Theater im Luisenhain

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© Thomas Lang

Nicht weit von der Villa, doch am anderen Ufer der Regnitz liegt ein Flussschwimmbad, das Hainbad. Zu Fuß benötige ich zehn Minuten. Auch außerhalb der Bojen gehen einige Menschen ins Wasser. Einzelne schwimmen mit großer Kraftanstrengung gegen die Strömung. Die meisten lassen sich treiben oder schwimmen flussab, manche bis zu einer Leiter gegenüber der Villa. Weiter unten warten die Turbinen. Die heiße Phase dieses Sommers ist noch im Auftakt, die Hitze gerade noch so angenehm.

Das Bootshaus nennt sich ein Biergarten direkt am Ufer. Die übrigen drei Seiten werden durch Gebäude begrenzt, man fühlt sich eher wie in einem Hof. Am Eingang warten, bis man registriert ist und einen Platz zugewiesen bekommt, den Mund-, Nasenschutz aufgesetzt, gehört schon zur Routine. Ich bekomme einen Platz nah beim Eingang zugewiesen, die schöneren Plätze, nah am Fluss werden für Gruppen von Besuchern vorbehalten, die mehr Umsatz versprechen. Die Bedienenden tragen alle das gleiche weiße T-Shirt mit dem Schriftzug des Biergartens, dazu schwarze Hosen oder Röcke. Plexiglasvisiere sollen sie und uns vor Ansteckung schützen. Die jungen Leute sehen damit aus wie eine kleine Kompanie von Playmobilsoldaten.

Die selbst gesetzte Regel, „draußen“ nur Flaschenbier zu trinken, fällt meiner Neugier auf lokale Gebräue zum Opfer, ich bestelle ein Lager, das in einem Tonkrug kommt, und fühle mich beim Trinken tapfer.

Abstand ist keine Entfernung heißt die Vorstellung, zu der ich mich angemeldet habe, ein „poetischer Hainspaziergang“.

Die Veranstaltung ist um eine halbe Stunde verschoben worden, erfahre ich, und lasse es mir von Gästen, auf die man mich hinweist noch einmal bestätigen. Durch die Maske verstehen sie mich zuerst nicht. Mit Fremden zu sprechen, ohne ein „vereinbarte“ Thema, ist wesentlich schwieriger geworden. Ich habe also Zeit. Deshalb das Bier.

Der Wirtsgarten wird von Eichen beschattet, auf den Tischen stehen in alten Weinflaschen gelbe und rote Gerbera. Eine junge Frau nimmt mit der Zange eine Breze von einem Gestell, dass ich Brezenbaum taufe. Als sie die Zange an den Baum hängen will, fällt diese zu Boden. Schnell bückt sich die Frau und hängt sie wieder hin. „Steril ist steril, bis es auf den Boden fiel“, hieß es früher in dem Altenheim, in dem ich Zivildienst leistete. Auf der Regnitz saust ein Fünfer-Ruderboot durchs Bild.

Zwei Schauspieler vom Brentano-Theater holen uns schließlich vor dem Biergarten ab. Wir sind fünfzehn Teilnehmer, alle telefonisch registriert, vier davon Männer und 86,6 Prozent, wie ich rechne, über fünfzig Jahre alt. Locker gruppiert folgen wir dem Schauspieler-Duo durch den Luisen-Hain, endlich mal ohne Gesichtsschutz. Hie und da halten die beiden an, tragen Gedichte von Wilhelm Busch, Tucholsky, Kaleko vor oder spielen kleine Szenen. So findet Valentin zu Shakespeare (eine Szene aus den Lustigen Weibern von Windsor). Immer geht es um Verbundenheit und Trennung, um Abstand, der ja kein neues Phänomen ist. Die Shakespeare-Szene bildet den Höhepunkt des Spaziergangs und findet in einem der zahlreichen Pavillons statt. Der männliche Schauspieler rennt voraus und legt sich schnell einen künstlichen Bauch an. Sparsame Requisite, auf schnelles Erfassen hin ausgewählte Texte – eine niedrigschwellige Form des Theaters lässt sich das nennen.

Beim Valentin-Sketch drehen die jungen Leute, die nebenan einen Pavillon mit Luftballons geschmückt haben und Geburtstag feiern, rücksichtsvoll die Musik ab, bis wir weitergezogen sind. Ja, bis in die Nacht höre ich häufig Musik aus dem Park zu mir herüberdringen, höre Flaschen in Rucksäcken vorbeiradelnder Menschen aneinanderklingen, dazu das Lachen und Reden von Feiernden. Mein Gefühl sagt mir, dass das nicht die Menschen sind, die andere gefährden, jedenfalls nicht in der Mehrheit. Als etwas älterer Mann verblüfft mich nur manchmal ihre Furchtlosigkeit. Wenn ich mich versenke, spüre ich dieses Gefühl (oder die Erinnerung daran?) auch in mir. Ohne die junge Zuversicht wären wir schon am Ende.

Verfasst von: Thomas Lang