Frauen
Amöne Herold
Um das Jahr 1790 lernt Fritz Richter den Hofer Textilfabrikanten Johann Georg Herold und dessen Töchter Amöne (*1774) und Karoline (*1779) kennen. Er nimmt die beiden jungen Mädchen in seine »Erotische Akademie« auf, die sich der Erörterung der Geschlechterverhältnisse widmet - mit schriftlich zu beantwortenden »Preisfragen« wie zum Beispiel: »Wie weit darf die Freundschaft gegen das weibliche Geschlecht gehen? Und welcher Unterschied ist zwischen ihr und der Liebe?«.
Spätestens Ende des Jahres 1792 verliebt sich Richter in Amöne. Sie schreibt später über diese Zeit: »Oft, wenn wir uns in der Dämmerstunde um ihn versammelt und er sich und uns mit seinen Phantasien auf dem Klavier in solche wehmütige Stimmung gebracht, daß uns die Tränen über das Gesicht liefen und er vor Rührung nicht weiterspielen konnte, brach er schnell ab, setzte sich zu uns und sprach über seine Zukunft«.
Doch diese Zukunft muss ohne Amöne stattfinden. Im Januar 1793 gesteht Richter ihr seine Liebe - der »merkwürdigste Abend meines Lebens« -, Anfang Februar erteilt sie ihm die denkbar bitterste Absage: Amöne liebt seinen Freund Christian Otto und Christian liebt Amöne. Dass zwei Freunde um dieselbe Frau buhlen, ist in Jean Pauls Romanen dieser Zeit wiederholt Thema, siehe Gustav, Amandus und Beata in DIE UNSICHTBARE LOGE (1793, Leseprobe) oder Viktor, Flamin und Klotilde im HESPERUS (1795, Leseprobe). Jean Paul dreht nun den Spieß um, er verlobt sich noch im August 1793 mit Amönes Schwester Karoline; im Dezember 1794 wird die Verlobung jedoch wieder gelöst. Amöne Herold und Christian Otto heiraten im Juni 1800.
Das literarische Akademie-Training trägt dennoch Früchte. Amöne Otto veröffentlicht ab 1801 erst unter ihren Initialen »A. O.« kleinere Texte in Zeitschriften, darunter eine Teilübersetzung von OSSIAN, dann unter dem - nicht von ihr erfundenen Pseudonym - »Amalie von Obyrn« den Roman ANTONIUS. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1828 bereitet sie die Herausgabe des Briefwechsels zwischen Jean Paul und Christian Otto vor.
Charlotte von Kalb
Charlotte von Kalb (*1761), geborene von Ostheim, heiratet 1783 den Offizier Heinrich von Kalb, doch glücklich wird sie in dieser Ehe nicht. Ab 1784 pflegt sie eine innige Beziehung zu Friedrich Schiller, für den sie sich sogar scheiden lassen will. Auch mit Goethe, Hölderlin, Wieland, Herder und anderen Geistesgrößen der Zeit steht sie in regem Kontakt. Sie ist alles andere als die »Unbekannte«, als die sie sich in ihrem ersten Brief an Jean Paul im Februar 1796 vorstellt.
Das Schreiben ist äußerst schmeichelhaft - ganz Weimar lese und lobe Jean Pauls Romane, suggeriert von Kalb - und erfüllt folglich seinen Zweck: Der Schriftsteller plant sogleich seine erste Reise nach Weimar. Am 11. Juni 1796 kommt er dort an und besucht Charlotte von Kalb noch am selben Abend. Am nächsten Morgen schreibt er an Christian Otto: »Sie hat [...] grosse Augen, wie ich noch keine sah, und eine grosse Seele.« Und fünf Tage später: »Sie ist ein Weib wie keines, mit einem almächtigen Herzen, mit einem Felsen-Ich«. Jean Paul verdankt »der Ostheim« seine ersten Begegnungen mit Herder, mit Goethe und Schiller und mit der Herzogin Anna Amalia.
Die literarischen Verbesserungsvorschläge seiner »Titanide« aber weist der Autor harsch zurück. Charlotte von Kalb erkennt: »Wir sind ihm alle nur Ideen, und als Personen gehören wir zu den gleichgültigsten Dingen.« Trotzdem schlägt sie ihm, als er 1798 erneut in Weimar weilt, eine engere Verbindung vor - Jean Paul berichtet von »Berlepschen Verhältnissen«: »Sie wolte ihre Ehe trennen lassen und eine mit mir anfangen. Jezt hab´ ich alles sanft gelöset« - genau wie bei Emilie von Berlepsch.
