Enttäuschung Traumfabrik
Hollywood geriet für sie zur Enttäuschung. „In Hollywood ist es bei Nacht so still wie in München. Nach 11 Uhr gibt es auf der Straße keinen Menschen mehr“, beginnt Erika Mann ihren Aufsatz Hollywood bei Nacht. Sie beklagt, dass es keine Lokale gibt, „in denen man sich verlustieren könnte“. Ohne Alkohol – in den Vereinigten Staaten herrschte damals die Prohibition – sei das offizielle Nachtleben so gut wie tot. Die Menschen würden schon am frühen Abend in ihrem „cosy home“ am „fireplace“ sitzen, Radio hören, „ein wenig schlechten Gin“ trinken und das Ganze eine „Party“ nennen. Doch natürlich ließ sich das Alkoholtrinken nicht völlig verbieten. Der Schwarzmarkt florierte – es war die Zeit, in der die Mafia erstarkte – und Eingeweihte trafen sich in den sog. „Speakeasies“, den Kneipen, in denen man Alkohol bestellen und trinken konnte – leise und unauffällig.
Im Haus von Emil Jannings, den Erika gleich nach ihrer Ankunft in Hollywood anrief, lernten sie Greta Garbo kennen und kamen mit der Crème de la Crème der Filmwelt zusammen: Charlie Chaplin, Fritz Murnau, Ernst Lubitsch. In ihrem am 19. Oktober 1928 in der Zeitschrift Tempo veröffentlichten Text Hollywood bei Nacht hat Erika Mann die „wunderbar schöne Greta Garbo“ als „gar nicht primadonnenhaft gekleidet“ beschrieben. Ihr Haar sei zersaust gewesen und sie habe mit tiefer Stimme und ihrem skandinavischen Akzent vor sich hin gesagt, sie sei so „fuurrschtbar müde“.
Als das Jahr zu Ende ging, nahte das erste Weihnachten, das die Geschwister nicht zu Hause verbringen würden, was ihnen Unbehagen bis hin zu Heimweh bereitete. Gerade Weihnachten war ein Fest, das im Hause Mann auf unvergleichliche und unverzichtbare Weise begangen wurde und auf das sich die Familie schon lange im Voraus freute. Sie waren sich sicher, es würde ihnen fehlen. Und sie würden zu Hause vermisst werden. „Aber dass ihr Weihnachten zurück wäret, wünschte ich doch“, schrieb ihnen der Vater in seinem langen Brief vom 19. Oktober 1927. Stattdessen waren sie nun im Haus von Emil Jannings zu Gast, wo es weniger gediegen und feierlich als laut und glamourös zuging. Außerdem hatte sich ihre finanzielle Situation zugespitzt. Als sie feststellten, dass sie nicht einmal das Geld hatten, um eine Depesche an die Eltern aufzugeben, versetzte ihr Erika kurzerhand das Pelzcape. Sie bekamen dafür so viel, dass sie ihre Weihnachtsbotschaft nach München aufgeben und darüber hinaus für sich noch einige Besorgungen machen konnten. Doch für die Hotelrechnung, die bedrohlich angewachsen war, reichte es nicht. Wieder einmal funktionierte ihre Strategie, hilfesuchende Telegramme in die Welt hinaus zu senden: „Gefällige Redakteure“ und „barmherzige Freunde“ griffen ihnen unter die Arme, so dass wie durch Zauberei eine Summe zusammenkam, die es ihnen ermöglichte, die Hotelrechnung zu begleichen und sich Fahrkarten für die Reise mit dem Pullman-Bus von Los Angeles nach New York zu kaufen.
Für die Heimreise nach Europa hatten sie sich eine besondere Route ausgedacht: Hawaii, Japan, Korea, Russland. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr im Spätsommer 1928 begannen sie mit der Niederschrift ihres gemeinsamen Reiseberichts, für den sie einen Vertrag mit dem S. Fischer Verlag geschlossen hatten. Rundherum erschien bereits Anfang 1929. Ein kurzweiliges munteres Buch zweier junger Reisender, die ihr Staunen nicht verhehlten und ihre Abenteuer sehr pur und direkt wiedergaben. Doch ihre gemeinsamen Berichte beschränkten sich, genau wie Erikas Reportagen, die in dem Sammelband Blitze überm Ozean enthalten sind, nicht nur auf unterhaltsame Anekdoten, sondern enthielten durchaus kritische Betrachtungen des „American Way Of Life“, angefangen bei der großen Armut in den Industriestädten über die Rassentrennung bis hin zur Medienkritik. Doch letztendlich überwog die Begeisterung: Die gigantische Skyline Manhattans ließ sie ins Schwärmen geraten über diese Stadt, deren Schönheit gleichbedeutend war mit Energie. Vom „Negerviertel“ in die „Italienstadt“, vom Chinesischen Theater in die Metropolitan Opera, von der eleganten Fifth Avenue ins Ghetto hatten sie ihre Streifzüge geführt. Dabei entdeckten sie auch ein Künstlerviertel, das Schwabing und Montparnasse zu kopieren schien: Greenwich Village.
