Persönliche Frömmigkeit Thomas und ihr literarischer Niederschlag
Ludwig Thoma, der seine innere Empfindsamkeit und Zerrissenheit stets hinter einer polternden und derben Fassade zu verbergen wusste und sicherlich kein praktizierender Katholik im herkömmlichen Sinn war, hat über seine eigentliche Religiosität nur in Andeutungen und Nebensätzen geschrieben. So erfährt man, dass er die Geschichte der Päpste von Leopold Ranke gelesen, sich mit der Geschichte der Inquisition befasst („Die Lektüre Jannsens hat meine Religiosität [...] erheblich gestärkt und vermehrt!“[1]) und in seiner Stadelheimer Gefängniszeit Kirchengeschichte studiert hat: „Gestern Abend las ich in den Aposteln von Renan. Dass Paulus von reinster jüdischer Abstammung war, ist mir neu gewesen. Ich hatte ihn, und warum, weiß ich nicht, für einen Römer aus Tarsus gehalten und den Streit der Petriner wider die Pauliner als den Krieg der Judenchristen wider die Heidenchristen betrachtet. Vielleicht fußt der Irrtum auf mangelndem Interesse.“[2] Und an anderer Stelle sinniert er: „Die kommunistische Tendenz in der Lehre Jesu. Ich finde bei Renan, was ich selbst betonte: wie Jesus sich entschlossen auf die Seite der Armen schlägt und den Reichtum ausnahmslos verdammt.“[3]
In einem Brief an Maidi von Liebermann aus dem Jahr 1918 verweist Thoma auf seine innere Befindlichkeit: „Und ein paar Bücher gab es, aus denen kluge Menschen herauslasen, wie es um mich stand. Magdalena, Wittiber, Heilige Nacht. Da drin steht versteckt viel von Sehnsucht und Schmerz. Ja, teures, liebes, liebstes Mädel, es war so, als hätte mir unser Herrgott das Herz aufgeschlossen, wie ich glaubte, mit allem Glück der Welt fertig zu sein.“[4] Eine innige Frömmigkeit zeigt sich im Werk Thomas vor allem in seiner Behandlung des Weihnachtsthemas. In vielfältigen Variationen schildert er das biblische Weihnachtsgeschehen, und wählt dabei wohl bewusst eine naiv-traditionelle Sprache. Am bekanntesten geworden ist natürlich die umfangreiche Dichtung Heilige Nacht („Im Wald is so staad/ Alle Weg san verwaht, alle Weg san verschniebn/ Is koa Steigl net bliebn. [...] Kimmt die Heilige Nacht/ Und da Wald is aufgwacht/ Schaugn de Hasn und Reh/ Schaugn de Hirsch übern Schnee.“)[5].
Ein ähnlich inniger Sprachduktus ist aber auch im „Ave Maria“ zu finden:
Es ist schon Feierabend gewest;/ Der heilige Joseph hobelt noch fest./ Er machte wohl eine Liegerstätt'/ Für einen Reichen zu Nazareth.
Die Jungfrau Maria hat noch genäht!/ Zur Arbeit war es ihr nicht zu spät./ Sie fädelte wieder die Nadel ein,/ Die Arbeit muß morgen schon fertig sein.
Er hobelt weiter, sie näht das Kleid,/ Die Stube lag bald in Dunkelheit./ Da öffnet ein Engel des Herrn die Tür./ Und sagte: „Maria, der Herr ist mit dir.
Ich trag eine frohe Botschaft heut/ Unter den Weibern bist du gebenedeit/ Ja, deiner wartet das schönste Los,/ Du trägst den Herrn Jesum in deinem Schoß.“
Jetzt ist der Engel wiederum fort./ Maria hörte das fröhliche Wort/ Und lacht glücklich in sich hinein./ Da würde sie nun bald Mutter sein.
