Otto Julius Bierbaum in Mittenwald
Otto Julius Bierbaum wohnt zwischen 1890 und 1893 in München, von wo aus er mehrmals Ludwig Thoma in Finsterwald am Tegernsee besucht. Nach Aufenthalten in Berlin und Südtirol kehrt der Dichter, Journalist und Insel-Herausgeber zusammen mit seiner Frau 1906 wieder nach München zurück und lebt dort weitere zwei Jahre. Sein Zeitroman Prinz Kuckuck. Leben, Taten, Meinungen und Höllenfahrt eines Wollüstlings (1906/07), der Einblick in die Welt der Jahrhundertwende gibt, erzählt von einem Ausflug ins Gebirge: Der junge Henfel darf mit väterlicher Erlaubnis bis nach Mittenwald fahren, „von wo aus die Kletterpartien unternommen werden sollten“, und dabei die familieneigene Kutsche lenken:
Es war eine köstliche, frische, lustige Fahrt, und Henfel hatte das Gefühl, als bliese sie alles aus ihm hinaus, was ihn in der letzten Zeit beengt hatte. Es ging an der dicken Bavaria vorbei, in deren Lorbeerkranze als nicht übles Symbol Hunderte von Spatzen nisteten, und dann auf dem Höhenweg über und entlang der Isar durch Wälder, Wälder, Wälder: immer den Bergen zu, die im Lichte eines wolkenlosen Maitages klargezackt als Ziel winkten, eine herrliche Linie voll Kraft und Schwung und Ausdruck. Wenn Henfel, müde geworden, die Zügel an Christoph abgegeben hatte, saß er, die Arme übereinandergeschlagen, da und bestaunte diesen versteinerten Wellenwurf mit einsaugenden Augen. Das musste eine herrliche wilde Welt sein, da oben in Schnee und Eis. Aber auch schon die Wälder, die herrlichen wilden Wälder! Wie musste es dort brausen und krachen im Sturm, und dann wieder, wenn's stille war – w i e stille musste es dort sein! Sie erschienen ihm unheimlich und verlockend. Seine Fantasie, immer zurückgehalten und bedrängt von einer unausgesetzten Zuflut fremder, einfiltrierter Gedanken, schließlich wie mit einer dicken faulen Laubmasse bedeckt durch eine Last zwar flachen, doch Schicht auf Schicht gehäuften Halbwissens, schoss Keim auf Keim zu berauschenden Einbildungen empor. Er, dem nie das Glück beschieden gewesen war, an Märchen zu glauben, schuf sich an diesem himmlischen Tage selber welche. [...] (Zit. aus: Otto Julius Bierbaum: Prinz Kuckuck. Leben, Taten, Meinungen und Höllenfahrt eines Wollüstlings. Zeitroman. Bd. 1. München u.a. 1907, S. 157, S. 160-167.)
Sekundärliteratur:
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 39, S. 247.
Weitere Kapitel:
Otto Julius Bierbaum wohnt zwischen 1890 und 1893 in München, von wo aus er mehrmals Ludwig Thoma in Finsterwald am Tegernsee besucht. Nach Aufenthalten in Berlin und Südtirol kehrt der Dichter, Journalist und Insel-Herausgeber zusammen mit seiner Frau 1906 wieder nach München zurück und lebt dort weitere zwei Jahre. Sein Zeitroman Prinz Kuckuck. Leben, Taten, Meinungen und Höllenfahrt eines Wollüstlings (1906/07), der Einblick in die Welt der Jahrhundertwende gibt, erzählt von einem Ausflug ins Gebirge: Der junge Henfel darf mit väterlicher Erlaubnis bis nach Mittenwald fahren, „von wo aus die Kletterpartien unternommen werden sollten“, und dabei die familieneigene Kutsche lenken:
Es war eine köstliche, frische, lustige Fahrt, und Henfel hatte das Gefühl, als bliese sie alles aus ihm hinaus, was ihn in der letzten Zeit beengt hatte. Es ging an der dicken Bavaria vorbei, in deren Lorbeerkranze als nicht übles Symbol Hunderte von Spatzen nisteten, und dann auf dem Höhenweg über und entlang der Isar durch Wälder, Wälder, Wälder: immer den Bergen zu, die im Lichte eines wolkenlosen Maitages klargezackt als Ziel winkten, eine herrliche Linie voll Kraft und Schwung und Ausdruck. Wenn Henfel, müde geworden, die Zügel an Christoph abgegeben hatte, saß er, die Arme übereinandergeschlagen, da und bestaunte diesen versteinerten Wellenwurf mit einsaugenden Augen. Das musste eine herrliche wilde Welt sein, da oben in Schnee und Eis. Aber auch schon die Wälder, die herrlichen wilden Wälder! Wie musste es dort brausen und krachen im Sturm, und dann wieder, wenn's stille war – w i e stille musste es dort sein! Sie erschienen ihm unheimlich und verlockend. Seine Fantasie, immer zurückgehalten und bedrängt von einer unausgesetzten Zuflut fremder, einfiltrierter Gedanken, schließlich wie mit einer dicken faulen Laubmasse bedeckt durch eine Last zwar flachen, doch Schicht auf Schicht gehäuften Halbwissens, schoss Keim auf Keim zu berauschenden Einbildungen empor. Er, dem nie das Glück beschieden gewesen war, an Märchen zu glauben, schuf sich an diesem himmlischen Tage selber welche. [...] (Zit. aus: Otto Julius Bierbaum: Prinz Kuckuck. Leben, Taten, Meinungen und Höllenfahrt eines Wollüstlings. Zeitroman. Bd. 1. München u.a. 1907, S. 157, S. 160-167.)
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 39, S. 247.