Antiquierte Poetik von Journalisten
Übrigens, wo gerade von der Grenzziehung zwischen Fakt und Fiktion die Rede ist: Von den Betrügereien des Claas Relotius lässt sich für unser Thema kaum etwas lernen, bis auf zwei Aspekte: erstens, dass die Grenze zwischen beiden Gewerken recht einfach zu ziehen ist. Und zweitens, wie seltsam es ist, dass im deutschsprachigen Journalismus die angebliche literarische Qualität so häufig überhöht wird. Vielleicht hat das mit einer narzisstischen Kränkung zu tun. In die Meisterreportage von gestern wird die Forelle von heute gewickelt. „Kehrichtsammler der Tatsachenwelt“, so hat Karl Kraus die Journalisten genannt, abwertend wie so viele seiner Äußerungen, aber eben hellsichtig: Das ist nun einmal unsere Aufgabe. Noch seltsamer als das Aufjazzen journalistischer Produkte ist vor diesem Hintergrund die antiquierte, einschichtige Poetik, die dahinter zum Vorschein kommt. Manche Passagen in Relotius' Texten seien „überwältigend sinnlich“ gewesen, fand dessen Ex-Chef Ulrich Fichtner vom Spiegel, und Peter Schmalz, ehemaliger Chef-Reporter der Welt, nannte sie „betörend schön“. Ich finde, Relotius' Texte waren kitschig (was mir aber, zugegeben, erst nach den Enthüllungen Juan Morenos aufgefallen ist).
Ein taz-Kollege hat Georg Troller 2021 gefragt, ob man als Journalist auch erfinden müsse. „Ja! Gut erfunden ist mindestens so überzeugend wie schlecht gelebt“, antwortet der. „Ich habe in all meinen Büchern immer fiktive Interviews – manchmal als solche deklariert, manchmal nicht. Und das gehört auch dazu. Das Interview ist eine Erzählform wie die Novelle und kann als solche als eine andere Art von Fiktion eingestuft werden.“ Schade, lieber Herr Troller. Und, wenn Sie die Frage gestatten: Was soll der Scheiß?
Der deutsche Journalist Konstantin Richter, der sein Handwerk an der Columbia School of Journalism in New York City gelernt hat, fragte sich in Die Zeit: „Woher kommt dieser Wunsch deutscher Journalisten, die perfekte Geschichte zu schreiben? Warum spricht man von Protagonisten und Szenen anstatt von Menschen und Ereignissen?“ In den USA sei vor allem die Recherche Merkmal journalistischer Qualität, das Schreiben dagegen „niederes Handwerk, eine fast industrielle Tätigkeit“. „So klar wie möglich schreiben. Und nichts assoziativ mitschwingen lassen“, so interpretiert er eine seiner Lehrerinnen. Der deutsche Reporter dagegen krieche am liebsten in den Kopf seines Protagonisten und schreibe nieder, was da wohl vor sich geht. „Stream of Consciousness heißt die Technik, das berühmteste Vorbild ist Ulysses von James Joyce. Ein genialer Autor natürlich, aber kein Journalist.“
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Übrigens, wo gerade von der Grenzziehung zwischen Fakt und Fiktion die Rede ist: Von den Betrügereien des Claas Relotius lässt sich für unser Thema kaum etwas lernen, bis auf zwei Aspekte: erstens, dass die Grenze zwischen beiden Gewerken recht einfach zu ziehen ist. Und zweitens, wie seltsam es ist, dass im deutschsprachigen Journalismus die angebliche literarische Qualität so häufig überhöht wird. Vielleicht hat das mit einer narzisstischen Kränkung zu tun. In die Meisterreportage von gestern wird die Forelle von heute gewickelt. „Kehrichtsammler der Tatsachenwelt“, so hat Karl Kraus die Journalisten genannt, abwertend wie so viele seiner Äußerungen, aber eben hellsichtig: Das ist nun einmal unsere Aufgabe. Noch seltsamer als das Aufjazzen journalistischer Produkte ist vor diesem Hintergrund die antiquierte, einschichtige Poetik, die dahinter zum Vorschein kommt. Manche Passagen in Relotius' Texten seien „überwältigend sinnlich“ gewesen, fand dessen Ex-Chef Ulrich Fichtner vom Spiegel, und Peter Schmalz, ehemaliger Chef-Reporter der Welt, nannte sie „betörend schön“. Ich finde, Relotius' Texte waren kitschig (was mir aber, zugegeben, erst nach den Enthüllungen Juan Morenos aufgefallen ist).
Ein taz-Kollege hat Georg Troller 2021 gefragt, ob man als Journalist auch erfinden müsse. „Ja! Gut erfunden ist mindestens so überzeugend wie schlecht gelebt“, antwortet der. „Ich habe in all meinen Büchern immer fiktive Interviews – manchmal als solche deklariert, manchmal nicht. Und das gehört auch dazu. Das Interview ist eine Erzählform wie die Novelle und kann als solche als eine andere Art von Fiktion eingestuft werden.“ Schade, lieber Herr Troller. Und, wenn Sie die Frage gestatten: Was soll der Scheiß?
Der deutsche Journalist Konstantin Richter, der sein Handwerk an der Columbia School of Journalism in New York City gelernt hat, fragte sich in Die Zeit: „Woher kommt dieser Wunsch deutscher Journalisten, die perfekte Geschichte zu schreiben? Warum spricht man von Protagonisten und Szenen anstatt von Menschen und Ereignissen?“ In den USA sei vor allem die Recherche Merkmal journalistischer Qualität, das Schreiben dagegen „niederes Handwerk, eine fast industrielle Tätigkeit“. „So klar wie möglich schreiben. Und nichts assoziativ mitschwingen lassen“, so interpretiert er eine seiner Lehrerinnen. Der deutsche Reporter dagegen krieche am liebsten in den Kopf seines Protagonisten und schreibe nieder, was da wohl vor sich geht. „Stream of Consciousness heißt die Technik, das berühmteste Vorbild ist Ulysses von James Joyce. Ein genialer Autor natürlich, aber kein Journalist.“