Eine Kunst für sich

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Ernest Hemingway schreibt auf einem Campingplatz in Kenia, ca. 1953

Einer der Aufträge, die mich momentan daran hindern, letzte Hand an meine Großerzählung zu legen, ist derjenige, welcher diesem Text zugrunde liegt. Der Redakteur formulierte seine Erwartungshaltung wie folgt: „Halt irgendwas mit Literatur. Meine spontane Idee war: journalistisches vs. literarisches Schreiben – von der Beobachtung ausgehend, dass jetzt jeder dahergelaufene Schmierfink meint, Romane schreiben zu müssen und umgekehrt jeder depperte Poet meint, sich journalistisch was dazuverdienen zu müssen, als wär das keine Kunst für sich – und da Du selbst gerade Dein Opus Magnum schreibst, liegen die Reflexionen darüber vielleicht eh momentan auf der Hand.“

Auf der Hand liegt jedenfalls die Nähe zwischen beiden Professionen. Journalisten beschäftigen sich mit dem Schreiben, Schriftsteller beschäftigen sich mit dem Schreiben. Womit die wichtigsten Gemeinsamkeiten aufgezählt sind. Kommen wir also zu den Unterschieden.

Journalisten finden ihre Themen und Menschen, wie es heißt, auf der Straße (weit häufiger allerdings am Telefon, im Internet und in Zeitungen), Schriftsteller in ihrer Phantasie (und natürlich ebenfalls, na, siehe vorige Klammer). Journalisten finden, Schriftsteller erfinden, so einfach ist das. Was Schriftsteller dazu treibt, sich journalistisch zu betätigen, weiß ich nicht (der Zuverdienst eher nicht). Was aber kommt heraus, wenn Journalisten schriftstellern?

Im Idealfall Weltliteratur. Das hat der Kriegsreporter Ernest Hemingway bewiesen. Und dessen Fan, ein ehemaliger Redakteur der Frauenzeitschrift La Familia namens Gabriel García Márquez. Und Theodor Fontane, Angestellter der Neuen Preußischen Zeitung. Und in der Gegenwart der Ex-Reporter Christoph Ransmayr.

Weil aber der Idealfall zumeist der Sonderfall ist, mache ich an einem Beispiel deutlich, wie krass die Unterschiede zwischen den beiden Formen von Literatur sind. Ich, hauptberuflicher Journalist, möchte von meinem ersten Ausflug ins fiktionale Erzählen berichten. Im Hörspiel Die AnhörerinBayerischen Rundfunk 2020, erzähle ich von einer jungen Frau, ehemals Schauspielerin, die als Quereinsteigerin im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dazu ausgebildet wird, zu entscheiden, ob ein Asylbewerber in Deutschland bleiben darf (hier zum Nachhören...).

Während des Schreibens schlich die ganze Zeit das schlechte Gewissen des Journalisten um meinen Schreibtisch herum. Weil ich alles bloß erfunden hatte, den Plot, die Menschen, ihre Sätze. Natürlich war mir klar, dass das der Sinn der Übung war. Es tröstete mich aber nicht, das schlechte Gewissen blieb.

Verfasst von: Andreas Unger