Anita Augspurg in Icking
Die Frauenrechtlerin und Juristin Anita Augspurg verbringt um 1900 regelmäßig die Sommerfrische im Isartal. Gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann baut sie sich das Landhaus Im Wiesel in Irschenhausen, das sie bald vermietet. In der Nähe der Bergwerkstatt Peissenberg bewirtschaftet sie dann mit zwei weiteren weiblichen Angestellten den Siglhof. Schnell wird auch dieses Domizil zu eng und Augspurg und Heymann beziehen 1916 im nahe gelegenen Icking die Burg Sonnensturm. Nach der Inflation in Folge des Ersten Weltkrieges muss die Burg allerdings verkauft werden. Die Verkaufsverhandlungen ziehen sich bis 1924 hin. Zwar steht das Jahr nicht exakt in Erlebtes – Erschautes, aber aus den Unterlagen im Archiv der Gemeinde Icking geht es hervor. Die Flucht vor den Nationalsozialisten müssen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann 1933 antreten:
Im Frühjahr 1916 konnten wir Burg Sonnensturm beziehen. Wie die Chronik zeigt, wohnten der Individualitäten – Zwei- und Vierbeiner – genug unter einem Dach. Die Menschen verstanden sich prächtig bei der Arbeit und in ihrer Zuneigung zu den Tieren, führten aber sonst – d.h. die Hausangestellten, die Gärtnerin mit ihrem Gehilfen und wir – ihr gesondertes privates Eigenleben. Keiner störte den anderen, so ergab sich für alle unter Wahrung aller Eigenart ein harmonisches Leben.
Weder der Betrieb des Siglhofes noch der Aufbau von Burg Sonnensturm waren ein Hindernis für unsere öffentliche Betätigung; im Gegenteil, wir machten die Erfahrung, dass vielseitige private Beschäftigung vor Einseitigkeit und Sterilität im öffentlichen Leben schützt. Neu belebt, mit frischer Kraft kehrten wir stets in die Stadt zurück, sobald politisches Leben sich wieder regte. Dass das keine Täuschung unserseits war, geht schon daraus hervor, dass unsere politischen Mitarbeiter uns damals den Beinamen „die Sonnenstürmer“ gaben, den wir freudig und gern akzeptierten.
Und Burg Sonnensturm gedieh herrlich! Gartenanlagen wuchsen heran, grün berankten sich Turm und Hof, Bäume fingen an, Schatten zu geben, und Fichten Schutz gegen grausige Weststürme, und was der Freuden mehr waren.
Der Weltkrieg ging zu Ende, eine sogenannte Revolution folgte, die erst mit Jubel begrüßt, dann tiefe Enttäuschung brachte! Es kam die Inflation, die trostlosen Jahre der Arbeitslosigkeit, dann der Wahnsinn der Hitlerei.
Durch die Inflation hatten wir bis auf Grundbesitz so ziemlich alles verloren, was wir besaßen, als dann auch noch das Bankgeschäft, wo wir unser laufendes Konto hatten, seine Zahlungen einstellte, waren wir arm wie die Kirchenmäuse; dementsprechend mussten wir handeln. Wir trennten uns von unseren Angestellten. Anitas Pferd, Mutter Suse, Flott und Bürschel waren tot. Mit Hex, Tristan, Isolde und vier Enten hausten wir allein auf Burg Sonnensturm. Es gefiel uns nicht schlecht, aber es ging über unsere körperlichen Kräfte.
Denn, wo anstatt sechs nur zwei Menschen schaffen, zeigt sich das bald. Nicht nur im Garten, sondern auch im Haus bleibt vieles ungepflegt, verkommt, verfällt. Für das, was man selbst geschaffen hat, gibt es nichts Unerträglicheres.
Noch war Burg Sonnensturm seiner wahren Bestimmung, unser Alterssitz zu werden, nicht zugeführt, aber alles war herangewachsen, traut und herrlich stand der Bau da. Da zwangen die Zeitumstände zur Aufgabe auch dieses köstlichen Besitzes. Der Verkauf kam mit viel Ärger und Verlust nach langem Hin und Her zum greifbaren Vorteil der Erwerberin zustande. Durch eine hohe auf dem Grundstück verbleibende Hypothek blieb, so schien es uns damals, eine Verbindung aufrechterhalten. Auch das kam anders. Hitlers Schergen manövrierten die Hypothek aus unserem Besitz in ihren. Nie wurde uns die Auflösung eines Heims so bitter schwer. Bald aber spürten wir deren Vorteile: je weniger Besitz, umso weniger Verantwortung, umso größere Unabhängigkeit, und für die war unser Sinn immer wach. (Zit. aus: Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg: Erlebtes – Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden. 1850-1940. Hg. von Margrit Twellmann. Meisenheim am Glan 1972, S. 66-69, S. 77-79. © Ulrike Helmer Verlag, Frankfurt am Main 1992)
Sekundärliteratur:
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 78f., S. 246.
