Antisemitismus und Assimilation
Mittlerweile suchte man in Deutschland nach Sündenböcken für den verlorenen Krieg und die damit verbundene nationale Schmach. Schnell fand man die Schuldigen: Sozialisten, Kommunisten, Zigeuner, Freidenker und Juden. Trotz seiner abgeschiedenen Schreibsituation bemerkte Wassermann natürlich diese Stimmungen im Lande, auch der wieder aufflammende Antisemitismus war ihm nicht entgangen. Sehr pessimistisch gestimmt begann er im Spätsommer 1920 die Arbeit an seiner Autobiografie, die in der handschriftlichen Fassung noch unter dem Titel Mein Leben als Deutscher und Jude firmierte. Für die Druckfassung hat er diese Formulierung dann verändert.
Er wusste, dass seine Autobiografie für gehörigen Wirbel sorgen würde. Er betrachtete sie als zentralen Text innerhalb seines Werkes und suchte, auch als Ventil einer lebenslangen Belastung, die Konfrontation. In einer persönlich und offen geführten Diskussion erhoffte er immer noch, mit dieser Bekenntnisschrift den latenten Antisemitismus endlich in die Schranken zu weisen und, verdeutlicht im programmatischen Titel, den scheinbaren Widerspruch zwischen Deutsch und Jüdisch zu pulverisieren. Im März 1921 erschien dann beim S. Fischer Verlag Mein Weg als Deutscher und Jude; die Resonanz war enorm, innerhalb eines Jahres konnten zwanzigtausend Exemplare verkauft werden.
Heute würdigen bekannte Literaturkritiker wie Marcel Reich-Ranicki Wassermanns Autobiografie als „ein großes, ein immer noch ergreifendes Zeitdokument, es ist Bekenntnis und Darstellung, Klage und Anklage in einem“. Wassermann schreibt hier nicht als Rächer oder Ankläger, sondern erzählt, wie sein Leben als Jude in Deutschland verlaufen ist. Dabei setzt er mit seinen Ansichten und Thesen deutlich antizionistische Duftmarken: „Mir wurde klar, dass ein Volk nicht dauernd auserwählt sein kann und sich nicht dauernd als auserwählt bezeichnen darf, ohne die gerechte Ordnung in den Augen der übrigen Völker zu stürzen“. Er beschreibt sein Leben weitgehend als Passionsweg zu einem Ziel, das er nicht erreicht habe und wohl auch nie erreichen werde können. Das Gefühl der Stigmatisierung und Ausgrenzung dominiert im ganzen Text und mündet in allgemeine Resignation: „Ich erfuhr also, dass ich keinen Fußbreit Boden erobert hatte und erobern konnte, nicht in dem Bezirk nämlich, um den sich's mir heilig und schmerzlich handelte. Immer wieder musste ich lesen oder spürte, dass es im Sinnen und Meinen lag: der Jude.“
Bereits nach wenigen Wochen erhielt Wassermann einen Brief von Thomas Mann, der ihm seinen Eindruck von der Lektüre der Autobiografie übermitteln wollte. Mann zweifelt in dem freundschaftlich gehaltenen Schreiben an der Berechtigung der Wassermannschen Klagen. Man habe ja bereits schon einmal über das Thema korrespondiert und er, Thomas Mann, habe damals Wassermanns Beobachtungen als Unsinn rüde abgetan. Das bedauert er nun, halte seine Skepsis aber aufrecht, indem er Wassermanns „Lebensbuch“ als individuelles, hypochondrisches Thesenwerk erscheinen lässt. Mann wirft Wassermann indirekt vor, dass dieser trotz seines großen Erfolges undankbar sei und seine Schwierigkeiten, die im Grunde keine wirklichen Schwierigkeiten seien, dramatisiere. All diese Probleme seien weder spezifisch jüdisch noch hätten sie nur mit Jakob Wassermann zu tun, sie seien vielmehr allgemeiner Natur und typisch für eine unabhängige Autorenexistenz. Im Grunde sehe er für Wassermann keinen Anlass, sich zu beschweren; schließlich ergehe es den Juden doch wunderbar in dieser Welt.