Sie hat sich aber gleich aufgerafft/ Und hat gar fleißig weitergeschafft/ Der Joseph hobelt an seinem Bett/ für einen Reichen zu Nazareth.[6]
Weihnachten bedeutet für Thoma nostalgische Erinnerung an früher, an die Kindheit in der Vorderriß, an verschneite, geheimnisvolle Adventstage inmitten von Jägern, Flößern und Förster. „Jeder Künstler oder Schriftsteller oder jeder, der etwas schafft, muß Wurzeln haben und alles in uns ist Erinnerung, Kindheit, Tradition oder es ist nichts!“[7] So schreibt Thoma 1914 an Theodor Heuss, den jungen Redakteur des März. Und in seinem Gedicht „Weihnachten“ nimmt er ausdrücklich Bezug auf seine verklärende Vergangenheitssehnsucht: „Da wird einem warm,/ Ruft Erinnerung wach/ An die helle freundliche Jugendzeit./ Und weißt du es noch?/ Und wie's damals war/ In dem alten, traulichen Försterhaus?/ Das will ich erzählen: Wisst ihr es noch?/ Wisst Ihr, wie's damals war?/ Stille wird es im Kreise,/ Und in jedem erwacht/ Mächtige Erinnerung,/ An die helle, An die sonnige Jugendzeit.“[8]
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[1] Ludwig Thoma an Ganghofer. In: Ein Leben in Briefen, a.a.O., S. 181.
[2] Ludwig Thoma: Stadelheimer Tagebuch. In: Gesammelte Werke, a.a.O., Bd. 1, S. 309.
[3] Ebda., S. 296.
[4] Ludwig Thoma: Ein Leben in Briefen, a.a.O., S. 355.
[5] Ludwig Thoma: Gesammelte Werke, a.a.O., Bd. 1, S. 11f.
[6] Ebda., S. 383.
[7] Ludwig Thoma: Ein Leben in Briefen, a.a.O., S. 269.
[8] Ludwig Thoma: Gesammelte Werke, a.a.O., Bd. 1, S. 385f.
Weitere Kapitel:
Ludwig Thoma, der seine innere Empfindsamkeit und Zerrissenheit stets hinter einer polternden und derben Fassade zu verbergen wusste und sicherlich kein praktizierender Katholik im herkömmlichen Sinn war, hat über seine eigentliche Religiosität nur in Andeutungen und Nebensätzen geschrieben. So erfährt man, dass er die Geschichte der Päpste von Leopold Ranke gelesen, sich mit der Geschichte der Inquisition befasst („Die Lektüre Jannsens hat meine Religiosität [...] erheblich gestärkt und vermehrt!“[1]) und in seiner Stadelheimer Gefängniszeit Kirchengeschichte studiert hat: „Gestern Abend las ich in den Aposteln von Renan. Dass Paulus von reinster jüdischer Abstammung war, ist mir neu gewesen. Ich hatte ihn, und warum, weiß ich nicht, für einen Römer aus Tarsus gehalten und den Streit der Petriner wider die Pauliner als den Krieg der Judenchristen wider die Heidenchristen betrachtet. Vielleicht fußt der Irrtum auf mangelndem Interesse.“[2] Und an anderer Stelle sinniert er: „Die kommunistische Tendenz in der Lehre Jesu. Ich finde bei Renan, was ich selbst betonte: wie Jesus sich entschlossen auf die Seite der Armen schlägt und den Reichtum ausnahmslos verdammt.“[3]
In einem Brief an Maidi von Liebermann aus dem Jahr 1918 verweist Thoma auf seine innere Befindlichkeit: „Und ein paar Bücher gab es, aus denen kluge Menschen herauslasen, wie es um mich stand. Magdalena, Wittiber, Heilige Nacht. Da drin steht versteckt viel von Sehnsucht und Schmerz. Ja, teures, liebes, liebstes Mädel, es war so, als hätte mir unser Herrgott das Herz aufgeschlossen, wie ich glaubte, mit allem Glück der Welt fertig zu sein.“[4] Eine innige Frömmigkeit zeigt sich im Werk Thomas vor allem in seiner Behandlung des Weihnachtsthemas. In vielfältigen Variationen schildert er das biblische Weihnachtsgeschehen, und wählt dabei wohl bewusst eine naiv-traditionelle Sprache. Am bekanntesten geworden ist natürlich die umfangreiche Dichtung Heilige Nacht („Im Wald is so staad/ Alle Weg san verwaht, alle Weg san verschniebn/ Is koa Steigl net bliebn. [...] Kimmt die Heilige Nacht/ Und da Wald is aufgwacht/ Schaugn de Hasn und Reh/ Schaugn de Hirsch übern Schnee.“)[5].
