jugend, unsere Schönheit, und genau dafür gemocht, bewundert, begehrt, gewollt zu werden. Und wenn dies nicht gelingt? „In Wirklichkeit gedarbt, Orgasmus nur im Traum, in Wirklichkeit raus aus dem Körper, Anorexie, dann Desanorexie“, beschreibt Odile Kennel in Lust den Widerspruch zwischen Innen und Außen eines weiblich gelesenen Körper-Ichs.
Bitter, wenn der Körper sich an keine Regeln, auch nicht die eigenen, hält. Bitter zu merken, dass das Naheliegendste, der eigene Körper, sich ebenfalls der Kontrolle entzieht. So wie der Rest des Lebens.
Das Zurückgeworfensein auf den eigenen Körper und die häusliche Sphäre – da bekommt das Bild des Tempels plötzlich gefängnisartige Schlagseite. Waren doch gerade FLINTA* zwei Jahrtausende lang in die Sphäre des Heims gebannt. Woran sollten sie also ihre Macht ausüben, wenn nicht über ihre Körper (die ihrer Kinder) und den Hausstand? Is bitter the new sexy? Kann das unser Befreiungsschlag sein? Ein Nein, eine Absage daran, die Deutungshoheit über uns dem male gaze, einem männlichen Partner, einer patriarchal geprägten Gesellschaft zu überlassen?
es gibt kein besseres Heilmittel
als vorzeitiger Verfall
schreibe ich in Reaktion auf die letzten Lektüren kürzlich in einem Gedicht – eine mögliche Antwort mitliefernd.
[9] Klasse ~ Die entsprechende Diskriminierungsform nennt sich Klassismus, also die strukturelle und/oder individuelle Benachteiligung/der Ausschluss von Personen, die einer „weniger gebildeten“ Gesellschaftsklasse angehören.
[10] Als wörtliche deutsche Übersetzung für „race“ schlägt das Wörterbuch „Rasse“ vor. Dennoch findet sich dieser Begriff in keiner ernst zu nehmenden aktuellen Übersetzung rassismuskritischer Literatur. Dort bleibt es vielmehr bei „race“, denn „race“ und „Rasse“ meinen in diesem Kontext nicht dasselbe. Wer von „race“ spricht, weiß, dass Rassen eine Erfindung des Rassismus sind. Vgl.: https://missy-magazine.de/blog/2020/09/21/hae-was-heisst-denn-race/
[11] Gender beschreibt auf einer wissenschaftlichen Ebene das sozial konstruierte Geschlecht und auf einer aktivistischen und persönlichen Ebene die Geschlechtsidentität einer Person. Vgl.: https://queer-lexikon.net/2017/06/15/gender/
Weitere Kapitel:
Während als Frauen sozialisierte Menschen vor allem mit romantischer Liebe von klein auf indoktriniert werden (abertausende Stunden mit Disneyfilmen, romantic comedies, Lektüre von Promi-Beziehungsgeschichten und nicht zuletzt „Schönheitspflege“ verbracht!), sind für cis Männer Action, Unabhängigkeit, Gefühlskälte und Gewalt vorgesehen. Narrative, die von der Antike bis in SciFi-Welten reichen.
Als vor Kurzem auf Social Media die Umfrage viral ging, wie oft (cis) Männer an das Römische Reich denken, und die Antwort von vielen „ziemlich oft" war, musste ich bitter auflachen und hätte im nächsten Moment am liebsten bittere Tränen geweint. Hier lässt so gut veranschaulichen, wie Gendernormen greifen, nicht nur inhaltlich, sondern auch, wofür es in meinem Leben nicht genügend Zeit bzw. Platz gibt. Weil ich bereits beim Einsteigen in der U-Bahn statt über einen guten Platz für mich und mein Buch (über das Römische Reich, haha) schlicht über einen Platz für MICH nachdenke, weil ich mir Platz im ganz eigentlichen Sinne verschaffen muss, sodass ich gar nicht unbedingt Platz in meinem Kopf habe für Themen, die als intellektuell(er), die als „wichtig“ gelten.
„Die Zeit von Menschen, die sich permanent gegen Angriffe wehren müssen, die damit beschäftigt sind, zu überleben, oder an Orte verbannt sind ..., ist nicht frei, sondern fremdbestimmt durch die Macht, die andere über sie ausüben. Ihre Zeit löst sich nahezu auf“ (Teresa Bücker, Alle_Zeit). Während ich also bewusst über Sexismus als eine mein Leben strukturierende Diskriminierungs- ergo Macht-Form nachdenke oder unbewusst nachspüre, hat mein männliches Gegenüber die Zeit sich Gedanken über die Spuren, die Nero hinterlassen hat, zu machen. Und beim nächsten Kneipenabend werde ich immer noch über Sexismus nachdenken, unfreiwillig, während er schon sein viertes Buch über das Römische Reich lesen konnte. Kämen noch andere Merkmale hinzu, die zu (Mehrfach)-Diskriminierung führten, würde noch mehr Zeit flöten gehen für diese nicht selbst ausgesuchte Beschäftigung – dann müsste ich über Rassismus, Ableismus, Homophobie und vieles andere mehr nachdenken, weil ich dazu gezwungen werde, nicht weil ich will.
