Das Lyrische Ich beim Politisieren
Beim Lesen fällt mir auf, dass ich dazu neige, das Lyrische Ich mit dem Autor in eins zu setzen. Wie naiv von mir – Anfängerfehler, klar. Andererseits: Die Annahme, dass Dichter und Erzähl-Ich tatsächlich identisch sind, drängt sich mir bei vielen Mundartgedichten tatsächlich auf. Hier spricht jemand, der etwas zu sagen hat, und dieser jemand ist der Autor, so einfach scheint das zu sein. Der Duktus des Authentischen findet sich sehr viel häufiger in den Gedichten als das Spiel mit Perspektiven, Brechungen, Duktus-Wechseln oder Kontrastierungen. Vielleicht liegt hier auch ein Grund dafür, warum uns pubertierenden Schülern Harald Grill damals so gut gefallen hat: Da spricht einer, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, do redt oana vo de Echtn, da sitzt einer und kann nicht anders und mag auch gar nicht anders.
Doch wahrhaftiges Sprechen setzt nicht unbedingt die Identität von Dichter und Lyrischem Ich voraus. Der Unterschied zwischen beiden eröffnet vielmehr neue Sprechmöglichkeiten, die aber, wie mir scheint, von nur wenigen Dichtern genutzt werden.
Manche Texte scheinen auf eine Pointe hin geschrieben, auf die Auflösung eines Rätsels hin, das zu verstehen Zweck und Ende ihrer Interpretation ist: Botschaft verstanden, danke, nächstes Gedicht. Das kann man so machen, warum auch nicht, Autor und Lyrisches Ich fallen in eins, Agitprop lässt grüßen. Aber Gedanken und Sprache bleiben doch an der Oberfläche, und es gibt, abgesehen vom Umbruch, wenig, was diese Gedichte von Prosa unterscheidet, etwa wenn Walter Kraus aus Angst vor dem Atomkrieg in „Traam anno Zwoatausnd“ (Brehm, S. 78) schreibt:
...
Mein Vatan hat da
Herzinfarkt
gleich scho
sauba voramt.
Und mih wern s
pulverisiern,
hat ma
neile traamt!
Doch dann gibt es Verse, die mir zunächst als wohlfeile Sozialkritik erscheinen: Man meint, sie schon beim ersten Lesen verstanden zu haben, und ist versucht, weiter zu blättern; tut man es nicht, bietet sich die Chance auf eine schöne Überraschung. Nehmen wir als Beispiel Albert Mühldorfers „Donauausbau“ (Bauernfeind et al., S. 44):
D Donau is z eng
ausbaua wolln s e s.
Aus da landschaft
oder was?
I konn s ma ned vorstöilln
bei dem gwicht und der läng.
Die Zeilen kommen ganz unspektakulär daher. Ihren Hintersinn entfalten sie, wenn der Leser der Grundidee folgt, nämlich das Wort „ausbauen“ beim Wort zu nehmen. In gespielter Naivität behauptet der Sprecher, er könne sich kaum vorstellen, die Donau herauszunehmen. Und siehe da, in gewisser Weise stimmt das durchaus auch im wörtlichen Sinne: Ziel ist es, die Donau zwischen Straubing und Vilshofen in ihrer halbwegs naturbelassenen Form herauszunehmen und dadurch zum Verschwinden zu bringen. So sagt der Narr die Wahrheit. Und schließt optimistisch, dass dieses Verschwinden wohl nicht gelänge.
Mir fällt der fortschrittsskeptische Grundton vieler Texte auf: Was verschwindet, wird beklagt, dem Neuen, Ungewissen wird mit Argwohn entgegengesehen. Manchmal gelingt es, das Kleine, Vertraute in Verbindung mit den großen Umwälzungen der Zeit zu bringen, sie neben- und gegeneinander zu stellen, in der großen, präzisen Lakonie, zu der sich das Bairische so wunderbar eignet. Etwa in Fritz Maiers „hiagst – ende der pflasterherstellung im bayerischen wald“ (Bauernfeind et al., S. 33):
da wind hot se draaht
äskolt
bloost da bäihmisch
äitz durch de pflastahüttn
d’stoi
bringt a mit
as’m bäihm
as pol’n
as china
In dürren Worten ist hier das Ende von etwas beschrieben, was lange Zeit typisch und identitätsprägend für den Bayerischen Wald war, das granitene Mittelgebirge. Bei einheimischen Lesern dieses Gedichts mag noch die Sage mitschwingen, in der der Teufel, als er den Weg zur Hölle pflastern wollte, mit seinem Schubkarren über den Lusen raste; als ihm ein Eremit mutig ein Kreuz entgegenhielt, kippte der Teufel vor Schreck seine Steine über dem Lusengipfel aus – so entstand das berühmte Blockmeer zwischen Böhmen und Bayern. Maier lässt das nicht in der Dichtung anklingen; vielleicht rechnet er in seiner souveränen Art mit dem souveränen Leser. Und er hütet sich zugunsten seiner Lakonie vor einer Moral von der Geschicht'. Auch dass ein Stück regionaler Identität verloren geht, muss er nicht explizit formulieren, geschweige denn beklagen. Dadurch vermeidet er auch eine nachträgliche Verklärung des knüppelharten Handwerks, dem die Steinklopfer einst nachgingen. Die Frage nach gut oder schlecht stellt das Gedicht nicht, und das ist ein Grund, weshalb es ein gutes Gedicht ist, ein zeitloses und zeitgenössisches.
