Freunde

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbthemes/2019/klein/JP_Vogel_500.jpg
Pfarrer Vogel, Gemälde in der Friedhofskirche in Wunsiedel (c) Dr. Peter Seißer/Wunsiedel

Erhard Friedrich Vogel

1776 lernt Jean Paul seinen »ältesten litterarischen Wolthäter«, Erhard Friedrich Vogel (1750-1823), kennen. Vogel ist Pfarrer im Dorfe Rehau (nahe Schwarzenbach an der Saale), später in Arzberg, schließlich Dekan in Wunsiedel. Seine aufgeklärte, orthodoxie-kritische Haltung findet unter Minister Montgelas Anerkennung, der ihn 1811 zum Distriktsschulinspektor beruft.

Auf Jean Pauls Erziehung hat Vogel maßgeblichen Einfluss, zumal er dessen durch die Orthodoxie des Vaters eingeschränkten Horizont erweitert, indem er ihm seine umfangreiche Bibliothek öffnet. Jean Paul liest u.a. Defoes ROBINSON CRUSOE (1718), Gottscheds ERSTE GRÜNDE DER GESAMMTEN WELTWEISHEIT (1733f.), Goethes WERTHER (1774) und Hippels humoristische Romane. Mit 15 Jahren beginnt er in selbst zusammengenähten Studienheften Exzerpte von aktuellen theologischen und philosophischen Büchern und Zeitschriften anzulegen; diese Notiergewohnheit behält er ein Leben lang bei. Sein Interesse an naturwissenschaftlichen Forschungen stillt er an Nicolais ALLGEMEINER DEUTSCHER BIBLIOTHEK (1765-1796), die Vogel abonniert hat.

Vogels Anliegen, in allen Lebensbereichen erziehend und bildend zu wirken, so als Pfarrer, Publizist und Initiator von Lesegesellschaften, macht ihn zum Mentor Jean Pauls, der oft zu ihm kommt, um zu diskutieren und Bücher auszuleihen: »Ihre Bibliothek ist meine Akademie, und ich darf bei allen ihren Büchern Kollegien hören, die ich obendrein gratis bekomme.«

Nach Jean Pauls Schulentlassung 1780 setzt ein intensiver Briefwechsel zwischen ihm und Vogel ein. Vogel nimmt erste Texte von ihm, die teilweise unter dem Pseudonym J. P. F. Hasus erscheinen, in seine Publikationen auf. Von Vogel erhält er zudem den Rat, lieber einen Roman statt nur Satiren zu schreiben. Seine erste Satire, DAS LOB DER DUMHEIT, hat Jean Paul 1782 Vogel nach Rehau zur Begutachtung geschickt.

Erst mit dem Umzug Vogels nach Arzberg 1789 lässt der Kontakt langsam nach. Doch sendet Jean Paul ihm auch noch den HESPERUS (Leseprobe) und das KAMPANER THAL.

[Brief von Erhard Friedrich Vogel an Jean Paul, Arzberg, 24. September 1794, Mittwoch]

Es geht mir mit IHNEN wie es den ersten Christen gieng welche die 2te Zukunft des Meßias nicht erwarten konnten, und daher ungeduldig fragten: Wo bleibt die Verheisung seiner Zukunft? - Oder meinen SIE daß ich mich auch wie diese so leicht zufrieden geben werde, wenn man mir sagen wird 1000 Stunden (damals waren es gar Jahre) sind vor dem Herrn EIN Tag? - Nein! Entweder müssen SIE binnen 8. Tagen erscheinen, nemlich in 8. Kalender Tagen - in ihrer ganzen Glorie u Herrlichkeit - oder ich gehe auch zu den Spöttern über SIE über, und halte SIE wohl gar für den Antichrist.

Johann Samuel Völkel

Als Jean Pauls Vater 1776 nach Schwarzenbach an der Saale berufen wird, besucht Jean Paul erstmals regelmäßig eine öffentliche Schule. Kaplan Johann Samuel Völkel unterrichtet ihn in Philosophie und Geographie; er ist zudem der erste, der ihn mit aufklärerischem Gedankengut in Berührung bringt.

