Der heißeste Tag
Bis heute habe ich nie von einem Summloch gehört, nun stehe ich davor. Es sieht ein bisschen aus wie eine steinzeitliche Personenwaage, der die Skala fehlt - die Basis, auf die sich ein erwachsener Mensch aber eher nicht stellen muss, um das Loch zu benutzen, die viereckige Steinsäule, die sich im oberen Teil leicht verdickt und diesen Hohlraum präsentiert, in den Passanten hineinsummen können, bis die „Vibration der eigenen Stimme in Rücken, Bauch und Beinen bis hinein in die Fußsohlen“ zu spüren sei. So weit lasse ich es nicht kommen, als ich das Loch ausprobiere – es ist zwar nichts los an diesem Sonntagmorgen am Ufer der Regnitz, aber ich will weder potenzielle Aerosole einatmen noch welche dort deponieren. Man weiß ja nie, bei dieser Pandemie.
Es ist der heißeste Tag des Sommers, 36 Grad werden vorhergesagt, und ich bin extra früh losgegangen. Dennoch fühlt es sich an, als würde die Sonne mir jeden einzelne ihrer Strahlen durch die Schädeldecke bohren. Auf diese Weise multipel trepaniert, gelange ich zur alten Teppichweberei, einem großen Ziegelbau, in dem bis in die Neunzigerjahre noch Teppiche hergestellt wurden. Der Komplex gab dem Gelände der Landesgartenschau den Namen ERBA – ER für Erlangen und BA für Bamberg.
Die Gartenschau ist lang vorbei und Blumen, die man vielleicht erwarten könnte, sind nirgends zu sehen. Linkerhand zur Regnitz hin werden viele neue Häuser gebaut, leicht klotzige Condominiums, so schätze ich, jedenfalls eine in der mir bekannten Welt überall vorkommende, austauschbare Architektur. Das Gelände selbst stellt das Wasser in den Mittelpunkt. Viele kleine künstliche Bachläufe werden von noch mehr Stegen überbrückt. Gleich am Anfang liegt ein Wasserspielplatz für Kinder, er als einziger scheint bevölkert. Die Familien – ich nehme an, dass es sich meist um Familien handelt, scheinen für sich in den gebotenen Haushaltseinheiten zu spielen, auch hier ist (noch) so wenig los, dass Distanzstress praktisch ausgeschlossen scheint.
Insgesamt ist der erst acht Jahre alte Park noch wenig eingewachsen. Die Trockenheit führt außerdem dazu, dass viele der jungen Bäume sichtlich leiden. Bei einer Reihe Korbweiden frage ich mich, warum man sie oben am Wegesrand und nicht unten beim Wasser gepflanzt hat. An manchen Stellen wirkt das Gelände in der Augusthitze beinah mediterran. Dann wieder folgen Parzellen, die offenbar gewässert wurden und saftig aus dem vertrockneten Rest hervorleuchten. Ich erklimme den künstliche angelegten pyramidenförmigen Hügel. Erklimmen ist ein bisschen viel gesagt, es handelt sich nur um wenige Meter und die Aussicht von oben ist nicht so viel besser als die vom allgemeinen Niveau des Parks.
Auf der anderen Seite wird das Gelände vom Main-Donau-Kanal begrenzt, dort hinten gibt es ein noch aktiv genutztes Industriegelände, An einer Stelle erlaubt eine Plattform, über das steile Ufer hinauszutreten und links und rechts weit über den Kanal hin zu blicken. Ich befinde mich bereits auf dem Rückweg. Eine streng umzäunte Sportanlage nutzt einen Handvoll junger Leute für Beachvolleyball. Die Stimmung ist recht ruhig. Bei einem Spielplatz mit Klettergerüsten lagern im Schatten, umgeben von einer Kinderwagenburg, diejenigen Eltern, deren Kinder vermutlich zu klein für den Wasserspielplatz sind.
Kurz bevor ich den Park verlasse, treffen ich noch auf eine weitere Gruppe von Menschen, die in der Vormittagshitze unter Anleitung Gymnastik treiben. Die Vorturnerin gibt Anweisungen. Alle gehen bei gespreizten Beinen gerade etwas in die Knie. „Wenn die Leisten weich bleiben, ist auch der untere Rücken entspannt. Und wenn irgendwo Stress entsteht, ist nicht mehr drin.“ Wieder was gelernt.
Übertragen auf das Pandemie-Verhalten könnte man sagen: Muten Sie sich nicht mehr zu, als ihnen zumutbar erscheint. Wenn Stress entsteht, etwas durch hustende oder einfach zu viele Leute, halten Sie sich fern. – Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Bei einem Faltbootverleih, an dem ich schließlich vorübergehe, erblicke ich unvermittelt die ersten Maskierten für heute. Die Entspanntheit der Erba, die wenigen immer schön für sich bleibenden Menschen dort, haben mich so weit fortgetragen, dass diese Gesichter mich plötzlich irritieren.
