Unter uns
Links: Karte der Dialekträume im Freistaat Bayern, mit Verwaltungsbezirken und markanten Landschaften (aus: Renn/König, Kleiner Bayerischer Sprachatlas, S. 18, Karte 4). Rechts: Dialektkarte über die Lautform von „geschneit“ (Partizip der Vergangenheit) im Raum des Freistaats Bayern (aus: Renn/König, Kleiner Bayerischer Sprachatlas, S. 82, Karte 35). (c) Historisches Lexikon Bayerns
Als ich in der achten Klasse war, kam der Mundartlyriker Harald Grill zu uns ins Burkhart-Gymnasium nach Mallersdorf. Ein Vierteljahrhundert ist das jetzt her. Wir, in der dunklen Aula sitzend, waren schon allein deshalb mit dem Mann zufrieden, weil dank ihm ein, zwei Unterrichtsstunden ausfielen, aber das war nicht der einzige Grund, warum wir nachher, als die Lesung aus war, so lange geklatscht haben.
Ich weiß noch, dass ich ziemlich überrascht war, wie ungestelzt er daher kam, wo er doch ein Dichter war. Er setzte sich hin und las, was er aufgeschrieben hatte, und zwar auf bayerisch, und ich dachte: aha, einfach so.
Was ich nicht dachte: so einfach. Dass ich das nicht dachte, war eher untypisch für mich, denn man muss wissen, dass wir Mittelstufler gerade einen Kunstgriff entdeckt hatten, mit dem wir einander demonstrierten, dass man uns nichts weis machen könne, uns nicht! Dieser Kunstgriff ging so: Man stellt sich, etwa wenn uns der Wandertag in ein Museum verschlagen hatte, breitbeinig vor ein modernes Kunstwerk, sagen wir einmal nur als Beispiel: von Mark Rothko, und reißt dem Meister mit folgendem Killersatz die Blendermaske vom Gesicht: „Des kannt i aa.“
Bei Harald Grill sagte das seltsamerweise keiner, obwohl er doch in einfachen bayerischen Sätzen redete, in Sätzen, die klangen wie unsere.
Ich hatte nach der Lesung den Verdacht, dass uns mit unserer Checker-vom-Dienst-Attitüde möglicherweise etwas durch die Lappen gehen könnte. Ebenso wie mit ihrem Gegenteil, einem elitären, vertikalen Kunstverständnis. An die Texte, die Grill damals gelesen hat, kann ich mich heute nicht mehr erinnern, aber an die Haltung gegenüber Kunst, die er mir nahe brachte, ohne sie zu verbalisieren: dass Kunst nicht im Pantheon entsteht, sondern hier, unter uns. Und dass sie zwar etwas Besonderes ist (wir saßen andächtig in der abgedunkelten Aula und schauten auf die erleuchtete Bühne, das schon), aber eben auch nichts Besonderes. Dass Grills Kunst nicht durch Überhöhung, sondern Verdichtung entsteht. Danke, lieber Herr Grill.
Didaktisch gesehen verdient Mundartlyrik also die Note Eins mit Stern. Und generell, wie ist es um die literarische Qualität bestellt? Jetzt, 25 Jahre, ein Studium und 15 Jahre als journalistischer Sprach-Praktiker später, habe ich mich in ein paar Bände mit und über bairische Mundartlyrik vertieft. Schreiben Sie auf, was Ihnen auffällt, so ähnlich lautete der Auftrag. Solcherlei Ergebnisoffenheit ist selten, denn oft soll man ja nicht aufschreiben, was einem als Autor, sondern was dem Auftraggeber einfällt, also habe ich gerne zugesagt. Herausgekommen ist ein, wie ich hoffe, thesenarmer, biografisch inspirierter Essay über das Bairische mit Schwerpunkt auf Lyrik. Der Versuchung, gscheidzuhaferln, habe ich schon allein deshalb versucht zu widerstehen, weil Gscheidhaflerei den von mir gelesenen Texten zutiefst fremd ist, und das ist nicht ihr geringster Vorzug.
