Natur und Landschaft
Empfindsamkeit
Mit Empfindsamkeit ist ein gesteigertes, - als Reaktion zur rationalen Aufklärung - positiv bewertetes und genossenes Fühlen bezeichnet, das sich in deutschsprachigen literarischen Texten ab 1740 gattungsübergreifend abzeichnet. In der Lyrik entsprechen diesem wirkungsästhetischen Konzept die Oden und Hymnen Klopstocks, im Drama Rührendes Lustspiel und Bürgerliches Trauerspiel, in der Prosa die Romane von Gellert und Sophie von La Roche. Goethes WERTHER (1774) treibt es auf einen ersten radikalen Höhepunkt. Zu den typischen empfindsamen Verhaltensweisen gehören u.a. Naturschwärmerei, Freundschaftskult und Seelenliebe.
Jean Paul hat den Anschluss an die Empfindsamkeit bewusst gesucht. Sein erster Roman ABELARD UND HELOISE (1781), eine Nachahmung von WERTHER und Millers SIEGWART, ist dafür ein Beispiel, wenngleich er kritisch urteilt: »bei vielem empfindet man nichts, eben weil es ser - empfindelnd sein solte.« Das Personal spaltet sich in die durch gemeinsames Fühlen Verbundenen und in die Vertreter der Hofwelt, die die Empfindsamen mit Spott begleiten; Empfindsamkeit und Tugend werden zudem gleichgesetzt.
Im HESPERUS (1795, Leseprobe) hat Jean Paul den Empfindsamkeitsdiskurs weitergetrieben. Nicht allein, weil das Rührselige und die Trennung und Vereinigung von Personen neu aufgelegt werden würde - das Sentimentale findet einen neuen, in der deutschen Sprache bisher unbekannten Ton: »Gefühlsexzess wird zum Sprachexzess« (Helmut Pfotenhauer, Leseprobe).
Während sein Romanzeitgenosse August Lafontaine (1758-1831) die Muster der Empfindsamkeit naiv reproduziert, geht Jean Paul artifiziell-spielerisch damit um: So wird die Höhepunktszene des 44. Hundposttages mit der Bitte eingeleitet, man möge es dem Erzähler verzeihen, »daß er in diesem Kapitel der Liebe feuriger und angenehmer« sei »als je« »und überhaupt jetzo schreibt, als wär´ er besessen«. Auf die Gefahr hin, dass empfindsames Schreiben abgleiten könne in bloße Sentimentalität, gibt sich der Erzähler bewusst ironisch. »Jean Paul gelingt damit das Kunststück, sentimental zu sein und gleichzeitig auch wieder nicht.« (Jürgen Viering)
[Jean Paul, HESPERUS, 44. Hundposttag]
- O ihr zwei endlich beglückten, nebeneinander knienden guten Seelen! wie unglücklich muß ein Mensch sein, der ohne eine Träne der Freude - oder wie glücklich einer, der ohne eine Träne der Sehnsucht euch sehen kann jetzo stumm und weinend einander in die Arme fallen - nach so vielen Losreißungen endlich verknüpft - nach so vielen Verblutungen endlich geheilt - nach tausend, tausend Seufzern doch endlich beglückt - und unaussprechlich beglückt durch Herzenunschuld und durch Seelenfrieden und durch Gott! - Nein, ich kann heute meine nassen Augen nicht von euch wenden - ich kann heute die andern guten Menschen nicht anschauen und abzeichnen - sondern ich lege meine Augen mit den zwei Tränen, die der Glückliche und der Unglückliche hat, fest und sanft auf meine zwei stillen Geliebten im dunkeln Zimmer, wo einmal der Hauch der Harmonikatöne ihre zwei Seelen wie Gold- und Silberblättchen aneinanderwehte.
Naturschilderungen
In seinen Dichtungen macht Jean Paul keinen Hehl daraus, dass viele seiner üppigen Landschaftskulissen seiner Fantasie entsprungen sind, wiewohl er selbst ein begeisterter Reisender ist, der die Orte aufsucht. Für ihn sind Landschaften mehr als nur Reiseeindrücke: »Aus den Landschaften der Reisebeschreiber kann der Dichter lernen, was er in den seinigen - auszulassen habe.« Landschaft ist so gesehen »Natur«, die der Mensch genießt, um ganz er selbst (als Teil dieser »Natur«) zu sein. Vorbilder für Jean Pauls poetische Landschaftsmalerei sind z.B. Goethes Werther (1774) oder Jacobis Woldemar (1779): ersterer ist Ausdruck des tiefen inneren Zusammenhangs zwischen der Natur und dem Göttlichen, letzterer verbindet empfindsame Freundschaft und Liebe untrennbar mit dem Schauplatz des Parks.