Weitere Kapitel:
Hollywood geriet für sie zur Enttäuschung. „In Hollywood ist es bei Nacht so still wie in München. Nach 11 Uhr gibt es auf der Straße keinen Menschen mehr“, beginnt Erika Mann ihren Aufsatz Hollywood bei Nacht. Sie beklagt, dass es keine Lokale gibt, „in denen man sich verlustieren könnte“. Ohne Alkohol – in den Vereinigten Staaten herrschte damals die Prohibition – sei das offizielle Nachtleben so gut wie tot. Die Menschen würden schon am frühen Abend in ihrem „cosy home“ am „fireplace“ sitzen, Radio hören, „ein wenig schlechten Gin“ trinken und das Ganze eine „Party“ nennen. Doch natürlich ließ sich das Alkoholtrinken nicht völlig verbieten. Der Schwarzmarkt florierte – es war die Zeit, in der die Mafia erstarkte – und Eingeweihte trafen sich in den sog. „Speakeasies“, den Kneipen, in denen man Alkohol bestellen und trinken konnte – leise und unauffällig.
Im Haus von Emil Jannings, den Erika gleich nach ihrer Ankunft in Hollywood anrief, lernten sie Greta Garbo kennen und kamen mit der Crème de la Crème der Filmwelt zusammen: Charlie Chaplin, Fritz Murnau, Ernst Lubitsch. In ihrem am 19. Oktober 1928 in der Zeitschrift Tempo veröffentlichten Text Hollywood bei Nacht hat Erika Mann die „wunderbar schöne Greta Garbo“ als „gar nicht primadonnenhaft gekleidet“ beschrieben. Ihr Haar sei zersaust gewesen und sie habe mit tiefer Stimme und ihrem skandinavischen Akzent vor sich hin gesagt, sie sei so „fuurrschtbar müde“.
Als das Jahr zu Ende ging, nahte das erste Weihnachten, das die Geschwister nicht zu Hause verbringen würden, was ihnen Unbehagen bis hin zu Heimweh bereitete. Gerade Weihnachten war ein Fest, das im Hause Mann auf unvergleichliche und unverzichtbare Weise begangen wurde und auf das sich die Familie schon lange im Voraus freute. Sie waren sich sicher, es würde ihnen fehlen. Und sie würden zu Hause vermisst werden. „Aber dass ihr Weihnachten zurück wäret, wünschte ich doch“, schrieb ihnen der Vater in seinem langen Brief vom 19. Oktober 1927. Stattdessen waren sie nun im Haus von Emil Jannings zu Gast, wo es weniger gediegen und feierlich als laut und glamourös zuging. Außerdem hatte sich ihre finanzielle Situation zugespitzt. Als sie feststellten, dass sie nicht einmal das Geld hatten, um eine Depesche an die Eltern aufzugeben, versetzte ihr Erika kurzerhand das Pelzcape. Sie bekamen dafür so viel, dass sie ihre Weihnachtsbotschaft nach München aufgeben und darüber hinaus für sich noch einige Besorgungen machen konnten. Doch für die Hotelrechnung, die bedrohlich angewachsen war, reichte es nicht. Wieder einmal funktionierte ihre Strategie, hilfesuchende Telegramme in die Welt hinaus zu senden: „Gefällige Redakteure“ und „barmherzige Freunde“ griffen ihnen unter die Arme, so dass wie durch Zauberei eine Summe zusammenkam, die es ihnen ermöglichte, die Hotelrechnung zu begleichen und sich Fahrkarten für die Reise mit dem Pullman-Bus von Los Angeles nach New York zu kaufen.
Für die Heimreise nach Europa hatten sie sich eine besondere Route ausgedacht: Hawaii, Japan, Korea, Russland. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr im Spätsommer 1928 begannen sie mit der Niederschrift ihres gemeinsamen Reiseberichts, für den sie einen Vertrag mit dem S. Fischer Verlag geschlossen hatten. Rundherum erschien bereits Anfang 1929. Ein kurzweiliges munteres Buch zweier junger Reisender, die ihr Staunen nicht verhehlten und ihre Abenteuer sehr pur und direkt wiedergaben. Doch ihre gemeinsamen Berichte beschränkten sich, genau wie Erikas Reportagen, die in dem Sammelband Blitze überm Ozean enthalten sind, nicht nur auf unterhaltsame Anekdoten, sondern enthielten durchaus kritische Betrachtungen des „American Way Of Life“, angefangen bei der großen Armut in den Industriestädten über die Rassentrennung bis hin zur Medienkritik. Doch letztendlich überwog die Begeisterung: Die gigantische Skyline Manhattans ließ sie ins Schwärmen geraten über diese Stadt, deren Schönheit gleichbedeutend war mit Energie. Vom „Negerviertel“ in die „Italienstadt“, vom Chinesischen Theater in die Metropolitan Opera, von der eleganten Fifth Avenue ins Ghetto hatten sie ihre Streifzüge geführt. Dabei entdeckten sie auch ein Künstlerviertel, das Schwabing und Montparnasse zu kopieren schien: Greenwich Village.