Der Erzähler: Erzählungen „Vom Bayerwalde“

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Karl von Reinhardstöttner; Alfred Liebing (Illustr.): Vom Bayerwalde, 2. Bd., Berlin, 1899

Wie bei Land und Leute im Bayerischen Walde halten sich auch in seinen vier Erzählungsbänden Vom Bayerwalde (1897, 1899, 1902, 1907) Faktizität und Fiktionales etwa die Waage. Der Autor nennt sie selbst „kulturhistorische Erzählungen“, Bernhard Setzwein und Anton Graßl sprechen von „soziologischen Studien in literarischem Gewand“. Das literarische Gewand ist indes von solcher Qualität, dass die besten seiner 16 Erzählungen neben den Fünfzig kulturhistorischen Novellen des vielgerühmten Wilhelm Heinrich Riehl durchaus bestehen können. Ob Des Arbers Geheimnis oder Der Saliterer von Grabitz, Der Blöcherlmüller oder Die Schmuggler von den Lackenhäusern, Eber auf Eberstein oder Bruder Josephus – Stoff- und Themenvielfalt zeigen ihn als hellsichtigen Beobachter, der sprachmächtig Landschaften und Charaktergestalten zeichnet, in denen viele zeitbedingte Phänomene aufscheinen, wie sie schon in Land und Leute im Bayrischen Wald auftreten. (Wer sich über alle Erzählungen und deren Inhalte in knapper Form informieren will, der möge sich anhand von Anton Graßls Vorwort in der Reprint-Ausgabe von Land und Leute im Bayerischen Walde, Morsak-Verlag 1932 kundig machen. Das Vorwort enthält allerdings viele unzuverlässige Daten und Zitate; d. Verfasser.)

Im Rahmen dieser Abhandlung sollen nur Der Saliterer von Grabitz und Des Arbers Geheimnis in wesentlichen Zügen vorgestellt werden; zwei Stilproben aus dem Saliterer sollen zeigen, dass Reinhardstöttner seine Erzählungen in einer rational geprägten authentisch-volksnahen Prosa gestaltet, ohne zu „tümeln“, zu frömmeln oder der Verführung zu erliegen, dem Dialekt der Waldler auf peinliche Weise Gewalt anzutun wie mancher vergeblich bemühte Mundartakrobat unter zeitgenössischen Kollegen oder solchen späterer Generationen.

Der Saliterer von Grabitz erzählt am Beispiel des Salpetergräbers Georg Weisleuthner aus Grabitz bei Furth im Wald vom Kampf der Saliterer gegen die örtlichen Grundstücksbesitzer, deren Grund und Boden mitsamt den darauf stehenden Gebäuden er, den kurfürstlichen Befehl befolgend, nach Salpeter durchgraben soll. Die dabei entstehenden Zerstörungen der Wohn- und Arbeitsplätze rufen den aktiven Widerstand der Betroffenen wach und beschwören regelrechte Fehden zwischen Obrigkeit samt deren Handlangern und der Ortsbevölkerung herauf.

In diesen Ereignissen der Jahre 1798-1800, in der sogenannten Kurfürstenzeit Bayerns, lenkt der Autor unseren Blick u.a. auf den Despotismus des Herrschers und seiner Kleinbeamten in den Städten und Dörfern, auf die Schikanen gegen die kleinen Leute und vor allem gegen die Juden; Reinhardstöttner erinnert dabei an das Pogrom der „Deggendorfer Gnad“ und geißelt den grassierenden Antisemitismus, der auch auf dem Lande und durchaus nicht latent existierte. Er übt herbe Kritik an den zahlreichen Missständen der „guten alten Zeit“, wobei er auf Grund seiner liberalen Grundhaltung eindeutig Stellung zugunsten der kleinen Leute und der Juden bezieht. In die sozialen und wirtschaftspolitischen Konflikte im Raum zwischen Cham und Furth im Wald eingebettet, vollzieht sich eine Liebesgeschichte eines jungen Paares, die zwar ein happy end erfährt, das jedoch wegen dramatischer bis tragischer Begleitumstände einen bitteren Beigeschmack bekommt.

Zwei kleine Stilproben aus dem Saliterer von Grabitz mögen dem Leser Reinhardstöttners anschauungsgesättigte Erzählkunst vor Augen führen. Aus Band 2, S. 96f.:

Immer kam von hoher Stelle die Aufforderung, „die Saliterer sind zu vermögen, daß sie ihnen die Erzeigung des Saliteers ein mehrers angelegen sein lassen“. So gingen diese natürlich dem wertvollen Salze nach, wo man es vermutete. In feuchten Stallungen, unter modernden Balken gedieh es in Massen, da drang dann der Saliterer und sein Knecht in die Gehöfte des Bauern ein, durchsuchte jeden Winkel, schlug die feuchte Mauer ab, hob Fußböden und Dielen auf, zertrümmerte dieselben, insoweit die nicht von selbst zerfielen, untergrub Mauern und Stallungen, riß Öfen ein, kurz er richtete in wenigen Stunden eine derartige Verwüstung an, daß die Familie das Haus, das Vieh die Stallung verlassen mußte und man Wochen lang zu arbeiten hatte, wenn der Unhold wieder weiter war, um nur alles in bewohnbaren Zustand zu bringen. Daß bei dieser gesetzlichen und in keiner Weise zu umgehenden Amtshandlung Übergriffe der schlimmsten Art nahe lagen, ergiebt sich von selbst. Wie oft ist nicht bloß blinder Eifer und Unverstand, sondern angeborene Roheit, Härte des Gemüts, persönlicher Haß und Rachsucht Ursache der empfindlichsten Schädigung geworden; wie mancher, der nur etwas sein Eigentum zu schonen bestrebt war, kam in Anklage und Verurteilungen; denn er hatte sich ja der Ausnützung eines landesherrlichen Regals widersetzt. Die Saliterer klagen (1777), daß niemand in Stuben wolle graben lassen, daß die Bauern anfangen, ihre Böden zu pflastern, ihre Dungerde auf die Kleefelder zu fahren, Schweine und Schafe in den Städeln zu halten, was alles die Salpeterbildung beeinträchtige; den Unterthanen aber geht ihr Vieh zu grunde, das unbeachtet Salpeterwasser trank; der Bauer jammert, daß der Saliterer die Böden aufreiße, dann aber unverrichteter Sache auf Wochen fortgehe und nach langer Zeit erst zur weiteren Arbeit wiederkehre. So blieb heftiger Kampf gegen die Saliterer nicht aus, wo die Gegner sich nur etwas sicher fühlten.