Diese Stellungnahme war natürlich Wasser auf Wassermanns Mühlen, seine Replik ließ nicht lange auf sich warten. Den Erfolg habe er sich in dreißigjähriger Arbeit mühsam erarbeitet, außerdem gehe es ja gar nicht um ihn persönlich, er stehe nur stellvertretend an dieser Stelle. Wassermann weist Manns Brief energisch zurück. Er sei stets unter viel größerem Druck als sein nicht-jüdischer Kollege gestanden, und das Volk der Juden, bei allem wirtschaftlichem Erfolg, den Mann unterstelle, werde in seiner Existenz stets von Hass und Ablehnung verfolgt. Nur durch eine enorme Anstrengung, diese Leiden zu überwinden, habe sich dieser Erfolg eingestellt. Thomas Mann sei in seiner privilegierten Situation nie in der Lage gewesen, zu ermessen, was es heiße, ein Jude zu sein. Es ist nicht bekannt, ob Thomas Mann auf Wassermanns Replik geantwortet hat. Einige Monate später, am 3. Juni 1921, merkt Mann in seinem Tagebuch an, in einem „nächtlichen Zusammensein mit Wassermanns [...] über das Problem des Antisemitismus“ in einem Hotel in Marienbad „gesprochen zu haben“.
Neben Arthur Schnitzler, der den Band mit Interesse und Ergriffenheit gelesen hatte, stimmte auch Stefan Zweig Wassermanns Befund einer antisemitischen Tendenz in Deutschland zu. Obwohl er nicht Jude sei, werde er als Dichter und Pazifist permanent belästigt und verunglimpft von diesem „gefährdeten und kranken Volk«. Nach einer Reise über Salzburg, Davos, den Comer See und Lugano, wo Wassermann Hermann Hesse in Montagnola besuchte, hielt er eine viel beachtete Rede im ausverkauften Münchner Residenztheater zum Thema »Was bedeutet die Gestalt?“ Thomas Mann befürchtete Störungen völkischer und national gesinnter Studentenkorps, doch die Tumulte blieben aus. Thomas Mann, der auch anwesend war, gratulierte Wassermann zum „Sieg“. Freunde und Kollegen reagierten sehr unterschiedlich auf den Text, der viel Wirbel verursachte.
Sein enger Freund Ferruccio Busoni berichtet, dass viele die Selbstdarstellung Wassermanns als kränkend empfänden, weil er die Bewunderung und den Respekt, den sie ihm entgegenbrächten, so gering schätze. Kurt Tucholsky notiert nach anfänglicher Zustimmung dann 1935 in sein Tagebuch: „Etwas monoman, völlig humorlos; er kommt nie auf den Gedanken, dass er vielleicht mecht auch etwas schuld sein, wenn sie ihn alle verfolgen.“ Ernst von Wolzogen, der von Wassermann mit Dankbarkeit in der Autobiografie gewürdigt wird, liefert ein Paradebeispiel antisemitischer Rede, wenn er von der einstigen Begegnung zwischen den beiden erzählt: „Es war wieder einmal eine ganz neue Welt, die sich mir da auftat, die des armen, geistig-hochstrebenden Juden. Unheimlich war mir diese Welt und überaus unsympathisch. Es umschwebte sie eine Atmosphäre wie die ungelüfteter Krankenstuben, aus fiebrigen Ausdünstungen, Karbolgeruch und betäubendem Kohlendunst glühender eiserner Öfen gemischt.“ 1924 hat Wolzogen dann Wassermann noch einen Band gewidmet, der sich erstaunlicherweise in Wassermanns Privatbibliothek befand: „Jakob Wassermann, dem guten Juden verehrt von dem guten Europäer und ehrlichen Deutschen Ernst von Wolzogen.“ Vielleicht wollte Wassermann die Ironie dieser Bemerkung nicht erkennen.
