Das Leben einer gutbürgerlichen Familie in München
Die Rosenbergs sind Teil des gutbürgerlichen Milieus und dadurch, dass Hamilton mit ihnen in einem Haus lebt, bekommen die Leser*innen einen ausführlichen Einblick in diese Schicht. Hildegardes und Crescenz‘ Mutter ist eine Adlige, aber ohne großes Vermögen und zu Beginn des Romans bereits tot. Ihr Vater und ihre Stiefmutter, Tochter des Besitzers eines Eisenwerks, sind nicht adlig, aber gut situiert. Die Schwestern sind gut gebildet – Hildegarde spricht am Ende des Buches vier Sprachen und Crescenz erzählt ihrem Verlobten, dass sie in der Schule fast ausschließlich Französisch spricht –, aber nicht besonders geschickt im Haushalt, da die Familie es sich leisten kann, Angestellte zu haben. Hildegarde meint sogar, dass sie durch ihre Bildung für Hausarbeit völlig unbrauchbar ist, weshalb sie auf Empfehlung ihrer Lehrerin als Gouverneurin arbeiten will. Doch die Frauen der Familie beteiligen sich auch ab und zu am Haushalt, indem sie beispielsweise in der Küche aushelfen oder am Markt mit dem Verkäufer feilschen:
Der Lärm des Geschwätzes und das Feilschreien belustigten [Hamilton] nicht wenig, besonders das Letztere, und er stand länger als eine halbe Stunde neben Madame Rosenberg, während sie um den Preis von einigen Ellen Mousselin mäkelte. Sie war endlich im Begriff wegzugehen (oder, wie sie später erklärte, that sie nur so), als sie der Verkäufer zurückrief und mit der Versicherung, daß er ihr den Artikel halb umsonst gebe, sich anschickte, die gewünschte Quantität abzuschneiden.
(A. Z.: Aus dem Münchner Leben, Bd. III, S. 9)
Die Aktivitäten, denen die Familie nachgeht, dienen sowohl dazu, ihren Stand zur Schau zu stellen als auch Hamilton ins Münchner/bayerische Leben einzuführen: Die Familie fährt beispielsweise mit einer Kutsche zum Oktoberfest vor, besucht die Auer Dult und die Mariahilfkirche und eine Brauerei.
Die katholischen Rosenbergs besuchen an Allerheiligen einen Friedhof, wo Hamilton das Dekorieren der Gräber und Trauern der Angehörigen mit Neugier beobachtet, und feiert einen Monat später ein ausgeladenes Weihnachtsfest.
Endlich wurde geklingelt, und die Thür, welche zu dem Schulzimmer führte, aufgestoßen. Die Kinder stürmten mit Freudengeschrei in das andere Zimmer, und ihr Vater und die anderen Gäste folgten ihnen etwas stürmisch. Hamilton war der Letzte und hatte mehr Zeit, seine Augen auf den Lichtglanz, welchem sie begegnen mußten, vorzubereiten. In der Mitte des Zimmers war ein großer runder Tisch, auf welchem ein großer Tannenbaum stand, der mit einer Menge von Bonbons in den buntesten Farben behangen war, welche wie Juwelen funkelten, da sie das Licht der Hunderte von Wachskerzen, welche an den dunkelgrünen Zweigen befestigt waren, reflectirten. An der Spitze des Baumes befand sich ein ganz in Gold und Silber gekleideter winziger Engel und in dem Moose am Fuße desselben ein von Lämmern umgebenes Wachskind. Der Tisch war selbst mit Kleinigkeiten jeder Art, von Zeichenbüchern und Malkästen für Fritz, Trommeln und Trompeten für Peppi überhäuft.
(A. Z.: Aus dem Münchner Leben, Bd. III, S. 155)
Im Winter fahren sie auf der Nymphenburger Straße Schlitten und besuchen einen Faschingsball. Dort trägt die Gruppe Dominos, ein Kostüm, das besonders im 18. Jahrhundert in Deutschland sehr beliebt ist, und begegnen dort unter anderem einem mysteriösen, als „Türke“ (A. Z. Aus dem Münchner Leben, Bd. IV, S. 115) ‚verkleideten‘ Mann – sich als Mitglieder gesellschaftlicher Minderheiten zu ‚verkleiden‘, ist ein Brauch, der seit dem 15. Jahrhundert besteht und hier aufgegriffen wird. Eine ähnliche Szene findet sich auch in Mary Howitt’s Margaret von Ehrenberg, the Artist-Wife, ebenso wie ein Besuch im Café Tambosi.
