Weimar
Jean Paul und Weimar
Charlotte von Kalb spricht in ihrem Brief an Jean Paul Ende Februar 1796 nur von dem Lob, das seinen Romanen in Weimar zuteilwerde. Doch der Schriftsteller scheint regelrecht auf einen Grund gewartet zu haben, um endlich eine Reise in das literarische Epizentrum dieser Jahre anzutreten. Er bleibt fast einen Monat in Weimar - von Anfang Juni bis Anfang Juli -, besucht Goethe und Schiller, lernt Herder und Charlotte von Kalb persönlich kennen. Vor allem die Damenwelt bezaubert ihn: »Hier sind alle Mädchen schön«.
Nach seiner Rückkehr nach Hof schreibt Jean Paul an Charlotte von Kalb: »der TITAN hat seine Raupenhülse zerrissen«. Tatsächlich stellt dieser Roman einen Reflex auf die Begegnung mit der Weimarer Klassik dar. Im Oktober 1798, kurz nachdem er, mittlerweile in Leipzig wohnend, den ersten Band des TITAN abgeschlossen hat, zieht er nach Weimar um: sein »neues Jerusalem«. Er arbeitet am zweiten Band des TITAN, aber wie immer auch an anderen Projekten, darunter CLAVIS FICHTIANA, eine Auseinandersetzung mit Johann Gottlieb Fichtes Philosophie, die womöglich nur in der Nähe von Fichtes wichtigstem Wirkungsort Jena entstehen konnte.
In den ersten Monaten seiner Weimarer Zeit scheint Jean Paul glücklich über die Wohnort-Wahl. Großes Lob erfährt sogar seine Vermieterin, die schnell begriffen habe, dass ein Vieltrinker wie er auch einen größeren Pisspott benötige. Doch bald nimmt Jean Paul die Stadt als substanzlos wahr. »Weimar hab ich nicht so sehr ausgekernt als ausgehülset«, schreibt er im April 1800. Dem sei auch sein unstetes Leben geschuldet: »Weimar oder vielmehr sein auf ewig zugeschloßnes Haus hat mich zum Ewigen Juden gemacht, der in keiner Stadt lang bleiben kann«.
Als Jean Paul das nächste Mal durch Weimar kommt, hat sich sein Leben grundlegend geändert: Er ist auf Hochzeitsreise - und auf dem Weg nach Meiningen, wo sich das Ehepaar Richter fürs Erste niederlassen wird.
Gasthof Zum Erbprinzen
Als der Komponist Johann Sebastian Bach 1708 nach Weimar übersiedelt, bezieht er mit seiner Frau und deren Schwester ein Haus in der südöstlichen Ecke des Weimarer Marktplatzes, das er bis zu seinem Umzug nach Köthen 1717 bewohnt. 1803 erwirbt der Gastwirt Theodor Johann Michael Braun, der nebenan bereits seit 1749 den Gasthof Zum Erbprinzen betreibt, das Haus und erweitert seinen Betrieb; die vormals getrennten Gebäude werden mittels einer klassizistischen Fassade optisch vereinigt. Das Hotel genießt einen guten Ruf, es gilt als eine der besten Adressen der Stadt.
Auch für Jean Paul ist der Gasthof Zum Erbprinzen die erste Wahl, als er im Juni 1796 seine erste Reise nach Weimar antritt. Weniger aus Spargründen als vielmehr aus guter Gewohnheit geht der Dichter zu Fuß von Hof nach Weimar. Zwei Tage benötigt er für den 100km langen Marsch. Am ersten Abend nächtigt er in Schleiz - und muss die bittere Erfahrung machen, dass man ihm wegen seiner Anreise per pedes kein Zimmer gibt, sondern nur in der Gaststube nächtigen lässt. Damit ihm nicht dasselbe beim Gasthof Zum Erbprinzen passiert, bestellt er sich wenige Kilometer vor Weimar eine Kutsche, damit die Anreise wenigstens zum Schein standesgemäß vonstatten geht. Während er auf diese wartet, schreibt er an seinen Freund Christian Otto (siehe Zitat).
