Systemsprenger
Vor der Villa gibt es nun eine Baustelle, das Pflaster wurde aufgerissen und ein Loch in den Boden gemacht, um eine Wasserleitung zu verlegen. Direkt vor der Villa und wie sie unmittelbar an der Regnitz steht ein Häuschen, das in etwas so klein ist wie der Palast groß. Es wird derzeit vollständig modernisiert. Schwer Eisenplatten überbrücken das Loch. Geht man darüber, klappern sie dumpf. Vielleicht deshalb habe ich Iphigenia schon seit Tagen nicht mehr gesehen.
Wieder sind wir zu zweit und gehen den Weg von der Villa immer geradeaus über das Pfahlplätzchen, dem Domberg hinauf und hinter der neuen Residenz nach rechts, wieder leicht bergab, bis wir beim Aufseesianum sind, einer „privaten Wirtschaftsschule“, wie aus auf einem Schild vor dem Gebäude heißt, und ein seit 280 Jahren mit Unterbrechungen bestehendes Internat. Auf dem Parkplatz hinter dem Gebäude ist eine 40-qm-Leinwand aufgestellt, davor in lockerer Reihung geschätzte hundert Gartenstühle aus Plastik. Decken und Sitzkissen lassen sich gegen eine Gebühr ausleihen. Linkerhand öffnet sich über einen Sportplatz hinweg der Blick auf die entrückte Stadt wie ein Blick aus einem riesigen Fenster.
Das Abendlicht schafft auf den näher gelegenen Häusern eine dramatische Atmosphäre. Während sich die Stühle nach und nach füllen, stehen wir im hinteren Teil des Hofes bei Marthas Moonrise Kitchen um ein Getränk an. Das auf den Boden gesprühte Leitsystem funktioniert nur in einem bescheidenen Ausmaß. Immer wieder fühlt es sich seltsam an, mit Maske in einem ähnlichen Abstand zu anderen Leuten zu stehen wie ohne Maske auf den Plätzen zu sitzen – ein Widerspruch in der gefühlten Logik des Alltags.
Aus einem offenbar gestiegenen allgemeinen Mitteilungsbedürfnis heraus erfolgt auch hier eine Anmoderation. Der Veranstalter versucht es mit einem positiven Statement. „Sie sitzen deutlich entspannter als im vergangenen Jahr“, in dem die Fläche viel dichter bestuhlt war. Er bittet um die Einhaltung der Hygieneregeln. „Abstand rettet Kultur“, stellt er kühn in den Raum und verweist noch auf Stofftaschen und nicht näher beschriebene „Lämpchen“, die man zur Unterstützung des unabhängigen Bamberger Kinos kaufen könne.
Vor dem Film läuft regionale Werbung u. a. von einem Bestattungsunternehmen, das den Menschen Hilfe dabei verspricht, „auch den letzten Weg selbst zu planen“. Leicht vermessen erscheint mir die Idee, dass – ganz wie eine Urlaubsreise – auch die letzte Reise so werden könne, „wie Sie es sich wünschen.“ Da das Tageslicht allmählich weicht, kann der Film beginnen. Systemsprenger ist ein emotional durchaus fordernder Film über ein misshandeltes und gestörtes Mädchen, das eine traurige Odyssee durch Heime und Psychiatrien macht. Seltsamerweise ist das Getrenntsein von der Mutter wie schon beim Hörspiel-Abend das zentrale Thema.
Der „Arthouse-Kracher“, so die Online-Werbung der Kinobetreiber, wird für eine Pause unterbrochen. Neben uns an einem Geländer geht eine Lämpchengirlande an, vorn steht die ganze Zeit schon cineastisch angestrahlt ein Baum. Hinter der Leinwand ragt eine riesige alte Mauer auf, die einen langen überdachten Gang trägt. Dieses Haus sei, erfahre ich auf Nachfrage, in Privatbesitz. Mehr scheint man nicht zu wissen.
Die Spannung verändert sich; im zweiten Teil des Films entwickelt sich nichts mehr, der Kreislauf von Ausgeliefertsein und Eingeliefertwerden, vergeblichen Maßnahmen und maßloser Wut wird nur noch verlängert. Immer wieder sausen kleine Fledermäuse vor der Leinwand durch die Luft und schnappen sich die Motten, die das Filmlicht angezogen hat. Der Heimweg führt durch eine uns noch unbekannte Gasse mit einem alten Fachwerkhof hinab zur Regnitz, vorbei an Klein-Venedig, über die Brücke und wiederrum am Wasser entlang und über noch zwei Brückchen zurück in die derzeit verwaist wirkende Villa.
