Lena Christ in Berganger
Lena Christ gilt als seine der bedeutendsten bayerischen Erzählerinnen. In ihrer Literatur hält sie das bäuerliche Milieu Bayerns im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert lebendig. Neben den autobiografisch geprägten Erinnerungen einer Überflüssigen (1912) setzt sie mit dem Roman Mathias Bichler (1914) ihrem geliebten Glonner Großvater ein literarisches Denkmal. Die Geschichte Madam Bäuerin, die kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs erscheint und aus dem der folgende Auszug stammt, zeigt einmal mehr ihren scharfen Blick auf Land und Leute:
Nun sind im Allgemeinen die Stadtleut keine absonderlich willkommenen Gäste auf dem Land. Aber so im Besonderen macht doch manche Bäuerin eine Ausnahme und lässt ein paar von den Städtischen in ihren üppigen Flaumbetten schlafen. Freilich nur gegen gutes Entgelt. Denn umsonst ist der Tod, und der kostet das Leben. Und wenn sie auch darüber brummt, dass ihr die „verhungerten Stadterer den Schmalzhafen, die Mehltruhen und die Eierschlüssel leer fressen“, so ist ihr das Geld, welches die Sommergäste bei ihr sitzen lassen, doch eine so willkommene Nebeneinnahme, dass sie willig für etliche Wochen auf ihren angestammten Groll gegen sie vergisst.
Denn der Hunger nach Profit ist bei jeder Bäuerin so groß, dass sie gern auf weiß Gott was alles verzichtet, wenn nur ihr Geldbeutel Nutzen davon hat.
Und dann ist doch auch noch die Nachbarin da; wenn die hörte, dass drüben beim Nachbarn Sommergäste abgewiesen wurden, so liefe sie ihnen sicherlich nach und böte ihnen die beste Stube des Hauses an, bloß um die andere zu ärgern! Darum schränkt man sich über Sommer ein, so gut man nur kann.
Das eheliche Schlafgemach wird zur Rumpelkammer, in der man alles aufstapelt, was sonst in den verschiedenen Kammern hing, lag und stand. Da türmen sich Pappschachteln mit Strohhüten, Pelzen, Atlaskränzen und Brautkronen; Totenkränze hängen neben Flachszöpfen und Kümmelbüscheln, Honighäfen stehen neben Schnapskrügeln und Spinnradeln, und zwischen Schüsseln mit Bienenwaben liegen Berge von Flickwäsche. Darunter aber sind die Schätze an Eiern und Schmalz verborgen, die man nicht jedem zeigen will, der ins Haus kommt.
Hat die Bäuerin Kinder, so liegen sie während dieser Zeit droben im Gret, auf dem Vorplatz neben der Stiege, immer zwei in einer mageren Betthaut. Und die alte Großmutter muss es sich auch noch gefallen lassen, dass man ihr eine zweite oder dritte Bettstelle in das Austragstüblein rückt, darin noch ein paar Söhne oder Töchter des Hauses ihre Schlafstatt einrichten.
Und dann werden die guten Stuben und Kammern gekehrt und geschruppt, von Spinnweben gesäubert und mit Rupfenplachen belegt. Aber nur ein paar Monate lang hält die Bäuerin dies Leben aus. Nur während der Zeit der Ernte, da sie selber entweder viel mit, ihren Leuten auf dem Felde ist oder aber den ganzen Tag in Stall und Küche werkt und den Hof versorgt, indes die andern Weizen, Korn und Grummet einernten. In diesen Tagen hat sie nicht Derweil, die Stadtleut viel zu betrachten und sich über ihr Tun zu ärgern; im Herbst aber oder gar im Frühjahr, da ist sie anders. Da kann ihr kein Sterbensmensch auf Gottes Erdboden ungelegener ins Haus kommen, als so ein Stadtfrack! Und es kann kein Städter etwas Ungeschickteres tun, als sich in einem Bauernhof einzuquartieren, ehe die Erde und die Sonne ins Zeichen der Hundstage tritt. (Lena Christ: Dramen, Bauern und andere Erzählungen, Madame Bäuerin, Briefe. Hg. von Walter Schmitz. München 1990, S. 207-217.)
Sekundärliteratur:
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 183f., S. 249.