Und dann wird von Rechtsaußen bis zur Mitte gegähnt und gepöbelt angesichts der Häufung sogenannter „Identitätsthemen“. Als wäre Identität ein vernachlässigbares Etwas, das man auch mal auf Pause stellen kann. Als würde es nicht um Haut und Haar gehen, als wäre es nicht der Körper, in den all die Qualen eingeschrieben sind, als würden sich nicht genau class[9], race[10], gender[11], Be-hinderung eben genau in dem Tempel, der der Körper eigentlich sein sollte, abspielen. Als wäre Identität eine von vielen Währungen, die wir auch gegen etwas Anderes, z. B. das Römische Reich, eintauschen könnten. „Unterschiede von Haut und Haar sind alt. Der Glaube an die Überlegenheit von Haut und Haar, der Gedanke, diese Faktoren könnten eine Gesellschaft angemessen strukturieren und würden auf tiefere, unauslöschliche Eigenschaften hinweisen – das ist der neue Gedanke im Herzen dieser neuen Menschen, die rettungslos in dem tragischen Irrglauben genährt wurden, weiß zu sein.“ (Ta-Nehisi Coates, Zwischen mir und der Welt)
Ich will nicht, dass FLINTA* bitter werden, ich will, dass sie ihre Wut spüren und
(aus-) agieren können. „Hass ist Zerstörung, Wut ist Veränderung“ – zitiere ich in meinen Selbstverteidigungskursen Audre Lorde. Ich will, dass meine Teilnehmer*innen lernen, ihre Wut als Waffe stets bei sich zu tragen, um sich und ihr Leben im Ernstfall verteidigen zu können. Überzeugte, aus sich herausquellende, nicht-zurückgehaltene Wut, die keine Rücksicht mehr nimmt, die kämpft, nicht weil sie hasst, sondern weil sie nur so überleben, nur so ihre Würde behalten oder wieder erlangen kann.
Hass ist mir persönlich fremd. Wut nicht, Neid und Eifersucht nicht, Enttäuschung und Verzweiflung nicht, Bitterkeit nicht. Hass, stelle ich mir konvex vor, das nach außen gekehrte Gefühl in Reaktion auf ein anderes, das nicht empfunden werden darf oder ausgehalten werden kann. Scham und Verlustangst etwa.
Der Mann, der die Frau tötet, die er als sein Eigentum definiert hatte – der hasst sie. Hasst sie dafür, dass sie sich emanzipierte, dass sie ihn verlassen oder schlicht eine Veränderung will. Hasst sie lieber, als dass er sich seiner Scham stellt. „Wenn wir uns schämen, fürchten wir um unser Überleben“ (Lea Schneider, Scham).
Erst mit Moshtari Hilals Buch Hässlichkeit wird mir der Zusammenhang von Hass und Hässlichkeit derart eklatant vor Augen geführt. Dass Frauen so darauf bedacht sind, schön zu sein, scheinbare Hässlichkeiten zu kompensieren, unsere Schönheit zu behalten oder wiederherzustellen, weil diese Jahrtausende lang unser größtes, meist einziges Kapital war und teils bis heute ist. Unser Körper, unsere Jugend, unsere Schönheit, und genau dafür gemocht, bewundert, begehrt, gewollt zu werden. Und wenn dies nicht gelingt? „In Wirklichkeit gedarbt, Orgasmus nur im Traum, in Wirklichkeit raus aus dem Körper, Anorexie, dann Desanorexie“, beschreibt Odile Kennel in Lust den Widerspruch zwischen Innen und Außen eines weiblich gelesenen Körper-Ichs.
Bitter, wenn der Körper sich an keine Regeln, auch nicht die eigenen, hält. Bitter zu merken, dass das Naheliegendste, der eigene Körper, sich ebenfalls der Kontrolle entzieht. So wie der Rest des Lebens.
Das Zurückgeworfensein auf den eigenen Körper und die häusliche Sphäre – da bekommt das Bild des Tempels plötzlich gefängnisartige Schlagseite. Waren doch gerade FLINTA* zwei Jahrtausende lang in die Sphäre des Heims gebannt. Woran sollten sie also ihre Macht ausüben, wenn nicht über ihre Körper (die ihrer Kinder) und den Hausstand? Is bitter the new sexy? Kann das unser Befreiungsschlag sein? Ein Nein, eine Absage daran, die Deutungshoheit über uns dem male gaze, einem männlichen Partner, einer patriarchal geprägten Gesellschaft zu überlassen?
es gibt kein besseres Heilmittel
als vorzeitiger Verfall
schreibe ich in Reaktion auf die letzten Lektüren kürzlich in einem Gedicht – eine mögliche Antwort mitliefernd.
[9] Klasse ~ Die entsprechende Diskriminierungsform nennt sich Klassismus, also die strukturelle und/oder individuelle Benachteiligung/der Ausschluss von Personen, die einer „weniger gebildeten“ Gesellschaftsklasse angehören.
[10] Als wörtliche deutsche Übersetzung für „race“ schlägt das Wörterbuch „Rasse“ vor. Dennoch findet sich dieser Begriff in keiner ernst zu nehmenden aktuellen Übersetzung rassismuskritischer Literatur. Dort bleibt es vielmehr bei „race“, denn „race“ und „Rasse“ meinen in diesem Kontext nicht dasselbe. Wer von „race“ spricht, weiß, dass Rassen eine Erfindung des Rassismus sind. Vgl.: https://missy-magazine.de/blog/2020/09/21/hae-was-heisst-denn-race/
[11] Gender beschreibt auf einer wissenschaftlichen Ebene das sozial konstruierte Geschlecht und auf einer aktivistischen und persönlichen Ebene die Geschlechtsidentität einer Person. Vgl.: https://queer-lexikon.net/2017/06/15/gender/