Mit der Vermutung, dass sie ihm eine Idee sei, behält Charlotte von Kalb recht. Die Figur der Linda in Jean Pauls Roman TITAN (1800-1803, Leseprobe), der die Weimarer Klassik porträtiert, gleicht ihr bis aufs Haar. Der Jean-Paul-Biograf Helmut Pfotenhauer (Leseprobe) schreibt: »Jean Paul mag Charlotte für seine literarischen Zwecke benutzt haben. Aber nicht jede, kaum je eine Frau, die benutzt wird, erhält ein solches Denkmal.«
[Charlotte von Kalb an Johann Paul Friedrich Richter, Weimar, den 29. Februar 1796]
In den letzten Monaten wurden hier Ihre Schriften bekannt. Sie erregten Aufmerksamkeit, und vielen waren sie eine sehr willkommene Erscheinung. Mir gaben sie die angenehmste Unterhaltung, und die schönsten Stunden der Vergangenheit verdanke ich dieser Lektüre, bei der ich gern verweilte; und in diesem Gedankentraume schwanden die Bildungen Ihrer Phantasie, gleich lieblichen Phantomen aus dem Geisterreiche, meiner Seele vorüber.
Oft ward ich durch den Reiz und Reichtum Ihrer Ideen so innig beglückt! Dankbar ergriff ich die Feder. Aber wie unbedeutend wäre dies Zeichen von einer Unbekannten gewesen! Also untersagte ich mir, an Sie zu schreiben, bis in einer glücklichen Stunde ich Ihr Lob von Männern hörte, die Sie längst kennen und verehren. Dann ward der Vorsatz von neuem in mir rege. Jetzt ist es nicht mehr die einsame Blume der Bewunderung, die ich Ihnen übersende: sondern der unverwelkbare Kranz, welchen Beifall und Achtung von Wieland und Herder Ihnen wand.
Wieland hat vieles im HESPERUS und QUINTUS ausnehmend gefallen; er nennt Sie unsern Yorik, unsern Rabelais. Das reinste Gemüt, den höchsten Schwung der Phantasie, die reichste Laune, die oft in den überraschendsten, anmutigsten Wendungen sich ergießt: dies Alles erkennt er mit innigster Freude in Ihren Schriften.
Juliane von Krüdener
Juliane von Krüdener wird am 22. November 1764 als Beate Barbara Juliane von Vietinghoff in Riga geboren. Ihr Vater, der Deutsch-Balte Otto Hermann von Vietinghoff genannt Scheel, gehört zum Stab von Katharina der Großen. Im Alter von 17 Jahren heiratet Juliane den deutlich älteren russischen Gesandten Burckhard Alexius Constantin von Krüdener, mit dem sie in Venedig, München und Kopenhagen lebt. In St. Petersburg kommt 1784 ihr Sohn Paul zur Welt.
Am 17. August 1796 besucht Juliane von Krüdener, wie immer auf der Durchreise, Jean Paul in Hof. An Friedrich von Oertel schreibt dieser: »Äusserlich ist sie unbedeutend, das klare reine warme Auge ausgenommen, das sich in 5/4 Stunden bei mir so oft in Thränen verklärte«. Der Briefwechsel zwischen Juliane von Krüdener und Jean Paul scheint im Sommer 1797 einzuschlafen; erst 1801 begegnen sich die beiden noch einmal in Berlin.
Nach dem Tod ihres Mannes übersiedelt Juliane von Krüdener 1802 nach Paris. 1803 erscheint ihr Briefroman VALÉRIE, der europaweit zum Bestseller avanciert und wie sein Vorbild WERTHER eine regelrechte Valérie-Mode zur Folge hat, über die sich auch Jean Paul lustig macht: »Die Modehändlerinnen machten Hüte, Guirlanden und Shawls à la Valérie ...«
1804 hat Juliane Krüdener ihr religiöses Erweckungserlebnis. Durfte man sie zuvor noch als frömmelnd bezeichnen, so trägt ihr Pietismus nun ekstatische und prophetische Züge. Der russische Zar Alexander I. schätzt sie dafür: Auf ihr Anraten - Napoleon gilt ihr als Antichrist - schließt er die Heilige Allianz mit Österreich und Preußen.
Ab 1816 reist sie durch Baden, das Elsass und die Schweiz. Vor tausenden von Menschen hält sie mehrere Stunden lange Erweckungsreden. 1818 wird sie deshalb nach Russland abgeschoben. Doch auch der Zar ist mittlerweile von ihr abgerückt. Am 25. Dezember 1824 stirbt sie während einer Reise auf der Krim.
