Piraten

Es gab (und gibt) sie nicht nur auf dem Meer, sondern auch in der Buchbranche. Das illegale Nachdrucken von Büchern wird im Englischen als Pirating bezeichnet. Herman Melville ließ seine Bücher meist zunächst in England erscheinen. Das brachte Renommee, da England in kulturellen Dingen als Amerika überlegen galt und eine eigenständige amerikanische Literatur tatsächlich noch im Entstehen begriffen war. Einen Eindruck von den literarischen Debatten in den USA jener Tage vermittelt der Artikel „Our Great Nation of the Futurity“ aus der Democratic Review von 1839 oder 1840. Dieser greift das Problem in so polemischer wie pathetischer Weise auf und fordert eine demokratische Nationalliteratur: „Und unsere Literatur! – Oh, wann wird sie den Geist unserer republikanischen Einrichtungen atmen?“

Folgende anzustrebende Werte zählt der Verfasser auf: „geistige Freiheit“, „Gleichheit“, „nationale Unabhängigkeit“. Abgelehnt wird, „das Knie zu beugen vor fremdem [englischen?] Götzen, falschem Geschmack, falschen Lehren, falschen Prinzipien ... Wann wird sie [unsere Literatur] von der herrlichen Aussicht auf unsere eigene Welt inspiriert werden, den frischen Schwung eines neuen Himmels und einer neuen Erde in sich aufnehmen und sich auf den ausgebreiteten Schwingen der Wahrheit und Freiheit erheben?“ (Übersetzung, Th. L.)

Demokratisch oder nicht – rechtlich und wirtschaftlich war die Lage für die meisten amerikanischen Autoren desaströs. Schon Poe war bei dem Versuch, vom Schreiben zu leben, gescheitert. Melville sollte ihm darin folgen. Autoren wie Hawthorne oder Washington Irving hatten gut dotierte diplomatische Posten.

Auch finanzielle Erwägungen veranlassten Melville, seine Bücher in zwei Ausgaben, einer britischen und einer amerikanischen, erscheinen zu lassen. In England gab es offenbar ein Gentlemen's Agreement, das den unbezahlten Nachdruck von amerikanischen Werken selten machte. Amerikas Verleger scherten sich umgekehrt kaum um solche Details. Rechtlich gesehen war dieses Nachdrucken aber keine Piraterie. Der Melville-Biograph Hershel Parker schreibt dazu:

Mitte der 1840er bezahlten einige britische Verleger einige amerikanische Autoren für das vorgebliche Urheberrecht und vertraten die Auffassung, dass bei gleichzeitigem Erscheinen eines Buches in beiden Ländern kein anderes britisches Haus es nachdrucken würde. Sie taten so, als könnten sie ihren Gentlemen's Agreements die Kraft des Gesetzes verleihen. Diese Fiktion wurde 1849 durch ein eindeutiges Gerichtsurteil zunichte gemacht, woraufhin amerikanische Autoren nur noch hoffen konnten, gelegentlich von der Großzügigkeit britischer Verleger zu profitieren.

(Übersetzung, Th. L.)

Im Fall von Moby-Dick wählte Melville ein besonderes Verfahren. Während er noch mit dem amerikanischen Verlag verhandelte, ließ er das Buch selbst setzen. Von diesem Satz wurde ein Fahnenabzug hergestellt, den Melville wiederum auf Fehler durchsah (offenbar gab es so viele, dass er sich bei der Korrektur auf das Nötigste beschränkte). Dieser Abzug, so berichtet Andrew Delbanco in seiner Biografie, ging nach London. Hermans Bruder Allan korrespondierte hinterher: Der Titel sei zu ändern in Moby-Dick. Zu spät, das Buch erschien in England als The Whale. Ein eigenmächtiger Lektor hatte blasphemische oder zweideutige Stellen geglättet, die Zitatsammlung vom Anfang an den Schluss gestellt und – der Hammer! – den Epilog weggelassen. Schlamperei oder Absicht – das wird sich niemals klären lassen. Jedenfalls höhnten manche Kritiker: Wie konnte der vermeintlich mit allen andern untergegangene Ismael aus seinem Leben erzählen?

Eine andere Geschichte ist, dass das Schiff, mit dem Melvilles Fahnen nach London gelangten, von Piraten angegriffen und um ein Haar gekapert worden wäre. Der Kapitän bot ihnen die frisch gedruckten Seiten als Lösegeld an, was die Freibeuter indes verschmähten: zu viele handgeschriebene Korrekturen – das konnte wohl nichts sein ... Freibeuter Jack Sparrow soll sich schließlich mit einigen Fässern Salzfleisch und einem Viertel der Handelsware zufrieden gegeben haben. Vielleicht hätte Sparrow erstmal lesen sollen? Aus heutiger Sicht hätte er das bessere Geschäft mit diesen Papieren gemacht. Dem Playboy gab Sparrow nach Erscheinen des Films Fluch der Karibik bedauernd folgende Erklärung: „Ich war ... zu schwul, zu bekifft und zu weggetreten.“

Verfasst von: Thomas Lang