Komik und Kritik: Dieter Hildebrandt
1927 im niederschlesischen Bunzlau geboren, kommt Dieter Hildebrandt nach Kriegsdienst und -gefangenschaft 1950 zum Studium der Theaterwissenschaft und Literatur nach München. Zusammen mit dem Sportreporter Sammy Drechsel gründet er 1955 die legendäre Münchner Lach- und Schießgesellschaft, ein Kabarett mit bundesweitem Zuschauerkreis, das von Beginn an in Hörfunk und Fernsehen ausgestrahlt wird. Ab 1962 geht das Ensemble auch auf Tournee. Bis 1972 steht Hildebrandt auf der Bühne, dann pausiert das Kabarett bis zu seiner Neugründung 1976. Nach der Großen Koalition und mit dem Amtsantritt Willy Brandts entfällt die Oppositionsarbeit des Kabaretts. Bei Wiederaufnahme ist Hildebrandt jedoch nur noch als Texter für das Satireprogramm tätig, um in den Folgejahren mit dem österreichischen Satiriker Werner Schneyder auf Tournee zu gehen und mit Gerhard Polt zusammenzuarbeiten. Von 1973 bis 1979 erhält er mit den Notizen aus der Provinz eine eigene Kabarett-Serie im ZDF. In den 1980er-Jahren profiliert er sich mit seinem Scheibenwischer in der ARD und erhält eine seiner wichtigsten Rollen in Helmut Dietls Kir Royal (1985). Ab 2003 zieht Hildebrandt sich auf Gastrauftritte zurück und rückt das Schreiben immer mehr in den Vordergrund: 1986 erscheint sein erstes Buch Was bleibt mit übrig. Anmerkungen zu (meinen) 30 Jahren Kabarett. Über 20 Bücher publiziert er, darunter von Dieter Hanitzsch illustrierte Satiren, und an genauso vielen Filmen und Serien wirkt er mit.
In der Haimhauser-/ Ecke Ursulastraße feiert das Ensemble der Lach- und Schießgesellschaft (Hildebrandt mit Ursula Herking, Hans Jürgen Diedrich und Klaus Havenstein) am 12. Dezember 1956 mit dem Programm „Denn sie müssen nicht, was sie tun“ seine Premiere. Das Lokal heißt damals noch „Stachelschwein“ und ist Bühne der „Namenlosen“. Begrüßt werden die Zuschauer von einem Singsang, der dem Ensemble noch seinen Namen geben wird:
Hildebrandt/Havenstein/Diedrich:
Es ist zum Schießen,
zum Schießen, zum Schießen.
Es ist zum Schießen
Alles angerichtet,
aufgestellt, geprüft, gedichtet.
Es ist zum Lachen,
zum Lachen, zum Lachen.
Es ist zum Lachen
Alles ausgerichtet,
umgestellt, zensiert, gesichtet.
Hiermit eröffnen wir [...]
Alle: Und unser Haus liegt an der
Münchner Freiheit, doch bis zur
Freiheit ist es noch sehr weit und
tun wir auch, was wir nicht lassen
können und müssen wir nicht, was
wir tun, den einen Glauben müssen
Sie uns gönnen, dass wir es wissen,
was wir tun!
(Zitiert nach: Till Hofmann (Hg.): Verlängert. 50 Jahre Lach- und Schießgesellschaft. Aufgeschrieben von Matthias Kuhn. München 2006, S. 12f.)