Erst 1925 entdeckt ein Historiker das Hotel als ehemaliges Wohnhaus des Komponisten Johann Sebastian Bach, wenig später wird eine »Bachstube« eingerichtet. Die beginnende Historisierung des Anwesens wird jäh unterbrochen, als bei Bombenangriffen im Februar 1945 der östliche Teil vollständig und der westliche weitgehend zerstört wird. Es folgen Abbruchmaßnahmen, heute befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Bach-Wohnhauses ein Parkplatz (neben Hotel Elephant, Markt 19). Der Verein Bach in Weimar e.V. bemüht sich um eine kulturelle Nutzung des Geländes.
[An Christian Otto]
Mein Bruder,
Aus dem Ort, wo Du so viel Literaturzeitungen bekömmst, schick’ ich Dir nun die illiterarische, daß ich da sitze und schreibe und passe bis die Extrapost-Buzephale - denn der Wirt zum 'Erbprinz' (dahin laß’ alles adressieren und adressiere selber) gäbe mir als einem der Podolatrie Verdächtigen nur das kleinste, wenigstens das höchste Zimmer; welches ich um so mehr behaupten kann, da mir gestern der Schleizer Wirt eben deswegen keine Stube geben wollte als die größte, nämlich die Wirts-Korrelationsstube - da sind. Um 7 Uhr sitz ich in Weimar und schreib an die Kalb. Ich blieb zu Nachts für 18 Groschen in Schleiz und wanderte durch ein Paradies, neben dem an jeder Seite wieder eines aufstieg, bis hierher. Über den Orlagrund gehet keine Schönheit von der Welt - ausgenommen die lebendigen, die in doppeltem Sinn darüber gehen. - Inzwischen gibt’s in der hiesigen Gegend gerade das Gegenteil davon und die Natur brach den Gesichtern ab, was sie den Gefilden zu viel schenkte. Häßlicher als jede Physiognomie ist die des Biers, bloß der Geschmack desselben ist noch abscheulicher als jene. [...] Die Postpferde (auch hab ichs des armen Kerls wegen getan, der unterwegs keinen Kreuzer verzehrte, der nicht vorher in meinem Beutel lag und der auf sieben Tage gemietet nur vier bedurfte) kommen sogleich und ziehen mein froh-banges Herz dem längst ersehnten Eden entgegen. Ich bin
Dein Bruder Richter.
Am Frauenplan
Anfang des 18. Jahrhundert errichtet der Kammerkommissar und Strumpfhändler Georg Caspar Helmershausen an der Südseite des Weimarer Stadtplatzes Am Frauenplan ein langgezogenes, dreistöckiges Mietshaus. 1782 nimmt der Schriftsteller Johann Wolfgang Goethe hier Quartier. Als der Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach das Haus erwirbt, um es Goethe zu übereignen, lässt der Dichter umfangreiche Umbauten im italienischen Stil vornehmen. Bis zu seinem Tod im Jahr 1832 wohnt er hier. Das Gebäude wird nach dem Tod des letzten Goethe-Enkels gegen Ende des 19. Jahrhunderts in ein Museum umgewandelt.
Dass es Jean Paul, als er 1796 erstmals in Weimar zu Besuch ist, zu Goethe drängt, verwundert nicht. Er ist wahrlich nicht der einzige Verehrer des zu dieser Zeit wohl einflussreichsten Literaten. Sowohl DIE UNSICHTBARE LOGE (Leseprobe) als auch seinen zweiten Roman HESPERUS (Leseprobe) hatte er an Goethe geschickt - ohne je eine Antwort zu erhalten. Gegenüber Schiller äußert sich Goethe abfällig über den HESPERUS, der in Weimar ein viel größeres Gesprächsthema darstellt als Goethes WILHELM MEISTER, der im selben Jahr erschienen ist.
