Kunst als Aktion

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"Be Your Own Goddess" Kunstbus (1967 VW Kombi)

Die Grenzen zwischen Bühnen- und Bildender Kunst zerfließen in der Aktionskunst: Noch nie standen die Absolventen der Kunstakademien den Theaterakteuren so nahe. Man orientierte sich weg vom Blatt und suchte den Kulturrezipienten in das Kunstwerk mit einzubeziehen, das nunmehr zu einem künstlerischen Geschehen wurde – Veränderung findet nicht auf dem Papier statt. Bekannt sind vor allem die Anti-Vietnam-Aktionen und die Holocaust-Aufarbeitungen, wie sie von Künstlern wie Joseph Beuys oder Wolf Vostell realisiert werden. Der Kunstbetrieb in München scheint zu diesem Zeitpunkt noch sehr konservativ ausgerichtet zu sein. Die „Große Kunstausstellung 1968“ zeigt knapp tausend Kunstwerke im Haus der Kunst, deren Aufgebot von drei  der anerkannten Künstlergruppen dominiert wird: der Neuen Gruppe, der Secession und der Neuen Münchner Künstlergenossenschaft. 188 der 601 Aussteller waren unter 65 Jahre alt. Rebellen hatten keinen Platz in diesem konventionellen Ambiente – Kokoschka und Dix wirken mittlerweile schon geradezu altmeisterlich.

Die jungen Künstler provozieren allenfalls mit verspielter Pop-Art wie Peter Sorges Druckgrafiken Does Sex cause Cancer? oder die Antikriegs-Grafik Heißer Sommer. Zeitgleich formiert sich eine Anti-Ausstellung im Schwabinger Untergrund, wie eine Schlagzeile ankündigt: „Drunten ist Happening. ‚Subart‘ in den Münchner U-Bahn-Schächten“ (2. Juli 1968; Saarbrücker Zeitung Nr. 150, S. 5). Kunst im öffentlichen Raum ist ein radikales Novum: Die „Ausstellungsräume“, also die U-Bahn, werden in das Kunstwerk mit einbezogen ebenso wie die Betrachter, die durch Installationen und Parcours laufen müssen und mit dem Sound von Musikinstallationen beschallt werden. Diese neue sphärische Kunst weist der Land-Art den Weg. Direkter fallen die Protestaktionen an der Kunstakademie aus. Hier sind es nicht Flugblätter und Plakate, sondern Pinsel und Spachtel, mit dem die kalkweißen Wände der Revolution geweiht werden: Den Muff unter den Talaren (der Akademieprofessoren) kommentieren Parolen wie „Die Kunst ist tot, ihr seid die Kunst“. Spinde werden zu Särgen gezimmert und die Namen der für reaktionär befundenen Professoren auf diesen notiert.

Doch im März 1968 bekommt München auch ein neues Museum für Jugendstil-Exponate. Der Jugendstil zählt zwar als künstlerische Strömung bereits ein halbes Jahrhundert, gilt in den 1960ern aber durchaus immer noch als reformerisch und provokant. Mit seinem Programmbild der Sünde bietet der Malerfürst Franz Stuck eine Identifikationsbrücke für Avantgardisten wie Traditionalisten. Die Villa gedeiht als Präsentationsfläche europäischer Symbolisten und bedient dabei einerseits den Wunsch nach Ästhetik, während sie gleichermaßen Einblicke in die menschlichen Abgründe eröffnet. Diese sprechen vermehrt die Fraktion der Surrealisten an, die sich im Gegensatz zu ihren Kollegen auf der Straße, die den Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung im politischen Sinne meinen, an einer Neubestimmung der menschlichen Natur orientieren.

Unter die gefälligen Exponate in den Münchner Galerien mischen sich auch die Werke von Lothar-Günther Buchheim: Die Galerie Thomas  zeigt die Pop-Art-Grafik und satirischen Plakate des Künstlers, der in Feldafing einen Kunstkalenderverlag betreibt (und 2001 sein „Museum der Phantasie“ in Bernried begründen wird). Nicht wegzudenken sind aus diesem Umfeld auch die Provokationen Otto Muehls (s. Kap. Demokratisierung des Theaters), dessen Ferkeleien in einem Zusammenhang mit der allgemeinen Enthemmung der Künstlerschaft steht, die auch die Fotografie erfasst: Auf der Sexwelle der '68er schwimmt auch die Ausstellung Eva & Er, die es sogar ins Stadtmuseum schafft. Peter Rabas Eine Fotogeschichte fängt die Naturidylle des Alpenvorlandes ein, in dem die Liebenden ihr individuelles Glück fernab der Industriegesellschaft suchen. Thilo Keil wiederum sucht den Körper mikroskopisch zu fassen und verwendet seine exhibitionistische Kamera im Gegensatz zu Heinrich Bölls „humaner Kamera“, um seine sogenannten Hautbilder zu generieren. In ihrer Zerstückelung wirken diese Aufnahmen jedoch wie abstrakte Aktbilder. Und in der „Avant Art Galerie“ lässt in der Ausstellung „hautnah“ der Künstler schließlich seine eigenen Hüllen fallen: In splitterfasernackter Erscheinung stellte sich dieser vor das Publikum und spielte ein Stück auf der Geige.

Verfasst von: Monacensia im Hildebrandhaus / Dr. Nastasja S. Dresler

Sekundärliteratur:

Stankiewitz, Karl (2008): München '68. Traumstadt in Bewegung. Volk Verlag, München.