Das Feindbild: Ultramontane Zentrumspfarrer und moralisierende Pastoren II
Noch Jahre später muss sich Thoma über die Darstellung des Pfarrers Baustätter rechtfertigen, in der Simplicissimus-Sonderausgabe Gegen das Zentrum charakterisiert er ihn 1911 folgendermaßen:
Die Partei, die vom ersten Tage an auf ihn Beschlag legt, ohne ihm die Freiheit des Entschlusses zu lassen, verlangt von ihm, dass er in seiner Gemeinde als Politiker Freunde und Feinde unterscheidet, dass er zu rein menschlichen Dingen eine engherzige Stellung einnimmt. Er muss sich in häusliche Geschehnisse einmischen, muss gegen sein besseres Verständnis Zwang ausüben, und wenn er auch heute noch Sünden wider die göttlichen Gebote verzeihen darf, so hat er doch nicht die Macht, Sünden gegen die Partei zu vergeben. Er soll die Gegensätze verschärfen und seine Religion unbedingt in den Dienst weltlicher Interessen stellen...[1]
Auch in seinen journalistischen Arbeiten macht Ludwig Thoma kein Hehl aus seiner Abneigung gegenüber Ultramontanismus und Klerikalismus. Über den Katholikentag von 1906 dichtet er im Simplicissimus unter dem Pseudonym Peter Schlemihl:
Die Heerschau ist famos verlaufen,/ Von Rednern sah man ganze Haufen,/ Jedoch die Mehrzahl waren Stumme/ Und viele Dumme, viele Dumme. – Der Papst erteilte seinen Segen./ Er sieht nun auf den rechten Wegen,/ Nicht auf geraden, nein auf krummen,/ Die vielen Dummen, vielen Dummen. – Es ist ihm keine Angst vonnöten./ Geht auch in Frankreich vieles flöten,/ Bei uns ergänzen sich die Summen,/ An vielen Dummen, vielen Dummen.[2]
Ein Jahr später nimmt Thoma in der kulturpolitischen Zeitschrift März unter dem Titel „Im Kirchenstaate Bayern“ zum Antimodernistenstreit Stellung:
Die Freiheit der katholischen Fakultät war zu keiner Zeit Furcht erregend; ihre Professoren waren als Priester abhängig von Bischof und Papst. Wenn der einzelne gegen die Lehre auftreten wollte, fand die Kirche immer Mittel zur Korrektur. Dennoch konnten die Gelehrten so tun, als kämen sie auf Grund eigener Forschung zu Ergebnissen, die ihnen wie allen Gläubigen aufgezwungen waren. Der eine und andere machte kleine Zugeständnisse an positive Errungenschaften der Zeit, um den Schein des Wissenschaftlichen zu retten. Gegen das harmlose Spiel hat sich der Papst in einer wütenden Enzyklika[3] gewandt. Er verdammt die wissenschaftliche Beschönigung und fordert blinden Gehorsam. Dogmen werden nicht erst mundgerecht gemacht, sie werden einfach geglaubt. Die Schöngeistigen haben aufzuhören; alle Unmöglichkeiten müssen nackt und roh vorgetragen werden, und tausend Spione haben darüber zu wachen, dass die ewigen Wahrheiten nicht länger in erträglichen Saucen serviert werden. Diesem Spioniersystem durfte der Kultusminister nicht die polizeiliche Unterstützung gewähren, weil es der Organisation unserer Universitäten widerspricht, und weil es die Erziehung des heranwachsenden Klerus ultramontanisiert.[4]
Mehrere Vertreter dieses ultramontanen, nur mäßig gebildeten Priesternachwuchses und ihre kritiklose Ableistung des berüchtigten Antimodernisteneides nimmt Thoma in seinem „Lied des niederbayerischen Kooperators“ aufs Korn:
Mir, mir, mir Niederboarn/ Homma den Eid schö g'schwoarn,/ Des hot se glei gebüahrt,/ Daß'n a jäda schwüart./ Net grod mit oana Hand,/ Mit all zwoa mitnand,/ G'waschn san s'aa net gwen./ Zweng'na wos denn?
Mir, mir, mir Niederboarn,/ Miaß ma an Himmi foahrn,/ Pfeigrod ois geischtli Herrn,/ Des homma olle gern,/ Sogt a da Papscht, wos a wui,/ Ins is koa Eid ned z'vui,/ Mir homma koan Wissensdurscht,/ Ins is all's wurscht!
Mir, mir, mir Niederboarn,/ So samma aufzog'n worn,/ Daß man koan Angst net g'spürt,/ Daß si koa Zweifi rührt,/ Daß mir schon allesamm/ So an schön Glaub'n hamm,/ Do gibt's schon gar nix mehr,/ Hau a Pris' her![5]
Das Thema des Modernismusstreites klingt auch in dem Gedicht „Römisch-Katholisches“ an:
Was ist denn los?/ In unserer alten Kirche Schoß?/ Das kann nicht mehr zur Ruhe kommen,/ Das quält und ängstigt alle Frommen,/ Das brodelt, gärt und schäumt und zischt,/ Als hätt' der Teufel was gemischt,/ Das riecht verflucht nach Ketzern,/ Nach Neuerern und Hetzern!/ Es wird gebessert, aufgehellt,/ Das Alte auf den Kopf gestellt,/ Es regen sich die Zweifler,/ Die Nicht-So-Ganz-Begreifler./ Da aber schallt/ Zu Rom ein donnernd Halt.