Weitere Kapitel:
Beim Lesen fällt mir auf, dass ich dazu neige, das Lyrische Ich mit dem Autor in eins zu setzen. Wie naiv von mir – Anfängerfehler, klar. Andererseits: Die Annahme, dass Dichter und Erzähl-Ich tatsächlich identisch sind, drängt sich mir bei vielen Mundartgedichten tatsächlich auf. Hier spricht jemand, der etwas zu sagen hat, und dieser jemand ist der Autor, so einfach scheint das zu sein. Der Duktus des Authentischen findet sich sehr viel häufiger in den Gedichten als das Spiel mit Perspektiven, Brechungen, Duktus-Wechseln oder Kontrastierungen. Vielleicht liegt hier auch ein Grund dafür, warum uns pubertierenden Schülern Harald Grill damals so gut gefallen hat: Da spricht einer, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, do redt oana vo de Echtn, da sitzt einer und kann nicht anders und mag auch gar nicht anders.
Doch wahrhaftiges Sprechen setzt nicht unbedingt die Identität von Dichter und Lyrischem Ich voraus. Der Unterschied zwischen beiden eröffnet vielmehr neue Sprechmöglichkeiten, die aber, wie mir scheint, von nur wenigen Dichtern genutzt werden.
Manche Texte scheinen auf eine Pointe hin geschrieben, auf die Auflösung eines Rätsels hin, das zu verstehen Zweck und Ende ihrer Interpretation ist: Botschaft verstanden, danke, nächstes Gedicht. Das kann man so machen, warum auch nicht, Autor und Lyrisches Ich fallen in eins, Agitprop lässt grüßen. Aber Gedanken und Sprache bleiben doch an der Oberfläche, und es gibt, abgesehen vom Umbruch, wenig, was diese Gedichte von Prosa unterscheidet, etwa wenn Walter Kraus aus Angst vor dem Atomkrieg in „Traam anno Zwoatausnd“ (Brehm, S. 78) schreibt:
...
Mein Vatan hat da
Herzinfarkt
gleich scho
sauba voramt.
Und mih wern s
pulverisiern,
hat ma
neile traamt!
Doch dann gibt es Verse, die mir zunächst als wohlfeile Sozialkritik erscheinen: Man meint, sie schon beim ersten Lesen verstanden zu haben, und ist versucht, weiter zu blättern; tut man es nicht, bietet sich die Chance auf eine schöne Überraschung. Nehmen wir als Beispiel Albert Mühldorfers „Donauausbau“ (Bauernfeind et al., S. 44):
D Donau is z eng
ausbaua wolln s e s.
Aus da landschaft
oder was?
I konn s ma ned vorstöilln
bei dem gwicht und der läng.
Die Zeilen kommen ganz unspektakulär daher. Ihren Hintersinn entfalten sie, wenn der Leser der Grundidee folgt, nämlich das Wort „ausbauen“ beim Wort zu nehmen. In gespielter Naivität behauptet der Sprecher, er könne sich kaum vorstellen, die Donau herauszunehmen. Und siehe da, in gewisser Weise stimmt das durchaus auch im wörtlichen Sinne: Ziel ist es, die Donau zwischen Straubing und Vilshofen in ihrer halbwegs naturbelassenen Form herauszunehmen und dadurch zum Verschwinden zu bringen. So sagt der Narr die Wahrheit. Und schließt optimistisch, dass dieses Verschwinden wohl nicht gelänge.
Mir fällt der fortschrittsskeptische Grundton vieler Texte auf: Was verschwindet, wird beklagt, dem Neuen, Ungewissen wird mit Argwohn entgegengesehen. Manchmal gelingt es, das Kleine, Vertraute in Verbindung mit den großen Umwälzungen der Zeit zu bringen, sie neben- und gegeneinander zu stellen, in der großen, präzisen Lakonie, zu der sich das Bairische so wunderbar eignet. Etwa in Fritz Maiers „hiagst – ende der pflasterherstellung im bayerischen wald“ (Bauernfeind et al., S. 33):
da wind hot se draaht
äskolt
bloost da bäihmisch
äitz durch de pflastahüttn
d’stoi
bringt a mit
as’m bäihm
as pol’n
as china
In dürren Worten ist hier das Ende von etwas beschrieben, was lange Zeit typisch und identitätsprägend für den Bayerischen Wald war, das granitene Mittelgebirge. Bei einheimischen Lesern dieses Gedichts mag noch die Sage mitschwingen, in der der Teufel, als er den Weg zur Hölle pflastern wollte, mit seinem Schubkarren über den Lusen raste; als ihm ein Eremit mutig ein Kreuz entgegenhielt, kippte der Teufel vor Schreck seine Steine über dem Lusengipfel aus – so entstand das berühmte Blockmeer zwischen Böhmen und Bayern. Maier lässt das nicht in der Dichtung anklingen; vielleicht rechnet er in seiner souveränen Art mit dem souveränen Leser. Und er hütet sich zugunsten seiner Lakonie vor einer Moral von der Geschicht'. Auch dass ein Stück regionaler Identität verloren geht, muss er nicht explizit formulieren, geschweige denn beklagen. Dadurch vermeidet er auch eine nachträgliche Verklärung des knüppelharten Handwerks, dem die Steinklopfer einst nachgingen. Die Frage nach gut oder schlecht stellt das Gedicht nicht, und das ist ein Grund, weshalb es ein gutes Gedicht ist, ein zeitloses und zeitgenössisches.