Aus Band 2, S. 115f. (Der Jude Isaak kommt ins Haus des Saliterers Weisleuthner in Grabitz):

„Ich war heut früh in Cham beim Pfleger, um meinen Leibzoll zu erlegen; er hatte mich auf heute bestellt. Da wart’ ich im Vorzimmer, und drinnen ging es heftig über Euch her“. [...] – „Nun, das bin ich gewohnt, daß man in Cham über mich loszieht. Wer war denn dabei? Der Fischer Andre, nicht? und der Späth Joseph –“ „Ja, ja“, bekräftigte der Jude, „und der Tröger Matthias und der Hierstetter Adam –“ – „Und der Schmied“, fiel Weisleuthner ein, „natürlich – [...] „Gott,“ hat er (der Pfleger) gesagt – aber, Meister, Ihr verratet mich nicht, ich wär ein ruinierter Mann – „Gott,“ hat er gesagt, „was habt ihr immer mit dem Saliterer. Das Geschreibe hin und her soll aufhören. Ihr müßt euch selber helfen. Ihr müßt selber losgehen, ihr müßt nicht auf mich warten, mir sind die Hände gebunden durch die kurfürstliche Regierung.“ – „Wir werfen ihm Stall und Sudhaus ein – hört Ihr, Meister, Stall und Sudhaus, – dann ist es aus mit ihm,“ schreit der Schmied. – „Fort muß er von uns; der soll uns kennenlernen. Gleich anzünden soll man die ganze Baracke,“ kreischt der Fischer Andre, „dann hätt’s ein Ende mit ihm für alle Zeit.“ [...] „Nun, der Landrichter? –“ – „Der Landrichter hat hellauf gelacht, hat sich gefreut und die Hände gerieben, und er hat gesagt: „Ja, der kürzeste Prozeß ist das allemal.“ So was hat er gesagt, der Mann des Gesetzes.

S. 117f.:

„Geh herein zu Mittag zu mir, Isaak, iß bei uns“ – Isaak zögerte; dann sprach er: „Ein Stück Brot, Meister, und einen Krug Bier nehme ich gerne an. [...] Nur verratet mich nicht. Es geht mir ohnehin schlecht genug.“ Die Lage der Juden im bayerischen Walde war natürlich nicht besser als irgendwo in bayerischen Landen. Hatte ja gerade der Bayerwald bis auf den heutigen Tag in dem prächtigen Deggendorf das Andenken an „jüdische Unthat“ treu bewahrt und Beispiele grausamer Judenverfolgungen genugsam aufzuweisen. [...] Zwar wird um das Ende des Jahrhunderts auch vom Intelligenzblatte für die Duldung die Lanze gebrochen, allein der menschenfreundliche Gedanke schuf sich nur recht langsam Bahn.

Während im Saliterer von Grabitz die auf historisch verbürgten Dokumenten fußende Darstellung politisch-ökonomisch-sozialer Probleme die Erzählung bestimmt, sind in Des Arbers Geheimnis die historischen Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges zwar ein dramaturgisch bedeutsamer, die Erzählung aber nicht beherrschender Handlungsrahmen. Zentrales Geschehnis ist das tragische Schicksal mehrerer Einzelpersonen, die, dem Anschein nach einem mythischen Fluch zum Opfer fallen. Der Sage vom „goldenen Fisch im Arbersee“ nach gewinnt der, der ihn fängt, ein Königreich, wird aber bald sterben. Während im Handlungsrahmen die barbarischen Kämpfe der schwedischen und der kaiserlichen Truppen im Raum zwischen Cham und Lam ausgetragen werden, die Gegend um Hohenbogen, Kaitersberg und Arber mit Raub, Mord, Folter, Brand und Plünderungen überzogen ist, vollzieht sich das erschütternde Schicksal zweier Liebender: Philipp, der den goldenen Fisch gefangen und damit das „Königreich der Liebe“ gewonnen hat, wird bei einem Bandenüberfall erstochen, Martha, seine Geliebte, kommt im brennenden Haus um. Damit sind die Elemente der Sage vom Arbersee erfüllt. Das Irrationale bricht unvermittelt in die reale Welt ein und verleiht dem Geschehen eine mythische Dimension, so dass man Des Arbers Geheimnis durchaus auch als Novelle betrachten kann.

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Verfasst von: Max Heigl (Text) / Bayerische Staatsbibliothek (Bildbeigaben)