Johann Samuel Völkel (*1748) ist der älteste Sohn des Pfarrers Christoph Adam Völkel und seiner Frau Anna Sibylla, geb. Hoyer. In Lindenhardt südlich Bayreuths geboren, besucht er das Lyzeum in Kulmbach und das Gymnasium in Bayreuth, bevor er 1766 in Erlangen Theologie studiert. Nach der Ordination versieht Völkel seit 1773, zunächst in Vertretung, die Stelle eines Diakons in Schwarzenbach. Zwei Jahre darauf wird er Diakon und fünf weitere Jahre - als Nachfolger von Jean Pauls Vater - Pfarrer. Völkel heiratet im Sommer 1775 Margaretha Amöna Grimm aus Regnitzlosau; aus der Ehe gehen neun Kinder hervor. Nach dem Kindbetttod seiner ersten Frau heiratet er im Sommer 1794 Sophia Heinrietta Maria Kaiser aus Hof. Er stirbt vor der Geburt seiner Tochter aus dieser Ehe am 15. Januar 1795.

In den Mittagsstunden, die Jean Paul mit Völkel, dem Kollegen und Freund seines Vaters, verbringt, wird er mit den Werken Gottscheds, Nösselts und J. F. W. Jerusalems vertraut. Vor allem übt er sich in der freien Formulierung seiner Gedanken (siehe »Dritte Vorlesung« in der SELBERLEBENSBESCHREIBUNG, Audio). Auch später wird Völkel für Jean Paul wichtig, wenn es um die Auseinandersetzung in philosophischen Fragen geht: Im Juli 1790 disputiert er mit seinen Freunden Wernlein und Völkel schriftlich über das Thema der reinen Liebe (»Es giebt keine eigennüzige Liebe, sondern nur eigennüzige Handlungen«). In seiner Zeit als Privatlehrer in Schwarzenbach unterrichtet Jean Paul schließlich Völkels Söhne Karl und Emil.

1786 veröffentlicht Völkel eine volkspädagogische Aufsatz- und Satirensammlung (MIXTUREN FÜR MENSCHENKINDER AUS ALLEN STÄNDEN), in denen sich auch einige Beiträge Jean Pauls unter Pseudonym finden.

[Johann Samuel Völkel, Schwarzenbach, 21. Januar 1786, Sonnabend]

Werthester Freund

Ob ich gleich an dem lezten und ersten Wochentag doppelt ungern schreibe: so erhalten Sie hier doch einen Brief, um Ihnen zu zeigen, daß wiederholte Satiren dennoch Eindruk auf mich machen können. Was müssen Sie für ein Mann sein, der Unmöglichkeiten möglich machen kann! Wenigstens also in Zukunft, belieben Sie statt »das ist unmöglich!« höchstens »schwer« zu sezzen denn es würde doch auch alsdenn noch in meiner Gewalt stehen, Sie Lügen zu strafen.

Adam Lorenz von Oerthel

Jean Paul lernt Johann Adam Lorenz von Oerthel (1763-1786) wie seine übrigen Freunde Hermann und Otto während der Zeit am Hofer Gymnasium kennen. Oerthel, dessen Eltern ein Rittergut in Töpen bewohnen, ist Jean Pauls vertrautester Freund und Korrespondent der damaligen Zeit: »Einziger Freund meiner Seele, der mich am besten kent« - so emphatisch lautet einmal seine Anrede. Nicht umsonst geht der erste erhaltene Brief Jean Pauls aus dem Jahr 1780 an Oerthel.

Der empfindsame, für Natur und Kunst schwärmende neuadlige Kaufmannssohn wird für Jean Paul insofern wichtig, als jener ihn an seiner ersten Liebe, der Beziehung zu Beata von Spangenberg, Anteil nehmen lässt und ihn bei seinem ersten Romanversuch ABELARD UND HELOISE (1781) inspiriert. So fließen im Roman Oerthels Berichte über seine von einem Nebenbuhler bedrohte Liebe ein. Da Jean Paul in der Liebe noch unerfahren ist, greift er neben Lektüreeindrücken auf Oerthels eigene Gefühlserlebnisse zurück. Umso schmerzhafter trifft es ihn, als Oerthel am 13. Oktober 1786 im Alter von nur 23 Jahren - angeblich in seinen Armen - stirbt.

In ihren Briefen haben sich beide immer wieder als Tote angesprochen, sogar die Publikation von Oerthels Briefen nach dessen Tod hat Jean Paul zum Spaß angekündigt. So gesehen liegt der Korrespondenz mit Oerthel genau das zugrunde, was Jean Paul später einmal »literarische Konjekturen« nennt: In fiktiven Vorausgriffen schreibt er Leben und Tod vorweg, um ihren Unwägbarkeiten und Schrecken vorzubeugen.

