Schöpfungskritik

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Gert Hofmann im Sommer 1951 (Bildausschnitt), (c) Eva Hofmann

1959 entstand Gert Hofmanns erstes Hörspiel Die Beiden aus Verona. Bei den Protagonisten handelt es sich um Romeo und Julia, allerdings nicht um die aus der Weltliteratur bekannten jungen Liebenden, sondern um ein altes Ehepaar, dem die Liebe im Verlauf von fünfzig Jahren Ehe abhanden gekommen ist. Der Autor will ihnen eine zweite Chance geben.

Romeo und Julia treten im Alter von siebzig und neunundsechzig Jahren vor Jupiter, nachdem sie sich gegenseitig getötet haben. Sie hatte ihm Gift in den Wein getan, den er trank, nachdem er sie erstochen hatte. Jupiter setzt sich mit seinen Beratern Sturm, Faber und Sartorius zusammen, um zu überlegen, was nun zu tun sei und wie es überhaupt nach fünfzig Jahren Ehe zu diesen furchtbaren Taten habe kommen können. Jupiter sieht einen Grund für das schreckliche Ende in dem grandiosen und überwältigenden Anfang, also darin, dass sie sich in der ersten Zeit so übermäßig liebten. So etwas musste wohl zwangsläufig zu einem schlechten Ende führen.

Als die Beiden aus Verona angehört werden, werfen sie Jupiter vor, er habe sie zu lange leben lassen. Er gibt ihnen recht und entschuldigt sich. Es sei ein Versehen gewesen, er habe vergessen, sie rechtzeitig voneinander zu entfernen. Auf seine Gegenfrage, warum sie sich denn nicht voneinander getrennt hätten, als sie bemerkten, dass ihre Liebe davonging, antworten sie in großer Einigkeit, die Liebe sei ganz plötzlich nicht mehr dagewesen. Einen Anfang ihres Verschwindens habe man nicht feststellen können. Es sei auf einmal überhaupt nichts mehr dagewesen. Beide hätten eine Zeitlang gehofft, dass irgendwann noch irgendetwas käme. Vergeblich -- was hätte es auch sein sollen?

Jupiter wirft ihnen vor, ihre Beziehung nicht in ein Gleichgewicht gebracht zu haben. So etwas sei nötig, um der verschwundenen Liebe die Chance zu geben, in anderer Gestalt zurückzukommen. Romeo und Julia sind sich einig: Ihre Liebe hätte keine andere Gestalt annehmen können, dafür sei sie viel zu groß gewesen.

Ganz am Anfang ihrer Liebe hatte ein Marktschreier aus Julias Hand gelesen:

„Sie wird hinausgeh’n in die Welt, Eure Liebe, in Booten die Flüsse hinab und über die Meere mit Schiffen, sie geht auf Wagen durch Berge und Länder, sie steigt zu Fuß und zu Pferd die schmalen Pfade hinauf. Sie geht hinein in die weißen Städte und in die Herzen, die rot sind. Dort wird Eurer Liebe ein Denkmal gebaut. Sie wird besungen werden. Wenn ein Mensch in sich eine Liebe fühlt, wird er sich an Eure erinnern. Er wird seine Liebe an Eure legen und sehn, dass sie kürzer ist. So wird er Euch um Eure Liebe beneiden, und Euer Name wird durch Eure Liebe bleiben. Eure Liebe wird so alt wie die Steine werden und älter als manche Tiere. Sie wird leben, solange es Menschen gibt, die auf dieser Erde wohnen.“

(Die Beiden aus Verona)

Verfasst von: Gunna Wendt