Ein ähnlich inniger Sprachduktus ist aber auch im „Ave Maria“ zu finden:
Es ist schon Feierabend gewest;/ Der heilige Joseph hobelt noch fest./ Er machte wohl eine Liegerstätt'/ Für einen Reichen zu Nazareth.
Die Jungfrau Maria hat noch genäht!/ Zur Arbeit war es ihr nicht zu spät./ Sie fädelte wieder die Nadel ein,/ Die Arbeit muß morgen schon fertig sein.
Er hobelt weiter, sie näht das Kleid,/ Die Stube lag bald in Dunkelheit./ Da öffnet ein Engel des Herrn die Tür./ Und sagte: „Maria, der Herr ist mit dir.
Ich trag eine frohe Botschaft heut/ Unter den Weibern bist du gebenedeit/ Ja, deiner wartet das schönste Los,/ Du trägst den Herrn Jesum in deinem Schoß.“
Jetzt ist der Engel wiederum fort./ Maria hörte das fröhliche Wort/ Und lacht glücklich in sich hinein./ Da würde sie nun bald Mutter sein.
Sie hat sich aber gleich aufgerafft/ Und hat gar fleißig weitergeschafft/ Der Joseph hobelt an seinem Bett/ für einen Reichen zu Nazareth.[6]
Weihnachten bedeutet für Thoma nostalgische Erinnerung an früher, an die Kindheit in der Vorderriß, an verschneite, geheimnisvolle Adventstage inmitten von Jägern, Flößern und Förster. „Jeder Künstler oder Schriftsteller oder jeder, der etwas schafft, muß Wurzeln haben und alles in uns ist Erinnerung, Kindheit, Tradition oder es ist nichts!“[7] So schreibt Thoma 1914 an Theodor Heuss, den jungen Redakteur des März. Und in seinem Gedicht „Weihnachten“ nimmt er ausdrücklich Bezug auf seine verklärende Vergangenheitssehnsucht: „Da wird einem warm,/ Ruft Erinnerung wach/ An die helle freundliche Jugendzeit./ Und weißt du es noch?/ Und wie's damals war/ In dem alten, traulichen Försterhaus?/ Das will ich erzählen: Wisst ihr es noch?/ Wisst Ihr, wie's damals war?/ Stille wird es im Kreise,/ Und in jedem erwacht/ Mächtige Erinnerung,/ An die helle, An die sonnige Jugendzeit.“[8]
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[1] Ludwig Thoma an Ganghofer. In: Ein Leben in Briefen, a.a.O., S. 181.
[2] Ludwig Thoma: Stadelheimer Tagebuch. In: Gesammelte Werke, a.a.O., Bd. 1, S. 309.
[3] Ebda., S. 296.
[4] Ludwig Thoma: Ein Leben in Briefen, a.a.O., S. 355.
[5] Ludwig Thoma: Gesammelte Werke, a.a.O., Bd. 1, S. 11f.
[6] Ebda., S. 383.
[7] Ludwig Thoma: Ein Leben in Briefen, a.a.O., S. 269.
[8] Ludwig Thoma: Gesammelte Werke, a.a.O., Bd. 1, S. 385f.