1786/87 zieht Jean Paul schließlich nach Töpen, um eine Hofmeisterstelle auf dem Rittergut der Familie seines früh verstorbenen Freundes anzutreten. Mit Hingabe widmet er sich der Erziehung von dessen jüngerem Bruder, Christian Adam von Oerthel (*1775). Am 3. September 1792 stirbt jedoch auch dieser »geliebte Eleve« vorzeitig an den Blattern.

[Johann Adam Lorenz von Oerthel, Töpen, nach dem 6. und vor dem 25. Februar 1786]

Lieber Richter!

Frage mich zehnmal ob ich es noch bin und ich werde Dir alzeit antworten müssen: ich weis es nicht. Wie glüklich wären die Erwachsenen, wenn SIE immer zu sich sagen könnten wir sind es noch, nemlich Kinder! Meine Schwester die Ewigkeit erzog mich zu meinen iezigen Zustande der so glorreich für sie ist, der mich über die Thiere erhebt und Reflexionen machen läst die beruhigend sind, nicht für mich, sondern für meine Schwester. Gottliche Tugend was bist du bei einem kränkelnden Körper, wenn du schon bei einer zarten aber doch schmerzenfreien Hülle wegen der dir anklebenden Delikatesse die angenehmen Empfindungen durch unangenehme aufwiegen lässest. Doch was sage ich gottliche Tugend! Die Götter haben keine Tugend, sonst wären sie was - wir sind. Vielleicht auch das. Vielleicht doch nur vielleicht ist es schwerer Mensch als Gott zu sein.

Johann Bernhard Hermann

Am 9. Januar 1782 beginnt der Briefwechsel zwischen Jean Paul und Johann Bernhard Hermann (1761-1790): »Ich bin des Teufels, wenn ich nicht einmal deinen ganzen Karakter in einen Roman pflanze«, schreibt er sechs Jahre später an den Jugendfreund. Tatsächlich sind mehrere Romanfiguren nach dessen Vorbild geformt: Leibgeber im SIEBENKÄS (Leseprobe), Schoppe im TITAN (Leseprobe), Vult in den FLEGELJAHREN (Leseprobe). Selbst in den BIOGRAPHISCHEN BELUSTIGUNGEN plant Jean Paul, Hermann namentlich einzuführen.

Wie Oerthel und Otto besucht Hermann mit Jean Paul das Hofer Gymnasium, die Eltern sind arme Tuchmacher genau wie Jean Pauls Großeltern mütterlicherseits. In Leipzig besucht Hermann als Theologiestudent die gleiche Universität, wechselt dann aber zum Medizinstudium, das er in Erlangen und Göttingen absolviert. Aus Erlangen berichtet er Jean Paul, wie er zum ersten Mal gegen Entgelt an einem Kursus für Hebammenkunst teilgenommen hat. Als »unwissender Mensch« empfindet er Ekel und Scham bei der Erkundung weiblicher Genitalien.

Trotz Geldmangels arbeitet Hermann auf seinen Abschluss hin und schreibt populärwissenschaftliche Werke: UEBER DIE ANZAHL DER ELEMENTE (1786) und UEBER FEUER, LICHT UND WÄRME (1787). Die Hoffnung, seinen Lebensunterhalt durch Buchhonorare aufzustocken, geht aber nicht auf. Um der Not zu entgehen, macht er wilde Pläne; er will Mönch werden, nach Ostindien gehen und sich als Soldat anwerben lassen.

In der Beziehung zu Hermann ist Jean Paul lange Zeit der Werbende. Aus eigener Erfahrung kann er die materielle Not des Freundes zutiefst nachempfinden. Von seinen Gläubigern wegen Überschuldung gesucht, flieht Jean Paul am 12. November 1784 aus Leipzig und muss sich zur Tarnung Hermanns Papiere ausleihen.

Bei Hermann klagt Jean Paul über Krankheiten und diskutiert über die Wechselwirkung von Seele und Leib. Wenige Wochen nach ihrem letzten Briefwechsel, am 3. Februar 1790, stirbt Hermann in Göttingen, wahrscheinlich an Lungenschwindsucht. Nach seinem Tod wird Christian Otto Jean Pauls engster Freund.