[Juliane von Krüdener an Jean Paul, 27. August 1796]
Auch Sie werden mir unvergeßlich seyn, mehr noch aus dem, was ich sahe, aus dem was ich fühlte, als ich sie sahe; als aus dem, was ich laß, als ich in Ihren Werken so offt mit tiefer Rührung Sie bewunderte: unvergeßlich ist mir die Stunde, wo Ihr Auge, der Ton Ihrer Stimme, daß unbeschreibliche Ganze Ihrer Empfindungen in Ausdruck und ACCENTEN übertragen; mir die schönste der HARMONIEN darstellte - Erckentniß mit Gefühl verbunden - Ich weiß nicht ob ich mich deutlich mache, Sie wißen es wie unvollkommen ich Ihre Sprache besize; Sie werden es aber ahnden was ich dencke, denn ich fühle es mit unbeschreiblicher Zufriedenheit daß Sie mich ganz begreifen können; [...]
Emilie von Berlepsch
Emilie von Berlepsch wird am 26. November 1755 als Dorothea Friderika Aemilia von Oppel in Gotha geboren. 1771 heiratet sie den Juristen Friedrich Ludwig von Berlepsch (1749-1818). Der Beziehung entspringen zwar drei Kinder, doch sie erfüllt weder das neue Ideal der Liebesehe noch Emilies Vorstellungen über die Rechte der Frau.
In den 1780er Jahren veröffentlicht Emilie von Berlepsch, zumeist anonym, Lyrik und Reiseberichte. 1791 erscheint im NEUEN TEUTSCHEN MERKUR ihr Essay UEBER EINIGE ZUM GLÜCK DER EHE NOTHWENDIGE EIGENSCHAFTEN UND GRUNDSÄTZE, in dem sie von den Frauen mehr Selbständigkeit fordert: »Wir müssen alleine stehen lernen! Wir müssen [...] unsern Character in unsern eignen Augen so ehrwürdig machen, daß uns das Urtheil andrer [...] nicht irre machen kann.« Diesen provokanten Aufruf beherzigt nicht zuletzt sie selbst: 1795 lässt sie sich von ihrem Mann scheiden.
Anfang Juli 1797 besucht Emilie von Berlepsch Jean Paul in Hof. Er berichtet: »Die Berlepsch [...] ist moralischer und schöner als die Krüdner und die Kalb, aber nicht so genialisch.« Nach weiteren Treffen schreibt er am 13. August an Christian Otto: »Ach endlich fand ich die erste weibliche Seele, die ich ohne Ecken und Widersprüche genos und die mich und die ich besserte - es ist diese Emilie v. Berlepsch. Sie ist zu edel und volendet, um mit Dinte gelobt zu werden.« Im Dezember 1797 zieht sie ihm hinterher nach Leipzig, wo er seit Oktober lebt. »Ich wurde von keinem Weibe so sehr und so rein geliebt wie von dieser«, schreibt er an Otto. Obwohl sich Jean Paul wiederholt ihrer Besitzansprüche erwehrt, verlobt er sich im Januar 1798 mit ihr - um die Verbindung bereits Ende Februar wieder zu lösen. Wenig später zerbricht die Beziehung endgültig.
Jean Paul lobt Emilie von Berlepsch schließlich doch noch »mit Dinte«: Die Figur der Linda im TITAN (1800-03, Leseprobe) porträtiert nicht nur Charlotte von Kalb, sondern auch Emilie von Berlepsch, die 1804 in einem Brief bestätigt, dass Linda ihr »das liebste, nächste, lebendigste Wesen im ganzen Buch« sei.
[Emilie von Berlepsch an Jean Paul, Weimar, den 23. September 1797]
[...] Ich war einige Stunden bey Herders, und wir sprachen nur von den Kunstwerken in Dresden, und von Ihnen. Fast alles was Herder über sie sagte, freute mich - seinetwegen. Ich sah mit Vergnügen und erhöhter Liebe zu ihm daß er - wenn er nicht durch Kränkungen gereizt worden ist - sehr billig seyn kann. Er sagte mit dem gutmüthigsten Ausdruck: Sie hätten wohl gewis in Deutschland also wahrscheinlich in der Welt nicht Ihresgleichen an Reichthum und Schnellkraft des Geistes, und dabey ein so schönes, reines Herz! Kann man mehr sagen? - Und doch nannte mich die Herdern »Schwärmerin« als ich von Ihnen sprach. Ich muß wohl eine sonderbare Verkehrtheit haben daß ichs nirgends und niemanden recht mache, und daß man von allen Seiten so viel undankbare Mühe anwendet um mich ins Gleichgewicht zu bringen, und mich zu lehren wie man Empfindungen mit gehöriger - Klugheit behandelt! [...]
