Nicolas Mahler: Literaturadaptionen
Die Figuren von Nicolas Mahler haben keine Augen, keine Ohren, keine Münder – aber sie haben zweifellos Charakter. Stets gelingt es Mahler, mit minimalistischen Zeichnungen und marginalem Humor seine wenigen Striche auf den Punkt zu bringen. Dabei pendelt er virtuos zwischen banal, absurd und kafkaesk.
(Preisbegründung Max und Moritz-Preis 2016)
In den letzten Jahren hat der österreichische Zeichner, dessen Comics zur größtmöglichen Abstraktion tendieren, mehrere Adaptionen berühmter deutscher literarischer Texte im Suhrkamp Verlag veröffentlicht. Dass dieses Epizentrum der deutschen Kulturlandschaft nun schon, wenn auch nach literarischen Werken, gezeichnete Comics herausgibt, ist auch als klares Indiz zu lesen, wie sich das Ansehen dieser Kunstform mittlerweile gewandelt hat.
Nicolas Mahler widmet sich in den Adaptionen Werken von Thomas Bernhard, Robert Musil, Frank Wedekind oder Lewis Caroll. Es handelt sich dabei jedoch nicht um klassische Nacherzählungen in einem anderen Medium, sondern eigentlich um Reduktionen auf die Essenz der Texte. Die Comics sollen diesen nicht ersetzen, kein Schüler könnte durch die Lektüre des Comics auf das Werk verzichten, wie es manchmal bei Literaturverfilmungen praktiziert wird.
Bei Thomas Bernhards Alte Meister (2011) verändert sich der Bernhardsche Duktus schon insofern, dass dessen stilbildende Wiederholungen wegfallen. Die Bilder begleiten den auch hier scheinbar unerschöpflichen Redeschwall des gemäldebetrachtenden Musikprofessors Reger im Wiener Kunsthistorischen Museum. Durch Mahlers teilweise dem „gesprochenen“ Dauermonolog wiedersprechende Zeichnungen gewinnt der Text jedoch auch eine zusätzliche Dimension, die einen neuen Einstieg in den Bernhardschen Kosmos ermöglicht.
Noch weiter erscheint Frank Wedekinds Schöpfung in Lulu und das schwarze Quadrat (2014) auf seine Grundzüge verdichtet zu sein. Der Band greift die Grundhandlung der Erdgeist-Dramen auf: Lulu als Anziehungspunkt, an dem die Männer zugrunde gehen, bis sie ihr Ende durch Jack the Ripper findet. Der Text fällt jedoch größtenteils weg, die wenigen bewahrten Zitate erhalten so einen übersteigerten Wert und eine neue Dominanz. Verbunden wird diese Version mit der extremsten Komprimierung von Kunst: dem Schwarzen Quadrat (1915) von Kasimir Malewitsch, in das der Rezipient mögliche Bilder, die im Text eine Rolle spielen, hineininterpretieren kann.
Ganz auf das Geschehen zurückgesetzt, ohne Hintergründe oder Erklärungen, entfaltet Lulu eine unerwartete Komik, die auch aus der körperlichen Unzulänglichkeit und visuellen Austauschbarkeit der gezeichneten und sterbenden männlichen Figuren gegenüber der dominanten Lulu resultiert.
Quellen:
Nicolas Mahler: Alte Meister. Suhrkamp, Berlin 2011.
Nicolas Mahler: Lulu und das schwarze Quadrat. Suhrkamp, Berlin 2014.
Externe Links:
Rezension auf ComicRadioShow zu Alte Meister
Rezension in der Frankfurter Rundschau zu Lulu und das schwarze Quadrat
Weitere Kapitel:
Die Figuren von Nicolas Mahler haben keine Augen, keine Ohren, keine Münder – aber sie haben zweifellos Charakter. Stets gelingt es Mahler, mit minimalistischen Zeichnungen und marginalem Humor seine wenigen Striche auf den Punkt zu bringen. Dabei pendelt er virtuos zwischen banal, absurd und kafkaesk.
(Preisbegründung Max und Moritz-Preis 2016)
In den letzten Jahren hat der österreichische Zeichner, dessen Comics zur größtmöglichen Abstraktion tendieren, mehrere Adaptionen berühmter deutscher literarischer Texte im Suhrkamp Verlag veröffentlicht. Dass dieses Epizentrum der deutschen Kulturlandschaft nun schon, wenn auch nach literarischen Werken, gezeichnete Comics herausgibt, ist auch als klares Indiz zu lesen, wie sich das Ansehen dieser Kunstform mittlerweile gewandelt hat.
Nicolas Mahler widmet sich in den Adaptionen Werken von Thomas Bernhard, Robert Musil, Frank Wedekind oder Lewis Caroll. Es handelt sich dabei jedoch nicht um klassische Nacherzählungen in einem anderen Medium, sondern eigentlich um Reduktionen auf die Essenz der Texte. Die Comics sollen diesen nicht ersetzen, kein Schüler könnte durch die Lektüre des Comics auf das Werk verzichten, wie es manchmal bei Literaturverfilmungen praktiziert wird.
Bei Thomas Bernhards Alte Meister (2011) verändert sich der Bernhardsche Duktus schon insofern, dass dessen stilbildende Wiederholungen wegfallen. Die Bilder begleiten den auch hier scheinbar unerschöpflichen Redeschwall des gemäldebetrachtenden Musikprofessors Reger im Wiener Kunsthistorischen Museum. Durch Mahlers teilweise dem „gesprochenen“ Dauermonolog wiedersprechende Zeichnungen gewinnt der Text jedoch auch eine zusätzliche Dimension, die einen neuen Einstieg in den Bernhardschen Kosmos ermöglicht.
Noch weiter erscheint Frank Wedekinds Schöpfung in Lulu und das schwarze Quadrat (2014) auf seine Grundzüge verdichtet zu sein. Der Band greift die Grundhandlung der Erdgeist-Dramen auf: Lulu als Anziehungspunkt, an dem die Männer zugrunde gehen, bis sie ihr Ende durch Jack the Ripper findet. Der Text fällt jedoch größtenteils weg, die wenigen bewahrten Zitate erhalten so einen übersteigerten Wert und eine neue Dominanz. Verbunden wird diese Version mit der extremsten Komprimierung von Kunst: dem Schwarzen Quadrat (1915) von Kasimir Malewitsch, in das der Rezipient mögliche Bilder, die im Text eine Rolle spielen, hineininterpretieren kann.
Ganz auf das Geschehen zurückgesetzt, ohne Hintergründe oder Erklärungen, entfaltet Lulu eine unerwartete Komik, die auch aus der körperlichen Unzulänglichkeit und visuellen Austauschbarkeit der gezeichneten und sterbenden männlichen Figuren gegenüber der dominanten Lulu resultiert.
Quellen:
Nicolas Mahler: Alte Meister. Suhrkamp, Berlin 2011.
Nicolas Mahler: Lulu und das schwarze Quadrat. Suhrkamp, Berlin 2014.
Externe Links:
Rezension auf ComicRadioShow zu Alte Meister
Rezension in der Frankfurter Rundschau zu Lulu und das schwarze Quadrat