Ziele nach 1900-1913: Modernsein

Zu Beginn des neuen Jahrhunderts am 18. Januar 1901 hält Ika Freudenberg auf der Generalversammlung des Vereins, der sich selbst als „modern“ begreift, einen Vortrag, in dem sie die Ziele des Vereins zu Beginn des Jahrhunderts programmatisch umreißt. Anita Augspurg hat zu diesem Zeitpunkt bereits München verlassen und sich dem radikalen Flügel der Frauenbewegung zugewendet.

Zuvorderst stellt die Präsidentin Ika Freudenberg die Förderung der geistigen Selbstständigkeit der Frauen und ihrer finanziellen Unabhängigkeit:

Eines müssen wir bei jeder Art von gemeinnütziger Thätigkeit, die wir in unseren Vereinen ausüben, fest im Auge behalten: diese Thätigkeit muss von einem wahrhaft und im guten Sinne modernen Geiste erfüllt und getragen sein; sie muss geeignet sein, „die Frauen zum Verständnis volkswirtschaftlicher Interessen und zur Mitwirkung an der allgemeinen bürgerlichen Wohlfahrtspflege zu erziehen“ [...].

Wir müssen ferner die Tendenz, die unserer ganzen Frauenbewegung die Richtung gibt, auch auf diejenigen ausdehnen, für welche wir arbeiten; wir müssen auch bei den Mädchen und Frauen, die unsere Kurse und Schulen besuchen, denen unsere Heime, Asyle und Rechtsschutzstellen zu gute kommen, in erster Linie die geistige Selbstständigkeit zu wecken und zu stärken suchen. Auf eigenen Füssen stehen können, wenn es sein muss; aus eigener Tüchtigkeit sich eine menschenwürdige Existenz schaffen können; dann aber auch verlangen, als reifer, selbstverantwortlicher Mensch geachtet und für voll angesehen zu werden – das ist’s, was die Frauen aller Stände lernen müssen, und was uns als oberster Grundsatz bei allen unseren Erziehungs- und Fortbildungsbestrebungen umschweben sollte.

(Verein für Fraueninteressen e.V. [Hg.]: 7. Jahresbericht, S. 5f.)

Als eine ältere Dame am 23. Januar 1904 einen Brief an die Allgemeine Zeitung schickt, in dem sie Befremden und Unmut äußert über das, was sie alles auf Vorträgen im Münchner Frauenverein gehört hat, und fragt, ob die jungen fanatischen Predigerinnen des neuen Frauenevangeliums denn wirklich glaubten, dass nur die äußeren Verhältnisse, die ökonomische und gesetzliche Abhängigkeit der Frau vom Mann der inneren Selbstständigkeit der Frau bisher im Wege standen, ist es Emma Haushofer-Merk (seit 1902 verheiratet mit Max Haushofer), die ihr im Auftrag des Vereins antwortet:

Ja, verehrte gnädige Frau! Die ökonomische Unabhängigkeit der Frau wäre allerdings ein Riesenschritt zu deren Befreiung! Und nicht blos der Frau aus dem Volke! Wenn erst jede Frau und jedes Mädchen in der Lage wäre, für die eigene Existenz zu sorgen, wie viel schwerlastender Druck müsste dann fortfallen.

(Haushofer-Merk 1904)

Emma Haushofer-Merk ist nach Ika Freudenberg die Frau, die die meisten Aufgaben und Ämter im Verein für Fraueninteressen e.V. übernimmt und fortan innehat. Sie ist fast ununterbrochen Vorstandsmitglied als Schriftführerin. Von 1901-1913 ist sie auch Mitarbeiterin der Rechtsschutzstelle, von 1912-1913 erste Vorsitzende, von 1913-1919 zweite Vorsitzende, ab 1919 Mitglied des Beirats. Zudem ist sie auch Mitglied der Pressekommission und der Jugendgruppe, hält Referate auf den Mitgliederabenden, leitet die Büroabende und die Diskussionsrunden über aktuelle Themen.

Fortan gibt es um Ika Freudenberg einen „inneren Kreis“ von etwa 20 Frauen, welche die Entwicklung des Vereins entscheidend mitprägen und die eng mit der Vereinsgeschichte vor dem Ersten Weltkrieg verbunden sind. Sie gehören dem Vorstand an, arbeiten in den Auskunftsstellen des Vereins, sitzen in den Arbeitskomissionen, halten Referate an Mitgliedsabenden. Einige arbeiten an mehreren Stellen gleichzeitig. Zu diesen Frauen gehören Emma Haushofer-Merk, Sophia Goudstikker, Therese Schmid, Sophie von Trentini, Friederike von Belli di Pino, Martha und Marie Haushofer, Franziska von Braunmühl, Rosa Böhm, Anna Freund, Helene Sumper, Baronin von Gumppenberg, Rosalie Schoenflies, Lotte Willich, Eda Metger und Carry Brachvogel.

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

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Emma Merk, Foto aus dem Atelier Elvira. © Münchner Stadtbibliothek / Monacensia