Kinogeher und Kinder
Was fasziniert jemanden wie Sie, der so lebendige, eindringliche Dialoge schreibt, am Stummfilm?
Wenn ich etwas Stummes sehe, bin ich sofort verführt, die Leute reden zu lassen. Und dann habe ich natürlich keine Wahl gehabt. Ich wollte einfach die Filme meines Großvaters zu einem gewissen Leben erwecken. Da war ich auf den Stummfilm angewiesen, es gab ja damals nichts anderes. Ich sehe darin keine Differenz, keinen Unterschied. Das Ganze trifft sich ja, Stummfilm und gesprochener Film oder Tonfilm treffen sich ja beide in der Phantasie, wobei der Stummfilm der Phantasie doch sehr viel Raum ließ und den Zuschauer weniger fesselte, weniger in seine Bahn zwang, als das der Tonfilm tut.
Irgendwann fragt der Enkel: Warum versteht wohl jeder den Film anders?
Ja, sicher, weil eben jeder Mensch sein eigenes Kino im Kopf hat, und das ist eine unverwechselbare Angelegenheit. Mit diesem Kino im Kopf geht er dann ins große Kino und sieht den Film auf seine Weise. Und der Kleine, aus dessen Perspektive ich ja die Sachen darstelle, der sieht eben seine Filme auf seine kindliche Weise, denn er ist nun einmal ein kleiner Mann, was mich gereizt hat. Ich wollte immer gern etwas über kleine Leute schreiben, ich schreibe gern über Kinder. Ein Kind mit einem freien Kopf, wo noch nichts zugestellt ist, wie das ja bei uns allen der Fall ist. Es ist ja tatsächlich so, dass die Phantasie, das Leben, das Kino, das wir im Kopf haben, zu sterben anfängt, wenn wir zwanzig, dreißig Jahre alt sind, um schließlich ganz dahinzusiechen. Das Leben im Kopf ist bei einem Kind noch ganz anders geartet. Über so einen kleinen Menschen habe ich gern mal schreiben wollen. Und das trifft sich an dem Punkt Kino, denn beide sind eigentlich unerfüllt und auf der anderen Seite noch frei, mit der Welt umzuspringen: die Kinogeher und die Kinder.
Als Kind haben Sie ja mit Ihrem Großvater sehr viele Filme gesehen, auch ganz selbstverständlich mit Filmen gelebt. Genau wie ihr Großvater.
So habe ich ihn in Erinnerung. Ich habe ein bisschen schlechtes Gefühl, wenn man von meinem Großvater spricht, als sei er eine total wahre Person, denn es liegen ja doch sehr viele Jahre dazwischen. Er war ganz gefangen von dem, was er da täglich vorgeführt hat, und er lebte in dieser Welt, und er dichtete in dieser Welt, denn er war nicht nur ein Kinoerzähler, er war auch ein Schriftsteller, er schrieb. Dahinter liegt, glaube ich, das Bedürfnis, raus zu wollen aus dieser doch sehr beengenden, total kleinbürgerlichen und fatalen Wirklichkeit, die eben die Wirklichkeit eines alten Mannes in dieser Zeit ist, die so langsam auf die Nazizeit zusteuert und dann eben auf den Krieg. Wenn Sie mich fragen, ob das Buch ein wahrhaftiges Buch ist, dann würde ich sagen: ja und nein. Es enthält viele Tatsächlichkeiten, ich will immer nicht „Wahrheiten“ sagen, aber es enthält natürlich auch viele Erfindungen. Es ist ein Großvater, nicht so wie er war, sondern auch wie ich ihn mir jetzt nach dieser langen Zeitspanne zusammendenke und ersinne. Es gibt ja bekanntlich ein Buch im Deutschen, das heißt Dichtung und Wahrheit. Das ganze Buch ist auch Dichtung und Wahrheit, es ist weder das eine ganz, noch das andere ganz, sondern es setzt sich, so wie das Leben selbst, aus beidem zusammen.
Weil in Ihre Erinnerungen Ihre eigenen Erfahrungen mit einfließen.
Sicher, die überlagern das, was man früher erfahren hat, und das bildet einen unentwirrbaren Knäuel. Man kann dann nicht mehr sagen, das war wirklich, das hat der Großvater an diesem Tag gesagt. Wenn er es nicht gesagt hat, so hätte er es doch sagen können.
Was hat ihre eigene Arbeit, also die eines Autors, mit der des Kinoerzählers zu tun?
Wir sind beide Künstler. Ein Kinoerzähler interpretiert die Welt. Und das ist ja etwas, was ich als Autor auch tue. Ich bin jemand, der seine Sicht der Welt vorträgt, seine Sicht der Welt zum Besten gibt und verkauft.