Darin klingt der Auftrag an, den sich das Ensemble in der jungen Bundesrepublik gibt: den alten Zopf abschneiden und den Finger in die Wunde legen – im gemütlichen Wirtschaftswunderland. Den überzeugten '68ern war die Lach- und Schießgesellschaft jedoch zu gefällig, zu unterhaltsam, nicht links genug. Dazu Dieter Hildebrandt:
Ich bemerke mit Staunen, dass die deutschen Akademiker, die jungen wie die alten, an den wirklichen Problemen des Landes vorbeimarschierten. Und dass viele der besonders Linken inzwischen nach rechts marschiert sind. (Zitiert nach: Stankiewitz 2008, S. 139)
Hildebrandt und seine Truppe war eine dieser „Scheißliberalen“, gegen welche die APO hetzte. Gleichermaßen brachte auch sie die sich zuspitzende revolutionäre Stimmung ins Grübeln. Das politische Kabarett muss sich überdenken, war bislang eine eigene Art außerparlamentarische Opposition gewesen, die aber durchweg zivilisiert agierte. In der Lach- und Schieß' muss man 1967 in sich gehen – und verzichtet auf ein Frühjahrsprogramm. Wie reagieren auf die Stimmung auf der Straße? Im Herbst folgt die Antwort: Der Moor ist uns noch was schuldig. Das Drama von Schiller wird zum Dreh- und Angelpunkt der Literaturrezeption um '68. Dabei wird die „Inszenierung“ der Räuber, als Schelmenstück um einen sechsten Akt erweitert, auf der Bühne der Lach- und Schießgesellschaft keineswegs eine Solidaritätserklärung zu den unruhigen Studenten. Hildebrandt entdeckt in den Räubern vielmehr die „Grundzüge des deutschen Unwesens“: Militanz und Ignoranz. Umso mehr mag es verwundern, dass sich zunächst der der APO nahestehende Wolfgang Neuss dafür gewinnen lässt, ein paar Ideen beizusteuern. Der Räuberhauptmann Karl Moor, Dutschke entlehnt, wird auf die zeitgenössische Gesellschaft – und ihre Aufmüpfigen – losgejagt und dabei die ganze Klaviatur von Enteignung, Kapitalismuskritik und Konsumgesellschaft gespielt. Moor diskutiert mit seinem Kumpanen in den böhmischen Wäldern den Freiheitsbegriff und erhält den Büchner-Preis für seine unermüdliche Revolution. Dazu gibt es ein „Moor-Hearing“, psychotherapeutisch aufgezogen. So weit, so revolutionär – doch die Protestbewegung ist von Beginn an selbst Zielscheibe der Parodie, nicht etwa nur das böse Establishment:
Ein Postbote liefert ein Telegramm ab. Schufterle öffnet.
SCHUFTERLE: Es lebe die Revolution – sie ist tot. Gezeichnet: ... Scheiße, anonym.
MOOR: Was siehst du mich so an? Bin ich ihr Mörder?
SCHUFTERLE: Natürlich du. Mit deiner Traumvision von absoluter Freiheit. [...] Die Gegner, die du schrecken willst, die kriechen dir zum Hintern rein und kommen dir nach kurzer Zeit zum Hals heraus. Die Welt verändern wolltest du? Daß ich nicht lache. Du fühlst dich stark und schreist und prahlst, dann kriegst du eine übern Schädel. Und in der „Bunten“ läßt du deine Beulen öffentlich verbreiten. Und schmollst. Und alles das, weils mit Amalien nicht beim ersten Mal geklappt hat. Menschenskind!
MOOR: Das mir, dem Moor!
SCHUFTERLE: Na und? Wer bist du noch?
MOOR: Ein Stück vom guten Deutschland!
SCHUFTERLE: Ein schlechtes Stück und schlecht gespielt.
(Dieter Hildebrandt: Was bleibt mir übrig. Anmerkungen zu (meinen) 30 Jahren Kabarett. München 1986, S. 193f.)
Und besiegelt erscheint der reformerische Geist spätestens mit dem Auftritt von Ursula Noack als Jeanne d'Arc, die schlimme Erfahrungen bei den Pariser Maiunruhen gemacht hat und gegenüber Karl deklamiert:
Versuch es mit Verstand und mit Vernunft. [...]
Den Bart nimm ab und lass die Haare schneiden,
dann hören dir die Menschen eher zu.
Das ist zwar traurig, aber du muss rechnen
mit Land und Leuten und Gegebenheit.
Kämpf nicht allein. Umgib dich mit Gehirnen.
Doch halte die Gesellen dir vom Leibe,
die Aggression mit Argument verwechseln.
Denk dran: wir zwei – wir haben Ideale.
Die andern haben Ideologien.
Du musst zum Kern, doch erst durch eine Schale
Von knochenhart verholzten Hysterien.
Zerstöre mit Geduld und stetem Klopfen,
was neuem Denken sich entgegenstellt.
Gedankenplüsch und nationalen Plunder,
Axiome, Dogmen, Phrasen, Vorurteile –
raub diesem Volke den sterilen Glauben
an Heimat, Staat, Nation und Vaterland,
doch geh im nicht an Kühlschrank, Mark und Flieder.
(Zitiert nach: Hofmann, S. 84)
Obwohl die Darbietung ausgewogen und differenziert erscheint – die Ideale der linken Revolution stützt, aber zur friedlichen Umwälzung ermahnt –, ist das Programm, das seine Premiere auf der Tournee am 28. September im Markgrafentheater in Erlangen feiert, nicht sehr erfolgreich. Wolfgang Neuss drängt mit Rücksicht auf seine Freunde bei der APO darauf, dass sein Name bei der Mitarbeit bei den „Scheißliberalen“ nicht publik gemacht werde. Die Abendzeitung erkannte immerhin an: „eine ‚Räuber‘-Bande frei nach Schiller, die kräftig ballert, mehr aufs Hirn, weniger auf Zwerchfell zielend“.
Sekundärliteratur:
Hofmann, Till (Hg.) (2006): Verlängert. 50 Jahre Lach- und Schießgesellschaft. Aufgeschrieben von Matthias Kuhn. München.