Die Rosenbergs und Hamilton besuchen eine Mitternachtsmesse in der Frauenkirche. Hier heiraten auch Crescenz und Major Stultz.
Zusätzlich zu den Informationen über Deutschland und Bayern, die Leser*innen durch Hamiltons Leben mit den Rosenbergs bekommen, wird auch explizit auf die Kontraste zwischen Deutschland/Bayern und England hingewiesen. Die wahrgenommene Prüderie deutscher Mädchen wurde bereits beschrieben; bayerische Leute werden zudem als herzlicher, rustikaler und glücklicher wahrgenommen und dargestellt. Worüber sich aber im Laufe des Buches immer wieder indirekt lustig gemacht wird, ist die Unfähigkeit der Rosenbergs, eine gute Tasse Tee zu machen (Madame Rosenberg benutzt nicht genug Teeblätter und trinkt ihn mit Rum), die es erforderlich macht, dass Hamilton aushilft. Auch deutsche Begriffe werden in dem grundsätzlich auf Englisch verfassten Text immer wieder verwendet und tragen zur Authentizität bei. Teilweise werden sie übersetzt/erklärt (Scheibenschießen/Schmarrn), teilweise bleiben sie unerklärt stehen (Sommerfrische).
Tautphoeus baut auch immer wieder spezifischere Details über das bayerische Leben zur damaligen Zeit ein, wie die Kaution, die Soldaten zahlen müssen, um heiraten zu dürfen (sodass ihre Frauen und Kinder versorgt sind, falls sie umkommen), die Cholera-Epidemie von 1836/37 oder die Hydrotherapie, die im 18. Jahrhundert an Beliebtheit gewinnt und der Count Zedwitz, Anhänger von Vincenz Prießnitz, intensiv nachgeht.
Weitere Kapitel:
Die Rosenbergs sind Teil des gutbürgerlichen Milieus und dadurch, dass Hamilton mit ihnen in einem Haus lebt, bekommen die Leser*innen einen ausführlichen Einblick in diese Schicht. Hildegardes und Crescenz‘ Mutter ist eine Adlige, aber ohne großes Vermögen und zu Beginn des Romans bereits tot. Ihr Vater und ihre Stiefmutter, Tochter des Besitzers eines Eisenwerks, sind nicht adlig, aber gut situiert. Die Schwestern sind gut gebildet – Hildegarde spricht am Ende des Buches vier Sprachen und Crescenz erzählt ihrem Verlobten, dass sie in der Schule fast ausschließlich Französisch spricht –, aber nicht besonders geschickt im Haushalt, da die Familie es sich leisten kann, Angestellte zu haben. Hildegarde meint sogar, dass sie durch ihre Bildung für Hausarbeit völlig unbrauchbar ist, weshalb sie auf Empfehlung ihrer Lehrerin als Gouverneurin arbeiten will. Doch die Frauen der Familie beteiligen sich auch ab und zu am Haushalt, indem sie beispielsweise in der Küche aushelfen oder am Markt mit dem Verkäufer feilschen:
Der Lärm des Geschwätzes und das Feilschreien belustigten [Hamilton] nicht wenig, besonders das Letztere, und er stand länger als eine halbe Stunde neben Madame Rosenberg, während sie um den Preis von einigen Ellen Mousselin mäkelte. Sie war endlich im Begriff wegzugehen (oder, wie sie später erklärte, that sie nur so), als sie der Verkäufer zurückrief und mit der Versicherung, daß er ihr den Artikel halb umsonst gebe, sich anschickte, die gewünschte Quantität abzuschneiden.
(A. Z.: Aus dem Münchner Leben, Bd. III, S. 9)
Die Aktivitäten, denen die Familie nachgeht, dienen sowohl dazu, ihren Stand zur Schau zu stellen als auch Hamilton ins Münchner/bayerische Leben einzuführen: Die Familie fährt beispielsweise mit einer Kutsche zum Oktoberfest vor, besucht die Auer Dult und die Mariahilfkirche und eine Brauerei.