Charlotte von Kalb arrangiert schließlich das Treffen. Am 17. Juni 1796 ist sie mit Jean Paul bei Goethe zum Mittagstisch geladen. Die Ostheim - Jean Paul nennt Charlotte von Kalb bei ihrem Mädchennamen - warnt ihren Begleiter ausführlich vor der Eiseskälte des großen Meisters der Klassik. Dessen erstes Wort ist dann auch: »Hm!«, wie Jean Paul in einem Brief berichtet. Biograf Helmut Pfotenhauer schreibt: »Am oberen Absatz eines neopalladianischen Treppenhauses mit der Ildefonso-Gruppe, einer Zeichnung der Medusa Rondanini und einem Deckenfresko der Iris von Heinrich Meyer, auf Goethes Farbenlehre anspielend, wurde der Gast empfangen.« In Jean Pauls Augen vermutlich eine einzige Merkwürdigkeit, die sich in der Person Goethes zunächst bestätigt. Erst als Goethe ein Gedicht liest, meint Jean Paul ein paar Gefühle zu erahnen. Vertraut oder gar innig aber wird diese Bekanntschaft nie werden.
[An Christian Otto]
Gleichwol kam ich mit Scheu zu Göthe. Die Ostheim und jeder malte ihn ganz kalt für alle Menschen und Sachen auf der Erde - Ostheim sagte, er bewundert nichts mehr, nicht einmal sich - jedes Wort sei Eis, zumal gegen Fremde, die er selten vorlasse - er habe etwas steifes reichstädtisches Stolzes - blos Kunstsachen wärmen noch seine Herznerven an (daher ich Knebel bat, mich vorher durch einen Mineralbrunnen zu petrifizieren und zu inkrustieren, damit ich mich ihm etwan im vortheilhaften Lichte einer Statue zeigen könte - (Ostheim räth mir überal Kälte und Selbstbewußtsein an). Ich gieng, ohne Wärme, blos aus Neugierde. Sein Haus [Pallast] frappiert, es ist das einzige in Weimar in italienischem Geschmack, mit solchen Treppen, ein Pantheon vol Bilder und Statuen, eine Kühle der Angst presset die Brust - endlich trit der Gott her, kalt, einsylbig, ohne Akzent. Sagt Knebel z.B., die Franzosen ziehen in Rom ein. »Hm!« sagt der Gott. Seine Gestalt ist markig und feurig, sein Auge ein Licht (aber ohne eine angenehme Farbe) Aber endlich schürete ihn nicht blos der Champagner sondern die Gespräche über die Kunst, Publikum sofort an, und - man war bei Göthe. Er spricht nicht so blühend und strömend wie Herder, aber scharfbestimt und ruhig. Zulezt las er uns - d.h. spielte er uns *) - ein ungedruktes herliches Gedicht vor, wodurch sein Herz durch die Eiskruste die Flammen trieb, so daß er dem enthusiastischen Jean Paul (mein Gesicht war es, aber meine Zunge nicht, wie ich denn nur von weitem auf einzelne Werke anspielte, mehr der Unterredung und des Beleges wegen,) die Hand drükte. Beim Abschied that ers wieder und hies mich wiederkommen. Er hält seine dichterische Laufbahn für beschlossen. Beim Himmel wir wollen uns doch lieben. Ostheim sagt, er giebt nie ein Zeichen der Liebe. 1 000 000 Sachen hab´ ich dir von ihm zu sagen.
Auch frisset er entsezlich. Er ist mit dem feinsten Geschmak gekleidet.
*)Sein Vorlesen ist nichts als ein tieferes Donnern vermischt mit dem leisen Regengelispel: es giebt nichts ähnliches
Schloss Tiefurt
Nach dem frühen Tod ihres Mannes Ernst August II. Constantin von Sachsen-Weimar-Eisenach übernimmt dessen Ehefrau Anna Amalia 1758 die Geschäfte als Vormund ihrer noch minderjährigen Söhne. 1775 gibt sie die Regierung an den gerade 18jährigen Carl August ab, für den sie u.a. Christoph Martin Wieland als Erzieher engagiert hat. Fortan widmet sie sich, als »Herzoginmutter«, wieder der Kultur, dem Mäzenatentum und dem später zum »Musenhof« stilisierten Kreis aus Hofleuten, Staatsdienern, Künstlern und Wissenschaftlern. Eintritt erhält man nicht per Adelstitel, sondern mit Bildung und Intellekt; Bürgerliche werden gleichermaßen zugelassen. Seit den 1780er Jahren trifft man sich vor allem im Schloss Tiefurt, Anna Amalias Sommerresidenz.
