Shakespeare condensed
An diesem Abend vergesse ich ausnahmsweise mal nicht meine Maske im Apartment, sondern die Eintrittskarte. Ich bin mit dem Rad unterwegs und fahre schnell noch mal zurück. Die Wege durch die Stadt sind mir noch nicht vollständig bekannt, die Richtungen treffe ich aber meistens. Ich nehme die Luitpoldbrücke, biege dann rechts ab in ein mir noch unbekanntes Viertel.
Das Bamberger Theater im Gärtnerviertel hat seinen Spielbetrieb für den Rest der Saison mit einem besonderen Programm wiederaufgenommen. Gegeben werden drei Minidramen im Vorübergehen. Das erste, eine „Reisewarnung für Balkonien", habe ich leider verpasst, ebenso Cechovs Bär. Der heutige Abend dreht sich um Shakespeare, den Dramatiker für offensichtlich alle außerordentlichen Lebenslagen. Julia und die Amme ist aus Romeo und Julia kondensiert – gut knapp zwanzigminütiges Zwei-Personen-Stück. Spielort ist das ehemalige Geschäft Auto Peter. Man betritt das Gebäude über eine Rampe durch den Hintereingang, gleichzeitig das Refugium der Raucher. Ich halte drinnen meine Karte hin, niemand will sie abreißen. Der Wille (oder auch die Auflage), möglichst wenig zu berühren, ist vorhanden. Die Toilette befindet sich im Keller. Die Räumlichkeiten sind eng, die Installationen alt, es gibt nur kaltes Wasser. Das versetzt mich nicht gerade in den hygienischen Wohlfühlmodus. Oben steht der obligatorische Desinfektionsmittelspender, den ich gern und ausgiebig benutze.
Theater im geschlossenen Raum! So weit ich mich erinnere, stehen aber die Fenster oder wenigstens die Tür zum Hof offen. Ich setze mich in die erste Reihe, der Abstand zur Bühne ist nicht allzu groß. Die Lichttechnik ist minimalst in dem schlichten, nach Industriegebäude aussehenden Raum. Mit mir sind etwa 15 Leute da, der Männerschnitt liegt beinah bei der Hälfte. Die meisten Leute haben ihre Masken abgesetzt.
Auch der Ansager nimmt seinen Mundschutz runter, „endlich wieder atmen!“.
Ein kleines Bühnenbild, zwei Schauspieler, die sich gleich am Anfang die „Hand drauf“ geben, die Wärterin, die nachträglich erschrickt und ein Desinfektionsgel aus der Tasche holt, um Julia und sich davon zu geben. Das ist zum Glück der einzige Kalauer an diesem Abend. Die Wärterin wird hier zur Hauptfigur, der Akzent der Tragödie verschiebt sich hin zu einer Klage übers Altern. Ein paar Songs aus den wilden Sechzigern wiegen einen Teil des Publikums in süßen Erinnerungen, mehr braucht es vermutlich nicht, um die Liebe und die Jugend und das lebendige Leben ins Spiel zu bringen. Die Wärterin hat einen Stock, der auf unangenehme Weise zoomorph wirkt – wie ein Insektenbein oder der Knochen von etwas, an das ich mich nur undeutlich erinnere. Sie monologisiert über ihren körperlichen Verfall – der Rücken! die Brüste! Später suche ich diese Passagen zum Teil vergeblich im Text der schlegel-tieckschen Übersetzung.
Auch hier geht’s ja um Abstand, sogar um Abschied; nicht zueinander Finden. „Bringen Sie Ihrer Oma mal wieder Blumen und don’t forget to rock’n roll“, ruft die Wärterin in den Schlussapplaus. Ist es wirklich schon vorbei? Auf mich wirkt es, als würde ich nach dem Aufwärmen doch keinen Sport machen. Nach draußen geht es durch die Vordertür, es ist noch hell, die wiederum etwa fünfzehnköpfige Menge schnell zerstreut, der Abend geht zu Ende, ohne recht ausgefüllt zu sein. Wo sollte ich noch hin, mit einem Bier oder einem Wein an die Regnitz? Da kann ich auch im Villagarten sitzen.
Gedacht, getan. Kurz nach halb zehn sitze ich vor meinem Vogelbauer. Die Villa wird bis Mitternacht von fetten Strahlern angeleuchtet, da will kein Vogel schlafen gehen, da kann ich ruhig noch ein wenig piepen.