Die katholischen Rosenbergs besuchen an Allerheiligen einen Friedhof, wo Hamilton das Dekorieren der Gräber und Trauern der Angehörigen mit Neugier beobachtet, und feiert einen Monat später ein ausgeladenes Weihnachtsfest.
Endlich wurde geklingelt, und die Thür, welche zu dem Schulzimmer führte, aufgestoßen. Die Kinder stürmten mit Freudengeschrei in das andere Zimmer, und ihr Vater und die anderen Gäste folgten ihnen etwas stürmisch. Hamilton war der Letzte und hatte mehr Zeit, seine Augen auf den Lichtglanz, welchem sie begegnen mußten, vorzubereiten. In der Mitte des Zimmers war ein großer runder Tisch, auf welchem ein großer Tannenbaum stand, der mit einer Menge von Bonbons in den buntesten Farben behangen war, welche wie Juwelen funkelten, da sie das Licht der Hunderte von Wachskerzen, welche an den dunkelgrünen Zweigen befestigt waren, reflectirten. An der Spitze des Baumes befand sich ein ganz in Gold und Silber gekleideter winziger Engel und in dem Moose am Fuße desselben ein von Lämmern umgebenes Wachskind. Der Tisch war selbst mit Kleinigkeiten jeder Art, von Zeichenbüchern und Malkästen für Fritz, Trommeln und Trompeten für Peppi überhäuft.
(A. Z.: Aus dem Münchner Leben, Bd. III, S. 155)
Im Winter fahren sie auf der Nymphenburger Straße Schlitten und besuchen einen Faschingsball. Dort trägt die Gruppe Dominos, ein Kostüm, das besonders im 18. Jahrhundert in Deutschland sehr beliebt ist, und begegnen dort unter anderem einem mysteriösen, als „Türke“ (A. Z. Aus dem Münchner Leben, Bd. IV, S. 115) ‚verkleideten‘ Mann – sich als Mitglieder gesellschaftlicher Minderheiten zu ‚verkleiden‘, ist ein Brauch, der seit dem 15. Jahrhundert besteht und hier aufgegriffen wird. Eine ähnliche Szene findet sich auch in Mary Howitt’s Margaret von Ehrenberg, the Artist-Wife, ebenso wie ein Besuch im Café Tambosi.
Die Rosenbergs und Hamilton besuchen eine Mitternachtsmesse in der Frauenkirche. Hier heiraten auch Crescenz und Major Stultz.
Zusätzlich zu den Informationen über Deutschland und Bayern, die Leser*innen durch Hamiltons Leben mit den Rosenbergs bekommen, wird auch explizit auf die Kontraste zwischen Deutschland/Bayern und England hingewiesen. Die wahrgenommene Prüderie deutscher Mädchen wurde bereits beschrieben; bayerische Leute werden zudem als herzlicher, rustikaler und glücklicher wahrgenommen und dargestellt. Worüber sich aber im Laufe des Buches immer wieder indirekt lustig gemacht wird, ist die Unfähigkeit der Rosenbergs, eine gute Tasse Tee zu machen (Madame Rosenberg benutzt nicht genug Teeblätter und trinkt ihn mit Rum), die es erforderlich macht, dass Hamilton aushilft. Auch deutsche Begriffe werden in dem grundsätzlich auf Englisch verfassten Text immer wieder verwendet und tragen zur Authentizität bei. Teilweise werden sie übersetzt/erklärt (Scheibenschießen/Schmarrn), teilweise bleiben sie unerklärt stehen (Sommerfrische).
Tautphoeus baut auch immer wieder spezifischere Details über das bayerische Leben zur damaligen Zeit ein, wie die Kaution, die Soldaten zahlen müssen, um heiraten zu dürfen (sodass ihre Frauen und Kinder versorgt sind, falls sie umkommen), die Cholera-Epidemie von 1836/37 oder die Hydrotherapie, die im 18. Jahrhundert an Beliebtheit gewinnt und der Count Zedwitz, Anhänger von Vincenz Prießnitz, intensiv nachgeht.