Der Journalist sucht den kürzesten Weg

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/redaktion/2021/klein/Podium-Fridolin-Schley_500.jpg
Fridolin Schley & Géraldine Schwarz bei der Lesung im Münchner Literaturhaus 2021 © Livestream/Literaturhaus

Fridolin Schley hat 2021 einen Roman über Richard von Weizsäcker veröffentlicht, der seinen Vater Ernst 1947 bei den Nürnberger Prozessen verteidigt hat. Es ist eine literarische Anverwandlung historischer Personen. Immer wieder changiert der Erzähler zwischen innerem Monolog der Protagonisten, reportagehaftem Erzählen und essayartigen, interpretierenden Passagen. Am stärksten ist das Buch dort, wo dieses Changieren selbst passiert, wo ein bewegliches, unsicheres, agiles Lyrisches Ich am Werk ist, mal vermutlich nah am Autor, mal am Sohn, mal am Vater, Historiker, Psychologe, Zeitzeuge. Als Schley sein Buch Die Verteidigung im Münchner Literaturhaus vorstellte, hat er auf die Frage, wo die Grenzen literarischer Aneignung realer Personen liege, geantwortet: „Es gibt keine. Zumindest keine kategorischen.“

Als Journalist ist es das Ziel, sich dem Leser auf Anhieb verständlich zu machen. Ich suche den kürzesten Weg, um zu sagen, was zu sagen ist. Elegante Formulierungen gelten schnell als antiquiert; lange Sätze als unerwünschte Schachtelsätze; die Verwendung des Passivs gilt als feige (nichts, so die herrschende Lehre, geschehe einfach so, es seien stets Menschen, die etwas tun); die Verwendung des Wortes „Verwendung“ gilt als unschöner Substantivstil; Negationen wie „unschön“ sollten, etwa zugunsten von „hölzern“, vermieden werden; Strichpunkte werden zum Aussterben verurteilt; geläufige Metaphern wie „zum Aussterben verurteilt“ sind zu meiden; Adjektive und Adverbien sind nur ausnahmsweise zugelassen.

Was bleibt, sind übersichtliche Satzbauten, Ellipsen, Doppelpunkte, Gedankenstriche, Nebenordnungen. Eine Sprache für Leserinnen und Leser, die als wankelmütig gelten. Weil sie stets kurz davorstehen, weiter zu blättern oder zu klicken, lockt man sie mit Reizen, Tempo, griffigen Formulierungen. Schriftsteller aber dürfen und sollen viel mehr als sich nur verständlich zu machen, und sie dürfen mit geduldigeren Lesern rechnen.

Meine Meinung: Es gibt keine Journalisten, die großartig schreiben. Das liegt am Stoff, an der Notwendigkeit, verständlich zu schreiben, am Respekt vor den Beschriebenen, denen man immer nur vor die Stirn sieht. Am Können liegt es aber auch.

Verfasst von: Andreas Unger