Die Voliere im Garten des Waffenhändlers
Auf breiten Treppe zum Portal der Villa hockt als Hüterin des Hauses die weiße Katze Iphigenia. Sie macht die Augen schmal, bewegt im Übrigen nicht mal den Kopf. Sie hat die Lage jedenfalls im Griff. Das Haus ist bis auf die Direktorin der Villa am diesem Nachmittag bereits geleert. Bei einem Kaffee sitzen wir in dem vier Meter hohen, geschätzte fünfzig Quadratmeter großen Büro. Der Deckenstuck ist teilweise vergoldet, sonst zart hellblau und strahlend weiß, der Parkettboden wie frisch abgezogen. Ein Fenster in meiner Blickachse weist gar nichts in Freie, sondern in einen, wie ich später erfahre, angebauten Gebäudeteil.
Linkerhand schaue ich in einen terrassierten Garten, in dem, teilweise hinter alten Bäumen versteckt, eine lange, nicht ganz senkrechte Glaswand steht. Das ist, wie ich schon weiß, die Ostfassade der Stipendiatenwohnungen. Die Direktorin erläutert mir die Regeln des Hauses. Wir dürfen keine Besuche empfangen, Partner oder Kinder sollen nicht, wie sonst möglich und auch von mir eigentlich geplant, bei uns wohnen. Auch wir Stipendiaten sind angehalten, uns nicht in den Ateliers zu besuchen, im Garten dürfen wir uns aber sehen und was wir außerhalb der Villa tun, ist selbstredend unsere Sache. Die Regeln sind streng und, wie ich finde, teilweise befremdlich, denn ein wichtiger Sinn des Stipendiums besteht ja gerade in der Begegnung und im Austausch mit anderen Künstlern. Eine Öffnung des Hauses war jedoch zunächst nicht anders machbar.
Nach einem netten Gespräch, das sich mehr um andere und angenehmere Dinge dreht als die Pandemie, folge ich der Direktorin in den Garten. Ein paar Stufen hinauf folgt ein im Freien gelegener Gang, der unsere Apartments erschließt. Sie wurden in den Neunzigern auf die mittlere Terrasse des Gartens gebaut – sechs seriell konzipierte Einheiten. Auf der Rückseite sind sie nicht mit Glas, sondern mit hellgrauen Paneelen verkleidet. In der oberen Etage kragen sechs Kuben vor, die sich an die mehrere Meter hohe Sandsteinmauer zu lehnen scheinen. Um ehrlich zu sein, lehnt die alte Mauer sich eher an den Neubau, sie hat an dieser Stelle einen ordentlichen Bauch bekommen, der mich nur theoretisch unbesorgt lässt.
Gleich das erste Apartment wird meines. Es ist im schlichten Stil der Neunziger bestimmt von Sichtbeton und Glas, den Boden bedeckt rotes, frisch versiegeltes Linoleum. Die Möbel sind aus hellem, unfurnierten Multiplex (wahrscheinlich Ahorn oder Birke). In einer Ecke führt eine dunkel mattierte, stählerne Wendeltreppe in den ersten Stock hinauf. Dort befinden sich auf einer Galerie Schlafzimmer und Bad. Es ist ein Bau aus einem Guss, architektonisch ausgewogen und geschmackvoll, dem barocken Koloss an seiner Seite durchaus angemessen.
Nach ein paar weiteren Erklärungen bleibe ich allein, stöpsele den Router ein, klappe den Koffer auf, schlüpfe aus den Schuhen. In der Glaswand befindet sich eine gläserne Tür, die ich vorerst noch nicht öffne. Ich blicke auf einen dicken Stamm, auf einen mit Splitt bestreuten Boden, eine barocke, figurenbestandene Balustrade, den unteren Rosengarten mit dem Springbrunnen, den linken Arm der Regnitz, die Fassaden der alten und viel kleineren Häuser gegenüber. Dort umkurven ein paar Radler geduldig ein Fußgängergrüppchen. Das wird meine Aussicht sein für die nächsten drei Monate, durch die Glaswand, hinter der ich noch tun kann, was ich will, wo keine Vorsicht geboten ist außer niemanden reinzulassen, wo ich sitzen und singen (im meinem Fall: schreiben) kann wie ein Vogel im Bauer des fürstlichen Gartens, und das, wenn ich will, aus voller Kehle.