Externe Links:
Madam Bäuerin bei gutenberg.spiegel.de
Weitere Kapitel:
Lena Christ gilt als seine der bedeutendsten bayerischen Erzählerinnen. In ihrer Literatur hält sie das bäuerliche Milieu Bayerns im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert lebendig. Neben den autobiografisch geprägten Erinnerungen einer Überflüssigen (1912) setzt sie mit dem Roman Mathias Bichler (1914) ihrem geliebten Glonner Großvater ein literarisches Denkmal. Die Geschichte Madam Bäuerin, die kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs erscheint und aus dem der folgende Auszug stammt, zeigt einmal mehr ihren scharfen Blick auf Land und Leute:
Nun sind im Allgemeinen die Stadtleut keine absonderlich willkommenen Gäste auf dem Land. Aber so im Besonderen macht doch manche Bäuerin eine Ausnahme und lässt ein paar von den Städtischen in ihren üppigen Flaumbetten schlafen. Freilich nur gegen gutes Entgelt. Denn umsonst ist der Tod, und der kostet das Leben. Und wenn sie auch darüber brummt, dass ihr die „verhungerten Stadterer den Schmalzhafen, die Mehltruhen und die Eierschlüssel leer fressen“, so ist ihr das Geld, welches die Sommergäste bei ihr sitzen lassen, doch eine so willkommene Nebeneinnahme, dass sie willig für etliche Wochen auf ihren angestammten Groll gegen sie vergisst.
Denn der Hunger nach Profit ist bei jeder Bäuerin so groß, dass sie gern auf weiß Gott was alles verzichtet, wenn nur ihr Geldbeutel Nutzen davon hat.
Und dann ist doch auch noch die Nachbarin da; wenn die hörte, dass drüben beim Nachbarn Sommergäste abgewiesen wurden, so liefe sie ihnen sicherlich nach und böte ihnen die beste Stube des Hauses an, bloß um die andere zu ärgern! Darum schränkt man sich über Sommer ein, so gut man nur kann.
Das eheliche Schlafgemach wird zur Rumpelkammer, in der man alles aufstapelt, was sonst in den verschiedenen Kammern hing, lag und stand. Da türmen sich Pappschachteln mit Strohhüten, Pelzen, Atlaskränzen und Brautkronen; Totenkränze hängen neben Flachszöpfen und Kümmelbüscheln, Honighäfen stehen neben Schnapskrügeln und Spinnradeln, und zwischen Schüsseln mit Bienenwaben liegen Berge von Flickwäsche. Darunter aber sind die Schätze an Eiern und Schmalz verborgen, die man nicht jedem zeigen will, der ins Haus kommt.
Hat die Bäuerin Kinder, so liegen sie während dieser Zeit droben im Gret, auf dem Vorplatz neben der Stiege, immer zwei in einer mageren Betthaut. Und die alte Großmutter muss es sich auch noch gefallen lassen, dass man ihr eine zweite oder dritte Bettstelle in das Austragstüblein rückt, darin noch ein paar Söhne oder Töchter des Hauses ihre Schlafstatt einrichten.
Und dann werden die guten Stuben und Kammern gekehrt und geschruppt, von Spinnweben gesäubert und mit Rupfenplachen belegt. Aber nur ein paar Monate lang hält die Bäuerin dies Leben aus. Nur während der Zeit der Ernte, da sie selber entweder viel mit, ihren Leuten auf dem Felde ist oder aber den ganzen Tag in Stall und Küche werkt und den Hof versorgt, indes die andern Weizen, Korn und Grummet einernten. In diesen Tagen hat sie nicht Derweil, die Stadtleut viel zu betrachten und sich über ihr Tun zu ärgern; im Herbst aber oder gar im Frühjahr, da ist sie anders. Da kann ihr kein Sterbensmensch auf Gottes Erdboden ungelegener ins Haus kommen, als so ein Stadtfrack! Und es kann kein Städter etwas Ungeschickteres tun, als sich in einem Bauernhof einzuquartieren, ehe die Erde und die Sonne ins Zeichen der Hundstage tritt. (Lena Christ: Dramen, Bauern und andere Erzählungen, Madame Bäuerin, Briefe. Hg. von Walter Schmitz. München 1990, S. 207-217.)
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 183f., S. 249.
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