Das Feindbild: Ultramontane Zentrumspfarrer und moralisierende Pastoren III
Nicht beißende Satire, sondern wütende Empörung spricht aus Thomas Aufsatz „Der Kepplerprozeß“, in dem er 1910 den Fortgang der Verhandlung verfolgt, in dem ein Sexualvorwurf gegenüber dem Württemberger Pfarrer Bauer erhoben wurde, der von seinem Bischof Keppler offensichtlich zu unrecht gedeckt wird:
Es ist die Aussage eines Mädchens verlesen worden, das über seine Qualen nach der Verführung durch den Priester erschütternde Dinge gesagt hat, am gleichen Tage, da der Bischof Keppler die Unschuld des Verbrechers als möglich hinstellte, mit schlauen Sätzen, aus denen er entschlüpfen konnte. Ich habe immer wieder die Klage dieses Kindes lesen müssen, das nicht mehr an Gott glauben konnte, weil sein Diener ihm das junge Leben vergiftet hat. Die Stuttgarter Richter haben aus diesen fürchterlichen Worten nichts herausgehört, was den Rottenburger Bischof auch nur im geringsten belasten konnte. [...] Wem meine Überzeugung ungeheuerlich vorkommt, der denke daran, wie vortrefflich unterrichtet die Bischöfe sind, wenn sich ihre Pfarrer einmal 'anständigen' Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen lassen, wenn zum Beispiel ein gutmütiger Priester zum Begräbnisse eines Protestanten katholische Glocken läuten läßt, oder wenn er eine liberale Versammlungen besucht und seine nicht-klerikalen Mitmenschen gelten lässt. Nächsten Tages weiß der Kirchenfürst, dass in seiner Herde ein schwarzes Schaf ist, und er verbietet sogleich dem Verbrecher, priesterliche Handlungen zu verrichten, wie wir aus dem Falle Tremmel wissen. Aber Notzucht an Kindern bleibt dem Bischof zehn Jahre hindurch verborgen, und wenn sich endlich nichts mehr vertuschen lässt, wenn sogar neuzeitliche Staatsanwälte gegen die Pfaffen vorgehen, wenn das Geschrei der Kinder und Eltern nicht mehr zu ersticken ist, wenn die Steine reden – dann lässt der Bischof den Schweinehund im Amte und lässt ihn weiter Sakramente spenden – wie hier im Falle Bauer geschehen ist.[1]
Aber nicht nur mit Vertretern des Katholizismus legt sich Ludwig Thoma an. Am 25. Oktober 1904 erscheint im Simplicissimus mit einer Zeichnung von Olaf Gulbransson das Gedicht „An die Sittlichkeitsprediger in Köln am Rheine“. Hinter dem Pseudonym Peter Schlemihl steckt natürlich wieder Ludwig Thoma. Anlass für den Text ist die „XVI. Allgemeine Konferenz der deutschen Sittlichkeitsvereine in Köln“ und der sich anschließende „Internationale Kongress gegen unsittliche Literatur“. Thoma nimmt an den Veranstaltungen nicht teil, verfolgt jedoch über Presseberichte und Protokollnotizen das Geschehen. Es reizt ihn zur folgenden Polemik, die bald das protestantische Lager gegen ihn aufbringt:
[...] Ezechiel und Jeremiae Jünger/ warum beschmeußen Sie uns mit dem Bibeldünger?/ Was gereucht Ihnen zu solchem Schmerze/ Sie evangelische Unschlittkerze?
Was wissen Sie eigentlich von der Liebe/ Mit Ihrem Pastoren-Kaninchentriebe/ Sie multiplizierter Kindererzeuger/ Sie gottseliger Bettbesteuger? [...]