Karoline von Feuchtersleben
Karoline von Feuchtersleben wird am 12. Oktober 1774 geboren. Ihre Eltern sind Christoph Erdmann Feuchter von Feuchtersleben und seine zweite Frau Rosalie Sophie Marie. Karoline ist das jüngste von neun Kindern. Sie genießt eine sorgfältige Erziehung und hegt großes Interesse für Kunst, Literatur und Theater.
Von ihrem Lehrer stammt der Hinweis auf Jean Pauls Romane. In ihrem Tagebuch verzeichnet Karoline erstmals 1798 ihre Gedanken über diese Lektüre. Im selben Jahr wird sie Hofdame bei Charlotte von Hildburghausen, der Schwester der preußischen Königin Luise. Im Mai 1799 ist Jean Paul in Hildburghausen zu Gast - und verlängert seinen Aufenthalt wegen Karoline. An Christian Otto schreibt er: »Sie ist ein edles, tieffühlendes, mänlich-festes, vom Schiksal verwundetes, ziemlich schönes Mädgen, das mir seine silhouettierte Gestalt und Taille mit einer schwarzen Blumenkette schikte.« Nur fünf Monate später ergreift sie die Initiative, die beiden verloben sich.
Als Jean Paul bei Karolines Mutter - ihr Vater ist 1796 gestorben - vorstellig wird, ist die Familie entsetzt über den Antrag eines Bürgerlichen. Sie stellt zwei Bedingungen: Der Schriftsteller soll seine Finanzen offenlegen - was er umgehend macht. Zudem sollen die Herders sich über das Paar äußern - doch die stehen der Beziehung kritisch gegenüber. Jean Paul ist verstimmt, gibt aber dem befreundeten Ehepaar überraschenderweise recht: Im Mai 1800 löst er die Verlobung. Wenig später schreibt er an Gleim: »Allerdings heirath´ ich jenes Fräulein nicht, das die Herders viel zu partheiisch malen; nicht ihr Stand, sondern moralische Unähnlichkeiten scheiden uns.«
Im Oktober 1817 heiratet Karoline von Feuchtersleben den vier Jahre jüngeren Karl Christoph von Grundherr von Altenthann. Zeit ihres Lebens - sie stirbt 1842 - habe sie ihres früheren Verlobten liebevoll gedacht, berichten Zeitgenossen. Jean Paul dagegen kann sich 1820 nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern.
Sophie Paulus
Sophie Paulus wird am 3. September 1791 in Jena geboren. Ihr Vater ist der Theologieprofessor Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, ihre Mutter Karoline betätigt sich unter dem Pseudonym »Eleutheria Holberg« als Schriftstellerin. Vermutlich auf Drängen von Sophie schreibt Karoline Paulus im Jahr 1811 einen Verehrerinnen-Brief an Jean Paul. Im selben Jahr übersiedelt die Familie nach Heidelberg, da der Vater an die dortige Universität berufen wird.
Sechs Jahre später findet die erste Begegnung mit Jean Paul in Heidelberg statt. Heinrich Paulus lädt zum Abendessen, und an diesem 10. Juli 1817 verdreht die 25-jährige Sophie dem Schriftsteller den Kopf. Während eines Ausflugs küsst Jean Paul die junge Frau »stundenlang«. Seiner Ehefrau berichtet er: »Ich habe seit 10 Jahren nicht so viel und so viele und so jugendlich empfindend geküßt«. Dass er sogleich betont: »aber ich fühlte dabei das Feste und Hohe und Durchwurzelnde der ehelichen Liebe«, nützt freilich wenig. Karoline Richter ist tief verletzt; ihretwegen könne er gleich in Heidelberg bleiben, schreibt sie später.
Im folgenden Jahr weilt Jean Paul erneut in Heidelberg, doch der Reiz ist verflogen. Auch Sophie Paulus sieht sich anderweitig um: Sie verlobt sich mit August Wilhelm Schlegel und heiratet ihn am 30. August 1818. Jean Paul ist entsetzt: Ausgerechnet dieser eitle Mensch, über den sich alle zurecht lustig machen! »Der Vermählring beider ist Glanzsucht; er in seinem Alter will mit einem schönen Klavier-Mädchen, sie mit einem [...] berühmten Ehemännlein prunken«, schreibt er. Zu der von ihm vorhergesagten »Ehe voll paralleler Lobjagden« kommt es jedoch nicht, denn die Beziehung zwischen Sophie und August Wilhelm Schlegel scheitert umgehend. Sophie Paulus, nun »weder Jungfrau, noch Ehefrau, noch Wittwe, noch Liebende, nicht einmal Geliebte« (Jean Paul), lebt fortan zurückgezogen und stirbt am 5. Mai 1847 in Heidelberg.