Jakob Wassermann versuchte sich mit einer Italienreise und der Arbeit am Roman Ulrike Woytich (1923) abzulenken – der Roman ist Teil eines auf vier Bände angelegten Projekts, das unter dem Titel Der Wendekreis „eine Art Teppich, eine Art Gesamtbild der Epoche in Einzelszenen“ herstellen sollte. Thomas Mann schrieb im New Yorker Dial in seiner Serie „German Letters“ eine Rezension: „Ulrike Woytich ist ein groß gewolltes und mit bewunderungswürdigem Können bewältigtes Buch. Es hat größten Erfolg hierzulande und wird ihn auch draußen haben.“
Indessen überschlugen sich in Deutschland die Ereignisse. Der unglücklich agierende Reichspräsident der Weimarer Republik, der Sozialdemokrat Friedrich Ebert, hatte die Lage nicht mehr im Griff. Mit politisch motivierten Morden versuchten antidemokratische Kräfte, die Weimarer Republik zu destabilisieren und politischen Einfluss aufzubauen. Man stützte sich auf ehemalige Freikorps- und Reichswehr-Offiziere, die nationalistisch gesinnt und straff organisiert waren. Am 24. Juni 1922 ermordeten Angehörige der Organisation Consul den deutschen Außenminister Walter Rathenau. Kurz zuvor war bereits Carl Gareis, Fraktionsvorsitzender der USPD in Bayern, Opfer eines Anschlags geworden, auch bei dem Mordversuch an Philipp Scheidemann 1922 gab es Verbindungen zum Geheimbund, der später bei der Gründung der SA eine wichtige Rolle spielen sollte. Hitlers spätere Leibwächter waren ebenfalls Mitglieder der Organisation Consul gewesen.
Die Ermordung Rathenaus, der sterben musste, weil er Jude war, erschütterte Jakob Wassermann zutiefst. Mit Rathenau war er nicht nur befreundet gewesen, in ihm hatte er auch einen Schicksalsgenossen gefunden, der sich genau wie er von den Deutschen zurückgestoßen fühlte. Dieser Mord beraubte Wassermann all seiner Hoffnungen auf eine neue Gesellschaft, in der Juden und Deutsche gemeinsam und vertrauensvoll zusammen leben könnten. Lange Zeit war Wassermann der Überzeugung gewesen, durch Anpassung an die deutschen Verhältnisse alle Probleme beseitigen zu können. Mit gutem Willen und der Verinnerlichung der deutschen Tugenden wäre gleichsam verbürgt, als vollwertige Mitglieder in die Gesellschaft aufgenommen zu werden. Er sah sich selbst als Wegbereiter dieser Entwicklung, als Brückenbauer zwischen den Kulturen und als Vorzeigebeispiel für die wechselseitige Durchdringung des Bewusstseins. Dabei war ihm das Deutsche im Grunde meist wichtiger als das Jüdische, wobei sich diese Präferenz im Laufe der Zeit umkehrte. Wassermann gab zu, dass er „in allerletzter Liebe mehr für die Deutschen als für die Juden leide. Leidet man nicht immer am meisten dort, wo man am tiefsten liebt, wenn auch am vergeblichsten?“ Doch lieber wollte er diese Wahl vermeiden.
Theodor Lessing verglich das ambivalente Lebensgefühl Wassermanns mit „jenem quälenden Pfänderspiel, welches vor hundert Jahren unsre Großmütter viel gespielt haben und welches damals das ›jeu de bateau‹ genannt wurde. Es wurden zwei dem Befragten gleich liebe Personen genannt. Er hatte sich vorzustellen, dass er auf einem untergehenden Schiff sich befände und nur eine der beiden zu erretten vermöchte. Er soll die Gewissensfrage beantworten, welche der beiden er wählen will.“ Immer wieder suchte Wassermann nach guten Gründen, seine Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Deutschen beweisen zu können. Sein Verweis auf seine lange Ahnenreihe im Fränkischen war da nur ein Beispiel; seine Verwurzelung in der Landschaft, der Mentalität und vor allem in der deutschen Sprache, der er seine gesamte Existenz verdanken würde, wäre auch von Nationalisten und Zionisten nicht weg zu diskutieren. „Man frage doch einmal“, so Freund Schnitzler, „die deutschen lebenden Dichter, die es wirklich sind, man frage Heinrich Mann, Thomas Mann, Gerhart Hauptmann, Hesse, Unruh, wer ihnen die deutschen Dichter sind; Wolzogen, Dinter und manche andere dieser Sorte, oder Wassermann, Werfel, Beer-Hofmann und ein Dutzend andere deutsche Dichter jüdischer Abstammung, die ich hier nennen könnte“.