Im WUTZ kann man den ersten Naturschilderungen Jean Pauls, die mehr »Wortopern und Metapherngebirge« sind (Helmut Pfotenhauer, Leseprobe), nachspüren: »Da er immer kurz vor und nach Sonnen-Untergang ein gewisses wollüstiges trunknes Sehnen empfunden hatte [...]: so zauderte er mit seiner Landung in Auenthal so lang´, bis die zerfließende Sonne durch die letzten Kornfelder vor dem Dorfe mit Goldfäden, die sie gerade über die Ähren zog, sein blaues Röckchen stickte und bis sein Schatten an den Berg über den Fluß wie ein Riese wandelte. Dann schwankte er unter dem wie aus der Vergangenheit herüberklingenden Abendläuten ins Dorf hinein und war allen Menschen gut«. Und von Lilienbad, dem Lustort bei Auenthal, heißt es in der UNSICHTBAREN LOGE (Leseprobe): »Wir brachen auf und gingen in diesen fließenden Himmel hinein [...]. An dieser Dunst-Kugel oben zeichnete sich die Sonne wie eine erblassende Nebensonne hinein; endlich verlief sich der weiße Ozean in lange Ströme - auf den Wäldern lagen hangende Berge, jede Tiefe deckten glimmende Wolken zu, über uns lief der blaue Himmelzirkel immer weiter auseinander, bis endlich die Erde dem Himmel seinen zitternden Schleier abnahm und ihm froh ins große ewige Angesicht schauete -«. Die Landschaft ist zu einer ins Übersinnliche und Überanschauliche gesteigerten literarischen Natur geworden.
[Jean Paul, VORSCHULE DER ÄSTHETIK, Zweite Abteilung, § 80 (Poetische Landschaftmalerei)]
Die Landschaften der Alten sind mehr plastisch; der Neuern mehr musikalisch, oder, was am besten ist, beides. Goethens beide Landschaften im Werther werden als ein Doppelstern und Doppelchor durch alle Zeiten glänzen und klingen. Es gibt Gefühle der Menschenbrust, welche unaussprechlich bleiben, bis man die ganze körperliche Nachbarschaft der Natur, worin sie wie Düfte entstanden, als Wörter zu ihrer Beschreibung gebraucht; und so findet man es in Goethe, Jacobi und Herder. Auch Heinse und Tieck, jener mehr plastisch, dieser mehr musikalisch, griffen so in die unzähligen Saiten der Welt hinein und rührten gerade diejenigen an, welche ihr Herz austönen.
Aviatik
Das Zeitalter Jean Pauls ist besessen von der Eroberung des Luftraums: 1783 steigen die Gebrüder Montgolfier in Paris erstmals mit einem Heißluftballon in die Lüfte und lösen damit eine neue Ära der Fortbewegung aus; 1808 führt der Schweizer Erfinder Jakob Degen im Wiener Prater seinen Flugapparat vor, in dem er selbst mit Muskelkraft Schlagflügel bewegt. Jean Paul reagiert auf diese technischen Neuerungen - neben einem eigenen Aufsatz über Degen - literarisch mit zwei Erzählungen: DAS KAMPANER TAL (1797) sowie DES LUFTSCHIFFERS GIANNOZZO SEEBUCH (1801, Leseprobe) als zweiter Anhangband zum TITAN (Leseprobe).
Im KAMPANER TAL bringt der Autor Fliegen und Fantasie zusammen. Am Schluss des Textes unternehmen die Figuren einen nächtlichen Flug mit einer Montgolfière, den Jean Paul mit poetischen Bildern beschreibt: »wie wir stiegen, verlängerten sich die schwarzen Waldungen zu Gewitterwolken und die beschneieten beglänzten Gebirge zu lichten Schneewolken - die auftreibende Kugel flog mit uns vor die stummen Blitze des Mondes, der wie ein Elysium unten im Himmel stand, und in der blauen Einöde wurden wir von einem gaukelnden Sturm gleichsam in die nähere schimmernde Welt des Mondes geblendet gewiegt... und dann wurd´ es dem leichtern Herz, das hoch über dem schweren Dunstkreis schlug, als flatter´ es im Äther und sei aus der Erde gezogen, ohne die Hülle zurückzuwerfen.«
Hier ist der Blick noch frei für erhabene Gefühle. Anders dagegen in GIANNOZZOS SEEBUCH, wo ausschließlich aus der Vogelperspektive heraus erzählt wird und der freie Blick von oben die Welt auf erbarmungslose Weise ausleuchtet. »Siechkobel« nennt Giannozzo sein Luftschiff. Die Liste der Klagen über den Zustand der Welt und ihre Menschen ist lang: So prangert Giannozzo die Aufgeblasenheit der Obrigkeit an, die Wortkargheit der Deutschen, den Kitsch romantischer Liebe, bürgerliche Gewinnsucht und Kriegslust, den vorgetäuschten Tiefsinn im Lehrbetrieb und vieles mehr. Ironischerweise will der Luftschiffer die Welt verändern - ein Versuch, der scheitert, zumal er in ein Unwetter gerät und abstürzt, seine Augenbrauen »kahl weggebrannt«, Arm und Unterkiefer weggerissen.
[Jean Paul, DES LUFTSCHIFFERS GIANNOZZO SEEBUCH, 6. Fahrt]
Viertehalbtausend Fuß tief rannte die weite Erde - ich glaubte festzuschweben - unter mir dahin, und ihr breiter Teller lief mir entgegen, worauf sich Berge und Holzungen und Klöster, Marktschiffe und Türme und künstliche Ruinen und wahre von Römern und Raubadel, Straßen, Jägerhäuser, Pulvertürme, Rathäuser, Gebeinhäuser so wild und eng durcheinander herwarfen, daß ein vernünftiger Mann oben denken mußte, das seien nur umhergerollte Baumaterialien, die man erst zu einem schönen Park auseinanderziehe.
