Münchner Schriftstellerinnen-Verein ab 1925: Carry Brachvogel und Eva von Baudissin als Vorsitzende

Seit dem 5. Februar 1924 werden die Vereinssitzungen des Münchner Schriftstellerinnen-Vereins in den Künstlerinnen-Verein in der Barerstraße 21 verlegt. Bis 1933 hat der Verein fortan hier seinen Sitz, auch Generalversammlungen und alle Feiern finden nun hier statt. Als Emma Haushofer-Merk, seine erste Vorsitzende, im Juli 1925 stirbt, übernimmt Carry Brachvogel das Amt der ersten Vorsitzenden. Die deutschlandweit bekannte Münchner Schriftstellerin Eva Gräfin von Baudissin wird 1927 zur zweiten Vorsitzenden gewählt.

Die aus Lübeck stammende Eva Gräfin von Baudissin hatte sich 1908 nach ihrer Scheidung von dem Schriftsteller Wolf Graf von Baudissin, mit ihrem dreizehnjährigen Sohn Wolf in München niedergelassen. Wie so viele Künstler und Schriftsteller ihrer Zeit war sie, die damals schon eine deutschlandweit bekannte Schriftstellerin und Feuilletonistin war, nach Schwabing gezogen. 1912, vier Jahre nach ihrer Ankunft in München, war auch sie Mitglied im Münchner Verein für Fraueninteressen geworden, Ende November 1913 zudem in den von Emma Haushofer-Merk und Carry Brachvogel gegründeten Münchner Schriftstellerinnen-Verein eingetreten. Mit beiden Frauen war sie zu diesem Zeitpunkt schon längst befreundet.

Anfang 1914 hatte Eva Gräfin von Baudissin (zusammen mit Anna Chamberlain) auch selbst einen Verein gegründet, den Münchner Frauenclub, eine Vereinigung von Schriftstellerinnen, Kunstmalerinnen, Bildhauerinnen und künstlerisch interessierten Frauen. Sein Ziel war es, den geistig schaffenden Frauen eine Plattform für einen internationalen Austausch zu bieten und auf zahlreichen Kulturgebieten Anregung zu geben. Der Club organisierte zudem zahlreiche Veranstaltungen, Vorträge, Lesungen und Ausflüge, die auch dazu dienen sollten, unbekannte Orte für den Tourismus zu erschließen.

Von 1927 bis 1933 leiten Carry Brachvogel und Eva Gräfin von Baudissin zusammen den Münchner Schriftstellerinnen-Verein und rücken als Kolleginnen und Freundinnen eng zusammen. Und so erstaunt es nicht, dass Carry Brachvogel 1929 von den Münchner Neuesten Nachrichten gebeten wird, eine Würdigung zu Eva Gräfin von Baudissins 60. Geburtstag zu verfassen, der allerorts in der Tagespresse gefeiert wird. So schreibt Brachvogel über ihre Kollegin:

Ja liebe Gräfin, nun ist auch für Sie der Tag gekommen, der uns (angeblich oder wahr) in die Nähe der Greisenschwelle bringt. Schon ist in illustrierten Blättern Ihr Bild erschienen, und ehestens werden ordnungsliebende Berichterstatter melden, daß Sie am 8. Oktober 1869 zu Lübeck, als Tochter des Arztes Dr. Türk das Licht der Welt erblickten, daß Sie in einem hochkultivierten Elternhause heranwuchsen, sich mit dem einst vielgelesenen Freiherrn von Schlicht (Graf Baudissin) vermählten und mit dem Umweg über Ehe, norddeutsche Garnisonen, Hamburg und Dresden, in unsere Stadt kamen, in der Sie seit Jahrzehnten leben und die Sie liebgewonnen haben, als wären Sie ein echtes Münchner Kind. Und ferner werden die Berichterstatter erzählen, daß sie dank Ihren Romanen und Novellen nicht nur eine bekannte Schriftstellerin sind, sondern auch für große deutsche und ausländische Blätter, journalistisch arbeiten, daß weite Reisen Sie durch vier Erdteile führten, daß Sie (wie schon ihr Bergsteigerinnenbuch mit dem flotten Titel Sie am Seil beweist) zu den kühnen Hochalpinistinnen zählen, erste Vorsitzende im „Münchner Frauenklub“, zweite Vorsitzende im „Münchner Schriftstellerinnenverein“ sind und nebenbei noch in mannigfachen sozialen Unternehmungen tätig [...] Für jeden einigermaßen federgewandten Menschen ist es leicht, am Jubiläumstag eines Schriftstellers dessen sämtliche Werke aufzuzählen (wozu wäre Kürschners Literaturkalender auf der Welt?!) und sich anzustellen, als ob er sie allesamt gelesen, vielleicht sogar verschlungen hätte. [...] Aber wahrheitsgemäß darf ich sagen, daß ich Ihrem autobiographischen, heiter-rührenden Buch Im Laufgraben ebensoviele Leser wünsche wie dem erschütternden Aus Liebe zu Russland, wie der köstlich-humoristischen Laterne über der Türe, nicht zu vergessen Kleinstadtrausch und den Münchner Roman Einer von dreien.

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

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Reklamemarke Eva Gräfin von Baudissin © Privatarchiv Ingvild Richardsen