Weitere Kapitel:
Amöne Herold
Um das Jahr 1790 lernt Fritz Richter den Hofer Textilfabrikanten Johann Georg Herold und dessen Töchter Amöne (*1774) und Karoline (*1779) kennen. Er nimmt die beiden jungen Mädchen in seine »Erotische Akademie« auf, die sich der Erörterung der Geschlechterverhältnisse widmet - mit schriftlich zu beantwortenden »Preisfragen« wie zum Beispiel: »Wie weit darf die Freundschaft gegen das weibliche Geschlecht gehen? Und welcher Unterschied ist zwischen ihr und der Liebe?«.
Spätestens Ende des Jahres 1792 verliebt sich Richter in Amöne. Sie schreibt später über diese Zeit: »Oft, wenn wir uns in der Dämmerstunde um ihn versammelt und er sich und uns mit seinen Phantasien auf dem Klavier in solche wehmütige Stimmung gebracht, daß uns die Tränen über das Gesicht liefen und er vor Rührung nicht weiterspielen konnte, brach er schnell ab, setzte sich zu uns und sprach über seine Zukunft«.
Doch diese Zukunft muss ohne Amöne stattfinden. Im Januar 1793 gesteht Richter ihr seine Liebe - der »merkwürdigste Abend meines Lebens« -, Anfang Februar erteilt sie ihm die denkbar bitterste Absage: Amöne liebt seinen Freund Christian Otto und Christian liebt Amöne. Dass zwei Freunde um dieselbe Frau buhlen, ist in Jean Pauls Romanen dieser Zeit wiederholt Thema, siehe Gustav, Amandus und Beata in DIE UNSICHTBARE LOGE (1793, Leseprobe) oder Viktor, Flamin und Klotilde im HESPERUS (1795, Leseprobe). Jean Paul dreht nun den Spieß um, er verlobt sich noch im August 1793 mit Amönes Schwester Karoline; im Dezember 1794 wird die Verlobung jedoch wieder gelöst. Amöne Herold und Christian Otto heiraten im Juni 1800.
Das literarische Akademie-Training trägt dennoch Früchte. Amöne Otto veröffentlicht ab 1801 erst unter ihren Initialen »A. O.« kleinere Texte in Zeitschriften, darunter eine Teilübersetzung von OSSIAN, dann unter dem - nicht von ihr erfundenen Pseudonym - »Amalie von Obyrn« den Roman ANTONIUS. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1828 bereitet sie die Herausgabe des Briefwechsels zwischen Jean Paul und Christian Otto vor.
Charlotte von Kalb
Charlotte von Kalb (*1761), geborene von Ostheim, heiratet 1783 den Offizier Heinrich von Kalb, doch glücklich wird sie in dieser Ehe nicht. Ab 1784 pflegt sie eine innige Beziehung zu Friedrich Schiller, für den sie sich sogar scheiden lassen will. Auch mit Goethe, Hölderlin, Wieland, Herder und anderen Geistesgrößen der Zeit steht sie in regem Kontakt. Sie ist alles andere als die »Unbekannte«, als die sie sich in ihrem ersten Brief an Jean Paul im Februar 1796 vorstellt.
Das Schreiben ist äußerst schmeichelhaft - ganz Weimar lese und lobe Jean Pauls Romane, suggeriert von Kalb - und erfüllt folglich seinen Zweck: Der Schriftsteller plant sogleich seine erste Reise nach Weimar. Am 11. Juni 1796 kommt er dort an und besucht Charlotte von Kalb noch am selben Abend. Am nächsten Morgen schreibt er an Christian Otto: »Sie hat [...] grosse Augen, wie ich noch keine sah, und eine grosse Seele.« Und fünf Tage später: »Sie ist ein Weib wie keines, mit einem almächtigen Herzen, mit einem Felsen-Ich«. Jean Paul verdankt »der Ostheim« seine ersten Begegnungen mit Herder, mit Goethe und Schiller und mit der Herzogin Anna Amalia.
Die literarischen Verbesserungsvorschläge seiner »Titanide« aber weist der Autor harsch zurück. Charlotte von Kalb erkennt: »Wir sind ihm alle nur Ideen, und als Personen gehören wir zu den gleichgültigsten Dingen.« Trotzdem schlägt sie ihm, als er 1798 erneut in Weimar weilt, eine engere Verbindung vor - Jean Paul berichtet von »Berlepschen Verhältnissen«: »Sie wolte ihre Ehe trennen lassen und eine mit mir anfangen. Jezt hab´ ich alles sanft gelöset« - genau wie bei Emilie von Berlepsch.
