Wolfram Kastner – Aversion gegen jede Art von Herrschaft

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbthemes/2021/klein/kastner_500.jpg
Foto: Gunna Wendt

Maler, Bildhauer, Aktionskünstler: Geboren in München.  Wolfram Kastner macht Kunst, die stört und sich einmischt; Kunst, die sichtbar macht, was sonst nicht zu sehen ist. Seine Kunst provoziert Nachdenken und Diskussion, nicht selten auch Widerspruch, Verbote und Strafanzeigen. Solche Kunst eignet sich nicht zur dekorativen Beschönigung von Rüstungs- und Automobilkonzernen oder Bankfoyers.

Was ist Anarchismus für dich?

Mir ist der Begriff Anarchie lieber als Anarchismus. Ismen riechen mir immer etwas nach einer einheitlichen klaren Lehre, deren Anhänger man sein kann/will/soll. Daher bezeichne ich mich eigentlich auch nicht als Anarchist. Anarchie – darunter verstehe ich die maximale Freiheit von politischer, staatlicher, ökonomischer und militärischer Herrschaft und Gewalt und die maximale Freiheit für ein selbstverantwortliches, soziales und individuelles Leben. Das schließt die Vergesellschaftung von ökonomischem Privateigentum ein, die Abschaffung von Militär und hierarchischen Strukturen. Voraussetzung und Ziel sind Aufklärung, die Gemeinschaft freier Menschen und die offene und transparente Verhandlung und Regelung aller gesellschaftlicher Fragen. Das muss selbstverständlich auch jetzt und immer geübt und praktiziert werden. Also sind Aufklärung, Bildung, ziviler Ungehorsam Voraussetzungen einer anarchischen gesellschaftlichen Ordnung. Dafür – also für eine künftige Anarchie – arbeite und lerne ich. 

Wann und wie ist dieses Verhältnis zur Anarchie entstanden, das du gerade beschrieben hast?

Das ist ein langer Prozess und ich bin dazu gekommen durch das eigene Erleben von Herrschaft und Gewalt und meinen wachsenden Widerstand dagegen. In meinem Leben gab und gibt es viele Stationen, Erfahrungen, Lernprozesse und Entwicklungen, die mich dazu führten. Es ist nicht so einfach für mich zu beschreiben, woher meine Aversion gegen jede Art von Herrschaft rührt. Vermutlich habe ich nicht mehr herrschaftliches Verhalten, obrigkeitliche Anmaßung, Einschüchterungsversuche, „Sachzwänge“, Klassenjustiz und Machtstrukturen erlebt als andere auch. Vielleicht war und bin ich zu wenig abgehärtet? Zu weich? Zu wenig distanziert? Vielleicht waren es ganz kleine und ganz unspektakuläre Versuche und Beispiele des Widerstands und eines aufrechten Ganges, die mich darin bestärkten, mich lustvoll nicht unterzuordnen.

Nur ein frühes Beispiel: Da meine Eltern wenig Geld hatten, musste ich mit meine Schulhosen selbst verdienen. Durch Zeitungen treppauf treppab austragen. Um meine Hosen zu schonen und Geld für anderes zu sparen, kaufte ich mir ein billiges Sitzkissen und nahm es in die Schule mit. Die pädagogisch hart gesottenen Lehrer waren empört über die Verweichlichung der Jugend und den unterrichtsfremden Gegenstand. In einer Lehrkörperkonferenz wurde beschlossen, dass das Sitzkissen nicht in die Schule dürfe. Ich war vierzehn und hatte mir rennend und schwitzend die Mittel für eine Schulhose und ein Sitzkissen erarbeitet. Mir wurde heiß. Die waren kaltschnäuzig. Meine Empörung wagte den Widerspruch: Wenn die Schule mir alljährlich eine neue Hose kaufe, dann könnte ich das Sitzkissen zu Hause lassen. Sonst würde ich das Sitzkissen weiterhin zur Schonung meiner Hose in die Schule mitbringen. Ich setzte mich durch und gewann dabei sogar ein gesteigertes Ansehen bei den allgemein eher wohlhabenden Mitschülern.

Es tat mir oft weh, wenn ich zusehen musste, wie Menschen, die mir irgendwie nahe standen, vor gesellschaftlich und wirtschaftlich höher Gestellten, vor Amtspersonen und Titelträgern klein wurden und sich verbeugten. Meine Oma Blauhorn war anders, eine gerade, selbstbewusste, einfache und sozial engagierte Frau.

Während meines Studiums an der Uni und an der Kunstakademie konnte ich teilnehmen an einigen lustvollen und die anmaßende Obrigkeit entlarvenden Aktionen. Wir studierten mühsam Texte, bis mir einige Schuppen von den Augen fielen. In Fabriken und auf Baugerüsten verdiente ich einen Teil der Studiengebühren und lernte dabei genauso wie in den Seminaren. Nach dem Studium arbeitete ich lieber in der politischen Erwachsenenbildung der Gewerkschaften als im staatlichen Anpassungssystem Schule und mit jungen Berufstätigen, um mit ihnen Möglichkeiten zu entwickeln, wie sie sich gegen Unterdrückung und Herrschaft wehren können. Selbst lernte ich dabei viel über Anpassung, Untertänigkeit, Klassenjustiz, Bestechung und Macht. Als ich nach 6 Jahren genug davon hatte und erschöpft war, wollten mich die Herren der Wirtschaft kaufen und hielten mich für irre, als ich ihnen sagte, ich wolle lieber Bilder malen. Kurt Eisners Satz „der Künstler muss als Künstler Anarchist sein“ wurde mir ein Leitmotiv.

Welche anderen historischen Anarchisten haben für dich eine wichtige Rolle gespielt?

Sicher spielten und spielen dabei auch Personen eine wichtige Rolle. Gustav Landauer, Erich MühsamOskar Maria Graf, Rosa Luxemburg, Augustin Souchy, um einige bekannte zu nennen. Bakunin nur in Maßen, da mir sein Antisemitismus zuwider ist. Aber vor allem waren es meine Oma, Gabi Duschl, Freundinnen und Freunde, die sich mutig und selbstbewusst und sozial engagiert verhielten. Ich hatte das Glück, Menschen zu treffen, die tatsächlich Widerstand gegen die Nazis leisteten und das nicht nur behaupteten. Schriften von Gustav Landauer und Erich Mühsam haben mir einiges zu denken gegeben, allen voran Mühsams Ausspruch: „Sich fügen heißt lügen.“

Verfasst von: Gunna Wendt (Interview)

Verwandte Inhalte