Weitere Kapitel:
Mittlerweile suchte man in Deutschland nach Sündenböcken für den verlorenen Krieg und die damit verbundene nationale Schmach. Schnell fand man die Schuldigen: Sozialisten, Kommunisten, Zigeuner, Freidenker und Juden. Trotz seiner abgeschiedenen Schreibsituation bemerkte Wassermann natürlich diese Stimmungen im Lande, auch der wieder aufflammende Antisemitismus war ihm nicht entgangen. Sehr pessimistisch gestimmt begann er im Spätsommer 1920 die Arbeit an seiner Autobiografie, die in der handschriftlichen Fassung noch unter dem Titel Mein Leben als Deutscher und Jude firmierte. Für die Druckfassung hat er diese Formulierung dann verändert.
Er wusste, dass seine Autobiografie für gehörigen Wirbel sorgen würde. Er betrachtete sie als zentralen Text innerhalb seines Werkes und suchte, auch als Ventil einer lebenslangen Belastung, die Konfrontation. In einer persönlich und offen geführten Diskussion erhoffte er immer noch, mit dieser Bekenntnisschrift den latenten Antisemitismus endlich in die Schranken zu weisen und, verdeutlicht im programmatischen Titel, den scheinbaren Widerspruch zwischen Deutsch und Jüdisch zu pulverisieren. Im März 1921 erschien dann beim S. Fischer Verlag Mein Weg als Deutscher und Jude; die Resonanz war enorm, innerhalb eines Jahres konnten zwanzigtausend Exemplare verkauft werden.
Heute würdigen bekannte Literaturkritiker wie Marcel Reich-Ranicki Wassermanns Autobiografie als „ein großes, ein immer noch ergreifendes Zeitdokument, es ist Bekenntnis und Darstellung, Klage und Anklage in einem“. Wassermann schreibt hier nicht als Rächer oder Ankläger, sondern erzählt, wie sein Leben als Jude in Deutschland verlaufen ist. Dabei setzt er mit seinen Ansichten und Thesen deutlich antizionistische Duftmarken: „Mir wurde klar, dass ein Volk nicht dauernd auserwählt sein kann und sich nicht dauernd als auserwählt bezeichnen darf, ohne die gerechte Ordnung in den Augen der übrigen Völker zu stürzen“. Er beschreibt sein Leben weitgehend als Passionsweg zu einem Ziel, das er nicht erreicht habe und wohl auch nie erreichen werde können. Das Gefühl der Stigmatisierung und Ausgrenzung dominiert im ganzen Text und mündet in allgemeine Resignation: „Ich erfuhr also, dass ich keinen Fußbreit Boden erobert hatte und erobern konnte, nicht in dem Bezirk nämlich, um den sich's mir heilig und schmerzlich handelte. Immer wieder musste ich lesen oder spürte, dass es im Sinnen und Meinen lag: der Jude.“
Bereits nach wenigen Wochen erhielt Wassermann einen Brief von Thomas Mann, der ihm seinen Eindruck von der Lektüre der Autobiografie übermitteln wollte. Mann zweifelt in dem freundschaftlich gehaltenen Schreiben an der Berechtigung der Wassermannschen Klagen. Man habe ja bereits schon einmal über das Thema korrespondiert und er, Thomas Mann, habe damals Wassermanns Beobachtungen als Unsinn rüde abgetan. Das bedauert er nun, halte seine Skepsis aber aufrecht, indem er Wassermanns „Lebensbuch“ als individuelles, hypochondrisches Thesenwerk erscheinen lässt. Mann wirft Wassermann indirekt vor, dass dieser trotz seines großen Erfolges undankbar sei und seine Schwierigkeiten, die im Grunde keine wirklichen Schwierigkeiten seien, dramatisiere. All diese Probleme seien weder spezifisch jüdisch noch hätten sie nur mit Jakob Wassermann zu tun, sie seien vielmehr allgemeiner Natur und typisch für eine unabhängige Autorenexistenz. Im Grunde sehe er für Wassermann keinen Anlass, sich zu beschweren; schließlich ergehe es den Juden doch wunderbar in dieser Welt.