Mit der Vermutung, dass sie ihm eine Idee sei, behält Charlotte von Kalb recht. Die Figur der Linda in Jean Pauls Roman TITAN (1800-1803, Leseprobe), der die Weimarer Klassik porträtiert, gleicht ihr bis aufs Haar. Der Jean-Paul-Biograf Helmut Pfotenhauer (Leseprobe) schreibt: »Jean Paul mag Charlotte für seine literarischen Zwecke benutzt haben. Aber nicht jede, kaum je eine Frau, die benutzt wird, erhält ein solches Denkmal.«
[Charlotte von Kalb an Johann Paul Friedrich Richter, Weimar, den 29. Februar 1796]
In den letzten Monaten wurden hier Ihre Schriften bekannt. Sie erregten Aufmerksamkeit, und vielen waren sie eine sehr willkommene Erscheinung. Mir gaben sie die angenehmste Unterhaltung, und die schönsten Stunden der Vergangenheit verdanke ich dieser Lektüre, bei der ich gern verweilte; und in diesem Gedankentraume schwanden die Bildungen Ihrer Phantasie, gleich lieblichen Phantomen aus dem Geisterreiche, meiner Seele vorüber.
Oft ward ich durch den Reiz und Reichtum Ihrer Ideen so innig beglückt! Dankbar ergriff ich die Feder. Aber wie unbedeutend wäre dies Zeichen von einer Unbekannten gewesen! Also untersagte ich mir, an Sie zu schreiben, bis in einer glücklichen Stunde ich Ihr Lob von Männern hörte, die Sie längst kennen und verehren. Dann ward der Vorsatz von neuem in mir rege. Jetzt ist es nicht mehr die einsame Blume der Bewunderung, die ich Ihnen übersende: sondern der unverwelkbare Kranz, welchen Beifall und Achtung von Wieland und Herder Ihnen wand.
Wieland hat vieles im HESPERUS und QUINTUS ausnehmend gefallen; er nennt Sie unsern Yorik, unsern Rabelais. Das reinste Gemüt, den höchsten Schwung der Phantasie, die reichste Laune, die oft in den überraschendsten, anmutigsten Wendungen sich ergießt: dies Alles erkennt er mit innigster Freude in Ihren Schriften.
Juliane von Krüdener
Juliane von Krüdener wird am 22. November 1764 als Beate Barbara Juliane von Vietinghoff in Riga geboren. Ihr Vater, der Deutsch-Balte Otto Hermann von Vietinghoff genannt Scheel, gehört zum Stab von Katharina der Großen. Im Alter von 17 Jahren heiratet Juliane den deutlich älteren russischen Gesandten Burckhard Alexius Constantin von Krüdener, mit dem sie in Venedig, München und Kopenhagen lebt. In St. Petersburg kommt 1784 ihr Sohn Paul zur Welt.
Am 17. August 1796 besucht Juliane von Krüdener, wie immer auf der Durchreise, Jean Paul in Hof. An Friedrich von Oertel schreibt dieser: »Äusserlich ist sie unbedeutend, das klare reine warme Auge ausgenommen, das sich in 5/4 Stunden bei mir so oft in Thränen verklärte«. Der Briefwechsel zwischen Juliane von Krüdener und Jean Paul scheint im Sommer 1797 einzuschlafen; erst 1801 begegnen sich die beiden noch einmal in Berlin.
Nach dem Tod ihres Mannes übersiedelt Juliane von Krüdener 1802 nach Paris. 1803 erscheint ihr Briefroman VALÉRIE, der europaweit zum Bestseller avanciert und wie sein Vorbild WERTHER eine regelrechte Valérie-Mode zur Folge hat, über die sich auch Jean Paul lustig macht: »Die Modehändlerinnen machten Hüte, Guirlanden und Shawls à la Valérie ...«
1804 hat Juliane Krüdener ihr religiöses Erweckungserlebnis. Durfte man sie zuvor noch als frömmelnd bezeichnen, so trägt ihr Pietismus nun ekstatische und prophetische Züge. Der russische Zar Alexander I. schätzt sie dafür: Auf ihr Anraten - Napoleon gilt ihr als Antichrist - schließt er die Heilige Allianz mit Österreich und Preußen.
Ab 1816 reist sie durch Baden, das Elsass und die Schweiz. Vor tausenden von Menschen hält sie mehrere Stunden lange Erweckungsreden. 1818 wird sie deshalb nach Russland abgeschoben. Doch auch der Zar ist mittlerweile von ihr abgerückt. Am 25. Dezember 1824 stirbt sie während einer Reise auf der Krim.
