Alisha

Ich habe gestern Nacht von Brei geträumt.

Das Märchen vom Brei. Ein Brei, der immer sicherstellt, dass wir gefüttert sind, ohne dass wir uns anstrengen müssen. Ein Brei für Beständigkeit. Das Leben leben wie dieser geschmacklose Brei, nicht süß, nicht bitter. Was für eine langweilige und angenehme Vorstellung.

Lidija Dimkovska
immer bereit, einen Brei zu kochen aus den ewigen Bedeutungen
und ihn 
an die Putzfrauen in den Eingängen zu verteilen

Der Reisbrei köchelt vor sich hin und wird immer heller und sämiger. Reis-Congee nennt er sich, angeblich soll Buddha ihn jeden Tag gegessen haben. Ich bin ab heute auf Diät, der weiße Brei schmeckt nach fast nichts.

Ich bin enttäuscht von meiner Haut. Die Ekzeme gehen manchmal, aber sie kommen immer wieder.

Bitterkeit ist das Resultat von wiederholten Enttäuschungen. Etwas läuft nicht, wie wir es uns gewünscht, wie wir es erwartet haben, etwas läuft nicht nach unseren Vorstellungen, unserem Plan, unserer Life List, etwas scheitert, wird krank, schwächelt, wird verletzt. Einmal ist ok, zweimal, na gut, ab dreimal, viermal beginnt die Bitterkeit. In Bezug auf das Schreiben entwickelte ich irgendwann eine Verbissenheit, die mir half, Absagen zu verarbeiten, in einem Ordner zu verstauen, zweifelnde innere Stimmen nach ihrem Realitätsgrad zu filtern und weiterzumachen. Mit dem Körper funktioniert das so einfach nicht.

Mein Körper will nicht. Egal, wie viel frische Luft, Sport, frisches Gemüse ich ihm zufüge. Ich bin hilflos, es liegt außerhalb meiner Kontrolle, ich bin auf die Hilfe von Ärzt*innen angewiesen und selbst die können nicht immer helfen. Ich will, dass er perfekt ist, gesund, nicht juckt, keine roten, schuppigen Stellen, die hässlich nach außen leuchten. 

Es gibt so vieles, das wir als Individuen nicht beeinflussen können, uns selbst betreffend, andere betreffend. Der eigene Körper ist ein Beispiel dafür. Natürlich gibt es viel, was ziemlich sicher hilft. Sport, viel Gemüse etc. Doch selbst wenn ich das reinste, gesündeste Leben führe, die Gesundheit meines Körpers ist nicht gesichert. Es liegt mir nicht, auf etwas zu hundert Prozent zu verzichten. Auf Zucker, auf Alkohol, auf Weizen. Selbst an Zigaretten ziehe ich hin und wieder, auch wenn ich eigentlich aufgehört habe. Die Verführung der Genussmittel. Genuss, hmm. Versagen meines Willens. Schwäche meines Körpers. Freiheit zu entscheiden und die Konsequenzen zu tragen, ohne dass immer eine direkte Ursache-Wirkung-Korrelation gesichert ist. Der Körper kann ein großes Rätsel sein und sendet oft uneindeutige oder widersprüchliche Signale. Es gibt bestimmte Dinge, die ziemlich sicher gut für ihn sind. Aber manchmal will und macht er Dinge, die sich nicht feministisch anfühlen oder gesund.

Insofern können wir von unseren Körpern lernen, dass der Druck, alles in der Hand zu haben, alles richtig machen zu müssen, nicht immer hilfreich ist. Diese Erkenntnis findet sich sowohl im feministischen Kampf, als auch im Schreibprozess wieder. Manche Dinge brauchen Zeit, brauchen sogar Rückzug, um sich entfalten, um wachsen zu können.

Es ist eine Illusion zu glauben wir müssten nur alle im Einzelnen frei und glücklich sein und dann sind alle automatisch frei und glücklich. Es ist aber auch eine Illusion, dass ich als Individuum nur verbissen feministisch genug leben und handeln muss, was auch immer ich darunter verstehe, mein Privatleben voll und ganz dem politischen Zweck widmen und ihm alle anderen Lebensbereiche unterzuordnen, dann würde die Welt automatisch besser, feministischer, befreiter.

Diese Annahmen tendieren dazu, Kollektivität und Individualität gegeneinander auszuspielen, dabei ist es produktiver, diese beiden gemeinsam zu denken. Denn individuelle Freiheit, Fürsorge und Glück für das Kollektiv, ist am Ende ja die feministische Utopie, auf die wir hinarbeiten wollen.

Wie die Möglichkeit Süße im Leben zu erreichen – die ich hier mit einem Gefühl der Selbstverwirklichung und Glücksempfinden gleichsetze – mit der Notwendigkeit des sich Öffnens in der Gemeinschaft zusammenhängt, auch wenn es Gefahren des Leids birgt, beschreibt Lea Schneider in ihrem Essay Scham:
„Spätestens seit der alternativlosen Durchsetzung des (Neo)-Liberalismus, [leben wir] in einer Welt, in der wir nur dann als Subjekte gelten, wenn wir souverän, rational, autonom und vollkommen selbstbestimmt sind. Die eigene Angewiesenheit auf Andere zu spüren, bedeutet in dieser Welt, nicht nur die persönliche Freiheit, sondern den kompletten Status als Subjekt – als Person – zu riskieren … Diese fundamentale Verletzbarkeit gefährdet uns, sie befähigt uns aber auch zu fast allen Formen des Glücks, die wir kennen.“
Das süße Gefühl, nicht allein zu sein, mit der eigenen Verletzlichkeit, Frustration, Bitterkeit. Der beruhigende Gedanke, ab und an abtauchen zu können, in dem Vertrauen ein Partikel im Meer der Kollektivität zu sein. Die Erleichterung darüber, dass wir nicht ganz allein dafür verantwortlich sind, wie süß unser Leben ist, dass unser Glück verbunden ist mit dem der anderen. Sich dies eingestehen, dies verstehen, sich damit den schweren Druck nehmen, der zu Bitterkeit führt und gleichzeitig handlungsfähig bleiben, handelnd bleiben.

Indem wir Fürsorge füreinander als Notwendigkeit für individuelle sowie kollektive Existenz im Leben sehen, arbeiten wir Bitterkeitsmechanismen entgegen. Die belarusische Künstlerin und Aktivistin Marina Naprushkina nennt das „Fürsorglichen Widerstand“. Fürsorglicher Widerstand zieht aber auch Energie, für die wir und unser Körper wiederum ausreichend Zucker brauchen.

Verfasst von: Alisha Gamisch und Sara Gómez