Weitere Kapitel:
Vor der Villa gibt es nun eine Baustelle, das Pflaster wurde aufgerissen und ein Loch in den Boden gemacht, um eine Wasserleitung zu verlegen. Direkt vor der Villa und wie sie unmittelbar an der Regnitz steht ein Häuschen, das in etwas so klein ist wie der Palast groß. Es wird derzeit vollständig modernisiert. Schwer Eisenplatten überbrücken das Loch. Geht man darüber, klappern sie dumpf. Vielleicht deshalb habe ich Iphigenia schon seit Tagen nicht mehr gesehen.
Wieder sind wir zu zweit und gehen den Weg von der Villa immer geradeaus über das Pfahlplätzchen, dem Domberg hinauf und hinter der neuen Residenz nach rechts, wieder leicht bergab, bis wir beim Aufseesianum sind, einer „privaten Wirtschaftsschule“, wie aus auf einem Schild vor dem Gebäude heißt, und ein seit 280 Jahren mit Unterbrechungen bestehendes Internat. Auf dem Parkplatz hinter dem Gebäude ist eine 40-qm-Leinwand aufgestellt, davor in lockerer Reihung geschätzte hundert Gartenstühle aus Plastik. Decken und Sitzkissen lassen sich gegen eine Gebühr ausleihen. Linkerhand öffnet sich über einen Sportplatz hinweg der Blick auf die entrückte Stadt wie ein Blick aus einem riesigen Fenster.
Das Abendlicht schafft auf den näher gelegenen Häusern eine dramatische Atmosphäre. Während sich die Stühle nach und nach füllen, stehen wir im hinteren Teil des Hofes bei Marthas Moonrise Kitchen um ein Getränk an. Das auf den Boden gesprühte Leitsystem funktioniert nur in einem bescheidenen Ausmaß. Immer wieder fühlt es sich seltsam an, mit Maske in einem ähnlichen Abstand zu anderen Leuten zu stehen wie ohne Maske auf den Plätzen zu sitzen – ein Widerspruch in der gefühlten Logik des Alltags.
Aus einem offenbar gestiegenen allgemeinen Mitteilungsbedürfnis heraus erfolgt auch hier eine Anmoderation. Der Veranstalter versucht es mit einem positiven Statement. „Sie sitzen deutlich entspannter als im vergangenen Jahr“, in dem die Fläche viel dichter bestuhlt war. Er bittet um die Einhaltung der Hygieneregeln. „Abstand rettet Kultur“, stellt er kühn in den Raum und verweist noch auf Stofftaschen und nicht näher beschriebene „Lämpchen“, die man zur Unterstützung des unabhängigen Bamberger Kinos kaufen könne.
Vor dem Film läuft regionale Werbung u. a. von einem Bestattungsunternehmen, das den Menschen Hilfe dabei verspricht, „auch den letzten Weg selbst zu planen“. Leicht vermessen erscheint mir die Idee, dass – ganz wie eine Urlaubsreise – auch die letzte Reise so werden könne, „wie Sie es sich wünschen.“ Da das Tageslicht allmählich weicht, kann der Film beginnen. Systemsprenger ist ein emotional durchaus fordernder Film über ein misshandeltes und gestörtes Mädchen, das eine traurige Odyssee durch Heime und Psychiatrien macht. Seltsamerweise ist das Getrenntsein von der Mutter wie schon beim Hörspiel-Abend das zentrale Thema.
Der „Arthouse-Kracher“, so die Online-Werbung der Kinobetreiber, wird für eine Pause unterbrochen. Neben uns an einem Geländer geht eine Lämpchengirlande an, vorn steht die ganze Zeit schon cineastisch angestrahlt ein Baum. Hinter der Leinwand ragt eine riesige alte Mauer auf, die einen langen überdachten Gang trägt. Dieses Haus sei, erfahre ich auf Nachfrage, in Privatbesitz. Mehr scheint man nicht zu wissen.
Die Spannung verändert sich; im zweiten Teil des Films entwickelt sich nichts mehr, der Kreislauf von Ausgeliefertsein und Eingeliefertwerden, vergeblichen Maßnahmen und maßloser Wut wird nur noch verlängert. Immer wieder sausen kleine Fledermäuse vor der Leinwand durch die Luft und schnappen sich die Motten, die das Filmlicht angezogen hat. Der Heimweg führt durch eine uns noch unbekannte Gasse mit einem alten Fachwerkhof hinab zur Regnitz, vorbei an Klein-Venedig, über die Brücke und wiederrum am Wasser entlang und über noch zwei Brückchen zurück in die derzeit verwaist wirkende Villa.