Thomas Mann und Jakob Wassermann

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Aufenthalt in St. Moritz. Rast auf dem Spaziergang. Auf der Bank sitzend von links: Jakob Wassermann, Thomas Mann, Samuel Fischer. ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Unbekannt / TMA_0229

Pikant ist die Anekdote, die das erste Zusammentreffen von Thomas Mann und Jakob Wassermann umrankt. Der Simplicissimus schrieb 1896 einen literarischen Wettbewerb aus und lobte für die beste Novelle, die eingesandt würde, eine Preissumme von dreihundert Mark aus. Wassermann erinnert sich rückblickend 1926 an dieses Fiasko, „wie täglich ganze Wagenladungen mit Manuskripten eintrafen, der unglückliche Veranstalter seine noch unglücklicheren Lektoren händeringend in das Meer von Papier hetzte, und schließlich, auf dem Gipfel der Verzweiflung, mich eines Tages in eine entlegene Kammer sperrte, mit dem zornigen Auftrag, ich möge versuchen, die Preisnovelle selber zu schreiben“. Nachdem also bei den Einsendungen nichts Anspruchsvolles dabei war, beauftragte der Verleger und Herausgeber Albert Langen seinen Lektor Wassermann mit der Abfassung der siegreichen Novelle. Sie erschien unter dem Titel Hier ruht das kleine Öchselein in der Ausgabe 37 im Jahrgang 1896/97. Auch der junge Thomas Mann hatte eine kleine Novelle, Der Tod, eingereicht, die im Januarheft 1897 abgedruckt wurde. Kurz vor ihrem Erscheinen wurde Mann mit dem Vorwurf konfrontiert, er hätte Wassermann plagiiert. In einem Brief an Korfiz Holm, der zu dieser Zeit als Volontär beim Simplicissimus arbeitete, erkundigte er sich mit ironischem Unterton nach dem Ergebnis des Wettbewerbs: „Ist die Entscheidung über die Novelle ohne Liebe gefällt? Wer hat den goldenen Lorbeer erhalten? Ich meinerseits schäme mich beständig des schuftigen Plagiats, das ich an Wassermann begangen habe. Gewiss unwissentlich; aber sein Einfluss liegt wohl überhaupt in der europäischen Luft.“

Jakob Wassermann war damals Mitarbeiter der ersten Stunde beim Simplicissimus und nutzte die Möglichkeit, eigene Texte im Blatt unterzubringen.

Thomas Mann zählte zu Wassermanns frühen Münchner Bekanntschaften. Im Herbst 1896 erschien der noch ziemlich unbekannte Thomas Mann in den eleganten Redaktionsräumen in der Schackstraße 4, wo die Zeitschrift inzwischen ihren Sitz hatte, um bei Wassermann das Honorar für die in drei Folgen von Ende August bis Anfang November erschienene Erzählung Der Wille zum Glück entgegenzunehmen. In einer Tischrede auf den Freund im April 1929 erinnert sich Mann dieser ersten Begegnung: „Das war auf der Redaktion des neu gegründeten Simplicissimus, dessen Mitredakteur er war. Wir waren ganz junge Leute damals, ich hatte eine Novelle dort angebracht und holte mein Honorar – ich muss es wohl sehr eilig gehabt haben. Er händigte es mir wohlwollend ein: klingende Münze, Goldstücke, wir werden wohl leider nicht mehr ihresgleichen sehen.“ Und er nennt ihn „meinen Wassermann. Denn er ist mein Freund, war mir gerecht und treu, und auch ich war es ihm, und er weiß das, ich vertraue, dass er nie daran gezweifelt hat.“

Verfasst von: Dr. Thomas Kraft

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Jakob Wassermann. Radierung von Johann Lindner. Aus: Nord und Süd, 1903 (Bayerische Staatsbibliothek München/Porträtsammlung)
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