Weitere Kapitel:
An diesem Abend vergesse ich ausnahmsweise mal nicht meine Maske im Apartment, sondern die Eintrittskarte. Ich bin mit dem Rad unterwegs und fahre schnell noch mal zurück. Die Wege durch die Stadt sind mir noch nicht vollständig bekannt, die Richtungen treffe ich aber meistens. Ich nehme die Luitpoldbrücke, biege dann rechts ab in ein mir noch unbekanntes Viertel.
Das Bamberger Theater im Gärtnerviertel hat seinen Spielbetrieb für den Rest der Saison mit einem besonderen Programm wiederaufgenommen. Gegeben werden drei Minidramen im Vorübergehen. Das erste, eine „Reisewarnung für Balkonien", habe ich leider verpasst, ebenso Cechovs Bär. Der heutige Abend dreht sich um Shakespeare, den Dramatiker für offensichtlich alle außerordentlichen Lebenslagen. Julia und die Amme ist aus Romeo und Julia kondensiert – gut knapp zwanzigminütiges Zwei-Personen-Stück. Spielort ist das ehemalige Geschäft Auto Peter. Man betritt das Gebäude über eine Rampe durch den Hintereingang, gleichzeitig das Refugium der Raucher. Ich halte drinnen meine Karte hin, niemand will sie abreißen. Der Wille (oder auch die Auflage), möglichst wenig zu berühren, ist vorhanden. Die Toilette befindet sich im Keller. Die Räumlichkeiten sind eng, die Installationen alt, es gibt nur kaltes Wasser. Das versetzt mich nicht gerade in den hygienischen Wohlfühlmodus. Oben steht der obligatorische Desinfektionsmittelspender, den ich gern und ausgiebig benutze.
Theater im geschlossenen Raum! So weit ich mich erinnere, stehen aber die Fenster oder wenigstens die Tür zum Hof offen. Ich setze mich in die erste Reihe, der Abstand zur Bühne ist nicht allzu groß. Die Lichttechnik ist minimalst in dem schlichten, nach Industriegebäude aussehenden Raum. Mit mir sind etwa 15 Leute da, der Männerschnitt liegt beinah bei der Hälfte. Die meisten Leute haben ihre Masken abgesetzt.
Auch der Ansager nimmt seinen Mundschutz runter, „endlich wieder atmen!“.
Ein kleines Bühnenbild, zwei Schauspieler, die sich gleich am Anfang die „Hand drauf“ geben, die Wärterin, die nachträglich erschrickt und ein Desinfektionsgel aus der Tasche holt, um Julia und sich davon zu geben. Das ist zum Glück der einzige Kalauer an diesem Abend. Die Wärterin wird hier zur Hauptfigur, der Akzent der Tragödie verschiebt sich hin zu einer Klage übers Altern. Ein paar Songs aus den wilden Sechzigern wiegen einen Teil des Publikums in süßen Erinnerungen, mehr braucht es vermutlich nicht, um die Liebe und die Jugend und das lebendige Leben ins Spiel zu bringen. Die Wärterin hat einen Stock, der auf unangenehme Weise zoomorph wirkt – wie ein Insektenbein oder der Knochen von etwas, an das ich mich nur undeutlich erinnere. Sie monologisiert über ihren körperlichen Verfall – der Rücken! die Brüste! Später suche ich diese Passagen zum Teil vergeblich im Text der schlegel-tieckschen Übersetzung.
Auch hier geht’s ja um Abstand, sogar um Abschied; nicht zueinander Finden. „Bringen Sie Ihrer Oma mal wieder Blumen und don’t forget to rock’n roll“, ruft die Wärterin in den Schlussapplaus. Ist es wirklich schon vorbei? Auf mich wirkt es, als würde ich nach dem Aufwärmen doch keinen Sport machen. Nach draußen geht es durch die Vordertür, es ist noch hell, die wiederum etwa fünfzehnköpfige Menge schnell zerstreut, der Abend geht zu Ende, ohne recht ausgefüllt zu sein. Wo sollte ich noch hin, mit einem Bier oder einem Wein an die Regnitz? Da kann ich auch im Villagarten sitzen.
Gedacht, getan. Kurz nach halb zehn sitze ich vor meinem Vogelbauer. Die Villa wird bis Mitternacht von fetten Strahlern angeleuchtet, da will kein Vogel schlafen gehen, da kann ich ruhig noch ein wenig piepen.