Wir finden keine neuen Wege!/ Wer sie betritt, kommt ab vom Stege,/ Der immer noch so eng und schmal,/ Zu Gott führt aus dem Jammertal./ Ihr eifervollen Umgestalter!/ Was Dummheit und was hohes Alter/ Der guten Menschheit heilig macht,/ Wird nie in andre Form gebracht!/ Wie wollt ihr Halben und ihr Lauen/ Das Eingestürzte neu erbauen?/ Entweder Heide – oder Christ,/ Und nehmt die Kirche wie sie ist![6]
In der kulturpolitischen Zeitschrift März, die Ludwig Thoma zusammen mit Hermann Hesse, Albert Langen und Kurt Aram herausgibt, befasst er sich 1907 mit der Sinnhaftigkeit der zeitgenössischen Gebetbücher und spart dabei nicht mit einem derben Seitenhieb auf den Jesuitenorden:
Wie volksfremd der katholische Klerus erzogen wird, wie er so ganz und gar nicht angehalten wird, sich dem Empfinden des Volkes anzupassen, das beweisen unter anderem auch Inhalt und Sprache der Gebetbücher, die unter dem Einflusse der gegenwärtig mächtigen Strömungen von Jahr zu Jahre schlechter, schwülstiger und unverständlicher werden. [...] Da ich nicht Theologe bin, will ich mich nicht zu tief in die Betrachtung versenken über die merkwürdige Erscheinung, daß von den Worten Christi, von seiner alle Schmerzen der Menschen lindernden Güte in den Gebetbüchern fast nichts enthalten ist, daß an Stelle seiner klaren Worte immer hohle und geschwollene Redensarten gegeben werden, die dem Volke rein gar nichts sagen. [...] Besonders im Ausmalen der ewigen Peinen und Höllenstrafen entwickeln die Skribenten eine unbegrenzte Phantasie und eine ungeheure Liebe fürs Detail. [...] Das ist das geistige Brot, welches so viele Priester dem Trost suchenden Volke zu bieten haben und man darf davon überzeugt sein, daß die Gebetbücher um so schlechter werden, je stärker der Einfluß der Jesuiten auf die Erziehung des Klerus wird.[7]
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[1] Ludwig Thoma: Dorfpolitiker, ebda., S. 558.
[2] Simplicissimus 11 (1906), Nr. 23, S. 358.
[3] Gemeint ist die antimodernistische Enzyklika „Pascendi domini gregis“ vom 8. September 1907. Dazu auch: Weiß, Otto (1995): Der Modernismus in Deutschland. Ein Beitrag zur Theologiegeschichte. Regensburg.
[4] Ludwig Thoma: Im Kirchenstaate Bayern. In: März. Eine Wochenschrift 2 (1908), H. 1, S. 392.
[5] Simplicissimus 15 (1910/11), Nr. 49, S. 831.
[6] Simplicissimus 12 (1907), Nr. 17, S. 275.
[7] März 7 (1913), H. 1, S. 14f.
Weitere Kapitel:
Noch Jahre später muss sich Thoma über die Darstellung des Pfarrers Baustätter rechtfertigen, in der Simplicissimus-Sonderausgabe Gegen das Zentrum charakterisiert er ihn 1911 folgendermaßen:
Die Partei, die vom ersten Tage an auf ihn Beschlag legt, ohne ihm die Freiheit des Entschlusses zu lassen, verlangt von ihm, dass er in seiner Gemeinde als Politiker Freunde und Feinde unterscheidet, dass er zu rein menschlichen Dingen eine engherzige Stellung einnimmt. Er muss sich in häusliche Geschehnisse einmischen, muss gegen sein besseres Verständnis Zwang ausüben, und wenn er auch heute noch Sünden wider die göttlichen Gebote verzeihen darf, so hat er doch nicht die Macht, Sünden gegen die Partei zu vergeben. Er soll die Gegensätze verschärfen und seine Religion unbedingt in den Dienst weltlicher Interessen stellen...[1]
Auch in seinen journalistischen Arbeiten macht Ludwig Thoma kein Hehl aus seiner Abneigung gegenüber Ultramontanismus und Klerikalismus. Über den Katholikentag von 1906 dichtet er im Simplicissimus unter dem Pseudonym Peter Schlemihl:
Die Heerschau ist famos verlaufen,/ Von Rednern sah man ganze Haufen,/ Jedoch die Mehrzahl waren Stumme/ Und viele Dumme, viele Dumme. – Der Papst erteilte seinen Segen./ Er sieht nun auf den rechten Wegen,/ Nicht auf geraden, nein auf krummen,/ Die vielen Dummen, vielen Dummen. – Es ist ihm keine Angst vonnöten./ Geht auch in Frankreich vieles flöten,/ Bei uns ergänzen sich die Summen,/ An vielen Dummen, vielen Dummen.[2]