[Brief an Jean Paul von Johann Bernhard Hermann, Erlangen, 7. Mai 1788, Mittwoch]

Du weißt, daß ich noch so rein u. unschuldig als ein Kind von 2 Monathen bin [...] in Ansehung des weiblichen Geschlechts; [...] Ich bin noch immer unwissender Mensch, für den du dich selbst auszugeben pflegst, u. der du es auch vielleicht wirklich bist [...] Kurze merke dir den Tag, da ich das erstemal das Vergnügen hatte, es war Dienstag, der 6 May, Abends zwischen 4 u 5 Uhr [...]. - Ja du hättest mich sehen soll[en], wie mir hiebey zu Muthe war, wie ich es gerne für Schaam u. aus einer gewissen Art Eckel noch länger aufgeschoben hätte, aber ich durfte mich es vor den Commilitonen nicht einmal merken lassen, daß ich ganz unwissend hierinnen wäre, u. was halfs mit feuerrothem Gesicht wagte ichs, u. es gelang mir, besser als ich gewünscht haben würde, wenn mir so viel Zeit dazu übrig gelassen worden wäre. Wie wird mirs gehen, wenn ich einmal bey meiner Frau mit dem eilften Finger touchiren soll. - Wenn auf eben die Art schäckerhaftes Lachen, u. die schaamvolleste Ernsthaftigkeit auf eine noch nie empfundene u. geglaubte Art verbunden ist, so komt der dumste Junge von der Welt auf die Welt.

Christian Otto

Zu den engen Freunden Jean Pauls aus der Hofer Gymnasialzeit gehört neben Adam Lorenz von Oerthel und Johann Bernhard Hermann sein Mitschüler und späterer Kommilitone Georg Christian Otto (1763-1828). Otto, wie Jean Paul Sohn eines Geistlichen, studiert in Leipzig und Erlangen Jurisprudenz; danach tritt er in die juristische Kanzlei seines Bruders in Hof ein und kümmert sich um die Unternehmungen der elterlichen Familie. Am 30. Juni 1800 heiratet er Jean Pauls Jugendfreundin Amöne Herold, mit der er nach Bayreuth zieht. Nachdem seine Versuche, den Lebensunterhalt mit wissenschaftlicher Arbeit zu verdienen, nicht fruchten, nimmt er ab 1802 die Stelle eines Quartiermeisters in einem nahe Bayreuth gelegenen preußischen Infanterieregiment an. Im Zuge der Schlacht von Jena und Auerstedt (1806) wird Otto Privatsekretär des Prinzen Wilhelm von Preußen und macht als solcher 1807 den ostpreußischen Feldzug mit, bevor er 1808 unversehrt nach Bayreuth zurückkehrt. Dort lebt er bis zu seinem Tode, nur einmal von einem öffentlichen Amt in München unterbrochen.

Otto ist selbst schriftstellerisch und publizistisch tätig. U.a. unter dem Pseudonym »Georgius« veröffentlicht er Aufsätze und Schriften zu juristischen, zeitgeschichtlichen und historischen Themen, aber auch aus dem Gebiet der Ökonomie und Finanzpolitik. Literarisch bedeutsam sind seine Bemühungen um Jean Pauls Nachlass. Von Otto rührt z.B. die Anordnung der SELINA (1827) her; 1826-28 gibt er das erste, zweite und dritte Heft der WAHRHEIT AUS JEAN PAUL´S LEBEN heraus, worin die SELBERLEBENSBESCHREIBUNG, ein »Vita-Buch« sowie diverse Briefe, Notizen und andere Quellentexte zu Jean Pauls Biografie enthalten sind. Sein eigener wichtiger Briefwechsel mit Jean Paul wird ab 1829 in vier Bänden von Ernst Förster herausgegeben.

Persönlich stehen sich Otto und Jean Paul sehr nahe. Ab 1790 wird Otto sein engster literarischer Gewährsmann, der alle neuen Manuskripte, die er kenntnisreich lektoriert, als erster zu sehen bekommt. Jean Paul erwähnt ihn auch in einigen seiner Werke; die KONJEKTURAL-BIOGRAPHIE wendet sich direkt an ihn.

[Georg Christian Otto, Hof, 23. und 24. Juli 1790, Freitag und Sonnabend]

Lieber Freund!