Noch bevor er Goethe den ersehnten Besuch Am Frauenplan abstattet, ist Jean Paul, freilich wieder mit Charlotte von Kalb, am 16. Juni 1796 bei Anna Amalia auf Schloss Tiefurt geladen. Das Treffen ist von Herzlichkeit und Respekt geprägt, auf Jean Pauls Seite womöglich zudem von ein wenig Schüchternheit, schließlich lernt er nun erstmals wirklich die Welt des Adels als ebenbürtiger Gesprächspartner kennen. Dem Freund Christian Otto berichtet er am folgenden Tag: »Die Herzogin ist Wielands, und ihr sanftes Tiefurth - ein Lautenzug unter den sonst schreienden englischen Anlagen - beider würdig. Was ich mit ihr gesprochen habe, davon mündlich!« Man darf vermuten, dass Anna Amalia Jean Paul auch von Italien vorgeschwärmt hat - und der Schriftsteller sich dadurch zu den italienischen Landschaften im TITAN inspirieren ließ.
In den folgenden Jahren ist Jean Paul immer wieder in Tiefurt bei der Herzoginmutter zu Gast, jedoch verstirbt Anna Amalia bereits im April 1807.
Windischengasse
Da sein erster Weimar-Besuch im Juni 1796 und auch der zweite im August 1798 recht glücklich und bereichernd verlaufen, übersiedelt Jean Paul im Oktober 1798 ganz in die Stadt der Klassik. Er bezieht eine Wohnung in dem Eckhaus, wo die Windischengasse auf den Markt trifft. Die Nachbarschaft ist ganz nach seinem Geschmack: Auf dem Markt beherbergen die besten Hotels der Stadt - darunter der Gasthof Zum Erbprinzen, wo Jean Paul selbst schon genächtigt hat - berühmte Gäste; nur wenige Meter entfernt wohnt Charlotte von Kalb (heute: Windischenstraße 8), und auch Friedrich Schiller mietet eine Wohnung in der Windischengasse, als er 1799 von Jena nach Weimar umzieht.
In der Wohnung am Markt, die ihm Goethes »Urfreund« Karl Ludwig von Knebel überlässt, beendet Jean Paul die Arbeit am ersten Band seines »Kardinal- und Kapitalromans« TITAN. Noch in Hof lebend, aber bereits unter dem Eindruck seines ersten Weimar-Aufenthalts und der Begegnungen mit Goethe und Schiller, hat er im Juni 1797 daran zu schreiben begonnen. Nun, da er ganz in Weimar lebt, gesellen sich weitere literarische Bekanntschaften hinzu. Die große Enttäuschung ist Friedrich Schlegel, dessen Kenntnisse er schlichtweg »seicht« findet; das Verhältnis zu Ludwig Tieck ist ebenfalls gespannt. Die Romantiker sind in Jean Pauls ironisch-herablassenden Worten bloß eine »neue Sekte«.
Auch das Verhältnis zum weiblichen Geschlecht verläuft während Jean Pauls Weimarer Zeit nicht in geordneteren Bahnen als zuvor, im Gegenteil. Im April 1799 trägt ihm Charlotte von Kalb die Ehe an (und damit auch ihre Scheidung von ihrem bisherigen Mann); im Mai lernt Jean Paul Karoline von Feuchtersleben kennen, mit der er sich noch im Oktober 1799 verlobt - und im Juli 1800 wieder entlobt, kurz nachdem die Eltern einer Heirat zugestimmt haben. Ein Grund dafür ist wohl Karoline Mayer, die Jean Paul im Juni 1800 in Berlin kennenlernt: Der Dichter hat seine zukünftige Ehefrau entdeckt.
Das Haus steht heute noch, die Adresse lautet Windischenstraße 2.
