Der Dichter im Ambacher Exil: Literarische Zeugnisse

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbthemes/2019/klein/Ambach3_500.jpg
Gasthof Fischmeister an der Seeuferstraße 31 in Ambach.

In der Wohngemeinschaft mit den Bierbichlers sinnt Herbert Achternbusch mal über seine Existenz als „Kaiser von China“ nach, stilisiert und persifliert seine Dichterexistenz und dokumentiert das Treiben rund um das Wirtshaus herum:

Immer wenn sich Barbara auf dem Steg unter meinem Fenster anzieht, kehrt sie mir den Oberkörper zu: dunkle Brustwarzen krönen einen gebräunten Körper. 3 Jahre bin ich nun schon in Ambach und an die dritte Wirtsgeneration wurde die Gastwirtschaft verpachtet. Die Ruffinis sind jetzt dran, zu denen Barbara gehört, einen roten Pulli streift sie über, und den schwarzen Rock hat sie schon an. Wenn sie die Absperrung übersteigt, [...] hebt sie ein Bein hoch, dass selbst ich im zweiten Stock was seh. Gleich wird sie in ihrer Arbeit stehn, gehen und sehen, wie sie zu Rande kommt mit den vielen Bestellungen: 37 große Schweinebraten und 37 kleine Schweinebraten. Ich hab sie gemalt, wie sie durch den Biergarten Segelkuchen balanciert, von Männerblicken begleitet, die als weiße geile Männchen auf ihr herumtanzen, die Blicke.

(Herbert Achternbusch: Das Ambacher Exil. Köln 1987, S. 23.)

Für das Ambacher Exil (1987) bedient er sich seiner beliebten Methode, der Collage. Das erste Kapitel „Ambach“ fügt sich aus tagebuchähnlichen, datierten Notizen zusammen, die das Tagesgeschehen kommentieren. Einen abgeschlossenen Text bildet nur Die Würstelbude. Die Kapitel „FÖHNCHEL“ und „arsch mit ohren“ werden als Bilderzyklen aufgezogen, und „Linz“ und „Punch Drunk“ sind als Dramen gedacht.

Weitere Eindrücke der Aufenthalte im Fischmeister finden sich festgehalten in dem Kapitel „Neues aus Ambach“ im Roman Land in Sicht (1977) – hier begegnet der Autor der vermeintlichen Idylle mit unverkennbarem Zynismus.

Wieder mühe ich mich ab, das Wasser des Starnberger Sees zu erblicken. Wenn die Wellen Heuschrecken wären, gäbe es die großen Uferbäume nicht mehr, die neuen Straßenlampen stünden allein da, die die Dummen der Gemeinde aufstellen ließen, damit sich das sieche Volk, das hierher zur Verjüngung kommt, nicht erfällt, sondern wiederkommt und wieder Geld bringt, damit man die Bäume und das Liebliche vernichten kann mit einer breiten Straße, auf der sich dann noch mehr Siechtum wälzt und alles erstickt.

(Herbert Achternbusch: Land in Sicht. Frankfurt am Main 1977, S. 84.)

Es ist nur eine von vielen Passagen, aus denen klar hervorgeht, wie wenig der Exilant sich seiner Fluchtstätte verbunden fühlt. Heimisch fühlt Achternbusch sich im bergigen Bayerischen Wald, wo er Kindheit und Jugend bei seiner Großmutter verbracht hat. Friedrich Ani nimmt in den letzten zwei Versen seines Gedichts bier beim bierbichler auf Achternbuschs Haltung ironisch Bezug. Voraus geht dieser Pointe ein wenig charmantes Porträt des heißgeliebten Dichtersees:

der starnberger see ist eine galeere
tote rudern unter deck
ihr schweiß schäumt weiß an land
könige in ketten und dichter und fischer und kinder
in sand und tang gefangen
um zu besiegen die sturmflut der sommer die schrecken der städte
gefesselt an riemen schlagen sie den takt der wellen
süd und west und ost und nord
peitschen die ufer foltern den wind jagen die lichter
und singend gegen stege klatscht ihr echo
wir sind die diebe des lichts unsre augen sind steine
unsre herzen krater tiefer als erinnerung
wir können schatten machen aus steinen
tage aus kratern
aber der himmel ist spiegelverkehrt die sonne zersplittert
wir wollen uns wehren
wenn wir dürften würden wir wolken weinen
schwerer als altäre schwärzer als gräber

