Sanary-sur-Mer: Im Wartesaal

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Der Hafen von Sanary-sur-Mer, ca. 1922.

Sanary-sur-Mer, an der Cote d´Azur gelegen, nimmt in der Exilgeschichte deutscher Künstler einen besonderen Rang ein. Die kleine Stadt war stets ein Anziehungspunkt für Schriftsteller wie Katherine Mansfield, Aldous Huxley oder Sybille Bedford. Von 1933 an leben hier viele deutsche Schriftsteller ein, wenngleich erzwungenes, so doch auch recht malerisches Exilleben. Der Schriftsteller und Philosoph Ludwig Marcuse prägt in seinen Erinnerungen das berühmte Wort von der „Hauptstadt der deutschen Literatur“.

In dieser kleinen Bucht an einem der ausrangiertesten Gleise des Weltgeistes, vergaß ich an den glücklichen Tagen, dass ich nicht hier geboren war. [...] Bisweilen war ein guter Teil der besten deutschen Literatur im Dorf und saß im `Marine´ oder bei der `Witwe Schwab´. Sanary war ein sehr umfangreiches Romanisches Café, mit Marmor-Tischen und Badehosen. Namentlich im Sommer wurde das Nest überfüllt von literarischen Kaisern. Die Luft war geschwängert mit originellen Aperçus, Indiskretionen und Krächen. [...] Wenn die meisten Mit-Emigranten wieder abzogen, blieben nur noch wir, unser Nachbar Feuchtwanger, in St-Cyr Meyer-Graefe, in Nizza Heinrich Mann und Schickele. [...] Wir waren in dem Land, in dem sich Gott einst am wohlsten fühlte. [...] Ja, wir waren in jenem Teil des Landes, in dem die glücklichsten Franzosen landeten: die Rentiers. [...] Alles war azurblau, nur nicht unser Gemüt. [...] Wir wohnten im Paradies – notgedrungen.

(Ludwig Marcuse: Mein zwanzigstes Jahrhundert. Paul List Verlag, München 1963, S. 179-200)

Der Schriftsteller Aldous Huxley, der viele Jahre hier lebte und in seiner großzügigen Villa 1931 seinen Jahrhundertroman Schöne neue Welt verfasst hat, verfolgt die Ankunft der zahlreichen Exilanten mit eher gemischten Gefühlen: „Den ganzen Sommer über hatten wir hier literarische Emigranten – Thomas Mann, Heinrich Mann, [Julius] Meier-Graefe und eine große Auswahl Juden, wie Lion Feuchtwanger und Arnold Zweig. Eine ziemlich erbärmliche Truppe, man merkt schon die desaströsen Auswirkungen des Exils.“ (Aldous Huxley: Brief an Julian Huxley 14. Oktober 1933 aus La Gorguette, Sanary. In: Letters of Aldous Huxley. Hg. v. Grover Smith, Chatto & Windus London 1969, S. 374)

(Flügge, Manfred [2008]: Das Flüchtige Paradies. Künstler an der Cote d´Azur. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Michaela Karl