Sie haben den Schmutz wohl häufig gefunden/ In Ihren sündlichen Fleischesstunden/ Bei Ihrem christlichen Eheweibchen?/ In Frau Pastorens Flanellenleibchen?[2]
Der Evangelische Oberkirchenrat in Berlin erhebt Strafanzeige und Thoma schreibt an seinen Anwalt: „Was das Religionsvergehen anlangt, so ist doch fadenklar, dass ich mit 'Bibeldünger' nicht den Inhalt der Bibel, sondern das, was diese Sittlichkeitsapostel herauslesen, meinte. Ich griff doch gerade die dumme, engherzige und verlogene Moral dieser Menschen an. Die Bibel selbst ist nichts weniger als ein prüdes Buch, sie ist sehr unmoralisch im Kölner Kongreßsinne!“[3] Nichtsdestotrotz wird Thoma wegen Beleidigung protestantischer Geistlicher verurteilt und muss in München-Stadelheim sechs Wochen absitzen. Nach Lektüre einer hämischen Predigt zur Eröffnung des Magdeburger Sittlichkeitskongresses, die der protestantische Hofprediger Ohly von Berlin gehalten hat, schreibt Thoma:
Jetzt, wo ich diese Strafe absitze und die Geißel fühle, gibt mir ein Zufall die schadenfrohe Begrüßung durch den Diener Christi in die Hand und er ist die Ursache, dass ich den Kalk von meinen Kerkerwänden lache. Der erzieherische Erfolg der Strafe ist gar nicht zweifelhaft: Ich werde als glühender Verehrer des Gottesmannes Luther und der evangelischen Kirche diesen düsteren Ort verlassen. Ich gehe sogar mit dem Gedanken um, zu Luthers Werken ein Verzeichnis zu verfassen und zu konstatieren, wie oft der Gottselige die Darmfunktionen zur Bekräftigung seiner auferbaulichen Worte angezogen hat.[4]
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[1] März 4 (1910), H. 1, S. 164f.
[2] Simplicissimus 9 (1904), Nr. 31, S. 309.
[3] Ludwig Thoma: Ein Leben in Briefen, a.a.O., S. 163.
[4] Ludwig Thoma: Stadelheimer Tagebuch. In: Ludwig Thoma: Gesammelte Werke, a.a.O., Bd. 1, S. 318.
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Nicht beißende Satire, sondern wütende Empörung spricht aus Thomas Aufsatz „Der Kepplerprozeß“, in dem er 1910 den Fortgang der Verhandlung verfolgt, in dem ein Sexualvorwurf gegenüber dem Württemberger Pfarrer Bauer erhoben wurde, der von seinem Bischof Keppler offensichtlich zu unrecht gedeckt wird:
Es ist die Aussage eines Mädchens verlesen worden, das über seine Qualen nach der Verführung durch den Priester erschütternde Dinge gesagt hat, am gleichen Tage, da der Bischof Keppler die Unschuld des Verbrechers als möglich hinstellte, mit schlauen Sätzen, aus denen er entschlüpfen konnte. Ich habe immer wieder die Klage dieses Kindes lesen müssen, das nicht mehr an Gott glauben konnte, weil sein Diener ihm das junge Leben vergiftet hat. Die Stuttgarter Richter haben aus diesen fürchterlichen Worten nichts herausgehört, was den Rottenburger Bischof auch nur im geringsten belasten konnte. [...] Wem meine Überzeugung ungeheuerlich vorkommt, der denke daran, wie vortrefflich unterrichtet die Bischöfe sind, wenn sich ihre Pfarrer einmal 'anständigen' Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen lassen, wenn zum Beispiel ein gutmütiger Priester zum Begräbnisse eines Protestanten katholische Glocken läuten läßt, oder wenn er eine liberale Versammlungen besucht und seine nicht-klerikalen Mitmenschen gelten lässt. Nächsten Tages weiß der Kirchenfürst, dass in seiner Herde ein schwarzes Schaf ist, und er verbietet sogleich dem