[Juliane von Krüdener an Jean Paul, 27. August 1796]
Auch Sie werden mir unvergeßlich seyn, mehr noch aus dem, was ich sahe, aus dem was ich fühlte, als ich sie sahe; als aus dem, was ich laß, als ich in Ihren Werken so offt mit tiefer Rührung Sie bewunderte: unvergeßlich ist mir die Stunde, wo Ihr Auge, der Ton Ihrer Stimme, daß unbeschreibliche Ganze Ihrer Empfindungen in Ausdruck und ACCENTEN übertragen; mir die schönste der HARMONIEN darstellte - Erckentniß mit Gefühl verbunden - Ich weiß nicht ob ich mich deutlich mache, Sie wißen es wie unvollkommen ich Ihre Sprache besize; Sie werden es aber ahnden was ich dencke, denn ich fühle es mit unbeschreiblicher Zufriedenheit daß Sie mich ganz begreifen können; [...]
Emilie von Berlepsch
Emilie von Berlepsch wird am 26. November 1755 als Dorothea Friderika Aemilia von Oppel in Gotha geboren. 1771 heiratet sie den Juristen Friedrich Ludwig von Berlepsch (1749-1818). Der Beziehung entspringen zwar drei Kinder, doch sie erfüllt weder das neue Ideal der Liebesehe noch Emilies Vorstellungen über die Rechte der Frau.
In den 1780er Jahren veröffentlicht Emilie von Berlepsch, zumeist anonym, Lyrik und Reiseberichte. 1791 erscheint im NEUEN TEUTSCHEN MERKUR ihr Essay UEBER EINIGE ZUM GLÜCK DER EHE NOTHWENDIGE EIGENSCHAFTEN UND GRUNDSÄTZE, in dem sie von den Frauen mehr Selbständigkeit fordert: »Wir müssen alleine stehen lernen! Wir müssen [...] unsern Character in unsern eignen Augen so ehrwürdig machen, daß uns das Urtheil andrer [...] nicht irre machen kann.« Diesen provokanten Aufruf beherzigt nicht zuletzt sie selbst: 1795 lässt sie sich von ihrem Mann scheiden.
Anfang Juli 1797 besucht Emilie von Berlepsch Jean Paul in Hof. Er berichtet: »Die Berlepsch [...] ist moralischer und schöner als die Krüdner und die Kalb, aber nicht so genialisch.« Nach weiteren Treffen schreibt er am 13. August an Christian Otto: »Ach endlich fand ich die erste weibliche Seele, die ich ohne Ecken und Widersprüche genos und die mich und die ich besserte - es ist diese Emilie v. Berlepsch. Sie ist zu edel und volendet, um mit Dinte gelobt zu werden.« Im Dezember 1797 zieht sie ihm hinterher nach Leipzig, wo er seit Oktober lebt. »Ich wurde von keinem Weibe so sehr und so rein geliebt wie von dieser«, schreibt er an Otto. Obwohl sich Jean Paul wiederholt ihrer Besitzansprüche erwehrt, verlobt er sich im Januar 1798 mit ihr - um die Verbindung bereits Ende Februar wieder zu lösen. Wenig später zerbricht die Beziehung endgültig.
Jean Paul lobt Emilie von Berlepsch schließlich doch noch »mit Dinte«: Die Figur der Linda im TITAN (1800-03, Leseprobe) porträtiert nicht nur Charlotte von Kalb, sondern auch Emilie von Berlepsch, die 1804 in einem Brief bestätigt, dass Linda ihr »das liebste, nächste, lebendigste Wesen im ganzen Buch« sei.
[Emilie von Berlepsch an Jean Paul, Weimar, den 23. September 1797]
[...] Ich war einige Stunden bey Herders, und wir sprachen nur von den Kunstwerken in Dresden, und von Ihnen. Fast alles was Herder über sie sagte, freute mich - seinetwegen. Ich sah mit Vergnügen und erhöhter Liebe zu ihm daß er - wenn er nicht durch Kränkungen gereizt worden ist - sehr billig seyn kann. Er sagte mit dem gutmüthigsten Ausdruck: Sie hätten wohl gewis in Deutschland also wahrscheinlich in der Welt nicht Ihresgleichen an Reichthum und Schnellkraft des Geistes, und dabey ein so schönes, reines Herz! Kann man mehr sagen? - Und doch nannte mich die Herdern »Schwärmerin« als ich von Ihnen sprach. Ich muß wohl eine sonderbare Verkehrtheit haben daß ichs nirgends und niemanden recht mache, und daß man von allen Seiten so viel undankbare Mühe anwendet um mich ins Gleichgewicht zu bringen, und mich zu lehren wie man Empfindungen mit gehöriger - Klugheit behandelt! [...]