Zwei Recensenten, ich meine zwei Beulen, die sich an meinem rechten Arm angesezzet haben, verhindern mich selbst ein Recensent zu sein. Wenn dies nicht wäre, wollte ich Dir durch ein Beispiel noch deutlicher und zum Uiberfluß beweißen, daß ich mich gar zu keinem Recensenten schikke. Zu dießem Beweiß müste ich aber nicht bei deinen zwei leztern mir überschikten Aufsäzzen [...] stehen bleiben, sondern dein ganzes Buch zur Hand nehmen, um einige Wendungen, die deiner mündlichen Aussprache und der Unterstüzzung Deines ganzen Gebehrdenspiels zu bedürfen scheinen, und um einige Ausdrückke u sich selbst ähnliche Redensarten zu tadeln, auf die Du dem Leser, bei deiner reichen Originalität, ohne Noth und ohne daß du es selbst willst, durch öftere Wiederholung zu großen Werth zu sezzen scheinst. Uibrigens würde ich nicht nur das ganze Buch u besonders die zwei leztern Aufsäzze recht sehr loben. Zur Rechtfertigung von dem erstern würde ich nichts anführen können, als ein dunkles vielleicht irriges Gefühl, das mir nach dem Lesen zurükgeblieben ist u von dem mir niemals eingefallen ist mir selbst Rechenschaft zu geben, das also noch eines berichtigenden Urtheils bedarf u das, wie Du siehst, deiner Originalität [...] eher zum Irreführen als zum Meilenzeiger dienen könnte.

Emanuel Osmund

Jean Pauls wichtigster Vertrauter neben Christian Otto ist sein Freund Emanuel (1766-1842). Den jungen jüdischen Kaufmann lernt er auf Vermittlung Renate Wirths hin im September 1793 in Bayreuth kennen. Emanuel gehört zu den angesehensten Einwohnern der Stadt; seit einem antisemitischen Übergriff im selben Jahr durch zwei Offiziere, die ihn mit dem Säbel zurichten, »daß er alle Besinnungskraft verlor«, ist er schwerhörig.

Emanuel wird als Sohn eines Hausierers in Altenkunstadt im Hochstift Bamberg geboren. Seine orthodoxe jüdische Lebensweise behält er zeitlebens bei, auch gegenüber Nachfragen Jean Pauls verteidigt er seine Religion. Im Zuge des bayerischen Judenedikts von 1813, das Juden vorschreibt, einen Familiennamen anzunehmen, wählt Emanuel im August 1814 den Nachnamen Osmund (dt. »Beschützer«); der Name geht auf einen Vorschlag Jean Pauls zurück.

Durch umsichtiges Wirken vermehrt Emanuel seinen Besitzstand: er kauft und verkauft Grundbesitz und verwaltet Güter. 1815 kauft er dem verschuldeten Friedrich Wilhelm von Aufseß dessen Rittergüter in der Fränkischen Schweiz ab. Da Emanuel als Jude nicht die mit Rittergütern verbundene Gerichtshoheit ausüben darf, gehören ihm diese nur dem Papiere nach. Tatsächlich bleiben seine Rechtsverhältnisse unsicher: 1820, als er seine Güter an einen preußischen Hauptmann verkauft, zahlt dieser die vereinbarten Raten nicht mehr mit dem Hinweis, Emanuel dürfe als Jude in Bayern kein Rittergut besitzen.

Für Jean Paul übernimmt Emanuel eine vielfältige Rolle. Beide tauschen sich über literarische, ästhetische und religiöse Fragen aus, wobei auch Dinge des täglichen Lebens, angefangen von Schreibfedern und Papier bis hin zu Kleidung, Nahrungsmitteln und Geldzahlungen, mit einbezogen werden. Während der Coburger und Meininger Jahre wird Emanuel Jean Pauls Spediteur großer Biermengen aus Bayreuth. Auch in finanzieller Not reicht er Jean Paul »wie ein Gott die Arme«, oder er hilft ihm bei der Wohnungssuche. 1802 wird er Pate von dessen erster Tochter Emma.

Über 1000 Billette und Briefe von Jean Paul an Emanuel sind erhalten.

[Emanuel an Jean Paul, 13. Mai 1804, Bayreuth]

Mein alter Richter!

