Der Erzähler: Heimat Lixenried

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbthemes/2019/klein/reinhartstttner_8_klein.jpg
Otto E. Lau (1853-1917): Lixenried, Totenbretter am Wegesrand, Holzstich um 1890

Noch einmal sei mir gestattet, meine eigene Erfahrung einzufügen, denn das Beispiel meines Dorfschullehrer-Vaters lehrte mich durch Augenschein, dass der so oftmals bäuerliche Ursprung des Waldler Lehrers zu jenem Grundtypen des praktisch denkenden und handelnden „Volksschullehrers“ führte, der von klein auf gelernt hatte, gewissermaßen „wie ein Hausvater so ziemlich alle Handwerke zu verstehen“ – eine Art Synthese von Bauer, Handwerker und Lehrer. Reinhardstöttners feine Beobachtungsgabe bewährte sich auch bei diesem Phänomen.

Dabei mag er allerlei über das Niedergeschriebene hinaus erlebt haben, Heiteres, aber auch Trauriges wie die tiefe Trauer über den überraschenden Tod seines Sohnes Oskar 1907, die sich in einem melancholischen, von Todesahnungen geprägten Abschiedsgedicht an die „Heimat Lixenried“ niederschlug. Karl von Reinhardstöttner war kein geborener Lyriker, und literaturkritische und ästhetische Maßstäbe von Inhalt und Form mögen hier hinter der Empfindung von Verlust und Abschied eines trauernden Vaters zurücktreten. (Das Gedicht erschien kurz nach dem Tod seines Verfassers, am 1. Mai 1909, in der Zeitschrift Die Oberpfalz, der er manche Beiträge geliefert hatte.)

Zu den heiteren Erlebnissen gehört zweifellos die „Maulkorbaffäre“ von Lixenried im Jahr 1902. Der Kuriosität halber sei das amtliche „Protokoll“ aus der Personalakte im Wortlaut wiedergegeben:

8. April 1902

Der Amtsanwalt am k. Amtsgerichte Waldmünchen an den Direktor der k. technischen Hochschule München

Untersuchungssache gegen Dr. Carl von Reinhardstöttner, Dozent an der technischen Hochschule in München wegen gemeingefährlichen Vergehens

– Es wurde Antrag erlassen, den Obigen in die öffentliche Sitzung des kgl. Amtsgerichtes Waldmünchen vom 8. April 1902 als Angeklagten vorzuladen.

 

München 9. April 1902

Dr. Karl von Reinhardstöttner wurde mit Urteil des Schöffengerichtes am k. Amtsgerichte dahier vom 8. d. M. zu einer Gefängnisstrafe von 1 Tag verurteilt.

Grund: Er hat seinen Hund, entgegen der in der Gemarkung Lixenried wegen Hundetollwut erlassenen Verfügung, selber und am 15. September l. Jahres abends geführt und über seinen Sohn führen lassen, ohne den vorgesehenen Maulkorb.

 

(Ohne Datum)

Der Prinzregent gestattet: „Daß Ersterer (Karl von Reinhardstöttner) die ausgesprochene Freiheitsstrafe auf Zahlung einer Geldstrafe von 10 Mark von sich wende“. (Ministerialrat Pohl)

Wir dürfen vermuten, dass „des Königreiches Bayern Verweser“ diese Begnadigung mit einem amüsierten Schmunzeln dekretiert haben wird, denn nur 70 Tage später ist in der Personalakte vermerkt:

19. Juli 1902: Prinregent Luitpold („des Königreiches Bayern Verweser“) ernennt Karl von Reinhardstöttner zum Honorarprofessor der technischen Hochschule zu München.

Zum nächsten Abschnitt

Verfasst von: Max Heigl (Text) / Bayerische Staatsbibliothek (Bildbeigaben)