Auf der Fläche, die auf allen Seiten ins Unendliche hinausfloß, spielten alle verschiedenen Theater des Lebens mit aufgezogenen Vorhängen zugleich - einer wird hier unter mir Landes verwiesen - drüben desertiert einer, und Glocken läuten herauf zum fürstlichen Empfang desselben - hier in den brennend-farbigen Wiesen wird gemähet - dort werden die Feuersprützen probiert - englische Reuter ziehen mit goldnen Fahnen und Schabaracken aus - Gräber in neun Dorfschaften werden gehauen - Weiber knien am Wege vor Kapellen - ein Wagen mit weimarschen Komödianten kommt - viele Kammerwagen von Bräuten mit besoffnen Brautführern - Paradeplätze mit Parolen und Musiken - hinter dem Gebüsche ersäuft sich einer in einem tiefen Perlenbach, nach dem dabei zusehenden Kniegalgen zu urteilen [...] - Gott weiß, welcher gewaltige böse oder gute Geist hier in dieser stillen Höhe dem Treiben grimmig-grinsend oder weinend-lächelnd zusieht und die Tatzen ausstreckt oder die Arme, und ich frage eben nichts nach ihm...
Reisen
Viele der Jean Paulschen Figuren sind auf Reisen. Gustav in der UNSICHTBAREN LOGE reist nach Ober- und Unterscheerau und geht nach Auenthal und Lilienbad. Im HESPERUS reist Viktor nach Kussewitz, der seltsamen Insel der Vereinigung; Siebenkäs (im gleichnamigen Roman) wandert von Kuhschappel zu seinem Freund Leibgeber nach Bayreuth. Und im TITAN begibt sich Albano auf eine große Italienreise. Gereist wird zu Fuß, in der Kutsche oder - wie Giannozzo - im Ballon. Das KAMPANER TAL, KATZENBERGER, SCHMELZLE und GIANNOZZO (Leseprobe) sind nichts als Reiseerzählungen.
In seinen Reisetexten verwendet Jean Paul ein Motiv, das in der Art von Sternes SENTIMENTAL JOURNEY (1768) funktioniert, um menschliche Charaktere darzustellen, Satiren auf die Menschheit zu schreiben oder über die Natur des Menschen generell zu sinnieren. Im Mittelpunkt der Sätze steht immer wieder das Missverhältnis zwischen dem Romanhelden und der höfischen Gesellschaft, woraus Jean Paul den Gegensatz zwischen Gesellschaft und Natur entwickelt: Der herrschaftlichen Selbstdarstellung begegnet er mit der Empfindung des Erhabenen angesichts der Unendlichkeit der Welt.
Dabei spielt der Autor auch mit der Ungeduld des Lesers, wenn er die Handlung zugunsten einer ausführlich geschilderten Kutschenfahrt aufgibt und mit viel humoristischen Einsprengseln kommentiert. In DR. KATZENBERGERS BADEREISE (1809) beispielsweise sucht Katzenberger per Zeitungsannonce einen Mitreisenden für seine Kutschenfahrt nach Maulbronn, um die Kosten für die Kutsche zu reduzieren. Der Zweck der Reise ist es, den Brunnenarzt Strykius, einen Rezensenten seiner Werke, zu verprügeln. Außerdem will Katzenberger der Gefahr entgehen, dass er Pate der Freundin seiner Tochter werden muss. Schließlich findet sich jemand, der mit Vater und Tochter mitreisen will. Gleich zu Beginn stellt Jean Paul all das in Aussicht, um den Fortlauf der Handlung immer wieder zu verzögern. Die Kapitel sind entsprechend überschrieben mit »Fortsetzung der Abreise durch Fortsetzung des Abschieds«, »Fortgesetzte Fortsetzung der Abreise« und »Beschluß der Abreise«.
[Jean Paul, DIE UNSICHTBARE LOGE, Vorredner in Form einer Reisebeschreibung]
Ich wollte den Vorredner anfangs in Sichersreuth oder Alexandersbad bei Wonsiedel verfertigen, wo ich mir das Podagra wieder in die Füßen hinunterbaden wollte, das ich mir bloß durch gegenwärtiges Buch zu weit in den Leib hinaufgeschrieben. Aber ich habe mir meinen Vorredner, auf den ich mich schon seit einem Jahre freue, aus einem recht vernünftigen Grunde bis heute aufgespart. Der recht vernünftige Grund ist der Fichtelberg, auf welchen ich eben fahre. - Ich muß nun diese Vorrede schreiben, damit ich unter dem Fahren nicht aus der Schreibtafel und Kutsche hinaussehe, ich meine, damit ich die grenzenlose Aussicht oben nicht wie einen Frühling nach Kubikruten, die Ströme nach Ellen, die Wälder nach Klaftern, die Berge nach Schiffpfunden, von meinen Pferden zugebröckelt bekomme, sondern damit ich den großen Zirkus und Paradeplatz der Natur mit allen seinen Strömen und Bergen auf einmal in die aufgeschlossene Seele nehme. - Daher kann dieser Vorredner nirgends aufhören als unweit des Ochsenkopfs, auf dem Schneeberg.
Wetter
Beobachtung und Vorhersage des Wetters gehören zu den 'wissenschaftlichen' Marotten Jean Pauls. 1816 veröffentlicht er in Cottas MORGENBLATT den Aufsatz »Der allzeit fertige oder geschwinde Wetterprophet«, 1823 erscheint dann eine sechsmonatige »mehr als wahrscheinliche« Wetterprophezeiung in der Zeitung. Viele seiner Besucher berichten von seinen Mutmaßungen über das Wetter und den dafür vorgesehenen Einrichtungen, wie dem Halten von Laubfröschen und dem Einsatz von Barometern. 1860 erscheint posthum sogar ein populärwissenschaftliches Handbuch zum Wetter, DIE NATÜRLICHEN UND KÜNSTLICHEN WETTERPROPHETEN, »bereichert durch die werthvollsten Beiträge des unsterblichen Dichters und begeisterten Naturfreundes Jean Paul Friedrich Richter«.