Karoline von Feuchtersleben
Karoline von Feuchtersleben wird am 12. Oktober 1774 geboren. Ihre Eltern sind Christoph Erdmann Feuchter von Feuchtersleben und seine zweite Frau Rosalie Sophie Marie. Karoline ist das jüngste von neun Kindern. Sie genießt eine sorgfältige Erziehung und hegt großes Interesse für Kunst, Literatur und Theater.
Von ihrem Lehrer stammt der Hinweis auf Jean Pauls Romane. In ihrem Tagebuch verzeichnet Karoline erstmals 1798 ihre Gedanken über diese Lektüre. Im selben Jahr wird sie Hofdame bei Charlotte von Hildburghausen, der Schwester der preußischen Königin Luise. Im Mai 1799 ist Jean Paul in Hildburghausen zu Gast - und verlängert seinen Aufenthalt wegen Karoline. An Christian Otto schreibt er: »Sie ist ein edles, tieffühlendes, mänlich-festes, vom Schiksal verwundetes, ziemlich schönes Mädgen, das mir seine silhouettierte Gestalt und Taille mit einer schwarzen Blumenkette schikte.« Nur fünf Monate später ergreift sie die Initiative, die beiden verloben sich.
Als Jean Paul bei Karolines Mutter - ihr Vater ist 1796 gestorben - vorstellig wird, ist die Familie entsetzt über den Antrag eines Bürgerlichen. Sie stellt zwei Bedingungen: Der Schriftsteller soll seine Finanzen offenlegen - was er umgehend macht. Zudem sollen die Herders sich über das Paar äußern - doch die stehen der Beziehung kritisch gegenüber. Jean Paul ist verstimmt, gibt aber dem befreundeten Ehepaar überraschenderweise recht: Im Mai 1800 löst er die Verlobung. Wenig später schreibt er an Gleim: »Allerdings heirath´ ich jenes Fräulein nicht, das die Herders viel zu partheiisch malen; nicht ihr Stand, sondern moralische Unähnlichkeiten scheiden uns.«
Im Oktober 1817 heiratet Karoline von Feuchtersleben den vier Jahre jüngeren Karl Christoph von Grundherr von Altenthann. Zeit ihres Lebens - sie stirbt 1842 - habe sie ihres früheren Verlobten liebevoll gedacht, berichten Zeitgenossen. Jean Paul dagegen kann sich 1820 nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern.
Sophie Paulus
Sophie Paulus wird am 3. September 1791 in Jena geboren. Ihr Vater ist der Theologieprofessor Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, ihre Mutter Karoline betätigt sich unter dem Pseudonym »Eleutheria Holberg« als Schriftstellerin. Vermutlich auf Drängen von Sophie schreibt Karoline Paulus im Jahr 1811 einen Verehrerinnen-Brief an Jean Paul. Im selben Jahr übersiedelt die Familie nach Heidelberg, da der Vater an die dortige Universität berufen wird.
Sechs Jahre später findet die erste Begegnung mit Jean Paul in Heidelberg statt. Heinrich Paulus lädt zum Abendessen, und an diesem 10. Juli 1817 verdreht die 25-jährige Sophie dem Schriftsteller den Kopf. Während eines Ausflugs küsst Jean Paul die junge Frau »stundenlang«. Seiner Ehefrau berichtet er: »Ich habe seit 10 Jahren nicht so viel und so viele und so jugendlich empfindend geküßt«. Dass er sogleich betont: »aber ich fühlte dabei das Feste und Hohe und Durchwurzelnde der ehelichen Liebe«, nützt freilich wenig. Karoline Richter ist tief verletzt; ihretwegen könne er gleich in Heidelberg bleiben, schreibt sie später.
Im folgenden Jahr weilt Jean Paul erneut in Heidelberg, doch der Reiz ist verflogen. Auch Sophie Paulus sieht sich anderweitig um: Sie verlobt sich mit August Wilhelm Schlegel und heiratet ihn am 30. August 1818. Jean Paul ist entsetzt: Ausgerechnet dieser eitle Mensch, über den sich alle zurecht lustig machen! »Der Vermählring beider ist Glanzsucht; er in seinem Alter will mit einem schönen Klavier-Mädchen, sie mit einem [...] berühmten Ehemännlein prunken«, schreibt er. Zu der von ihm vorhergesagten »Ehe voll paralleler Lobjagden« kommt es jedoch nicht, denn die Beziehung zwischen Sophie und August Wilhelm Schlegel scheitert umgehend. Sophie Paulus, nun »weder Jungfrau, noch Ehefrau, noch Wittwe, noch Liebende, nicht einmal Geliebte« (Jean Paul), lebt fortan zurückgezogen und stirbt am 5. Mai 1847 in Heidelberg.