Diese Stellungnahme war natürlich Wasser auf Wassermanns Mühlen, seine Replik ließ nicht lange auf sich warten. Den Erfolg habe er sich in dreißigjähriger Arbeit mühsam erarbeitet, außerdem gehe es ja gar nicht um ihn persönlich, er stehe nur stellvertretend an dieser Stelle. Wassermann weist Manns Brief energisch zurück. Er sei stets unter viel größerem Druck als sein nicht-jüdischer Kollege gestanden, und das Volk der Juden, bei allem wirtschaftlichem Erfolg, den Mann unterstelle, werde in seiner Existenz stets von Hass und Ablehnung verfolgt. Nur durch eine enorme Anstrengung, diese Leiden zu überwinden, habe sich dieser Erfolg eingestellt. Thomas Mann sei in seiner privilegierten Situation nie in der Lage gewesen, zu ermessen, was es heiße, ein Jude zu sein. Es ist nicht bekannt, ob Thomas Mann auf Wassermanns Replik geantwortet hat. Einige Monate später, am 3. Juni 1921, merkt Mann in seinem Tagebuch an, in einem „nächtlichen Zusammensein mit Wassermanns [...] über das Problem des Antisemitismus“ in einem Hotel in Marienbad „gesprochen zu haben“.
Neben Arthur Schnitzler, der den Band mit Interesse und Ergriffenheit gelesen hatte, stimmte auch Stefan Zweig Wassermanns Befund einer antisemitischen Tendenz in Deutschland zu. Obwohl er nicht Jude sei, werde er als Dichter und Pazifist permanent belästigt und verunglimpft von diesem „gefährdeten und kranken Volk«. Nach einer Reise über Salzburg, Davos, den Comer See und Lugano, wo Wassermann Hermann Hesse in Montagnola besuchte, hielt er eine viel beachtete Rede im ausverkauften Münchner Residenztheater zum Thema »Was bedeutet die Gestalt?“ Thomas Mann befürchtete Störungen völkischer und national gesinnter Studentenkorps, doch die Tumulte blieben aus. Thomas Mann, der auch anwesend war, gratulierte Wassermann zum „Sieg“. Freunde und Kollegen reagierten sehr unterschiedlich auf den Text, der viel Wirbel verursachte.
Sein enger Freund Ferruccio Busoni berichtet, dass viele die Selbstdarstellung Wassermanns als kränkend empfänden, weil er die Bewunderung und den Respekt, den sie ihm entgegenbrächten, so gering schätze. Kurt Tucholsky notiert nach anfänglicher Zustimmung dann 1935 in sein Tagebuch: „Etwas monoman, völlig humorlos; er kommt nie auf den Gedanken, dass er vielleicht mecht auch etwas schuld sein, wenn sie ihn alle verfolgen.“ Ernst von Wolzogen, der von Wassermann mit Dankbarkeit in der Autobiografie gewürdigt wird, liefert ein Paradebeispiel antisemitischer Rede, wenn er von der einstigen Begegnung zwischen den beiden erzählt: „Es war wieder einmal eine ganz neue Welt, die sich mir da auftat, die des armen, geistig-hochstrebenden Juden. Unheimlich war mir diese Welt und überaus unsympathisch. Es umschwebte sie eine Atmosphäre wie die ungelüfteter Krankenstuben, aus fiebrigen Ausdünstungen, Karbolgeruch und betäubendem Kohlendunst glühender eiserner Öfen gemischt.“ 1924 hat Wolzogen dann Wassermann noch einen Band gewidmet, der sich erstaunlicherweise in Wassermanns Privatbibliothek befand: „Jakob Wassermann, dem guten Juden verehrt von dem guten Europäer und ehrlichen Deutschen Ernst von Wolzogen.“ Vielleicht wollte Wassermann die Ironie dieser Bemerkung nicht erkennen.