Drei Wohnungen sind zu haben; möchten Sie nicht die Güte haben, zwei davon selber zu besehen? und was wir sonst sind und haben?

Gutes Bier haben wir. Sonst - wir sterben nicht zu zeitig; auch nicht zu spät. Wir sind nicht ganz gut, aber auch nicht ganz bös. Wir sind nicht ganz gescheidt, aber auch nicht ganz dumm. Wir zeichnen uns eigentlich dadurch aus, daß wir uns in nichts auszeichnen. Unser Klima ist mittelmäßig; so auch unser Land, unsre Landschaft, unsre Gestalt, unsre Verfassung, unsre Lebensgenüsse, unsre Preise, unsre Einkünfte; kurz wir stehen nicht zwischen dem was wir thun, lassen, haben und sein sollen; sondern zwischen dem war wir thun, lassen, haben und sein können: unser Charakter ist Mittelmäßigkeit.

Sie haben zwei Menschen hier - was wollen Sie mehr? Kommen Sie, mein Richter! im Juli kommt auch Thieriot zu Euerm

Emanuel.

Paul Emil Thierot

Zu den wichtigen Briefpartnern Jean Pauls während der Bayreuther Zeit zählt Paul Emil Thieriot (1780-1831). Thieriot ist nicht nur Musiker, sondern hat auch literarische Ambitionen. Über die erste Begegnung mit ihm am 2. November 1797 in Leipzig schreibt Jean Paul an Otto: »Noch um 8 Uhr kam zu mir ein Mensch ohne Hut, mit straubigem Haar, aphoristischer Stimme und Rede, frei und sonderbar [...] und machte den beschwerlichen Sonderling, weil er mich für einen hielt.«

Thieriot, der aus einer vornehmen in Leipzig ansässigen Hugenottenfamilie stammt, hat klassische Philologie studiert, beginnt aber den Eltern zuliebe ein Jurastudium, das er zugunsten der Musik aufgibt. Er wird Geigenvirtuose; seine Konzertreisen führen ihn durch Deutschland und Österreich, dazwischen studiert er in Paris. 1804 wird er als Solist und stellvertretender Musikdirektor eines Privatorchesters in Offenbach angestellt. Hier lernt er seine spätere Frau, die Musiklehrerin Eva Hoffmann, kennen. 1808 begibt er sich in die Schweiz, um in Pestalozzis Erziehungsinstitut in Yverdon pädagogisch zu arbeiten. 1818 wird er Lehrer für alte Sprachen in Wiesbaden.

Genial und von unstetem Lebenswandel, wird aus Thieriot ein lebenslanger Freund Jean Pauls, der ihn in väterlicher Zuneigung einmal sein »viertes Kind« nennt. Er unterstützt dessen dichterische Versuche, indem er Redakteuren, aber auch Freunden gegenüber Thieriots Texte empfiehlt. An Otto am 22.11.1801: »Von Thieriot, dem herlichen Kopf, lese doch im Merkur 1800 die Exzerpte, und Reminiszenzen, und Apologen.«

Nach Jahren des Beratens und Lenkens begreift Jean Paul jedoch, dass er Thieriot nicht wirklich weiterhelfen kann: »Leider wird es mit dem guten Thieriot so bleiben, daß alle seine vielen starken Pferde teils hinter, teils vor, teils neben dem Wagen gespannt sind und er nach allen Seiten hinfährt« (an den gemeinsamen Freund Emanuel, 12.4.1816).

Als Kritiker neuer Literatur und Ansprechpartner in humoristischen Fragen schätzt Jean Paul Thieriot jedenfalls sehr. Dieser besucht ihn in Weimar, Berlin, Meiningen, Coburg und vor allem in Bayreuth.

[Paul Emil Thieriot an Jean Paul, Bayreuth, 30. Oktober 1803]

Mein geliebter Richter! Denn nur hassen und lieben, tadeln und loben kann man Sie: aber nur der Haß und der Tadel sind laut, das Lob ist leise und die Liebe heimlich. So ists nämlich bei mir. - Der Wechsel, der Bestand im Wechsel, das Schwimmen ist das Leben. Das andere ist das Baden in der Wanne oder Butte. Aber Ihr seid selber ein Brunnen. - Leben Sie wohl Bester, und verachten Sie nicht Leute, die keine Enzyclopädisten sind aus dem guten Grund, weil sie die Sache (die Einteilungen der Wissenschaft) zu willkürlich finden, und wenn Willkür gelten soll, lieber die eine oder die andere Wissenschaft noch dazu erfinden. Wenn Sie wieder meinen Mut anfechten: so will ich Sie erstechen.

