Alisha

Ich mochte Kaffee ungewöhnlich lange nicht. Als Kind nicht, was normal ist, aber auch als Jugendliche und junge Erwachsene nicht. Kaffee habe ich später gelernt zu trinken, um funktionieren zu können, aus verzweifelter Müdigkeit in der Endphase meines Studiums, beim Nebenjob in einer Tageseinrichtung für Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen, aus dringender Notwendigkeit der Strukturierung des Tages, aus Gewohnheit, aus Geselligkeit, aus Gefälligkeit, der Genuss daran hat sich erst später eingestellt.

Ann-Kathrin Tlusty beschreibt in „Süß – eine feministische Kritik“ wie sie als junge Frau „eating chocolate“ als ihr Hobby bezeichnete. Nicht drinking coffee, wie wir es in beige-melierten Insta-Accounts finden, aber es sind zwei Seiten derselben Medaille, auch wenn eines süß und das andere bitter ist. Süßer Kaffee, bittere Schokolade, bitterer Kaffee, süße Schokolade. Tlusty schreibt, sie habe gelernt, dass sich süß geben, als Frau in der Gesellschaft einen vermeintlichen Vorteil verschafft, als ältere Erwachsene ist sie schockiert darüber. 

Was spricht dagegen süß zu sein, süß sein zu wollen? Ich selbst wurde in meinem Leben schon unzählige Male so komplimentiert, habe mich mal darüber gefreut, mal darüber geärgert, denn neben der Zärtlichkeit steckt darin diese nagende verniedlichende, verkleinernde Komponente. Ich selbst verwende das Wort häufig. Und doch ist es unmittelbar mit patriarchaler Prägung verbunden, in diesem Fall durch inhaltlose Hobbies. Ich esse gern süß, ergo bin ich süß, bin ein Naschkätzchen, ergo keine Gefahr für dich. Ich beschäftige mich damit, wie mein Kaffee aussieht, der Schaum mit einem Hauch Kakao darauf, ich bin harmlos, hab mich gern.

Diese Süße ist ein Schutzmechanismus. Ich kann als Frau gelesener Mensch Erfolg haben, irgendwie zu Anerkennung kommen, aber meine Strategie ist, süß, lieb und charmant zu sein dabei. Das ist vielleicht nicht die schlechteste Strategie, zu gewissen Graden funktioniert sie. Solange ich zart und niedlich genug bin, kann mir vermeintlich nichts passieren. Dass ich damit in vielen Punkten auch verletzlicher bin und weniger ernst genommen werde, ist die Kehrseite der Medaille. Dass wir überhaupt solche Strategien anwenden müssen.

Die kollektive Erfahrung, dass es ein individueller Kampf ist, ein süßes Leben zu erreichen.

Eine weise, alte Frau, die ich in einem Instagram Meme sehe, sagt: Der Sinn des Lebens? Die Träume nie runterzuschrauben. Nur immer mit genug positiver Überzeugung manifestieren, dass ich alles schaffen kann. Wie geht man dann aber damit um, dass unsere Träume durchwandert sind von verstaubten Idealen, von einer Umwelt, die sich über Geld definiert, über Macht, Status, Ausbeutung?

Sobald mir die allumfassende Bedeutung des Patriarchats bewusst wird, die sich wie ein Liniennetz durch unsere Gesellschaft zieht, bis hinein in die persönlichsten Bereiche, muss ich auf rationaler Ebene diese Ideale hinterfragen. Muss mir Gedanken machen, darüber, ob das, was ich mit einem süßen Leben verbinde, wirklich ein süßes Leben ist. Zoe Beck schreibt: „Es wird viel von Selbstverwirklichung und Selbstfindung gesprochen, und doch dienen die damit verbundenen Erwartungen häufig nur dazu, Druck aufzubauen.“

Ist dann das Scheitern, das Modifizieren und Loslassen dieser Träume vom Glück eigentlich ein Schlag gegen das Patriarchat? Ist es daher vielleicht sogar ein Zeichen von Reife bitter zu sein? Ist was dran an der heuchlerischen Aussage, dass Feminismus und der damit zusammenhängende Anspruch auf ein feministisches Leben uns zu bitteren Menschen machen kann? Finden wir solche Menschen dann nicht gut? Ist bitter the new sexy?

Verfasst von: Alisha Gamisch und Sara Gómez