Ludwig Ganghofer am Achensee
Der bayerische Schriftsteller Ludwig Ganghofer berichtet von seinem Aufenthalt im Hotel Seehof am Achensee, wie er eines Morgens nach einer durchzechten Nacht auf die verrückte Idee kommt, „den Umweg über die vielen Treppen zu sparen und am Blitzableiter zum offenen Fenster meiner Mansarde hinaufzuklettern“, und dabei eine interessante Begegnung hat. Unter der Schar der Hotelgäste befinden sich vier geheimnisvolle Personen, die Ganghofer nie zu sehen bekommt und von denen eine – „in hellen Beinkleidern und blauseidenem Nachthemd – ein gut konservierter Vierziger mit energischem Schauspielerkopf“ – ihn beim Hinaufklettern plötzlich zurechtweist:
Mit beiden Händen seine Hüften fassend, guckte er verwundert drein und fragte in gemütlichem Wiener Dialekt: „Sie? Was machen S' denn da?“
„Eine Turnerübung.“
„Am Blitzableiter?“
Ich hielt es für notwendig, die verwunderliche Sache ein bisschen zu motivieren. „Weil ich unter dem Dach da droben wohne. Der Weg da hinauf ist der nächste in meine Stube.“
Er lachte, streckte den Kopf zum Fenster heraus und sah in die Höhe. „Da haben S' aber noch weit bis auffi. Möchten S' als verständiger Mensch net lieber umkehren?“
„Nein.“
Mit seinen klugen Augen betrachtete er mich forschend, während der Morgenwind die Falten seines blauseidenen Nachthemdes pludern machte. „Sie? Wer san S' denn eigentlich?“
„Gestatte mir, mich vorzustellen: Doktor Ganghofer aus München.“
Mein Name schien ihm eine heitere Verblüffung zu bringen, lachend betonte er meinen Vornamen: „L u d w i g Ganghofer? Der vom Herrgottschnitzer?“
„Zu dienen!“
„Na, so was! Da machen S' aber jetzt augenblicklich, dass Ihnere narrischen Glieder am Boden kommen! Kraxeln S' abi! Flink!“
Der energische Ton dieser Aufforderung reizte meinen Eigensinn. „Haben Sie mir vielleicht was zu befehlen?“
„Noch nicht, aber bald! Wir zwei haben doch Vertrag miteinander gemacht. Ich bin Ihr Direktor Franz Zauner vom Wiener Ringtheater.“ (Zit. aus: Ludwig Ganghofer: Lebenslauf eines Optimisten. Stuttgart 1939, S. 916-919.)
Sekundärliteratur:
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 63f., S. 250.
Weitere Kapitel:
Der bayerische Schriftsteller Ludwig Ganghofer berichtet von seinem Aufenthalt im Hotel Seehof am Achensee, wie er eines Morgens nach einer durchzechten Nacht auf die verrückte Idee kommt, „den Umweg über die vielen Treppen zu sparen und am Blitzableiter zum offenen Fenster meiner Mansarde hinaufzuklettern“, und dabei eine interessante Begegnung hat. Unter der Schar der Hotelgäste befinden sich vier geheimnisvolle Personen, die Ganghofer nie zu sehen bekommt und von denen eine – „in hellen Beinkleidern und blauseidenem Nachthemd – ein gut konservierter Vierziger mit energischem Schauspielerkopf“ – ihn beim Hinaufklettern plötzlich zurechtweist:
Mit beiden Händen seine Hüften fassend, guckte er verwundert drein und fragte in gemütlichem Wiener Dialekt: „Sie? Was machen S' denn da?“
„Eine Turnerübung.“
„Am Blitzableiter?“
Ich hielt es für notwendig, die verwunderliche Sache ein bisschen zu motivieren. „Weil ich unter dem Dach da droben wohne. Der Weg da hinauf ist der nächste in meine Stube.“
Er lachte, streckte den Kopf zum Fenster heraus und sah in die Höhe. „Da haben S' aber noch weit bis auffi. Möchten S' als verständiger Mensch net lieber umkehren?“
„Nein.“
Mit seinen klugen Augen betrachtete er mich forschend, während der Morgenwind die Falten seines blauseidenen Nachthemdes pludern machte. „Sie? Wer san S' denn eigentlich?“
„Gestatte mir, mich vorzustellen: Doktor Ganghofer aus München.“
Mein Name schien ihm eine heitere Verblüffung zu bringen, lachend betonte er meinen Vornamen: „L u d w i g Ganghofer? Der vom Herrgottschnitzer?“
„Zu dienen!“
„Na, so was! Da machen S' aber jetzt augenblicklich, dass Ihnere narrischen Glieder am Boden kommen! Kraxeln S' abi! Flink!“
Der energische Ton dieser Aufforderung reizte meinen Eigensinn. „Haben Sie mir vielleicht was zu befehlen?“
„Noch nicht, aber bald! Wir zwei haben doch Vertrag miteinander gemacht. Ich bin Ihr Direktor Franz Zauner vom Wiener Ringtheater.“ (Zit. aus: Ludwig Ganghofer: Lebenslauf eines Optimisten. Stuttgart 1939, S. 916-919.)
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 63f., S. 250.