Was heute etwas skurril wirkt, ist damals Teil einer romantischen Naturphilosophie. Diese geht dahin, Naturgeschehnisse nicht bloß als Mixtur mechanischer, chemischer oder biologischer Gesetze plus Zufall zu begreifen, sondern als sinnhaften Prozess, worin sich die Naturseele kundtue. Natur- und Menschenseele funktionieren vor diesem Hintergrund gewissermaßen analog, was zur Folge hat, dass intuitives Wissen über die Natur durch Analyse der eigenen Wahrnehmungs- und Seelenvorgänge gewonnen werden könne.
Jean Pauls Beobachtungen bewegen sich - trotz ihres spekulativen Anteils - auf diesem Terrain. Zugleich betreibt er, so der Germanist Helmut Pfotenhauer (Leseprobe), einen übersteigerten, an keine Vernunftpraxis mehr gebundenen »Hang zum Vorausschreiben«. Im Abspann seiner »mehr als wahrscheinlichen Prophezeiung« schreibt Jean Paul - nicht ohne einen Schuss Selbstironie -, er habe die Bayreuther Welt mit seinen Wetterprognosen »beschenkt«, was diese aber nicht genug »durch aufmerksames Lesen und Behalten« belohnt habe, weshalb er nun zur Strafe seine »Äquinoktialbeobachtungen« für sich behalte.
[Jean Paul, SIEBENKÄS, 16. Kapitel]
Gegen das Ende der Woche ändert sich außer dem Beichtkinde und dem Kirchengänger auch das Wetter, und der Himmel und die Menschen wechseln da Hemden und Kleider. Es war Sonnabends und wolkig. Im feuchten Wetter geht es an unsern Gehirnwänden zu wie an Zimmerwänden, deren Papiertapeten es einsaugen und sich zu Wolken aufrollen, bis das trockne Wetter beide Tapezierungen wieder glättet. Unter einem blauen Himmel wünsch´ ich mir Adlerschwingen, unter einem bewölkten bloß einen Flederwisch zum Schreiben; dort will man in die ganze Welt hinaus, hier in den Großvaterstuhl hinein; kurz acht Wolken, zumal wenn sie tropfen, machen häuslich und bürgerlich und hungrig, das Himmelblau aber durstig und weltbürgerlich.
Tiere
Jean Pauls Interesse für Tiere spiegelt sich nicht nur in seinen schriftstellerischen Naturschilderungen wider, er ist auch privat ein großer Tiernarr. Zu seinen Haustieren in der Bayreuther Stadtwohnung zählen neben seinem Hund Ponto frei herumfliegende Kanarienvögel, ein zahmes Eichhörnchen, das er einmal sogar zu einer Kindstaufe mitnimmt, ein Wetterfrosch für seine Lieblingsmarotte, die Wettervorhersage, sowie eine Anzahl Stubenfliegen als Lebendfutter für den Frosch. Für Jean Paul sind Tiere mehr als nur Geschöpfe neben dem Menschen: »Bei den Thieren seh´ ich Gott unmittelbar, bei den Menschen nur mittelbar.« Das Einzige, was er an ihnen bedauert, ist, dass sie ihm nicht die brüderliche Hand reichen können: »Daß das Thier keine Hand, sondern eine haarige Pfote hat, war so oft in der Begeisterung über das Götterall mein Schmerz.«
Jean Pauls große Tierliebe gehört aber zweifellos seinem Pudel Ponto, nachdem dessen Vorgänger, ein Spitz, gestorben ist. Als ständigen Begleiter nimmt er Ponto auf seinen Reisen und Spaziergängen mit. Der Pudel dient auch als heimlicher Haarlockenlieferant für Jean Pauls Verehrerinnen, anstatt ihnen eine Locke von ihm selbst zu geben. Doch auch weniger humorvolle Erlebnisse muss das liebe Tier über sich ergehen lassen. Während einer Dresden-Reise im Jahre 1822 wird bei einer Einladung des Grafen Kalkreuth der Hund von der Speisetafel des Dichters getrennt und ihm brennendes Terpentinöl verabreicht - und das, weil ein Bürgerlicher seinen 'Köter' mit an die adelige Tafel gebracht hat. Jean Pauls Neffe, Richard Otto Spazier, erinnert sich: »Das arme Tier, von verzweifeltem Schmerz getrieben und Schutz bei seinem Herrn suchend, der eben an der vornehmen Tafel saß, stürzte winselnd und heulend auf denselben zu, über den mit Schüsseln, Flaschen und Gläsern besetzten Tisch hinweg, dieselben klirrend umwerfend und zum Teil zerbrechend. Mitten unter dem allgemeinen Falle erhob sich Jean Paul im tiefsten Zorne, beruhigte seinen armen Hund und entfernte sich, alle Entschuldigungen zurückweisend, 'die Bestien' verwünschend, die ein armes Tier so hatten quälen können.«
[Jean Paul, DES FELDPREDIGERS SCHMELZLE REISE NACH FLÄTZ, 3. Kapitel]
[...] wenn Galen bemerkt, daß Tiere mit großen Hinterbacken schüchtern sind: so brauch´ ich bloß mich umzuwenden und dem Feinde nur den Rücken - und was darunter ist - zu zeigen, wenn er sehen soll, daß es mir nicht an Tapferkeit fehlt, sondern an Fleisch.
