Tod und Nachruhm

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Grabstätte von Jakob Wassermann auf dem Friedhof in Altaussee, seines Sohnes „Charles“ und seiner Schwiegertochter Jacqueline, 2021.

Am Ende seines Lebens hatte sich Jakob Wassermann völlig von der Idee einer politischen Gesellschaftsveränderung zurückgezogen und setzte alles auf religiöse Hoffnungen. Dahinter verbarg sich das Bewusstsein vom Scheitern der Assimilation. Trotzdem hielt Wassermann an der Utopie fest, es könnte eines Tages gelingen. Sein Idealismus schien alle realen Hindernisse überwinden zu wollen.

Thomas Mann notiert angesichts einer Begegnung mit Wassermann in Zürich am 20. Dezember 1933 letztmals in sein Tagebuch: „W, von seiner holländischen Reise zurück, sieht sehr schlecht aus und injiziert dreimal täglich Insulin. Seine Angelegenheiten stehen desolat. Er macht den Eindruck eines ruinierten Mannes.“

Am 19. Dezember 1933 schreibt Wassermann: „Kann nicht alles berichten. Es scheint, man will mich loswerden. Kerkhoven wird nun bei Querido erscheinen. Das ganze Leben stülpt sich um. Schwarze Drohung, – dass ich Aussee verliere. Tag und Nacht hängt dies wie eine Wolke über mir, dennoch ist es wohl unvermeidlich. Ahasver!“ Das Bewusstsein, das Bild vom ewigen, rastlosen Juden abzugeben, hatte ihn am Ende seines Lebens eingeholt.

Am ersten Weihnachtsfeiertag 1933 schrieb er dem Berliner Rechtsanwalt Albert Nast einen siebzehnseitigen Brief und versuchte darin, ihm seine Erfahrungen mit dem S. Fischer Verlag in den letzten Monaten zu schildern und ihm die Beweggründe darzulegen, die ihm den Weggang notwendig erscheinen ließen: „Ich hatte ein volles Jahr gewartet, geschwiegen, ausgeharrt und mehr erduldet als ein Mann meines Alters und meiner nun endgültig zerstörten Gesundheit auf sich nehmen kann.“ Trotzdem bemühte er sich um eine friedliche Lösung und schrieb Gottfried Bermann Fischer einen freundlichen Brief – mit Durchschlag an Thomas Mann, dessen Meinung ihm, bei allen Differenzen, stets wichtig gewesen war.

Jakob Wassermann starb in der Silvesternacht 1933.

Ein paar Tage später, am 8. Januar, erinnert sich Thomas Mann in einem Brief an René Schickele der letzten Begegnung mit Wassermann:

Das Aussehen des armen Wassermann war schon bei unserer letzten Begegnung hier, vor drei Wochen, im Baur au Lac, als er von seiner unsinnigen holländischen Reise zurückkam, so unzweideutig, dass wir ihm kein halbes Jahr mehr gaben. Nun ist es noch schneller mit ihm gegangen ... Der Herzschlag hat ihn, wie man sich sagen muss, im letzten Augenblick vor dem vollkommenen Ruin in Sicherheit gebracht; selbst aus seinem Hause in Altaussee hätte die Frau ihn (um der Zweiten willen) verjagt [...] diese Tolle hat ihn buchstäblich zu Tode gehetzt. [...] Sein Werk hat mir wegen eines gewissen leeren Pomps und feierlichen Geplappers oft ein Lächeln abgenötigt, obgleich ich wohl sah, dass er mehr echtes Erzählerblut hatte als ich. Auch kannte ich seinen heiligen Ernst, seine Vision eines großen Werks (nicht das Werk, fand ich, war ›visionär‹, sondern sein leidenschaftliches Wunschbild davon, sein Wille) und hielt seine persönliche Freundschaft in Ehren. Die Todesnachricht war mir, ohne dass ich es gleich gemerkt hätte, ein solcher Choc, dass ich mich noch heute nicht davon erholt habe: die Nerven und der Magen versagten, ich war ein paar Tage bettlägerig. Daran hatte die Aufnahme in Deutschland wohl ihren Anteil.

Nach Wassermanns Tod taten sich auf Initiative Raoul Auernheimers einige Freunde zusammen, um dem Verstorbenen einen Grabstein zu stiften. Seine Villa wurde 1935 versteigert und vom vorherigen Besitzer Leopold von Andrian erneut gekauft. Der Haushalt wurde aufgelöst und in Kisten verpackt einer Wiener Anwaltskanzlei übergeben. Marta Wassermann reiste in die Schweiz und schickte Sohn Ulrich nach England. 1935 schrieb sie ihr letztes Buch, eine Biografie über Jakob Wassermann, zu der Thomas Mann das Vorwort beisteuerte. Er schreibt über den schwermütigen und düsteren Charakter des Kollegen und würdigt dessen Leben als „einen Wassermann'schen Roman mit allen pathetischen Verstrickungen eines solchen“. Auch mit der Distanz von zwölf Jahren scheint sich Thomas Manns Einschätzung dessen, worunter Wassermann zeitlebens gelitten hat, nicht verändert zu haben, wenn er schreibt:

Er kam von unten, aus Notdurft, Dunkel, Entbehrung. Er hat gehungert, ganz à la lettre, in seinen jungen Jahren, und die Stoffwechselkrankheit, der er schließlich erlag [...] ist vielleicht auf diese früheren Unzulänglichkeiten zurückzuführen. [...] Die Menschen, sagte er, seine Deutschen nämlich, hätten kein ›Verdrauen‹ zu ihm, und zwar, weil er Jude sei. – Mir scheint, in diesem Buche wird ein Briefwechsel angeführt zwischen ihm und mir, bei dem ich ihm, für mein Teil, diese Hypochondrie nach Kräften auszureden suchte [...] dass er sich im Ganzen [...] nicht zu beklagen habe. Man wird sehen, dass seine Antwort gewichtiger war als meine Einrede. [...] So dumm, nicht zu sehen, dass allerlei Wahres seiner Skepsis zu Grunde lag, war ich nicht. Wie maßlos er aber am Ende recht behalten sollte, das ahnte damals er so wenig wie ich. [...] Ein deutscher Schriftsteller – ein deutscher Märtyrer. Man muss nicht Jude sein, um diese Erfahrung zu machen.

Gerade in diesem abschließenden Satz konzentriert sich nochmals Haltung Thomas Manns, mit der er nur die berufliche Situation Wassermanns reflektiert und die Erfahrung des Antisemitismus ausklammert. Ungeachtet dieser Divergenz war ihr Verhältnis überwiegend von Freundschaft und Respekt geprägt, auch wenn man, und das erstaunt nun doch, die immer wieder aufkeimende Eifersucht des doch so viel erfolgreicheren Thomas Manns auf seinen Kollegen nicht übersehen kann.

Marta Wassermann-Karlweis bezeugt dies rückblickend, wenn sie in ihrer Biografie über Jakob schreibt: „Wassermann sah in Thomas Mann und seiner Beziehung zu ihm selbst vom Beginn her etwas, was es innerhalb des deutschen Schrifttums beinahe gar nicht gibt: den Kameraden. Dieses schöne, sachliche Verhältnis, auf vollkommenster gegenseitiger Achtung gegründet, gedieh ohne Trübung in einer seelischen Temperatur von zunehmender Wärme.“

Verfasst von: Dr. Thomas Kraft