Weitere Kapitel:
Auf breiten Treppe zum Portal der Villa hockt als Hüterin des Hauses die weiße Katze Iphigenia. Sie macht die Augen schmal, bewegt im Übrigen nicht mal den Kopf. Sie hat die Lage jedenfalls im Griff. Das Haus ist bis auf die Direktorin der Villa am diesem Nachmittag bereits geleert. Bei einem Kaffee sitzen wir in dem vier Meter hohen, geschätzte fünfzig Quadratmeter großen Büro. Der Deckenstuck ist teilweise vergoldet, sonst zart hellblau und strahlend weiß, der Parkettboden wie frisch abgezogen. Ein Fenster in meiner Blickachse weist gar nichts in Freie, sondern in einen, wie ich später erfahre, angebauten Gebäudeteil.
Linkerhand schaue ich in einen terrassierten Garten, in dem, teilweise hinter alten Bäumen versteckt, eine lange, nicht ganz senkrechte Glaswand steht. Das ist, wie ich schon weiß, die Ostfassade der Stipendiatenwohnungen. Die Direktorin erläutert mir die Regeln des Hauses. Wir dürfen keine Besuche empfangen, Partner oder Kinder sollen nicht, wie sonst möglich und auch von mir eigentlich geplant, bei uns wohnen. Auch wir Stipendiaten sind angehalten, uns nicht in den Ateliers zu besuchen, im Garten dürfen wir uns aber sehen und was wir außerhalb der Villa tun, ist selbstredend unsere Sache. Die Regeln sind streng und, wie ich finde, teilweise befremdlich, denn ein wichtiger Sinn des Stipendiums besteht ja gerade in der Begegnung und im Austausch mit anderen Künstlern. Eine Öffnung des Hauses war jedoch zunächst nicht anders machbar.
Nach einem netten Gespräch, das sich mehr um andere und angenehmere Dinge dreht als die Pandemie, folge ich der Direktorin in den Garten. Ein paar Stufen hinauf folgt ein im Freien gelegener Gang, der unsere Apartments erschließt. Sie wurden in den Neunzigern auf die mittlere Terrasse des Gartens gebaut – sechs seriell konzipierte Einheiten. Auf der Rückseite sind sie nicht mit Glas, sondern mit hellgrauen Paneelen verkleidet. In der oberen Etage kragen sechs Kuben vor, die sich an die mehrere Meter hohe Sandsteinmauer zu lehnen scheinen. Um ehrlich zu sein, lehnt die alte Mauer sich eher an den Neubau, sie hat an dieser Stelle einen ordentlichen Bauch bekommen, der mich nur theoretisch unbesorgt lässt.
Gleich das erste Apartment wird meines. Es ist im schlichten Stil der Neunziger bestimmt von Sichtbeton und Glas, den Boden bedeckt rotes, frisch versiegeltes Linoleum. Die Möbel sind aus hellem, unfurnierten Multiplex (wahrscheinlich Ahorn oder Birke). In einer Ecke führt eine dunkel mattierte, stählerne Wendeltreppe in den ersten Stock hinauf. Dort befinden sich auf einer Galerie Schlafzimmer und Bad. Es ist ein Bau aus einem Guss, architektonisch ausgewogen und geschmackvoll, dem barocken Koloss an seiner Seite durchaus angemessen.
Nach ein paar weiteren Erklärungen bleibe ich allein, stöpsele den Router ein, klappe den Koffer auf, schlüpfe aus den Schuhen. In der Glaswand befindet sich eine gläserne Tür, die ich vorerst noch nicht öffne. Ich blicke auf einen dicken Stamm, auf einen mit Splitt bestreuten Boden, eine barocke, figurenbestandene Balustrade, den unteren Rosengarten mit dem Springbrunnen, den linken Arm der Regnitz, die Fassaden der alten und viel kleineren Häuser gegenüber. Dort umkurven ein paar Radler geduldig ein Fußgängergrüppchen. Das wird meine Aussicht sein für die nächsten drei Monate, durch die Glaswand, hinter der ich noch tun kann, was ich will, wo keine Vorsicht geboten ist außer niemanden reinzulassen, wo ich sitzen und singen (im meinem Fall: schreiben) kann wie ein Vogel im Bauer des fürstlichen Gartens, und das, wenn ich will, aus voller Kehle.