Heinrich Voß

Seit Ende November 1816 steht Jean Paul mit Heinrich Voß d. J. (1779-1822) brieflich in Kontakt. Heinrich Voß ist der Sohn des bekannten Idyllendichters und Homer-Übersetzers Johann Heinrich Voß (1751-1826) und seit 1807 Professor für Philologie in Heidelberg. Am 12. Mai kündigt Jean Paul seinen Besuch in Heidelberg an; er bittet Voß ihm ein Quartier zu besorgen: »wenn möglich, ohne besondern Lärmen in der Morgenschlafstunde, die für mich mehr Gold im Munde hat als die Wachstunde.« In Heidelberg hat Jean Paul Umgang mit Voß, den Professoren Hegel, Schwarz, Paulus, Thibaut, Creuzer, Daub und anderen.

Heinrich Voß ist in Eutin aufgewachsen und hat in Halle und Jena Theologie und Philologie studiert. Nach zwei Jahren in Weimar im Umkreis Goethes wird er im Herbst 1806 zum Philologieprofessor in Heidelberg berufen. Dort beschäftigt er sich mit der Übersetzung der Werke Shakespeares und antiker Autoren - in starker Konkurrenz zu August Wilhelm Schlegel (1767-1845), den er mit anderen Zeitgenossen kritisiert. An Jean Paul schreibt Heinrich Voß, Schlegel wolle in der Dichtung nur das Nervlose, was dann auch seine »mühsam hervorgedrückten und dann zierlich geleckten Poesien beweisen«. Im Juli 1816 übersendet er Jean Paul den 3. Band seiner Shakespeare-Übersetzung.

Für diesen wird Voß ein immer enger werdender Freund und Vertrauter; er löst Christian Otto als literarischen Ratgeber und Nachlassverwalter ab. Voß korrigiert die Manuskripte des KOMET (Band 1 bis 3, Leseprobe). Am 26. Oktober 1822 stirbt Heinrich Voß völlig überraschend. Jean Paul: »Nun ist meinem dürftigen Lebens Spätjahre auch mein Voß genommen, und auf dem kurzen Wege, den ich noch über der Erde zu gehen habe, kann mir kein Freund mehr begegnen von solcher überschwenglicher Liebe [...]. Noch die letzten matten dämmernden Stunden mühete er sich an der Korrektur des Kometen ab; und ich konnt ihm nichts dafür thun und geben, dem bis in den Tod treuen Herzen.«

Den KOMET vermag Jean Paul daraufhin nicht mehr weiterzuschreiben. Nach dem Tod von Sohn Max ist dies der zweite große Schicksalsschlag in Jean Pauls Alter.

[Heinrich Voß an Jean Paul, Heidelberg, 14. Juni 1817]

Heute sind es vier Wochen, daß ich Ihren Brief empfing, hochverehrter Mann, und mit ihm die Jubelnachricht, die sich wie ein Lauffeuer durch die Stadt verbreitete. Sie wollten bald nachkommen, versprachen Sie, und Sie sind noch nicht hier. Nicht ein einziges mal, wenn eine Post oder Diligence von Würzburg komen sollte, unterließ ichs, Ihnen entgegen zu gehen. Sie recht böser theurer Mann, daß Sie so auf sich warten lassen [...]. Um Gottes Willen bleiben Sie nicht weg, Sie dürfen nicht, können nicht, und dürfen durchaus nicht wollen wollen, auch wenn Sie wollten.

Ein Zimmer hab´ ich Ihnen gemiethet [...]. Sie werden im goldenen Hecht wohnen, im dritten Stock, eine Aussicht genießen über den Neckar und nach dem Schloß auf der Nord- und auf der Ostseite. [...] Sie wohnen hier ruhig, und haben den schönsten Spazirgang Heidelbergs dicht vor der Hausthür. [...] - Freiheit sollen Sie genug haben, den ganzen Morgen, aber des Nachmittags u. Abends wollen wir Sie auch recht ehrlich quälen - mit Liebe. Und wollen Sie auch des Morgens gequält sein, so kanns auch geschehen [...].

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Dr. Peter Czoik & Katrin Schuster