Medienkritik und Programmkino
Eine Zielscheibe der kritischen '68er sind die (Print-)Medien, die sich damals bereits als „vierte Gewalt“ im Staat zu formieren drohen, allen voran die BILD-Zeitung, das 1952 gehisste Flaggschiff der Springer Presse. So steht auch Heinrich Bölls Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1974) an späterer Stelle einer fortgeschrittenen Hassbeziehung zwischen Springer-Konzern und linkem Protest. Auch in München gerät das Haus Springer ins Visier der Protestbewegung. Die Zentrale in der bayerischen Landeshauptstadt ist im ehemaligen Druckhaus des „Völkischen Beobachters“ ansässig und gerät daher gleich in zweierlei Hinsicht zum Dorn im Auge der Rebellen. Tendenziell scheint die Presse eher konservativ ausgerichtet zu sein, so auch der Bayerische Rundfunk oder der Münchner Merkur. Ganz zu schweigen vom CSU-Hausblatt Bayern-Kurier. Linksgesonnener erweisen sich die Abendzeitung und die Süddeutsche Zeitung, die gegenüber den Anliegen der aufständischen Studenten Sympathie signalisieren. Doch auch diese verweigern sich 1968 dem Abdruck einer Anzeige namhafter Münchner Schriftsteller, Professoren und Künstler, die dazu aufrufen wollen, den Springer-Konzern aufzulösen. Namentlich ist es der Abendzeitung-Kulturredakteur und Kabarett-Kritiker Klaus Budzinski, mit dem diese anvisierte Kooperation scheitert.
Das Fernsehen erscheint demgegenüber ambivalenter: Das neue TV-Medium hat das Potential, die Wahrnehmung des Betrachters zu erweitern, der vor allem der jugendlichen Zielgruppe angehört. Der Philosoph Marshall McLuhan spricht in diesem Zusammenhang von der „Expansion des Zentralnervensystems“ vermittels der elektronischen Informationen. Das Fernsehen eröffnet eine ganze Welt und hebt die regionale Beschränkung des Zeitungswesens auf. Der Salzburger Professor Franz Zöchbauer untersucht den Einfluss von Fernsehkonsum auf Jugendliche genauer und weist auf die Verantwortung hin, die dem Fernsehen als Erziehungsanstalt zukommt. Die Möglichkeiten des neuen Mediums bergen auch die Gefahr der Manipulation. So laufen die linken Studenten im Protestjahr auf dem Gelände des Bayerischen Rundfunks auf, um im Sinne dieser Verantwortung zu demonstrieren – der sich die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten bis heute verpflichtet sehen.
So verwundert es wenig, dass der Geist von '68, mit Ausnahmen von Kultschreibern wie Sigi Sommer, weniger durch die Feuilletons weht, sondern im Film eine neue Ausdrucksform und einen Resonanzraum findet. Filmproduzent Rob Houwer verkündet die „wilden Jahre des neuen Films“. Zwar setzt sich in den Kinosälen eher Unterhaltung durch als unbequeme Sozialkritik. Von beschwingten Heile-Welt-Szenarien scheint diese Nachkriegsgesellschaft auch in den 1960ern nimmersatt zu werden. Dennoch können die Rebellen ihren Einfluss geltend machen – auf Fernsehbildschirm und Kinoleinwand ebenso wie auf der Straße. Die APO demonstriert in München gegen den Film Die grünen Teufel von John Wayne, in dem der Kriegseinsatz in Vietnam verherrlicht wird. Der Aufstand erwirkt, dass der Film abgesetzt wird. Und die bedeutenden Filmemacher Volker Schloendorff und Michael Verhoeven bedienen sich der Suggestionskraft des bewegten Bildes, um eine eindrückliches Porträt der verlogenen, unzureichend entnazifizierten Nachkriegsgesellschaft zu zeichnen. Verhoeven äußert zu seinem Werk Paarungen (1967):
Ich fand, dass Strindbergs Totentanz ein treffliches Abbild einer verlogenen Gesellschaft zeichnet. Mit dem daraus entwickelten Film Paarungen habe ich versucht, den Kampf zwischen den Ehepartnern anzuzeigen, wie man etwa bei Boxkämpfen von den „Paarungen“ der Gegner spricht. Kampf also. Nicht unbedingt tödlich, doch mit der Absicht, den Gegner vernichtend zu schlagen, wobei die eigenen Lebenslügen behütet bleiben sollen.
(Zitiert nach Stankiewitz 2008, S. 151.)