Verbrecher, priesterliche Handlungen zu verrichten, wie wir aus dem Falle Tremmel wissen. Aber Notzucht an Kindern bleibt dem Bischof zehn Jahre hindurch verborgen, und wenn sich endlich nichts mehr vertuschen lässt, wenn sogar neuzeitliche Staatsanwälte gegen die Pfaffen vorgehen, wenn das Geschrei der Kinder und Eltern nicht mehr zu ersticken ist, wenn die Steine reden – dann lässt der Bischof den Schweinehund im Amte und lässt ihn weiter Sakramente spenden – wie hier im Falle Bauer geschehen ist.[1]
Aber nicht nur mit Vertretern des Katholizismus legt sich Ludwig Thoma an. Am 25. Oktober 1904 erscheint im Simplicissimus mit einer Zeichnung von Olaf Gulbransson das Gedicht „An die Sittlichkeitsprediger in Köln am Rheine“. Hinter dem Pseudonym Peter Schlemihl steckt natürlich wieder Ludwig Thoma. Anlass für den Text ist die „XVI. Allgemeine Konferenz der deutschen Sittlichkeitsvereine in Köln“ und der sich anschließende „Internationale Kongress gegen unsittliche Literatur“. Thoma nimmt an den Veranstaltungen nicht teil, verfolgt jedoch über Presseberichte und Protokollnotizen das Geschehen. Es reizt ihn zur folgenden Polemik, die bald das protestantische Lager gegen ihn aufbringt:
[...] Ezechiel und Jeremiae Jünger/ warum beschmeußen Sie uns mit dem Bibeldünger?/ Was gereucht Ihnen zu solchem Schmerze/ Sie evangelische Unschlittkerze?
Was wissen Sie eigentlich von der Liebe/ Mit Ihrem Pastoren-Kaninchentriebe/ Sie multiplizierter Kindererzeuger/ Sie gottseliger Bettbesteuger? [...]
Sie haben den Schmutz wohl häufig gefunden/ In Ihren sündlichen Fleischesstunden/ Bei Ihrem christlichen Eheweibchen?/ In Frau Pastorens Flanellenleibchen?[2]
Der Evangelische Oberkirchenrat in Berlin erhebt Strafanzeige und Thoma schreibt an seinen Anwalt: „Was das Religionsvergehen anlangt, so ist doch fadenklar, dass ich mit 'Bibeldünger' nicht den Inhalt der Bibel, sondern das, was diese Sittlichkeitsapostel herauslesen, meinte. Ich griff doch gerade die dumme, engherzige und verlogene Moral dieser Menschen an. Die Bibel selbst ist nichts weniger als ein prüdes Buch, sie ist sehr unmoralisch im Kölner Kongreßsinne!“[3] Nichtsdestotrotz wird Thoma wegen Beleidigung protestantischer Geistlicher verurteilt und muss in München-Stadelheim sechs Wochen absitzen. Nach Lektüre einer hämischen Predigt zur Eröffnung des Magdeburger Sittlichkeitskongresses, die der protestantische Hofprediger Ohly von Berlin gehalten hat, schreibt Thoma:
Jetzt, wo ich diese Strafe absitze und die Geißel fühle, gibt mir ein Zufall die schadenfrohe Begrüßung durch den Diener Christi in die Hand und er ist die Ursache, dass ich den Kalk von meinen Kerkerwänden lache. Der erzieherische Erfolg der Strafe ist gar nicht zweifelhaft: Ich werde als glühender Verehrer des Gottesmannes Luther und der evangelischen Kirche diesen düsteren Ort verlassen. Ich gehe sogar mit dem Gedanken um, zu Luthers Werken ein Verzeichnis zu verfassen und zu konstatieren, wie oft der Gottselige die Darmfunktionen zur Bekräftigung seiner auferbaulichen Worte angezogen hat.[4]
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[1] März 4 (1910), H. 1, S. 164f.
[2] Simplicissimus 9 (1904), Nr. 31, S. 309.
[3] Ludwig Thoma: Ein Leben in Briefen, a.a.O., S. 163.
[4] Ludwig Thoma: Stadelheimer Tagebuch. In: Ludwig Thoma: Gesammelte Werke, a.a.O., Bd. 1, S. 318.