Die zweite Welt
„Als Schriftsteller neigt man dazu, sich seine Welt selber zusammenzubasteln und die wirkliche Welt eigentlich nur dann zu Rate zu ziehen, wenn irgendwelche Versatzstücke fehlen.“
So hat Gert Hofmann seinen eigenen Beruf charakterisiert. Er versteht den Autor als unabhängigen Schöpfer seiner literarischen Welt, der sich ab und zu mit einem Seitenblick an der realen Welt orientiert -- nicht, um sie nachzuahmen, sondern um sie zu verändern. Während die wirkliche Welt im Käfig des Tatsächlichen eingesperrt ist, öffnet sich die Phantasiewelt der Vielfalt des Möglichen. Nach Gert Hofmann enthält jedes literarische Werk Anteile von Tatsächlichkeit und Möglichkeit. Vor diesem Hintergrund betrachtet, ist der Schriftsteller ein beneidenswerter Mensch. Er hat einen Weg aus dem Gefängnis der Realität gefunden.
In seinem Hörspiel Der große Stunk (1990), das eine Episode aus dem im selben Jahr erschienenen Roman Der Kinoerzähler dialogisch wiedergibt, lässt Gert Hofmann seinen Protagonisten, den Großvater, der im Apollo-Kino in Limbach die Stummfilme kommentiert und auf dem Klavier begleitet, jeden Morgen nach einer zweiten Welt suchen.
„Schon morgens stehe ich am Küchenfenster und suche. Auch tagsüber suche ich. Zum Beispiel beim Spazierengehen.“
(Der große Stunk)
Sein Freund, Herr Cosimo, ist der einzige, der von dieser Suche weiß. Ihm ist aufgefallen, dass der Großvater beim Spazierengehen manchmal die Hand auf die Augen legt, den Kopf schüttelt und zu sich selbst „Nichts, nichts!“ sagt. Herr Cosimo schließt daraus, dass der Großvater die zweite Welt noch nicht gefunden hat. Als er ihm die Natur mit ihren Blumen, Käfern und Vögeln anbietet, wehrt der Großvater heftig ab.
„Ich habe mit der Natur nichts im Sinn. Sie ist mir nicht künstlich genug. Ich suche nach einer zweiten Welt, jenseits der natürlichen. Deshalb beneide ich jeden, der eine hat und ihrer sicher ist und sie, sagen wir, malen kann. Er kann sie jedem zeigen.“
(Der große Stunk)
Weil er selbst das nicht vermag, bleibt ihm nichts anderes übrig, als davon zu träumen. Herr Cosimo erinnert ihn an die dichterischen Gedanken, die er seinem Notizbuch anvertraut, und daran, dass das Schreiben doch auch die Möglichkeit biete, zur zweiten Welt vorzudringen. Darin müssten die Gesetzmäßigkeiten der wirklichen Welt nicht unbedingt Gültigkeit haben, es bestehe die Chance ihrer Neudefinition, der Beginn des künstlerischen Schöpfungsaktes.
Weitere Kapitel:
„Als Schriftsteller neigt man dazu, sich seine Welt selber zusammenzubasteln und die wirkliche Welt eigentlich nur dann zu Rate zu ziehen, wenn irgendwelche Versatzstücke fehlen.“
So hat Gert Hofmann seinen eigenen Beruf charakterisiert. Er versteht den Autor als unabhängigen Schöpfer seiner literarischen Welt, der sich ab und zu mit einem Seitenblick an der realen Welt orientiert -- nicht, um sie nachzuahmen, sondern um sie zu verändern. Während die wirkliche Welt im Käfig des Tatsächlichen eingesperrt ist, öffnet sich die Phantasiewelt der Vielfalt des Möglichen. Nach Gert Hofmann enthält jedes literarische Werk Anteile von Tatsächlichkeit und Möglichkeit. Vor diesem Hintergrund betrachtet, ist der Schriftsteller ein beneidenswerter Mensch. Er hat einen Weg aus dem Gefängnis der Realität gefunden.
In seinem Hörspiel Der große Stunk (1990), das eine Episode aus dem im selben Jahr erschienenen Roman Der Kinoerzähler dialogisch wiedergibt, lässt Gert Hofmann seinen Protagonisten, den Großvater, der im Apollo-Kino in Limbach die Stummfilme kommentiert und auf dem Klavier begleitet, jeden Morgen nach einer zweiten Welt suchen.
„Schon morgens stehe ich am Küchenfenster und suche. Auch tagsüber suche ich. Zum Beispiel beim Spazierengehen.“
(Der große Stunk)
Sein Freund, Herr Cosimo, ist der einzige, der von dieser Suche weiß. Ihm ist aufgefallen, dass der Großvater beim Spazierengehen manchmal die Hand auf die Augen legt, den Kopf schüttelt und zu sich selbst „Nichts, nichts!“ sagt. Herr Cosimo schließt daraus, dass der Großvater die zweite Welt noch nicht gefunden hat. Als er ihm die Natur mit ihren Blumen, Käfern und Vögeln anbietet, wehrt der Großvater heftig ab.
„Ich habe mit der Natur nichts im Sinn. Sie ist mir nicht künstlich genug. Ich suche nach einer zweiten Welt, jenseits der natürlichen. Deshalb beneide ich jeden, der eine hat und ihrer sicher ist und sie, sagen wir, malen kann. Er kann sie jedem zeigen.“
(Der große Stunk)
Weil er selbst das nicht vermag, bleibt ihm nichts anderes übrig, als davon zu träumen. Herr Cosimo erinnert ihn an die dichterischen Gedanken, die er seinem Notizbuch anvertraut, und daran, dass das Schreiben doch auch die Möglichkeit biete, zur zweiten Welt vorzudringen. Darin müssten die Gesetzmäßigkeiten der wirklichen Welt nicht unbedingt Gültigkeit haben, es bestehe die Chance ihrer Neudefinition, der Beginn des künstlerischen Schöpfungsaktes.