der starnberger see ist ein wrack
gestrandet an einem tag im regen
niemand der seine sklaven ringen sah mit dem sterben mit dem siegen
niemand der sie siegen sah
könige und dichter fischer und kinder
siegen über die weisen hoch auf den hügeln ringsum
siegen über die schreie der wetter welche unheil schütten
über die dörfer und kähne der männer die den sturm beschworen
und beteten um frieden und fische
und beteten und baten
vergeblich um vergebung
denn an einem großen morgen
wenn die wolken schwerer sind als felsen
wird ein schrei sein
ein heer von schädeln der see
niemand der sie fasst
niemand der den tag begreift
es ist die woche der sieben siegel
am ende blüht ein dorniger busch anstelle des sees
acht blüten hat er und die letzten menschen nennen ihn herbert

(Friedrich Ani: bier beim bierbichler. In: Edwin Kunz: Starnberger Seeflimmern. Fischerhude 2012, S. 72.)

Bei allem Lokalkolorit wehrt sich Achterbusch gegen eine Klassifizierung seiner Beiträge unter dem Heimatgenre:

[W]enn ich mir vorstelle, daß der Reiner Kunze [aus der DDR, Preisträger der Bayerischen Akademie], der jetzt in der Nähe von Passau lebt, in eine Metzgerei geht – da steht er halt drin, kriegt sein Stück Fleisch und dann geht er wieder raus. [...] Aber in ein Geschäft reingehen und spüren, was da alles passiert, das ist für mich Heimat. [...] Sehnsucht nach Heimat? Das ist dann bei mir, vielleicht, Liebe zu dem, was ich kenne. Meine Oma, oder da, wo ich aufgewachsen bin.

(Interview mit Helmut Schödel. In: Schödel, Helmut; Schütte, Wolfram (Hg.): Herbert Achternbusch. München 1984, S. 82.)

Achternbusch dreht also keine „Heimatfilme“ oder schreibt „Heimatbücher“. Er scheibt darüber, was er kennt, was ihn geprägt hat. Das ist kein Bekenntnis, das ist unausweichlich. Achternbusch als Heimatschriftsteller zu bezeichnen liegt dennoch nicht so fern, aber der engere Begriff von Heimat wird bei ihm zur Zielscheibe bissiger Satire und Demontage. Heimat ist eine emotionale Erfahrung, eine Wahrnehmung regionaler Spezifika.

Abschied nimmt Achternbusch schließlich von seinem „Exil“ mit dem Drehbuch zu Oceanstreet (1890). Dies ist der Name, den die Amerikaner der Ringstraße gegeben haben sollen, die um den See herumführt.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Dr. Nastasja S. Dresler

Sekundärliteratur:

Borninkhof, Christoph (1994): Das Selbstlebenschreiben. Studien zum schriftstellerischen Werk Herbert Achternbuschs. Frankfurt am Main.

Pflaum, H. G. (1984): Herbert Achternbusch im Interview mit Hans Günther Pflaum. In: Schödel, Helmut; Schütte, Wolfram (Hg.): Herbert Achternbusch. München.

Schmied, Herbert (2008): Autoren, Bücher, Zeitenwandel. 2000 Jahre literarische Spuren im Raum Starnberg. Starnberg.

Schödel, Helmut (1984): Kommentierte Filmografie. In: Schödel, Helmut; Schütte, Wolfram (Hg.): Herbert Achternbusch. München.

Schweigert, Alfons (2004): Ein bajuwarisch-barocker Provokateur. Der Bürgerschreck Herbert Achternbusch. In: Ders.: Wer auf dem Kopf geht, der hat den Himmel als Abgrund unter sich. Porträts, Streifzüge und Gedankengänge. St. Ottilien.

Quellen:

Herbert Achternbusch: Das Ambacher Exil. Köln 1987.

Ders.: Land in Sicht. Frankfurt am Main 1977.



Verwandte Inhalte