Weitere Kapitel:
Empfindsamkeit
Mit Empfindsamkeit ist ein gesteigertes, - als Reaktion zur rationalen Aufklärung - positiv bewertetes und genossenes Fühlen bezeichnet, das sich in deutschsprachigen literarischen Texten ab 1740 gattungsübergreifend abzeichnet. In der Lyrik entsprechen diesem wirkungsästhetischen Konzept die Oden und Hymnen Klopstocks, im Drama Rührendes Lustspiel und Bürgerliches Trauerspiel, in der Prosa die Romane von Gellert und Sophie von La Roche. Goethes WERTHER (1774) treibt es auf einen ersten radikalen Höhepunkt. Zu den typischen empfindsamen Verhaltensweisen gehören u.a. Naturschwärmerei, Freundschaftskult und Seelenliebe.
Jean Paul hat den Anschluss an die Empfindsamkeit bewusst gesucht. Sein erster Roman ABELARD UND HELOISE (1781), eine Nachahmung von WERTHER und Millers SIEGWART, ist dafür ein Beispiel, wenngleich er kritisch urteilt: »bei vielem empfindet man nichts, eben weil es ser - empfindelnd sein solte.« Das Personal spaltet sich in die durch gemeinsames Fühlen Verbundenen und in die Vertreter der Hofwelt, die die Empfindsamen mit Spott begleiten; Empfindsamkeit und Tugend werden zudem gleichgesetzt.
Im HESPERUS (1795, Leseprobe) hat Jean Paul den Empfindsamkeitsdiskurs weitergetrieben. Nicht allein, weil das Rührselige und die Trennung und Vereinigung von Personen neu aufgelegt werden würde - das Sentimentale findet einen neuen, in der deutschen Sprache bisher unbekannten Ton: »Gefühlsexzess wird zum Sprachexzess« (Helmut Pfotenhauer, Leseprobe).
Während sein Romanzeitgenosse August Lafontaine (1758-1831) die Muster der Empfindsamkeit naiv reproduziert, geht Jean Paul artifiziell-spielerisch damit um: So wird die Höhepunktszene des 44. Hundposttages mit der Bitte eingeleitet, man möge es dem Erzähler verzeihen, »daß er in diesem Kapitel der Liebe feuriger und angenehmer« sei »als je« »und überhaupt jetzo schreibt, als wär´ er besessen«. Auf die Gefahr hin, dass empfindsames Schreiben abgleiten könne in bloße Sentimentalität, gibt sich der Erzähler bewusst ironisch. »Jean Paul gelingt damit das Kunststück, sentimental zu sein und gleichzeitig auch wieder nicht.« (Jürgen Viering)
[Jean Paul, HESPERUS, 44. Hundposttag]
- O ihr zwei endlich beglückten, nebeneinander knienden guten Seelen! wie unglücklich muß ein Mensch sein, der ohne eine Träne der Freude - oder wie glücklich einer, der ohne eine Träne der Sehnsucht euch sehen kann jetzo stumm und weinend einander in die Arme fallen - nach so vielen Losreißungen endlich verknüpft - nach so vielen Verblutungen endlich geheilt - nach tausend, tausend Seufzern doch endlich beglückt - und unaussprechlich beglückt durch Herzenunschuld und durch Seelenfrieden und durch Gott! - Nein, ich kann heute meine nassen Augen nicht von euch wenden - ich kann heute die andern guten Menschen nicht anschauen und abzeichnen - sondern ich lege meine Augen mit den zwei Tränen, die der Glückliche und der Unglückliche hat, fest und sanft auf meine zwei stillen Geliebten im dunkeln Zimmer, wo einmal der Hauch der Harmonikatöne ihre zwei Seelen wie Gold- und Silberblättchen aneinanderwehte.
Naturschilderungen
In seinen Dichtungen macht Jean Paul keinen Hehl daraus, dass viele seiner üppigen Landschaftskulissen seiner Fantasie entsprungen sind, wiewohl er selbst ein begeisterter Reisender ist, der die Orte aufsucht. Für ihn sind Landschaften mehr als nur Reiseeindrücke: »Aus den Landschaften der Reisebeschreiber kann der Dichter lernen, was er in den seinigen - auszulassen habe.« Landschaft ist so gesehen »Natur«, die der Mensch genießt, um ganz er selbst (als Teil dieser »Natur«) zu sein. Vorbilder für Jean Pauls poetische Landschaftsmalerei sind z.B. Goethes Werther (1774) oder Jacobis Woldemar (1779): ersterer ist Ausdruck des tiefen inneren Zusammenhangs zwischen der Natur und dem Göttlichen, letzterer verbindet empfindsame Freundschaft und Liebe untrennbar mit dem Schauplatz des Parks.