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Was fasziniert jemanden wie Sie, der so lebendige, eindringliche Dialoge schreibt, am Stummfilm?
Wenn ich etwas Stummes sehe, bin ich sofort verführt, die Leute reden zu lassen. Und dann habe ich natürlich keine Wahl gehabt. Ich wollte einfach die Filme meines Großvaters zu einem gewissen Leben erwecken. Da war ich auf den Stummfilm angewiesen, es gab ja damals nichts anderes. Ich sehe darin keine Differenz, keinen Unterschied. Das Ganze trifft sich ja, Stummfilm und gesprochener Film oder Tonfilm treffen sich ja beide in der Phantasie, wobei der Stummfilm der Phantasie doch sehr viel Raum ließ und den Zuschauer weniger fesselte, weniger in seine Bahn zwang, als das der Tonfilm tut.
Irgendwann fragt der Enkel: Warum versteht wohl jeder den Film anders?
Ja, sicher, weil eben jeder Mensch sein eigenes Kino im Kopf hat, und das ist eine unverwechselbare Angelegenheit. Mit diesem Kino im Kopf geht er dann ins große Kino und sieht den Film auf seine Weise. Und der Kleine, aus dessen Perspektive ich ja die Sachen darstelle, der sieht eben seine Filme auf seine kindliche Weise, denn er ist nun einmal ein kleiner Mann, was mich gereizt hat. Ich wollte immer gern etwas über kleine Leute schreiben, ich schreibe gern über Kinder. Ein Kind mit einem freien Kopf, wo noch nichts zugestellt ist, wie das ja bei uns allen der Fall ist. Es ist ja tatsächlich so, dass die Phantasie, das Leben, das Kino, das wir im Kopf haben, zu sterben anfängt, wenn wir zwanzig, dreißig Jahre alt sind, um schließlich ganz dahinzusiechen. Das Leben im Kopf ist bei einem Kind noch ganz anders geartet. Über so einen kleinen Menschen habe ich gern mal schreiben wollen. Und das trifft sich an dem Punkt Kino, denn beide sind eigentlich unerfüllt und auf der anderen Seite noch frei, mit der Welt umzuspringen: die Kinogeher und die Kinder.
Als Kind haben Sie ja mit Ihrem Großvater sehr viele Filme gesehen, auch ganz selbstverständlich mit Filmen gelebt. Genau wie ihr Großvater.
So habe ich ihn in Erinnerung. Ich habe ein bisschen schlechtes Gefühl, wenn man von meinem Großvater spricht, als sei er eine total wahre Person, denn es liegen ja doch sehr viele Jahre dazwischen. Er war ganz gefangen von dem, was er da täglich vorgeführt hat, und er lebte in dieser Welt, und er dichtete in dieser Welt, denn er war nicht nur ein Kinoerzähler, er war auch ein Schriftsteller, er schrieb. Dahinter liegt, glaube ich, das Bedürfnis, raus zu wollen aus dieser doch sehr beengenden, total kleinbürgerlichen und fatalen Wirklichkeit, die eben die Wirklichkeit eines alten Mannes in dieser Zeit ist, die so langsam auf die Nazizeit zusteuert und dann eben auf den Krieg. Wenn Sie mich fragen, ob das Buch ein wahrhaftiges Buch ist, dann würde ich sagen: ja und nein. Es enthält viele Tatsächlichkeiten, ich will immer nicht „Wahrheiten“ sagen, aber es enthält natürlich auch viele Erfindungen. Es ist ein Großvater, nicht so wie er war, sondern auch wie ich ihn mir jetzt nach dieser langen Zeitspanne zusammendenke und ersinne. Es gibt ja bekanntlich ein Buch im Deutschen, das heißt Dichtung und Wahrheit. Das ganze Buch ist auch Dichtung und Wahrheit, es ist weder das eine ganz, noch das andere ganz, sondern es setzt sich, so wie das Leben selbst, aus beidem zusammen.
Weil in Ihre Erinnerungen Ihre eigenen Erfahrungen mit einfließen.
Sicher, die überlagern das, was man früher erfahren hat, und das bildet einen unentwirrbaren Knäuel. Man kann dann nicht mehr sagen, das war wirklich, das hat der Großvater an diesem Tag gesagt. Wenn er es nicht gesagt hat, so hätte er es doch sagen können.
Was hat ihre eigene Arbeit, also die eines Autors, mit der des Kinoerzählers zu tun?
Wir sind beide Künstler. Ein Kinoerzähler interpretiert die Welt. Und das ist ja etwas, was ich als Autor auch tue. Ich bin jemand, der seine Sicht der Welt vorträgt, seine Sicht der Welt zum Besten gibt und verkauft.