Die gesellschaftlichen Verhältnisse spiegelt May Spils Zur Sache Schätzchen (1968), produziert von Peter Schamoni. Schamoni weist die Kritik von sich, der junge Film sei mittlerweile nicht mehr gesellschaftskritisch, sondern verlagere sich zunehmend in Traumwelten, wie Steffen Wolf vom Institut für Film und Bild festzustellen meint – „Wir wollen Besseres machen als das Fernsehen.“ Besseres wird aber auch im Fernsehen gemacht: Reinhard Hauff produziert für den WDR den Film mit dem vielversprechenden Namen „Die Revolte“. Für den satirisch-provozierenden Umgang mit dem neuen Ausdrucksmedium steht wiederum Herbert Achternbusch.
Den wilden Jahren des Films gelingt es schließlich auch sich zu institutionalisieren: Im Westend entsteht ein Kino für Underground-Produktionen: „Das andere Kino“. Die Kriterien für diejenigen Filme, die im Anderen Kino gezeigt werden, sind ihr systemkritischer Ansatz, ihre dezidierte Sittenwidrigkeit respektive was seinerzeit für sittenwidrig befunden wird, ihr unkonventioneller künstlerisch-technischer Anspruch, der sich für kommerzielle Zwecke nicht eignet – kurzum Filme, die schlechthin zu avantgardistisch für den herkömmlichen Betrieb sind. In dieses Spektrum fallen Produktionen wie Vlado Kristls 100 Blatt Schreibblock (1968), Lutz Mommertz pseudo-sexuelle Kurzfilme oder Dietrich Schubert-Rosenthals Selbstschutz für Demonstranten (1968). Das Kino kann sich jedoch nicht lange halten. Der Filmemacher Hannes Fuchs sucht einen Zufluchtsort in Schwabing; er liebäugelt mit dem Independent Film Center, das jedoch auch bald schließen muss. Nachdem Otto Muehl auf der Bühne uriniert hat, wird die Institution aus dem Viertel vertrieben. Mit dieser Aktion sind auch die Geschmacksgrenzen des liberalen Publikums überschritten worden. Immerhin sind diese die ersten Gehversuche des Programmkinos, zu dem Rainer Werner Fassbinder in den Folgejahren Werke von internationaler Ausstrahlung beitragen wird (s. im Folgenden Demokratisierung des Theaters).
Sekundärliteratur:
Stankiewitz, Karl (2008): München '68. Traumstadt in Bewegung. Volk Verlag, München.
Weitere Kapitel:
Eine Zielscheibe der kritischen '68er sind die (Print-)Medien, die sich damals bereits als „vierte Gewalt“ im Staat zu formieren drohen, allen voran die BILD-Zeitung, das 1952 gehisste Flaggschiff der Springer Presse. So steht auch Heinrich Bölls Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1974) an späterer Stelle einer fortgeschrittenen Hassbeziehung zwischen Springer-Konzern und linkem Protest. Auch in München gerät das Haus Springer ins Visier der Protestbewegung. Die Zentrale in der bayerischen Landeshauptstadt ist im ehemaligen Druckhaus des „Völkischen Beobachters“ ansässig und gerät daher gleich in zweierlei Hinsicht zum Dorn im Auge der Rebellen. Tendenziell scheint die Presse eher konservativ ausgerichtet zu sein, so auch der Bayerische Rundfunk oder der Münchner Merkur. Ganz zu schweigen vom CSU-Hausblatt Bayern-Kurier. Linksgesonnener erweisen sich die Abendzeitung und die Süddeutsche Zeitung, die gegenüber den Anliegen der aufständischen Studenten Sympathie signalisieren. Doch auch diese verweigern sich 1968 dem Abdruck einer Anzeige namhafter Münchner Schriftsteller, Professoren und Künstler, die dazu aufrufen wollen, den Springer-Konzern aufzulösen. Namentlich ist es der Abendzeitung-Kulturredakteur und Kabarett-Kritiker Klaus Budzinski, mit dem diese anvisierte Kooperation scheitert.
Das Fernsehen erscheint demgegenüber ambivalenter: Das neue TV-Medium hat das Potential, die Wahrnehmung des Betrachters zu erweitern, der vor allem der jugendlichen Zielgruppe angehört. Der Philosoph Marshall McLuhan spricht in diesem Zusammenhang von der „Expansion des Zentralnervensystems“ vermittels der elektronischen Informationen. Das Fernsehen eröffnet eine ganze Welt und hebt die regionale Beschränkung des Zeitungswesens auf. Der Salzburger Professor Franz Zöchbauer untersucht den Einfluss von Fernsehkonsum auf Jugendliche genauer und weist auf die Verantwortung hin, die dem Fernsehen als Erziehungsanstalt zukommt. Die Möglichkeiten des neuen Mediums bergen auch die Gefahr der Manipulation. So laufen die linken Studenten im Protestjahr auf dem Gelände des Bayerischen Rundfunks auf, um im Sinne dieser Verantwortung zu demonstrieren – der sich die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten bis heute verpflichtet sehen.