Im WUTZ kann man den ersten Naturschilderungen Jean Pauls, die mehr »Wortopern und Metapherngebirge« sind (Helmut Pfotenhauer, Leseprobe), nachspüren: »Da er immer kurz vor und nach Sonnen-Untergang ein gewisses wollüstiges trunknes Sehnen empfunden hatte [...]: so zauderte er mit seiner Landung in Auenthal so lang´, bis die zerfließende Sonne durch die letzten Kornfelder vor dem Dorfe mit Goldfäden, die sie gerade über die Ähren zog, sein blaues Röckchen stickte und bis sein Schatten an den Berg über den Fluß wie ein Riese wandelte. Dann schwankte er unter dem wie aus der Vergangenheit herüberklingenden Abendläuten ins Dorf hinein und war allen Menschen gut«. Und von Lilienbad, dem Lustort bei Auenthal, heißt es in der UNSICHTBAREN LOGE (Leseprobe): »Wir brachen auf und gingen in diesen fließenden Himmel hinein [...]. An dieser Dunst-Kugel oben zeichnete sich die Sonne wie eine erblassende Nebensonne hinein; endlich verlief sich der weiße Ozean in lange Ströme - auf den Wäldern lagen hangende Berge, jede Tiefe deckten glimmende Wolken zu, über uns lief der blaue Himmelzirkel immer weiter auseinander, bis endlich die Erde dem Himmel seinen zitternden Schleier abnahm und ihm froh ins große ewige Angesicht schauete -«. Die Landschaft ist zu einer ins Übersinnliche und Überanschauliche gesteigerten literarischen Natur geworden.
[Jean Paul, VORSCHULE DER ÄSTHETIK, Zweite Abteilung, § 80 (Poetische Landschaftmalerei)]
Die Landschaften der Alten sind mehr plastisch; der Neuern mehr musikalisch, oder, was am besten ist, beides. Goethens beide Landschaften im Werther werden als ein Doppelstern und Doppelchor durch alle Zeiten glänzen und klingen. Es gibt Gefühle der Menschenbrust, welche unaussprechlich bleiben, bis man die ganze körperliche Nachbarschaft der Natur, worin sie wie Düfte entstanden, als Wörter zu ihrer Beschreibung gebraucht; und so findet man es in Goethe, Jacobi und Herder. Auch Heinse und Tieck, jener mehr plastisch, dieser mehr musikalisch, griffen so in die unzähligen Saiten der Welt hinein und rührten gerade diejenigen an, welche ihr Herz austönen.
Aviatik
Das Zeitalter Jean Pauls ist besessen von der Eroberung des Luftraums: 1783 steigen die Gebrüder Montgolfier in Paris erstmals mit einem Heißluftballon in die Lüfte und lösen damit eine neue Ära der Fortbewegung aus; 1808 führt der Schweizer Erfinder Jakob Degen im Wiener Prater seinen Flugapparat vor, in dem er selbst mit Muskelkraft Schlagflügel bewegt. Jean Paul reagiert auf diese technischen Neuerungen - neben einem eigenen Aufsatz über Degen - literarisch mit zwei Erzählungen: DAS KAMPANER TAL (1797) sowie DES LUFTSCHIFFERS GIANNOZZO SEEBUCH (1801, Leseprobe) als zweiter Anhangband zum TITAN (Leseprobe).
Im KAMPANER TAL bringt der Autor Fliegen und Fantasie zusammen. Am Schluss des Textes unternehmen die Figuren einen nächtlichen Flug mit einer Montgolfière, den Jean Paul mit poetischen Bildern beschreibt: »wie wir stiegen, verlängerten sich die schwarzen Waldungen zu Gewitterwolken und die beschneieten beglänzten Gebirge zu lichten Schneewolken - die auftreibende Kugel flog mit uns vor die stummen Blitze des Mondes, der wie ein Elysium unten im Himmel stand, und in der blauen Einöde wurden wir von einem gaukelnden Sturm gleichsam in die nähere schimmernde Welt des Mondes geblendet gewiegt... und dann wurd´ es dem leichtern Herz, das hoch über dem schweren Dunstkreis schlug, als flatter´ es im Äther und sei aus der Erde gezogen, ohne die Hülle zurückzuwerfen.«
Hier ist der Blick noch frei für erhabene Gefühle. Anders dagegen in GIANNOZZOS SEEBUCH, wo ausschließlich aus der Vogelperspektive heraus erzählt wird und der freie Blick von oben die Welt auf erbarmungslose Weise ausleuchtet. »Siechkobel« nennt Giannozzo sein Luftschiff. Die Liste der Klagen über den Zustand der Welt und ihre Menschen ist lang: So prangert Giannozzo die Aufgeblasenheit der Obrigkeit an, die Wortkargheit der Deutschen, den Kitsch romantischer Liebe, bürgerliche Gewinnsucht und Kriegslust, den vorgetäuschten Tiefsinn im Lehrbetrieb und vieles mehr. Ironischerweise will der Luftschiffer die Welt verändern - ein Versuch, der scheitert, zumal er in ein Unwetter gerät und abstürzt, seine Augenbrauen »kahl weggebrannt«, Arm und Unterkiefer weggerissen.
[Jean Paul, DES LUFTSCHIFFERS GIANNOZZO SEEBUCH, 6. Fahrt]
Viertehalbtausend Fuß tief rannte die weite Erde - ich glaubte festzuschweben - unter mir dahin, und ihr breiter Teller lief mir entgegen, worauf sich Berge und Holzungen und Klöster, Marktschiffe und Türme und künstliche Ruinen und wahre von Römern und Raubadel, Straßen, Jägerhäuser, Pulvertürme, Rathäuser, Gebeinhäuser so wild und eng durcheinander herwarfen, daß ein vernünftiger Mann oben denken mußte, das seien nur umhergerollte Baumaterialien, die man erst zu einem schönen Park auseinanderziehe.