Weitere Kapitel:
Bis heute habe ich nie von einem Summloch gehört, nun stehe ich davor. Es sieht ein bisschen aus wie eine steinzeitliche Personenwaage, der die Skala fehlt - die Basis, auf die sich ein erwachsener Mensch aber eher nicht stellen muss, um das Loch zu benutzen, die viereckige Steinsäule, die sich im oberen Teil leicht verdickt und diesen Hohlraum präsentiert, in den Passanten hineinsummen können, bis die „Vibration der eigenen Stimme in Rücken, Bauch und Beinen bis hinein in die Fußsohlen“ zu spüren sei. So weit lasse ich es nicht kommen, als ich das Loch ausprobiere – es ist zwar nichts los an diesem Sonntagmorgen am Ufer der Regnitz, aber ich will weder potenzielle Aerosole einatmen noch welche dort deponieren. Man weiß ja nie, bei dieser Pandemie.
Es ist der heißeste Tag des Sommers, 36 Grad werden vorhergesagt, und ich bin extra früh losgegangen. Dennoch fühlt es sich an, als würde die Sonne mir jeden einzelne ihrer Strahlen durch die Schädeldecke bohren. Auf diese Weise multipel trepaniert, gelange ich zur alten Teppichweberei, einem großen Ziegelbau, in dem bis in die Neunzigerjahre noch Teppiche hergestellt wurden. Der Komplex gab dem Gelände der Landesgartenschau den Namen ERBA – ER für Erlangen und BA für Bamberg.
Die Gartenschau ist lang vorbei und Blumen, die man vielleicht erwarten könnte, sind nirgends zu sehen. Linkerhand zur Regnitz hin werden viele neue Häuser gebaut, leicht klotzige Condominiums, so schätze ich, jedenfalls eine in der mir bekannten Welt überall vorkommende, austauschbare Architektur. Das Gelände selbst stellt das Wasser in den Mittelpunkt. Viele kleine künstliche Bachläufe werden von noch mehr Stegen überbrückt. Gleich am Anfang liegt ein Wasserspielplatz für Kinder, er als einziger scheint bevölkert. Die Familien – ich nehme an, dass es sich meist um Familien handelt, scheinen für sich in den gebotenen Haushaltseinheiten zu spielen, auch hier ist (noch) so wenig los, dass Distanzstress praktisch ausgeschlossen scheint.
Insgesamt ist der erst acht Jahre alte Park noch wenig eingewachsen. Die Trockenheit führt außerdem dazu, dass viele der jungen Bäume sichtlich leiden. Bei einer Reihe Korbweiden frage ich mich, warum man sie oben am Wegesrand und nicht unten beim Wasser gepflanzt hat. An manchen Stellen wirkt das Gelände in der Augusthitze beinah mediterran. Dann wieder folgen Parzellen, die offenbar gewässert wurden und saftig aus dem vertrockneten Rest hervorleuchten. Ich erklimme den künstliche angelegten pyramidenförmigen Hügel. Erklimmen ist ein bisschen viel gesagt, es handelt sich nur um wenige Meter und die Aussicht von oben ist nicht so viel besser als die vom allgemeinen Niveau des Parks.
Auf der anderen Seite wird das Gelände vom Main-Donau-Kanal begrenzt, dort hinten gibt es ein noch aktiv genutztes Industriegelände, An einer Stelle erlaubt eine Plattform, über das steile Ufer hinauszutreten und links und rechts weit über den Kanal hin zu blicken. Ich befinde mich bereits auf dem Rückweg. Eine streng umzäunte Sportanlage nutzt einen Handvoll junger Leute für Beachvolleyball. Die Stimmung ist recht ruhig. Bei einem Spielplatz mit Klettergerüsten lagern im Schatten, umgeben von einer Kinderwagenburg, diejenigen Eltern, deren Kinder vermutlich zu klein für den Wasserspielplatz sind.
Kurz bevor ich den Park verlasse, treffen ich noch auf eine weitere Gruppe von Menschen, die in der Vormittagshitze unter Anleitung Gymnastik treiben. Die Vorturnerin gibt Anweisungen. Alle gehen bei gespreizten Beinen gerade etwas in die Knie. „Wenn die Leisten weich bleiben, ist auch der untere Rücken entspannt. Und wenn irgendwo Stress entsteht, ist nicht mehr drin.“ Wieder was gelernt.
Übertragen auf das Pandemie-Verhalten könnte man sagen: Muten Sie sich nicht mehr zu, als ihnen zumutbar erscheint. Wenn Stress entsteht, etwas durch hustende oder einfach zu viele Leute, halten Sie sich fern. – Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Bei einem Faltbootverleih, an dem ich schließlich vorübergehe, erblicke ich unvermittelt die ersten Maskierten für heute. Die Entspanntheit der Erba, die wenigen immer schön für sich bleibenden Menschen dort, haben mich so weit fortgetragen, dass diese Gesichter mich plötzlich irritieren.