Weitere Kapitel:
Die Frauenrechtlerin und Juristin Anita Augspurg verbringt um 1900 regelmäßig die Sommerfrische im Isartal. Gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann baut sie sich das Landhaus Im Wiesel in Irschenhausen, das sie bald vermietet. In der Nähe der Bergwerkstatt Peissenberg bewirtschaftet sie dann mit zwei weiteren weiblichen Angestellten den Siglhof. Schnell wird auch dieses Domizil zu eng und Augspurg und Heymann beziehen 1916 im nahe gelegenen Icking die Burg Sonnensturm. Nach der Inflation in Folge des Ersten Weltkrieges muss die Burg allerdings verkauft werden. Die Verkaufsverhandlungen ziehen sich bis 1924 hin. Zwar steht das Jahr nicht exakt in Erlebtes – Erschautes, aber aus den Unterlagen im Archiv der Gemeinde Icking geht es hervor. Die Flucht vor den Nationalsozialisten müssen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann 1933 antreten:
Im Frühjahr 1916 konnten wir Burg Sonnensturm beziehen. Wie die Chronik zeigt, wohnten der Individualitäten – Zwei- und Vierbeiner – genug unter einem Dach. Die Menschen verstanden sich prächtig bei der Arbeit und in ihrer Zuneigung zu den Tieren, führten aber sonst – d.h. die Hausangestellten, die Gärtnerin mit ihrem Gehilfen und wir – ihr gesondertes privates Eigenleben. Keiner störte den anderen, so ergab sich für alle unter Wahrung aller Eigenart ein harmonisches Leben.
Weder der Betrieb des Siglhofes noch der Aufbau von Burg Sonnensturm waren ein Hindernis für unsere öffentliche Betätigung; im Gegenteil, wir machten die Erfahrung, dass vielseitige private Beschäftigung vor Einseitigkeit und Sterilität im öffentlichen Leben schützt. Neu belebt, mit frischer Kraft kehrten wir stets in die Stadt zurück, sobald politisches Leben sich wieder regte. Dass das keine Täuschung unserseits war, geht schon daraus hervor, dass unsere politischen Mitarbeiter uns damals den Beinamen „die Sonnenstürmer“ gaben, den wir freudig und gern akzeptierten.
Und Burg Sonnensturm gedieh herrlich! Gartenanlagen wuchsen heran, grün berankten sich Turm und Hof, Bäume fingen an, Schatten zu geben, und Fichten Schutz gegen grausige Weststürme, und was der Freuden mehr waren.
Der Weltkrieg ging zu Ende, eine sogenannte Revolution folgte, die erst mit Jubel begrüßt, dann tiefe Enttäuschung brachte! Es kam die Inflation, die trostlosen Jahre der Arbeitslosigkeit, dann der Wahnsinn der Hitlerei.
Durch die Inflation hatten wir bis auf Grundbesitz so ziemlich alles verloren, was wir besaßen, als dann auch noch das Bankgeschäft, wo wir unser laufendes Konto hatten, seine Zahlungen einstellte, waren wir arm wie die Kirchenmäuse; dementsprechend mussten wir handeln. Wir trennten uns von unseren Angestellten. Anitas Pferd, Mutter Suse, Flott und Bürschel waren tot. Mit Hex, Tristan, Isolde und vier Enten hausten wir allein auf Burg Sonnensturm. Es gefiel uns nicht schlecht, aber es ging über unsere körperlichen Kräfte.
Denn, wo anstatt sechs nur zwei Menschen schaffen, zeigt sich das bald. Nicht nur im Garten, sondern auch im Haus bleibt vieles ungepflegt, verkommt, verfällt. Für das, was man selbst geschaffen hat, gibt es nichts Unerträglicheres.
Noch war Burg Sonnensturm seiner wahren Bestimmung, unser Alterssitz zu werden, nicht zugeführt, aber alles war herangewachsen, traut und herrlich stand der Bau da. Da zwangen die Zeitumstände zur Aufgabe auch dieses köstlichen Besitzes. Der Verkauf kam mit viel Ärger und Verlust nach langem Hin und Her zum greifbaren Vorteil der Erwerberin zustande. Durch eine hohe auf dem Grundstück verbleibende Hypothek blieb, so schien es uns damals, eine Verbindung aufrechterhalten. Auch das kam anders. Hitlers Schergen manövrierten die Hypothek aus unserem Besitz in ihren. Nie wurde uns die Auflösung eines Heims so bitter schwer. Bald aber spürten wir deren Vorteile: je weniger Besitz, umso weniger Verantwortung, umso größere Unabhängigkeit, und für die war unser Sinn immer wach. (Zit. aus: Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg: Erlebtes – Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden. 1850-1940. Hg. von Margrit Twellmann. Meisenheim am Glan 1972, S. 66-69, S. 77-79. © Ulrike Helmer Verlag, Frankfurt am Main 1992)
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 78f., S. 246.