Weitere Kapitel:
Jean Paul und Weimar
Charlotte von Kalb spricht in ihrem Brief an Jean Paul Ende Februar 1796 nur von dem Lob, das seinen Romanen in Weimar zuteilwerde. Doch der Schriftsteller scheint regelrecht auf einen Grund gewartet zu haben, um endlich eine Reise in das literarische Epizentrum dieser Jahre anzutreten. Er bleibt fast einen Monat in Weimar - von Anfang Juni bis Anfang Juli -, besucht Goethe und Schiller, lernt Herder und Charlotte von Kalb persönlich kennen. Vor allem die Damenwelt bezaubert ihn: »Hier sind alle Mädchen schön«.
Nach seiner Rückkehr nach Hof schreibt Jean Paul an Charlotte von Kalb: »der TITAN hat seine Raupenhülse zerrissen«. Tatsächlich stellt dieser Roman einen Reflex auf die Begegnung mit der Weimarer Klassik dar. Im Oktober 1798, kurz nachdem er, mittlerweile in Leipzig wohnend, den ersten Band des TITAN abgeschlossen hat, zieht er nach Weimar um: sein »neues Jerusalem«. Er arbeitet am zweiten Band des TITAN, aber wie immer auch an anderen Projekten, darunter CLAVIS FICHTIANA, eine Auseinandersetzung mit Johann Gottlieb Fichtes Philosophie, die womöglich nur in der Nähe von Fichtes wichtigstem Wirkungsort Jena entstehen konnte.
In den ersten Monaten seiner Weimarer Zeit scheint Jean Paul glücklich über die Wohnort-Wahl. Großes Lob erfährt sogar seine Vermieterin, die schnell begriffen habe, dass ein Vieltrinker wie er auch einen größeren Pisspott benötige. Doch bald nimmt Jean Paul die Stadt als substanzlos wahr. »Weimar hab ich nicht so sehr ausgekernt als ausgehülset«, schreibt er im April 1800. Dem sei auch sein unstetes Leben geschuldet: »Weimar oder vielmehr sein auf ewig zugeschloßnes Haus hat mich zum Ewigen Juden gemacht, der in keiner Stadt lang bleiben kann«.
Als Jean Paul das nächste Mal durch Weimar kommt, hat sich sein Leben grundlegend geändert: Er ist auf Hochzeitsreise - und auf dem Weg nach Meiningen, wo sich das Ehepaar Richter fürs Erste niederlassen wird.
Gasthof Zum Erbprinzen
Als der Komponist Johann Sebastian Bach 1708 nach Weimar übersiedelt, bezieht er mit seiner Frau und deren Schwester ein Haus in der südöstlichen Ecke des Weimarer Marktplatzes, das er bis zu seinem Umzug nach Köthen 1717 bewohnt. 1803 erwirbt der Gastwirt Theodor Johann Michael Braun, der nebenan bereits seit 1749 den Gasthof Zum Erbprinzen betreibt, das Haus und erweitert seinen Betrieb; die vormals getrennten Gebäude werden mittels einer klassizistischen Fassade optisch vereinigt. Das Hotel genießt einen guten Ruf, es gilt als eine der besten Adressen der Stadt.
Auch für Jean Paul ist der Gasthof Zum Erbprinzen die erste Wahl, als er im Juni 1796 seine erste Reise nach Weimar antritt. Weniger aus Spargründen als vielmehr aus guter Gewohnheit geht der Dichter zu Fuß von Hof nach Weimar. Zwei Tage benötigt er für den 100km langen Marsch. Am ersten Abend nächtigt er in Schleiz - und muss die bittere Erfahrung machen, dass man ihm wegen seiner Anreise per pedes kein Zimmer gibt, sondern nur in der Gaststube nächtigen lässt. Damit ihm nicht dasselbe beim Gasthof Zum Erbprinzen passiert, bestellt er sich wenige Kilometer vor Weimar eine Kutsche, damit die Anreise wenigstens zum Schein standesgemäß vonstatten geht. Während er auf diese wartet, schreibt er an seinen Freund Christian Otto (siehe Zitat).
