Ernüchterung und Depression

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Grete Kolliner (1892-1933): Jakob Wassermann, ca. 1933.

Während der Arbeit am folgenden Roman Der Fall Maurizius erkrankte Wassermann und begab sich ins Sanatorium. Diagnose: Herzbeschwerden, Zucker, Überanstrengung. Schnitzler kümmerte sich rührend um ihn, plauderte mit ihm am Krankenbett über den Zauberberg (den Wassermann in einem Brief vom 18. Dezember 1924 an Thomas Mann überschwänglich als „Krystallisation aller geistigen Ereignisse der letzten zwanzig Jahre“ gefeiert hatte), über seine Komödie der Verführung (1924) und über Fräulein Else (1924), und versuchte, den deprimierten Kranken aufzuheitern. Vielleicht konnten auch die Verkaufszahlen dazu beitragen, denn zu dieser Zeit war Wassermann tatsächlich der von Thomas Mann so apostrophierte „Weltstar“ und zusammen mit ihm und Hermann Hesse der Erfolgsgarant des S. Fischer Verlages.

Im Sommer fuhr er zur Kur nach Karlsbad, schrieb dort einen Brief an seinen Verleger, in dem er sich über Thomas Manns Dominanz im Kulturbetrieb beschwerte, ließ seinen Sohn taufen, kaufte sich ein Auto, empfing die Fischers und auch Thomas Mann in Altaussee für ein paar Tage und grübelte über eine Anfrage nach, eine Lesereise nach Amerika zu unternehmen.

Jakob und Marta Wassermann gingen überhaupt viel auf Reisen, auch zum Beispiel nach Ägypten, des Klimas wegen. Und wieder einmal erwies Thomas Mann ihm seine Referenz, indem er in der Zwischenzeit den Fall Maurizius öffentlich auf seine persönliche Bestenliste setzte.

1929 erschien Wassermanns Biografie zu Christoph Columbus, den er im Untertitel als Don Quichotte des Ozeans bezeichnete. Als Liebhaber und Sammler von Reiseliteratur hatte Wassermann stets ein großes Faible für dieses Genre; der gegen viele Widerstände kämpfende Entdecker mag ihm, dem ebenfalls gegen „Windmühlen“ kämpfenden Autor, als Seelenverwandter erschienen sein. Aber auch dieser für Wassermannsche Verhältnisse sehr moderat formulierte und mit dreißigtausend verkauften Exemplaren durchaus erfolgreiche Roman wurde von den Völkischen verhöhnt und sein Autor mit Bemerkungen wie „Wie wäre es, Herr Wassermann, wenn Sie sich ein wenig von einem begabten Sekundaner in deutscher Sprache unterrichten ließen?“ beleidigt. Wassermann blieb nichts anderes übrig, als diese Schimpfreden abzuschütteln, aber welcher Autor könnte davon gänzlich unbeeindruckt bleiben?

Wassermann tat das einzig Richtige und suchte den direkten Kontakt zu seinem Publikum, die „Unterhaltung mit dem Leser über die Zukunft des Knaben Etzel“. Der letzte Satz im Fall Maurizius hatte viele Leser an eine Fortsetzung des Romans glauben lassen, alle wollten wissen, wie es mit Etzel weiterging. So sprach Wassermann in Berlin, Köln und München vor großem Publikum und diskutierte mögliche Optionen und Varianten einer Weiterführung des Stoffes – ein ungewöhnlicher, in die heutige Event-Kultur passender Ansatz. Nach München hatte ihn die hiesige Goethe-Gesellschaft eingeladen, und Thomas Mann hielt die bereits erwähnte Tischrede auf den Gast:

Wer oder was ist Jakob Wassermann? Ein Erzähler. Er ist zunächst einmal überhaupt gar nichts anderes. Ein Fabulierer von Geblüt und Instinkt, keiner unter uns ist es wie er. Ich habe manchmal im Scherz zu ihm gesagt, er hätte können mit untergeschlagenen Beinen an der Riva die Schiavoni sitzen oder könnte noch heute irgendwo im Orient am Markte sitzen und erzählen – erzählen –, und das Volk stände mit aufgerissenen Augen und Mündern um ihn herum und hörte zu. Er weiß, wie man imponiert, er ist ein Moralist, und wie könnte ein solcher konservativ sein?

Das klingt auf den ersten Blick überaus freundlich und schmeichelnd, manche Interpreten haben aber darin einen sublimen Rassismus entdeckt, wenn Mann seinen Kollegen auf den orientalischen Basar verbannt, doch so weit muss man nicht unbedingt gehen.

Im Februar 1930 fuhren die Wassermanns zusammen mit Thomas und Katja Mann, Samuel und Hedwig Fischer sowie Hermann und Ninon Hesse zum Skifahren nach Chantarella bei St. Moritz. Dieser Winterurlaub sollte eine feste Einrichtung werden. Kurz zuvor hatte man noch den 70. Geburtstag von Samuel Fischer an Silvester im Hause Thomas Manns gefeiert, bei dem Wassermann eine Tischrede auf den hochgeschätzten Jubilar gehalten hatte.

Verfasst von: Dr. Thomas Kraft