So verwundert es wenig, dass der Geist von '68, mit Ausnahmen von Kultschreibern wie Sigi Sommer, weniger durch die Feuilletons weht, sondern im Film eine neue Ausdrucksform und einen Resonanzraum findet. Filmproduzent Rob Houwer verkündet die „wilden Jahre des neuen Films“. Zwar setzt sich in den Kinosälen eher Unterhaltung durch als unbequeme Sozialkritik. Von beschwingten Heile-Welt-Szenarien scheint diese Nachkriegsgesellschaft auch in den 1960ern nimmersatt zu werden. Dennoch können die Rebellen ihren Einfluss geltend machen – auf Fernsehbildschirm und Kinoleinwand ebenso wie auf der Straße. Die APO demonstriert in München gegen den Film Die grünen Teufel von John Wayne, in dem der Kriegseinsatz in Vietnam verherrlicht wird. Der Aufstand erwirkt, dass der Film abgesetzt wird. Und die bedeutenden Filmemacher Volker Schloendorff und Michael Verhoeven bedienen sich der Suggestionskraft des bewegten Bildes, um eine eindrückliches Porträt der verlogenen, unzureichend entnazifizierten Nachkriegsgesellschaft zu zeichnen. Verhoeven äußert zu seinem Werk Paarungen (1967):
Ich fand, dass Strindbergs Totentanz ein treffliches Abbild einer verlogenen Gesellschaft zeichnet. Mit dem daraus entwickelten Film Paarungen habe ich versucht, den Kampf zwischen den Ehepartnern anzuzeigen, wie man etwa bei Boxkämpfen von den „Paarungen“ der Gegner spricht. Kampf also. Nicht unbedingt tödlich, doch mit der Absicht, den Gegner vernichtend zu schlagen, wobei die eigenen Lebenslügen behütet bleiben sollen.
(Zitiert nach Stankiewitz 2008, S. 151.)
Die gesellschaftlichen Verhältnisse spiegelt May Spils Zur Sache Schätzchen (1968), produziert von Peter Schamoni. Schamoni weist die Kritik von sich, der junge Film sei mittlerweile nicht mehr gesellschaftskritisch, sondern verlagere sich zunehmend in Traumwelten, wie Steffen Wolf vom Institut für Film und Bild festzustellen meint – „Wir wollen Besseres machen als das Fernsehen.“ Besseres wird aber auch im Fernsehen gemacht: Reinhard Hauff produziert für den WDR den Film mit dem vielversprechenden Namen „Die Revolte“. Für den satirisch-provozierenden Umgang mit dem neuen Ausdrucksmedium steht wiederum Herbert Achternbusch.
Den wilden Jahren des Films gelingt es schließlich auch sich zu institutionalisieren: Im Westend entsteht ein Kino für Underground-Produktionen: „Das andere Kino“. Die Kriterien für diejenigen Filme, die im Anderen Kino gezeigt werden, sind ihr systemkritischer Ansatz, ihre dezidierte Sittenwidrigkeit respektive was seinerzeit für sittenwidrig befunden wird, ihr unkonventioneller künstlerisch-technischer Anspruch, der sich für kommerzielle Zwecke nicht eignet – kurzum Filme, die schlechthin zu avantgardistisch für den herkömmlichen Betrieb sind. In dieses Spektrum fallen Produktionen wie Vlado Kristls 100 Blatt Schreibblock (1968), Lutz Mommertz pseudo-sexuelle Kurzfilme oder Dietrich Schubert-Rosenthals Selbstschutz für Demonstranten (1968). Das Kino kann sich jedoch nicht lange halten. Der Filmemacher Hannes Fuchs sucht einen Zufluchtsort in Schwabing; er liebäugelt mit dem Independent Film Center, das jedoch auch bald schließen muss. Nachdem Otto Muehl auf der Bühne uriniert hat, wird die Institution aus dem Viertel vertrieben. Mit dieser Aktion sind auch die Geschmacksgrenzen des liberalen Publikums überschritten worden. Immerhin sind diese die ersten Gehversuche des Programmkinos, zu dem Rainer Werner Fassbinder in den Folgejahren Werke von internationaler Ausstrahlung beitragen wird (s. im Folgenden Demokratisierung des Theaters).
Stankiewitz, Karl (2008): München '68. Traumstadt in Bewegung. Volk Verlag, München.