Weitere Kapitel:
Links: Karte der Dialekträume im Freistaat Bayern, mit Verwaltungsbezirken und markanten Landschaften (aus: Renn/König, Kleiner Bayerischer Sprachatlas, S. 18, Karte 4). Rechts: Dialektkarte über die Lautform von „geschneit“ (Partizip der Vergangenheit) im Raum des Freistaats Bayern (aus: Renn/König, Kleiner Bayerischer Sprachatlas, S. 82, Karte 35). (c) Historisches Lexikon Bayerns
Als ich in der achten Klasse war, kam der Mundartlyriker Harald Grill zu uns ins Burkhart-Gymnasium nach Mallersdorf. Ein Vierteljahrhundert ist das jetzt her. Wir, in der dunklen Aula sitzend, waren schon allein deshalb mit dem Mann zufrieden, weil dank ihm ein, zwei Unterrichtsstunden ausfielen, aber das war nicht der einzige Grund, warum wir nachher, als die Lesung aus war, so lange geklatscht haben.
Ich weiß noch, dass ich ziemlich überrascht war, wie ungestelzt er daher kam, wo er doch ein Dichter war. Er setzte sich hin und las, was er aufgeschrieben hatte, und zwar auf bayerisch, und ich dachte: aha, einfach so.
Was ich nicht dachte: so einfach. Dass ich das nicht dachte, war eher untypisch für mich, denn man muss wissen, dass wir Mittelstufler gerade einen Kunstgriff entdeckt hatten, mit dem wir einander demonstrierten, dass man uns nichts weis machen könne, uns nicht! Dieser Kunstgriff ging so: Man stellt sich, etwa wenn uns der Wandertag in ein Museum verschlagen hatte, breitbeinig vor ein modernes Kunstwerk, sagen wir einmal nur als Beispiel: von Mark Rothko, und reißt dem Meister mit folgendem Killersatz die Blendermaske vom Gesicht: „Des kannt i aa.“
Bei Harald Grill sagte das seltsamerweise keiner, obwohl er doch in einfachen bayerischen Sätzen redete, in Sätzen, die klangen wie unsere.
Ich hatte nach der Lesung den Verdacht, dass uns mit unserer Checker-vom-Dienst-Attitüde möglicherweise etwas durch die Lappen gehen könnte. Ebenso wie mit ihrem Gegenteil, einem elitären, vertikalen Kunstverständnis. An die Texte, die Grill damals gelesen hat, kann ich mich heute nicht mehr erinnern, aber an die Haltung gegenüber Kunst, die er mir nahe brachte, ohne sie zu verbalisieren: dass Kunst nicht im Pantheon entsteht, sondern hier, unter uns. Und dass sie zwar etwas Besonderes ist (wir saßen andächtig in der abgedunkelten Aula und schauten auf die erleuchtete Bühne, das schon), aber eben auch nichts Besonderes. Dass Grills Kunst nicht durch Überhöhung, sondern Verdichtung entsteht. Danke, lieber Herr Grill.
Didaktisch gesehen verdient Mundartlyrik also die Note Eins mit Stern. Und generell, wie ist es um die literarische Qualität bestellt? Jetzt, 25 Jahre, ein Studium und 15 Jahre als journalistischer Sprach-Praktiker später, habe ich mich in ein paar Bände mit und über bairische Mundartlyrik vertieft. Schreiben Sie auf, was Ihnen auffällt, so ähnlich lautete der Auftrag. Solcherlei Ergebnisoffenheit ist selten, denn oft soll man ja nicht aufschreiben, was einem als Autor, sondern was dem Auftraggeber einfällt, also habe ich gerne zugesagt. Herausgekommen ist ein, wie ich hoffe, thesenarmer, biografisch inspirierter Essay über das Bairische mit Schwerpunkt auf Lyrik. Der Versuchung, gscheidzuhaferln, habe ich schon allein deshalb versucht zu widerstehen, weil Gscheidhaflerei den von mir gelesenen Texten zutiefst fremd ist, und das ist nicht ihr geringster Vorzug.