Auf der Fläche, die auf allen Seiten ins Unendliche hinausfloß, spielten alle verschiedenen Theater des Lebens mit aufgezogenen Vorhängen zugleich - einer wird hier unter mir Landes verwiesen - drüben desertiert einer, und Glocken läuten herauf zum fürstlichen Empfang desselben - hier in den brennend-farbigen Wiesen wird gemähet - dort werden die Feuersprützen probiert - englische Reuter ziehen mit goldnen Fahnen und Schabaracken aus - Gräber in neun Dorfschaften werden gehauen - Weiber knien am Wege vor Kapellen - ein Wagen mit weimarschen Komödianten kommt - viele Kammerwagen von Bräuten mit besoffnen Brautführern - Paradeplätze mit Parolen und Musiken - hinter dem Gebüsche ersäuft sich einer in einem tiefen Perlenbach, nach dem dabei zusehenden Kniegalgen zu urteilen [...] - Gott weiß, welcher gewaltige böse oder gute Geist hier in dieser stillen Höhe dem Treiben grimmig-grinsend oder weinend-lächelnd zusieht und die Tatzen ausstreckt oder die Arme, und ich frage eben nichts nach ihm...
Reisen
Viele der Jean Paulschen Figuren sind auf Reisen. Gustav in der UNSICHTBAREN LOGE reist nach Ober- und Unterscheerau und geht nach Auenthal und Lilienbad. Im HESPERUS reist Viktor nach Kussewitz, der seltsamen Insel der Vereinigung; Siebenkäs (im gleichnamigen Roman) wandert von Kuhschappel zu seinem Freund Leibgeber nach Bayreuth. Und im TITAN begibt sich Albano auf eine große Italienreise. Gereist wird zu Fuß, in der Kutsche oder - wie Giannozzo - im Ballon. Das KAMPANER TAL, KATZENBERGER, SCHMELZLE und GIANNOZZO (Leseprobe) sind nichts als Reiseerzählungen.
In seinen Reisetexten verwendet Jean Paul ein Motiv, das in der Art von Sternes SENTIMENTAL JOURNEY (1768) funktioniert, um menschliche Charaktere darzustellen, Satiren auf die Menschheit zu schreiben oder über die Natur des Menschen generell zu sinnieren. Im Mittelpunkt der Sätze steht immer wieder das Missverhältnis zwischen dem Romanhelden und der höfischen Gesellschaft, woraus Jean Paul den Gegensatz zwischen Gesellschaft und Natur entwickelt: Der herrschaftlichen Selbstdarstellung begegnet er mit der Empfindung des Erhabenen angesichts der Unendlichkeit der Welt.
Dabei spielt der Autor auch mit der Ungeduld des Lesers, wenn er die Handlung zugunsten einer ausführlich geschilderten Kutschenfahrt aufgibt und mit viel humoristischen Einsprengseln kommentiert. In DR. KATZENBERGERS BADEREISE (1809) beispielsweise sucht Katzenberger per Zeitungsannonce einen Mitreisenden für seine Kutschenfahrt nach Maulbronn, um die Kosten für die Kutsche zu reduzieren. Der Zweck der Reise ist es, den Brunnenarzt Strykius, einen Rezensenten seiner Werke, zu verprügeln. Außerdem will Katzenberger der Gefahr entgehen, dass er Pate der Freundin seiner Tochter werden muss. Schließlich findet sich jemand, der mit Vater und Tochter mitreisen will. Gleich zu Beginn stellt Jean Paul all das in Aussicht, um den Fortlauf der Handlung immer wieder zu verzögern. Die Kapitel sind entsprechend überschrieben mit »Fortsetzung der Abreise durch Fortsetzung des Abschieds«, »Fortgesetzte Fortsetzung der Abreise« und »Beschluß der Abreise«.
[Jean Paul, DIE UNSICHTBARE LOGE, Vorredner in Form einer Reisebeschreibung]
Ich wollte den Vorredner anfangs in Sichersreuth oder Alexandersbad bei Wonsiedel verfertigen, wo ich mir das Podagra wieder in die Füßen hinunterbaden wollte, das ich mir bloß durch gegenwärtiges Buch zu weit in den Leib hinaufgeschrieben. Aber ich habe mir meinen Vorredner, auf den ich mich schon seit einem Jahre freue, aus einem recht vernünftigen Grunde bis heute aufgespart. Der recht vernünftige Grund ist der Fichtelberg, auf welchen ich eben fahre. - Ich muß nun diese Vorrede schreiben, damit ich unter dem Fahren nicht aus der Schreibtafel und Kutsche hinaussehe, ich meine, damit ich die grenzenlose Aussicht oben nicht wie einen Frühling nach Kubikruten, die Ströme nach Ellen, die Wälder nach Klaftern, die Berge nach Schiffpfunden, von meinen Pferden zugebröckelt bekomme, sondern damit ich den großen Zirkus und Paradeplatz der Natur mit allen seinen Strömen und Bergen auf einmal in die aufgeschlossene Seele nehme. - Daher kann dieser Vorredner nirgends aufhören als unweit des Ochsenkopfs, auf dem Schneeberg.
Wetter
Beobachtung und Vorhersage des Wetters gehören zu den 'wissenschaftlichen' Marotten Jean Pauls. 1816 veröffentlicht er in Cottas MORGENBLATT den Aufsatz »Der allzeit fertige oder geschwinde Wetterprophet«, 1823 erscheint dann eine sechsmonatige »mehr als wahrscheinliche« Wetterprophezeiung in der Zeitung. Viele seiner Besucher berichten von seinen Mutmaßungen über das Wetter und den dafür vorgesehenen Einrichtungen, wie dem Halten von Laubfröschen und dem Einsatz von Barometern. 1860 erscheint posthum sogar ein populärwissenschaftliches Handbuch zum Wetter, DIE NATÜRLICHEN UND KÜNSTLICHEN WETTERPROPHETEN, »bereichert durch die werthvollsten Beiträge des unsterblichen Dichters und begeisterten Naturfreundes Jean Paul Friedrich Richter«.