Erst 1925 entdeckt ein Historiker das Hotel als ehemaliges Wohnhaus des Komponisten Johann Sebastian Bach, wenig später wird eine »Bachstube« eingerichtet. Die beginnende Historisierung des Anwesens wird jäh unterbrochen, als bei Bombenangriffen im Februar 1945 der östliche Teil vollständig und der westliche weitgehend zerstört wird. Es folgen Abbruchmaßnahmen, heute befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Bach-Wohnhauses ein Parkplatz (neben Hotel Elephant, Markt 19). Der Verein Bach in Weimar e.V. bemüht sich um eine kulturelle Nutzung des Geländes.
[An Christian Otto]
Mein Bruder,
Aus dem Ort, wo Du so viel Literaturzeitungen bekömmst, schick’ ich Dir nun die illiterarische, daß ich da sitze und schreibe und passe bis die Extrapost-Buzephale - denn der Wirt zum 'Erbprinz' (dahin laß’ alles adressieren und adressiere selber) gäbe mir als einem der Podolatrie Verdächtigen nur das kleinste, wenigstens das höchste Zimmer; welches ich um so mehr behaupten kann, da mir gestern der Schleizer Wirt eben deswegen keine Stube geben wollte als die größte, nämlich die Wirts-Korrelationsstube - da sind. Um 7 Uhr sitz ich in Weimar und schreib an die Kalb. Ich blieb zu Nachts für 18 Groschen in Schleiz und wanderte durch ein Paradies, neben dem an jeder Seite wieder eines aufstieg, bis hierher. Über den Orlagrund gehet keine Schönheit von der Welt - ausgenommen die lebendigen, die in doppeltem Sinn darüber gehen. - Inzwischen gibt’s in der hiesigen Gegend gerade das Gegenteil davon und die Natur brach den Gesichtern ab, was sie den Gefilden zu viel schenkte. Häßlicher als jede Physiognomie ist die des Biers, bloß der Geschmack desselben ist noch abscheulicher als jene. [...] Die Postpferde (auch hab ichs des armen Kerls wegen getan, der unterwegs keinen Kreuzer verzehrte, der nicht vorher in meinem Beutel lag und der auf sieben Tage gemietet nur vier bedurfte) kommen sogleich und ziehen mein froh-banges Herz dem längst ersehnten Eden entgegen. Ich bin
Dein Bruder Richter.
Am Frauenplan
Anfang des 18. Jahrhundert errichtet der Kammerkommissar und Strumpfhändler Georg Caspar Helmershausen an der Südseite des Weimarer Stadtplatzes Am Frauenplan ein langgezogenes, dreistöckiges Mietshaus. 1782 nimmt der Schriftsteller Johann Wolfgang Goethe hier Quartier. Als der Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach das Haus erwirbt, um es Goethe zu übereignen, lässt der Dichter umfangreiche Umbauten im italienischen Stil vornehmen. Bis zu seinem Tod im Jahr 1832 wohnt er hier. Das Gebäude wird nach dem Tod des letzten Goethe-Enkels gegen Ende des 19. Jahrhunderts in ein Museum umgewandelt.
Dass es Jean Paul, als er 1796 erstmals in Weimar zu Besuch ist, zu Goethe drängt, verwundert nicht. Er ist wahrlich nicht der einzige Verehrer des zu dieser Zeit wohl einflussreichsten Literaten. Sowohl DIE UNSICHTBARE LOGE (Leseprobe) als auch seinen zweiten Roman HESPERUS (Leseprobe) hatte er an Goethe geschickt - ohne je eine Antwort zu erhalten. Gegenüber Schiller äußert sich Goethe abfällig über den HESPERUS, der in Weimar ein viel größeres Gesprächsthema darstellt als Goethes WILHELM MEISTER, der im selben Jahr erschienen ist.