Weitere Kapitel:
1927 im niederschlesischen Bunzlau geboren, kommt Dieter Hildebrandt nach Kriegsdienst und -gefangenschaft 1950 zum Studium der Theaterwissenschaft und Literatur nach München. Zusammen mit dem Sportreporter Sammy Drechsel gründet er 1955 die legendäre Münchner Lach- und Schießgesellschaft, ein Kabarett mit bundesweitem Zuschauerkreis, das von Beginn an in Hörfunk und Fernsehen ausgestrahlt wird. Ab 1962 geht das Ensemble auch auf Tournee. Bis 1972 steht Hildebrandt auf der Bühne, dann pausiert das Kabarett bis zu seiner Neugründung 1976. Nach der Großen Koalition und mit dem Amtsantritt Willy Brandts entfällt die Oppositionsarbeit des Kabaretts. Bei Wiederaufnahme ist Hildebrandt jedoch nur noch als Texter für das Satireprogramm tätig, um in den Folgejahren mit dem österreichischen Satiriker Werner Schneyder auf Tournee zu gehen und mit Gerhard Polt zusammenzuarbeiten. Von 1973 bis 1979 erhält er mit den Notizen aus der Provinz eine eigene Kabarett-Serie im ZDF. In den 1980er-Jahren profiliert er sich mit seinem Scheibenwischer in der ARD und erhält eine seiner wichtigsten Rollen in Helmut Dietls Kir Royal (1985). Ab 2003 zieht Hildebrandt sich auf Gastrauftritte zurück und rückt das Schreiben immer mehr in den Vordergrund: 1986 erscheint sein erstes Buch Was bleibt mit übrig. Anmerkungen zu (meinen) 30 Jahren Kabarett. Über 20 Bücher publiziert er, darunter von Dieter Hanitzsch illustrierte Satiren, und an genauso vielen Filmen und Serien wirkt er mit.
In der Haimhauser-/ Ecke Ursulastraße feiert das Ensemble der Lach- und Schießgesellschaft (Hildebrandt mit Ursula Herking, Hans Jürgen Diedrich und Klaus Havenstein) am 12. Dezember 1956 mit dem Programm „Denn sie müssen nicht, was sie tun“ seine Premiere. Das Lokal heißt damals noch „Stachelschwein“ und ist Bühne der „Namenlosen“. Begrüßt werden die Zuschauer von einem Singsang, der dem Ensemble noch seinen Namen geben wird:
Hildebrandt/Havenstein/Diedrich:
Es ist zum Schießen,
zum Schießen, zum Schießen.
Es ist zum Schießen
Alles angerichtet,
aufgestellt, geprüft, gedichtet.
Es ist zum Lachen,
zum Lachen, zum Lachen.
Es ist zum Lachen
Alles ausgerichtet,
umgestellt, zensiert, gesichtet.
Hiermit eröffnen wir [...]
Alle: Und unser Haus liegt an der
Münchner Freiheit, doch bis zur
Freiheit ist es noch sehr weit und
tun wir auch, was wir nicht lassen
können und müssen wir nicht, was
wir tun, den einen Glauben müssen
Sie uns gönnen, dass wir es wissen,
was wir tun!
(Zitiert nach: Till Hofmann (Hg.): Verlängert. 50 Jahre Lach- und Schießgesellschaft. Aufgeschrieben von Matthias Kuhn. München 2006, S. 12f.)