Was heute etwas skurril wirkt, ist damals Teil einer romantischen Naturphilosophie. Diese geht dahin, Naturgeschehnisse nicht bloß als Mixtur mechanischer, chemischer oder biologischer Gesetze plus Zufall zu begreifen, sondern als sinnhaften Prozess, worin sich die Naturseele kundtue. Natur- und Menschenseele funktionieren vor diesem Hintergrund gewissermaßen analog, was zur Folge hat, dass intuitives Wissen über die Natur durch Analyse der eigenen Wahrnehmungs- und Seelenvorgänge gewonnen werden könne.
Jean Pauls Beobachtungen bewegen sich - trotz ihres spekulativen Anteils - auf diesem Terrain. Zugleich betreibt er, so der Germanist Helmut Pfotenhauer (Leseprobe), einen übersteigerten, an keine Vernunftpraxis mehr gebundenen »Hang zum Vorausschreiben«. Im Abspann seiner »mehr als wahrscheinlichen Prophezeiung« schreibt Jean Paul - nicht ohne einen Schuss Selbstironie -, er habe die Bayreuther Welt mit seinen Wetterprognosen »beschenkt«, was diese aber nicht genug »durch aufmerksames Lesen und Behalten« belohnt habe, weshalb er nun zur Strafe seine »Äquinoktialbeobachtungen« für sich behalte.
[Jean Paul, SIEBENKÄS, 16. Kapitel]
Gegen das Ende der Woche ändert sich außer dem Beichtkinde und dem Kirchengänger auch das Wetter, und der Himmel und die Menschen wechseln da Hemden und Kleider. Es war Sonnabends und wolkig. Im feuchten Wetter geht es an unsern Gehirnwänden zu wie an Zimmerwänden, deren Papiertapeten es einsaugen und sich zu Wolken aufrollen, bis das trockne Wetter beide Tapezierungen wieder glättet. Unter einem blauen Himmel wünsch´ ich mir Adlerschwingen, unter einem bewölkten bloß einen Flederwisch zum Schreiben; dort will man in die ganze Welt hinaus, hier in den Großvaterstuhl hinein; kurz acht Wolken, zumal wenn sie tropfen, machen häuslich und bürgerlich und hungrig, das Himmelblau aber durstig und weltbürgerlich.
Tiere
Jean Pauls Interesse für Tiere spiegelt sich nicht nur in seinen schriftstellerischen Naturschilderungen wider, er ist auch privat ein großer Tiernarr. Zu seinen Haustieren in der Bayreuther Stadtwohnung zählen neben seinem Hund Ponto frei herumfliegende Kanarienvögel, ein zahmes Eichhörnchen, das er einmal sogar zu einer Kindstaufe mitnimmt, ein Wetterfrosch für seine Lieblingsmarotte, die Wettervorhersage, sowie eine Anzahl Stubenfliegen als Lebendfutter für den Frosch. Für Jean Paul sind Tiere mehr als nur Geschöpfe neben dem Menschen: »Bei den Thieren seh´ ich Gott unmittelbar, bei den Menschen nur mittelbar.« Das Einzige, was er an ihnen bedauert, ist, dass sie ihm nicht die brüderliche Hand reichen können: »Daß das Thier keine Hand, sondern eine haarige Pfote hat, war so oft in der Begeisterung über das Götterall mein Schmerz.«
Jean Pauls große Tierliebe gehört aber zweifellos seinem Pudel Ponto, nachdem dessen Vorgänger, ein Spitz, gestorben ist. Als ständigen Begleiter nimmt er Ponto auf seinen Reisen und Spaziergängen mit. Der Pudel dient auch als heimlicher Haarlockenlieferant für Jean Pauls Verehrerinnen, anstatt ihnen eine Locke von ihm selbst zu geben. Doch auch weniger humorvolle Erlebnisse muss das liebe Tier über sich ergehen lassen. Während einer Dresden-Reise im Jahre 1822 wird bei einer Einladung des Grafen Kalkreuth der Hund von der Speisetafel des Dichters getrennt und ihm brennendes Terpentinöl verabreicht - und das, weil ein Bürgerlicher seinen 'Köter' mit an die adelige Tafel gebracht hat. Jean Pauls Neffe, Richard Otto Spazier, erinnert sich: »Das arme Tier, von verzweifeltem Schmerz getrieben und Schutz bei seinem Herrn suchend, der eben an der vornehmen Tafel saß, stürzte winselnd und heulend auf denselben zu, über den mit Schüsseln, Flaschen und Gläsern besetzten Tisch hinweg, dieselben klirrend umwerfend und zum Teil zerbrechend. Mitten unter dem allgemeinen Falle erhob sich Jean Paul im tiefsten Zorne, beruhigte seinen armen Hund und entfernte sich, alle Entschuldigungen zurückweisend, 'die Bestien' verwünschend, die ein armes Tier so hatten quälen können.«
[Jean Paul, DES FELDPREDIGERS SCHMELZLE REISE NACH FLÄTZ, 3. Kapitel]
[...] wenn Galen bemerkt, daß Tiere mit großen Hinterbacken schüchtern sind: so brauch´ ich bloß mich umzuwenden und dem Feinde nur den Rücken - und was darunter ist - zu zeigen, wenn er sehen soll, daß es mir nicht an Tapferkeit fehlt, sondern an Fleisch.