Rainer Maria Rilke in Wolfratshausen
In Wolfratshausen genießen Rainer Maria Rilke und seine damalige Geliebte Lou Andreas-Salomé im Sommer 1897 die ersten Tage ihrer Liebe. Nur wenige Wochen vorher haben sich die beiden in München kennengelernt, wo Rilke seit 1896 lebt. Von dort besuchen sie der Jugendstil-Architekt August Endell, der russische Schriftsteller Akim Wolinskij und der fränkische Schriftsteller Jakob Wassermann. Wenn die geliebte Gesprächspartnerin fehlt, geht dem feinsinnigen Großstädter Rilke das Landleben schnell auf die Nerven. Briefe voll inniger Zuneigung überbrücken die Zeit der Trennung. Im Fahnensattlerhaus nimmt er Abschied von den Menschen und der Gegend – von der Natur wird Rilke schließlich überwältigt:
Es war nicht Alltag da oben; so war es nur die paar Mal, wenn wir allein oben schritten, verschwiegen und seelennah. Ich folgte dem leisen Weg und er leitete mich dorthin, wo Eichhörnchen durch Moos und Morast schnellten und alles ringsum sein leises intimes Freuen und Regen hatte. Und heute gabs keine Flucht im Allerheiligsten, trotzdem das morsche Laub sich quälte unter meinem scheuen Schritt. Ein Specht klopfte ganz behaglich, wie ein kluger Arzt seine Fichte ab und schien sie gesund zu finden, große Vögel blieben auf moosigen Baumstümpfen und ertrugen meinen Blick und die Eichkätzchen schlüpften ohne Schrecken in gewohnter heiterer Hast durch die dichten Äste. Sie hatten sich Alle verständigt: „Er ist kein Profaner, er verräth uns nicht; und überdies kommt er Abschied nehmen.“ Nein ich verrathe euch nicht, ihr heiligen Heimlichkeiten, denn meine Seele liebt euch. Ich stand wie betend in dieser geweihten Einsamkeit die tief, tief hinter Stämmen begann und fühlte – es sind hundert Mauern zwischen mir und Allem Lauten. Nur D e i n e S e e l e war bei mir in dieser leisen Stunde, denn ihr danke ich, daß ich an Alle dem so tiefe Freude haben kann und durch ihre Gnade bin ich ja so reich, durch ihre Liebe so froh. – Ich empfand: es ist ein schöner Abschied – und grüßte Alles nochmal. Es war festlich und in tausend Farben. Und wie ich heimwärts ging durch diese Pracht, muß ich selbst wie in Sonntagskleidern gewesen sein und die letzte Sonne lag wie Geschmeide auf meinen Schultern. Und ich muß heller und besser geworden sein, Kinder die mir begegneten grüßten mit hellen Stimmchen fast andächtig und eines duldete die Hand auf seinem Blondhaar. Wenn ich hätte segnen können in diesem Augenblick? Glaubst Du? (Zit. aus: Ernst Pfeiffer (Hg.): Rainer Maria Rilke – Lou Andreas-Salomé. Briefwechsel. Berlin 1975, S. 23-29.)
Sekundärliteratur:
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 214, S. 263.
Weitere Kapitel:
In Wolfratshausen genießen Rainer Maria Rilke und seine damalige Geliebte Lou Andreas-Salomé im Sommer 1897 die ersten Tage ihrer Liebe. Nur wenige Wochen vorher haben sich die beiden in München kennengelernt, wo Rilke seit 1896 lebt. Von dort besuchen sie der Jugendstil-Architekt August Endell, der russische Schriftsteller Akim Wolinskij und der fränkische Schriftsteller Jakob Wassermann. Wenn die geliebte Gesprächspartnerin fehlt, geht dem feinsinnigen Großstädter Rilke das Landleben schnell auf die Nerven. Briefe voll inniger Zuneigung überbrücken die Zeit der Trennung. Im Fahnensattlerhaus nimmt er Abschied von den Menschen und der Gegend – von der Natur wird Rilke schließlich überwältigt:
Es war nicht Alltag da oben; so war es nur die paar Mal, wenn wir allein oben schritten, verschwiegen und seelennah. Ich folgte dem leisen Weg und er leitete mich dorthin, wo Eichhörnchen durch Moos und Morast schnellten und alles ringsum sein leises intimes Freuen und Regen hatte. Und heute gabs keine Flucht im Allerheiligsten, trotzdem das morsche Laub sich quälte unter meinem scheuen Schritt. Ein Specht klopfte ganz behaglich, wie ein kluger Arzt seine Fichte ab und schien sie gesund zu finden, große Vögel blieben auf moosigen Baumstümpfen und ertrugen meinen Blick und die Eichkätzchen schlüpften ohne Schrecken in gewohnter heiterer Hast durch die dichten Äste. Sie hatten sich Alle verständigt: „Er ist kein Profaner, er verräth uns nicht; und überdies kommt er Abschied nehmen.“ Nein ich verrathe euch nicht, ihr heiligen Heimlichkeiten, denn meine Seele liebt euch. Ich stand wie betend in dieser geweihten Einsamkeit die tief, tief hinter Stämmen begann und fühlte – es sind hundert Mauern zwischen mir und Allem Lauten. Nur D e i n e S e e l e war bei mir in dieser leisen Stunde, denn ihr danke ich, daß ich an Alle dem so tiefe Freude haben kann und durch ihre Gnade bin ich ja so reich, durch ihre Liebe so froh. – Ich empfand: es ist ein schöner Abschied – und grüßte Alles nochmal. Es war festlich und in tausend Farben. Und wie ich heimwärts ging durch diese Pracht, muß ich selbst wie in Sonntagskleidern gewesen sein und die letzte Sonne lag wie Geschmeide auf meinen Schultern. Und ich muß heller und besser geworden sein, Kinder die mir begegneten grüßten mit hellen Stimmchen fast andächtig und eines duldete die Hand auf seinem Blondhaar. Wenn ich hätte segnen können in diesem Augenblick? Glaubst Du? (Zit. aus: Ernst Pfeiffer (Hg.): Rainer Maria Rilke – Lou Andreas-Salomé. Briefwechsel. Berlin 1975, S. 23-29.)
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 214, S. 263.