Charlotte von Kalb arrangiert schließlich das Treffen. Am 17. Juni 1796 ist sie mit Jean Paul bei Goethe zum Mittagstisch geladen. Die Ostheim - Jean Paul nennt Charlotte von Kalb bei ihrem Mädchennamen - warnt ihren Begleiter ausführlich vor der Eiseskälte des großen Meisters der Klassik. Dessen erstes Wort ist dann auch: »Hm!«, wie Jean Paul in einem Brief berichtet. Biograf Helmut Pfotenhauer schreibt: »Am oberen Absatz eines neopalladianischen Treppenhauses mit der Ildefonso-Gruppe, einer Zeichnung der Medusa Rondanini und einem Deckenfresko der Iris von Heinrich Meyer, auf Goethes Farbenlehre anspielend, wurde der Gast empfangen.« In Jean Pauls Augen vermutlich eine einzige Merkwürdigkeit, die sich in der Person Goethes zunächst bestätigt. Erst als Goethe ein Gedicht liest, meint Jean Paul ein paar Gefühle zu erahnen. Vertraut oder gar innig aber wird diese Bekanntschaft nie werden.
[An Christian Otto]
Gleichwol kam ich mit Scheu zu Göthe. Die Ostheim und jeder malte ihn ganz kalt für alle Menschen und Sachen auf der Erde - Ostheim sagte, er bewundert nichts mehr, nicht einmal sich - jedes Wort sei Eis, zumal gegen Fremde, die er selten vorlasse - er habe etwas steifes reichstädtisches Stolzes - blos Kunstsachen wärmen noch seine Herznerven an (daher ich Knebel bat, mich vorher durch einen Mineralbrunnen zu petrifizieren und zu inkrustieren, damit ich mich ihm etwan im vortheilhaften Lichte einer Statue zeigen könte - (Ostheim räth mir überal Kälte und Selbstbewußtsein an). Ich gieng, ohne Wärme, blos aus Neugierde. Sein Haus [Pallast] frappiert, es ist das einzige in Weimar in italienischem Geschmack, mit solchen Treppen, ein Pantheon vol Bilder und Statuen, eine Kühle der Angst presset die Brust - endlich trit der Gott her, kalt, einsylbig, ohne Akzent. Sagt Knebel z.B., die Franzosen ziehen in Rom ein. »Hm!« sagt der Gott. Seine Gestalt ist markig und feurig, sein Auge ein Licht (aber ohne eine angenehme Farbe) Aber endlich schürete ihn nicht blos der Champagner sondern die Gespräche über die Kunst, Publikum sofort an, und - man war bei Göthe. Er spricht nicht so blühend und strömend wie Herder, aber scharfbestimt und ruhig. Zulezt las er uns - d.h. spielte er uns *) - ein ungedruktes herliches Gedicht vor, wodurch sein Herz durch die Eiskruste die Flammen trieb, so daß er dem enthusiastischen Jean Paul (mein Gesicht war es, aber meine Zunge nicht, wie ich denn nur von weitem auf einzelne Werke anspielte, mehr der Unterredung und des Beleges wegen,) die Hand drükte. Beim Abschied that ers wieder und hies mich wiederkommen. Er hält seine dichterische Laufbahn für beschlossen. Beim Himmel wir wollen uns doch lieben. Ostheim sagt, er giebt nie ein Zeichen der Liebe. 1 000 000 Sachen hab´ ich dir von ihm zu sagen.
Auch frisset er entsezlich. Er ist mit dem feinsten Geschmak gekleidet.
*)Sein Vorlesen ist nichts als ein tieferes Donnern vermischt mit dem leisen Regengelispel: es giebt nichts ähnliches
Schloss Tiefurt
Nach dem frühen Tod ihres Mannes Ernst August II. Constantin von Sachsen-Weimar-Eisenach übernimmt dessen Ehefrau Anna Amalia 1758 die Geschäfte als Vormund ihrer noch minderjährigen Söhne. 1775 gibt sie die Regierung an den gerade 18jährigen Carl August ab, für den sie u.a. Christoph Martin Wieland als Erzieher engagiert hat. Fortan widmet sie sich, als »Herzoginmutter«, wieder der Kultur, dem Mäzenatentum und dem später zum »Musenhof« stilisierten Kreis aus Hofleuten, Staatsdienern, Künstlern und Wissenschaftlern. Eintritt erhält man nicht per Adelstitel, sondern mit Bildung und Intellekt; Bürgerliche werden gleichermaßen zugelassen. Seit den 1780er Jahren trifft man sich vor allem im Schloss Tiefurt, Anna Amalias Sommerresidenz.
