Kriegsausbruch und Neue Menschen
Durch die Reaktionen der Opernsängerin Steffi und der hochkultivierten Irene von Erhart wird veranschaulicht, wie unfassbar der Kriegsausbruch im Jahr 1914 von vielen begriffen wurde:
Sie glauben doch nicht im Ernst, daß es Krieg gibt?! so fragte Steffi in dieser Zeit fast jeden Menschen, den sie traf. Sie fragte ihren Mann, all ihre Verwandten, jeden Bauern, der des Weges schritt, ja jedes Mütterchen, das Gras mähte oder Gemüse aus dem Garten holte. Immer lag heitere Zuversicht in ihrer Frage, so als ob es ganz unmöglich wäre, daß ein Mensch andres antworten könnte, als: >Aber gar keine Idee! Das sind nur die Angstmeier, die an einen Krieg glauben<. [...] Auch Irene lehnte jede Möglichkeit des Krieges mit einer königlichen Handbewegung ab, lehnte sie nicht aus persönlichen Interessen, sondern aus ihrer Weltanschauung heraus ab. Auch sie lächelte, wenn sie von Felduniformen und Frauenängsten hörte, und verstand nicht, wie ein Krieg überhaupt von ernsthaften Leuten ernsthaft erwogen werden konnte [...]: >Wer kann heutzutage noch an Krieg denken?! Das ist ein überwundener Standpunkt, ein Überbleibsel aus barbarischer Zeit! Heute schlichtet man alles auf andre Weise! Kulturvölker führen keinen Krieg!<
Das Verhalten der Menschen nach Kriegsausbruch wird aus der Perspektive von Steffi geschildert. Sie hat den Eindruck, „neuen“ Menschen gegenüberzustehen. Bei den Männern beobachtet sie durch alle Altersgruppen hindurch eine unfassbare Begeisterung, der „großen Sache“ dienen zu können:
Weißhaarige Generäle, die schon lange das Zivil getragen hatten, meldeten sich wieder zum Dienst, die Wehrpflichtigen wurden fast ausnahmslos schon in den ersten Kriegstagen einberufen, und knabenhafte Freiwillige, die eben noch die Schulbank gedrückt hatten, verkündeten mit glänzenden Augen, daß sie zum Kriegsdienst angenommen worden seien.
Bei den Frauen hingegen macht sie mit großem Erstaunen große Selbstzurücknahme und Opferbereitschaft fest. Sie begreift nicht,
wie sich all die Frauen voll Fassung, ja mit Stolz das Liebste vom Herzen reißen ließen und nicht einmal nach dem Ausmarsch des Mannes oder des Sohnes in haltlosem Jammer zusammenbrachen. Erstaunt, ungläubig [...] sah sie wie all diese Frauen, mochten sie auch gestern noch so lebenslustig, noch so elegant, oder noch so sportlich gewesen sein, sich irgendwie zu einer gemeinnützigen Arbeit zusammenfanden, die ihnen über die Qual der bangenden Tage und Nächte, die vor ihnen lagen, hinweghalf. So einfach geschah das alles, so still übte jede die äußerste Selbstvergessenheit, daß Steffi sich zuweilen erstaunt fragte, ob denn plötzlich lauter neue Menschen zu ihr kamen und sprachen, die mit denen von gestern kaum mehr etwas gemein hatten.
Weitere Kapitel:
Durch die Reaktionen der Opernsängerin Steffi und der hochkultivierten Irene von Erhart wird veranschaulicht, wie unfassbar der Kriegsausbruch im Jahr 1914 von vielen begriffen wurde:
Sie glauben doch nicht im Ernst, daß es Krieg gibt?! so fragte Steffi in dieser Zeit fast jeden Menschen, den sie traf. Sie fragte ihren Mann, all ihre Verwandten, jeden Bauern, der des Weges schritt, ja jedes Mütterchen, das Gras mähte oder Gemüse aus dem Garten holte. Immer lag heitere Zuversicht in ihrer Frage, so als ob es ganz unmöglich wäre, daß ein Mensch andres antworten könnte, als: >Aber gar keine Idee! Das sind nur die Angstmeier, die an einen Krieg glauben<. [...] Auch Irene lehnte jede Möglichkeit des Krieges mit einer königlichen Handbewegung ab, lehnte sie nicht aus persönlichen Interessen, sondern aus ihrer Weltanschauung heraus ab. Auch sie lächelte, wenn sie von Felduniformen und Frauenängsten hörte, und verstand nicht, wie ein Krieg überhaupt von ernsthaften Leuten ernsthaft erwogen werden konnte [...]: >Wer kann heutzutage noch an Krieg denken?! Das ist ein überwundener Standpunkt, ein Überbleibsel aus barbarischer Zeit! Heute schlichtet man alles auf andre Weise! Kulturvölker führen keinen Krieg!<
Das Verhalten der Menschen nach Kriegsausbruch wird aus der Perspektive von Steffi geschildert. Sie hat den Eindruck, „neuen“ Menschen gegenüberzustehen. Bei den Männern beobachtet sie durch alle Altersgruppen hindurch eine unfassbare Begeisterung, der „großen Sache“ dienen zu können:
Weißhaarige Generäle, die schon lange das Zivil getragen hatten, meldeten sich wieder zum Dienst, die Wehrpflichtigen wurden fast ausnahmslos schon in den ersten Kriegstagen einberufen, und knabenhafte Freiwillige, die eben noch die Schulbank gedrückt hatten, verkündeten mit glänzenden Augen, daß sie zum Kriegsdienst angenommen worden seien.
Bei den Frauen hingegen macht sie mit großem Erstaunen große Selbstzurücknahme und Opferbereitschaft fest. Sie begreift nicht,
wie sich all die Frauen voll Fassung, ja mit Stolz das Liebste vom Herzen reißen ließen und nicht einmal nach dem Ausmarsch des Mannes oder des Sohnes in haltlosem Jammer zusammenbrachen. Erstaunt, ungläubig [...] sah sie wie all diese Frauen, mochten sie auch gestern noch so lebenslustig, noch so elegant, oder noch so sportlich gewesen sein, sich irgendwie zu einer gemeinnützigen Arbeit zusammenfanden, die ihnen über die Qual der bangenden Tage und Nächte, die vor ihnen lagen, hinweghalf. So einfach geschah das alles, so still übte jede die äußerste Selbstvergessenheit, daß Steffi sich zuweilen erstaunt fragte, ob denn plötzlich lauter neue Menschen zu ihr kamen und sprachen, die mit denen von gestern kaum mehr etwas gemein hatten.