Jakob Wassermann versuchte sich mit einer Italienreise und der Arbeit am Roman Ulrike Woytich (1923) abzulenken – der Roman ist Teil eines auf vier Bände angelegten Projekts, das unter dem Titel Der Wendekreis „eine Art Teppich, eine Art Gesamtbild der Epoche in Einzelszenen“ herstellen sollte. Thomas Mann schrieb im New Yorker Dial in seiner Serie „German Letters“ eine Rezension: „Ulrike Woytich ist ein groß gewolltes und mit bewunderungswürdigem Können bewältigtes Buch. Es hat größten Erfolg hierzulande und wird ihn auch draußen haben.“
Indessen überschlugen sich in Deutschland die Ereignisse. Der unglücklich agierende Reichspräsident der Weimarer Republik, der Sozialdemokrat Friedrich Ebert, hatte die Lage nicht mehr im Griff. Mit politisch motivierten Morden versuchten antidemokratische Kräfte, die Weimarer Republik zu destabilisieren und politischen Einfluss aufzubauen. Man stützte sich auf ehemalige Freikorps- und Reichswehr-Offiziere, die nationalistisch gesinnt und straff organisiert waren. Am 24. Juni 1922 ermordeten Angehörige der Organisation Consul den deutschen Außenminister Walter Rathenau. Kurz zuvor war bereits Carl Gareis, Fraktionsvorsitzender der USPD in Bayern, Opfer eines Anschlags geworden, auch bei dem Mordversuch an Philipp Scheidemann 1922 gab es Verbindungen zum Geheimbund, der später bei der Gründung der SA eine wichtige Rolle spielen sollte. Hitlers spätere Leibwächter waren ebenfalls Mitglieder der Organisation Consul gewesen.
Die Ermordung Rathenaus, der sterben musste, weil er Jude war, erschütterte Jakob Wassermann zutiefst. Mit Rathenau war er nicht nur befreundet gewesen, in ihm hatte er auch einen Schicksalsgenossen gefunden, der sich genau wie er von den Deutschen zurückgestoßen fühlte. Dieser Mord beraubte Wassermann all seiner Hoffnungen auf eine neue Gesellschaft, in der Juden und Deutsche gemeinsam und vertrauensvoll zusammen leben könnten. Lange Zeit war Wassermann der Überzeugung gewesen, durch Anpassung an die deutschen Verhältnisse alle Probleme beseitigen zu können. Mit gutem Willen und der Verinnerlichung der deutschen Tugenden wäre gleichsam verbürgt, als vollwertige Mitglieder in die Gesellschaft aufgenommen zu werden. Er sah sich selbst als Wegbereiter dieser Entwicklung, als Brückenbauer zwischen den Kulturen und als Vorzeigebeispiel für die wechselseitige Durchdringung des Bewusstseins. Dabei war ihm das Deutsche im Grunde meist wichtiger als das Jüdische, wobei sich diese Präferenz im Laufe der Zeit umkehrte. Wassermann gab zu, dass er „in allerletzter Liebe mehr für die Deutschen als für die Juden leide. Leidet man nicht immer am meisten dort, wo man am tiefsten liebt, wenn auch am vergeblichsten?“ Doch lieber wollte er diese Wahl vermeiden.
Theodor Lessing verglich das ambivalente Lebensgefühl Wassermanns mit „jenem quälenden Pfänderspiel, welches vor hundert Jahren unsre Großmütter viel gespielt haben und welches damals das ›jeu de bateau‹ genannt wurde. Es wurden zwei dem Befragten gleich liebe Personen genannt. Er hatte sich vorzustellen, dass er auf einem untergehenden Schiff sich befände und nur eine der beiden zu erretten vermöchte. Er soll die Gewissensfrage beantworten, welche der beiden er wählen will.“ Immer wieder suchte Wassermann nach guten Gründen, seine Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Deutschen beweisen zu können. Sein Verweis auf seine lange Ahnenreihe im Fränkischen war da nur ein Beispiel; seine Verwurzelung in der Landschaft, der Mentalität und vor allem in der deutschen Sprache, der er seine gesamte Existenz verdanken würde, wäre auch von Nationalisten und Zionisten nicht weg zu diskutieren. „Man frage doch einmal“, so Freund Schnitzler, „die deutschen lebenden Dichter, die es wirklich sind, man frage Heinrich Mann, Thomas Mann, Gerhart Hauptmann, Hesse, Unruh, wer ihnen die deutschen Dichter sind; Wolzogen, Dinter und manche andere dieser Sorte, oder Wassermann, Werfel, Beer-Hofmann und ein Dutzend andere deutsche Dichter jüdischer Abstammung, die ich hier nennen könnte“.