Noch bevor er Goethe den ersehnten Besuch Am Frauenplan abstattet, ist Jean Paul, freilich wieder mit Charlotte von Kalb, am 16. Juni 1796 bei Anna Amalia auf Schloss Tiefurt geladen. Das Treffen ist von Herzlichkeit und Respekt geprägt, auf Jean Pauls Seite womöglich zudem von ein wenig Schüchternheit, schließlich lernt er nun erstmals wirklich die Welt des Adels als ebenbürtiger Gesprächspartner kennen. Dem Freund Christian Otto berichtet er am folgenden Tag: »Die Herzogin ist Wielands, und ihr sanftes Tiefurth - ein Lautenzug unter den sonst schreienden englischen Anlagen - beider würdig. Was ich mit ihr gesprochen habe, davon mündlich!« Man darf vermuten, dass Anna Amalia Jean Paul auch von Italien vorgeschwärmt hat - und der Schriftsteller sich dadurch zu den italienischen Landschaften im TITAN inspirieren ließ.
In den folgenden Jahren ist Jean Paul immer wieder in Tiefurt bei der Herzoginmutter zu Gast, jedoch verstirbt Anna Amalia bereits im April 1807.
Windischengasse
Da sein erster Weimar-Besuch im Juni 1796 und auch der zweite im August 1798 recht glücklich und bereichernd verlaufen, übersiedelt Jean Paul im Oktober 1798 ganz in die Stadt der Klassik. Er bezieht eine Wohnung in dem Eckhaus, wo die Windischengasse auf den Markt trifft. Die Nachbarschaft ist ganz nach seinem Geschmack: Auf dem Markt beherbergen die besten Hotels der Stadt - darunter der Gasthof Zum Erbprinzen, wo Jean Paul selbst schon genächtigt hat - berühmte Gäste; nur wenige Meter entfernt wohnt Charlotte von Kalb (heute: Windischenstraße 8), und auch Friedrich Schiller mietet eine Wohnung in der Windischengasse, als er 1799 von Jena nach Weimar umzieht.
In der Wohnung am Markt, die ihm Goethes »Urfreund« Karl Ludwig von Knebel überlässt, beendet Jean Paul die Arbeit am ersten Band seines »Kardinal- und Kapitalromans« TITAN. Noch in Hof lebend, aber bereits unter dem Eindruck seines ersten Weimar-Aufenthalts und der Begegnungen mit Goethe und Schiller, hat er im Juni 1797 daran zu schreiben begonnen. Nun, da er ganz in Weimar lebt, gesellen sich weitere literarische Bekanntschaften hinzu. Die große Enttäuschung ist Friedrich Schlegel, dessen Kenntnisse er schlichtweg »seicht« findet; das Verhältnis zu Ludwig Tieck ist ebenfalls gespannt. Die Romantiker sind in Jean Pauls ironisch-herablassenden Worten bloß eine »neue Sekte«.
Auch das Verhältnis zum weiblichen Geschlecht verläuft während Jean Pauls Weimarer Zeit nicht in geordneteren Bahnen als zuvor, im Gegenteil. Im April 1799 trägt ihm Charlotte von Kalb die Ehe an (und damit auch ihre Scheidung von ihrem bisherigen Mann); im Mai lernt Jean Paul Karoline von Feuchtersleben kennen, mit der er sich noch im Oktober 1799 verlobt - und im Juli 1800 wieder entlobt, kurz nachdem die Eltern einer Heirat zugestimmt haben. Ein Grund dafür ist wohl Karoline Mayer, die Jean Paul im Juni 1800 in Berlin kennenlernt: Der Dichter hat seine zukünftige Ehefrau entdeckt.
Das Haus steht heute noch, die Adresse lautet Windischenstraße 2.