Darin klingt der Auftrag an, den sich das Ensemble in der jungen Bundesrepublik gibt: den alten Zopf abschneiden und den Finger in die Wunde legen – im gemütlichen Wirtschaftswunderland. Den überzeugten '68ern war die Lach- und Schießgesellschaft jedoch zu gefällig, zu unterhaltsam, nicht links genug. Dazu Dieter Hildebrandt:
Ich bemerke mit Staunen, dass die deutschen Akademiker, die jungen wie die alten, an den wirklichen Problemen des Landes vorbeimarschierten. Und dass viele der besonders Linken inzwischen nach rechts marschiert sind. (Zitiert nach: Stankiewitz 2008, S. 139)
Hildebrandt und seine Truppe war eine dieser „Scheißliberalen“, gegen welche die APO hetzte. Gleichermaßen brachte auch sie die sich zuspitzende revolutionäre Stimmung ins Grübeln. Das politische Kabarett muss sich überdenken, war bislang eine eigene Art außerparlamentarische Opposition gewesen, die aber durchweg zivilisiert agierte. In der Lach- und Schieß' muss man 1967 in sich gehen – und verzichtet auf ein Frühjahrsprogramm. Wie reagieren auf die Stimmung auf der Straße? Im Herbst folgt die Antwort: Der Moor ist uns noch was schuldig. Das Drama von Schiller wird zum Dreh- und Angelpunkt der Literaturrezeption um '68. Dabei wird die „Inszenierung“ der Räuber, als Schelmenstück um einen sechsten Akt erweitert, auf der Bühne der Lach- und Schießgesellschaft keineswegs eine Solidaritätserklärung zu den unruhigen Studenten. Hildebrandt entdeckt in den Räubern vielmehr die „Grundzüge des deutschen Unwesens“: Militanz und Ignoranz. Umso mehr mag es verwundern, dass sich zunächst der der APO nahestehende Wolfgang Neuss dafür gewinnen lässt, ein paar Ideen beizusteuern. Der Räuberhauptmann Karl Moor, Dutschke entlehnt, wird auf die zeitgenössische Gesellschaft – und ihre Aufmüpfigen – losgejagt und dabei die ganze Klaviatur von Enteignung, Kapitalismuskritik und Konsumgesellschaft gespielt. Moor diskutiert mit seinem Kumpanen in den böhmischen Wäldern den Freiheitsbegriff und erhält den Büchner-Preis für seine unermüdliche Revolution. Dazu gibt es ein „Moor-Hearing“, psychotherapeutisch aufgezogen. So weit, so revolutionär – doch die Protestbewegung ist von Beginn an selbst Zielscheibe der Parodie, nicht etwa nur das böse Establishment:
Ein Postbote liefert ein Telegramm ab. Schufterle öffnet.
SCHUFTERLE: Es lebe die Revolution – sie ist tot. Gezeichnet: ... Scheiße, anonym.
MOOR: Was siehst du mich so an? Bin ich ihr Mörder?
SCHUFTERLE: Natürlich du. Mit deiner Traumvision von absoluter Freiheit. [...] Die Gegner, die du schrecken willst, die kriechen dir zum Hintern rein und kommen dir nach kurzer Zeit zum Hals heraus. Die Welt verändern wolltest du? Daß ich nicht lache. Du fühlst dich stark und schreist und prahlst, dann kriegst du eine übern Schädel. Und in der „Bunten“ läßt du deine Beulen öffentlich verbreiten. Und schmollst. Und alles das, weils mit Amalien nicht beim ersten Mal geklappt hat. Menschenskind!
MOOR: Das mir, dem Moor!
SCHUFTERLE: Na und? Wer bist du noch?
MOOR: Ein Stück vom guten Deutschland!
SCHUFTERLE: Ein schlechtes Stück und schlecht gespielt.
(Dieter Hildebrandt: Was bleibt mir übrig. Anmerkungen zu (meinen) 30 Jahren Kabarett. München 1986, S. 193f.)
Und besiegelt erscheint der reformerische Geist spätestens mit dem Auftritt von Ursula Noack als Jeanne d'Arc, die schlimme Erfahrungen bei den Pariser Maiunruhen gemacht hat und gegenüber Karl deklamiert:
Versuch es mit Verstand und mit Vernunft. [...]
Den Bart nimm ab und lass die Haare schneiden,
dann hören dir die Menschen eher zu.
Das ist zwar traurig, aber du muss rechnen
mit Land und Leuten und Gegebenheit.
Kämpf nicht allein. Umgib dich mit Gehirnen.
Doch halte die Gesellen dir vom Leibe,
die Aggression mit Argument verwechseln.
Denk dran: wir zwei – wir haben Ideale.
Die andern haben Ideologien.
Du musst zum Kern, doch erst durch eine Schale
Von knochenhart verholzten Hysterien.
Zerstöre mit Geduld und stetem Klopfen,
was neuem Denken sich entgegenstellt.
Gedankenplüsch und nationalen Plunder,
Axiome, Dogmen, Phrasen, Vorurteile –
raub diesem Volke den sterilen Glauben
an Heimat, Staat, Nation und Vaterland,
doch geh im nicht an Kühlschrank, Mark und Flieder.
(Zitiert nach: Hofmann, S. 84)
Obwohl die Darbietung ausgewogen und differenziert erscheint – die Ideale der linken Revolution stützt, aber zur friedlichen Umwälzung ermahnt –, ist das Programm, das seine Premiere auf der Tournee am 28. September im Markgrafentheater in Erlangen feiert, nicht sehr erfolgreich. Wolfgang Neuss drängt mit Rücksicht auf seine Freunde bei der APO darauf, dass sein Name bei der Mitarbeit bei den „Scheißliberalen“ nicht publik gemacht werde. Die Abendzeitung erkannte immerhin an: „eine ‚Räuber‘-Bande frei nach Schiller, die kräftig ballert, mehr aufs Hirn, weniger auf Zwerchfell zielend“.
Hofmann, Till (Hg.) (2006): Verlängert. 50 Jahre Lach- und Schießgesellschaft. Aufgeschrieben von Matthias Kuhn. München.