Ein Jahr später nimmt Thoma in der kulturpolitischen Zeitschrift März unter dem Titel „Im Kirchenstaate Bayern“ zum Antimodernistenstreit Stellung:
Die Freiheit der katholischen Fakultät war zu keiner Zeit Furcht erregend; ihre Professoren waren als Priester abhängig von Bischof und Papst. Wenn der einzelne gegen die Lehre auftreten wollte, fand die Kirche immer Mittel zur Korrektur. Dennoch konnten die Gelehrten so tun, als kämen sie auf Grund eigener Forschung zu Ergebnissen, die ihnen wie allen Gläubigen aufgezwungen waren. Der eine und andere machte kleine Zugeständnisse an positive Errungenschaften der Zeit, um den Schein des Wissenschaftlichen zu retten. Gegen das harmlose Spiel hat sich der Papst in einer wütenden Enzyklika[3] gewandt. Er verdammt die wissenschaftliche Beschönigung und fordert blinden Gehorsam. Dogmen werden nicht erst mundgerecht gemacht, sie werden einfach geglaubt. Die Schöngeistigen haben aufzuhören; alle Unmöglichkeiten müssen nackt und roh vorgetragen werden, und tausend Spione haben darüber zu wachen, dass die ewigen Wahrheiten nicht länger in erträglichen Saucen serviert werden. Diesem Spioniersystem durfte der Kultusminister nicht die polizeiliche Unterstützung gewähren, weil es der Organisation unserer Universitäten widerspricht, und weil es die Erziehung des heranwachsenden Klerus ultramontanisiert.[4]
Mehrere Vertreter dieses ultramontanen, nur mäßig gebildeten Priesternachwuchses und ihre kritiklose Ableistung des berüchtigten Antimodernisteneides nimmt Thoma in seinem „Lied des niederbayerischen Kooperators“ aufs Korn:
Mir, mir, mir Niederboarn/ Homma den Eid schö g'schwoarn,/ Des hot se glei gebüahrt,/ Daß'n a jäda schwüart./ Net grod mit oana Hand,/ Mit all zwoa mitnand,/ G'waschn san s'aa net gwen./ Zweng'na wos denn?
Mir, mir, mir Niederboarn,/ Miaß ma an Himmi foahrn,/ Pfeigrod ois geischtli Herrn,/ Des homma olle gern,/ Sogt a da Papscht, wos a wui,/ Ins is koa Eid ned z'vui,/ Mir homma koan Wissensdurscht,/ Ins is all's wurscht!
Mir, mir, mir Niederboarn,/ So samma aufzog'n worn,/ Daß man koan Angst net g'spürt,/ Daß si koa Zweifi rührt,/ Daß mir schon allesamm/ So an schön Glaub'n hamm,/ Do gibt's schon gar nix mehr,/ Hau a Pris' her![5]
Das Thema des Modernismusstreites klingt auch in dem Gedicht „Römisch-Katholisches“ an:
Was ist denn los?/ In unserer alten Kirche Schoß?/ Das kann nicht mehr zur Ruhe kommen,/ Das quält und ängstigt alle Frommen,/ Das brodelt, gärt und schäumt und zischt,/ Als hätt' der Teufel was gemischt,/ Das riecht verflucht nach Ketzern,/ Nach Neuerern und Hetzern!/ Es wird gebessert, aufgehellt,/ Das Alte auf den Kopf gestellt,/ Es regen sich die Zweifler,/ Die Nicht-So-Ganz-Begreifler./ Da aber schallt/ Zu Rom ein donnernd Halt.
Wir finden keine neuen Wege!/ Wer sie betritt, kommt ab vom Stege,/ Der immer noch so eng und schmal,/ Zu Gott führt aus dem Jammertal./ Ihr eifervollen Umgestalter!/ Was Dummheit und was hohes Alter/ Der guten Menschheit heilig macht,/ Wird nie in andre Form gebracht!/ Wie wollt ihr Halben und ihr Lauen/ Das Eingestürzte neu erbauen?/ Entweder Heide – oder Christ,/ Und nehmt die Kirche wie sie ist![6]
In der kulturpolitischen Zeitschrift März, die Ludwig Thoma zusammen mit Hermann Hesse, Albert Langen und Kurt Aram herausgibt, befasst er sich 1907 mit der Sinnhaftigkeit der zeitgenössischen Gebetbücher und spart dabei nicht mit einem derben Seitenhieb auf den Jesuitenorden:
Wie volksfremd der katholische Klerus erzogen wird, wie er so ganz und gar nicht angehalten wird, sich dem Empfinden des Volkes anzupassen, das beweisen unter anderem auch Inhalt und Sprache der Gebetbücher, die unter dem Einflusse der gegenwärtig mächtigen Strömungen von Jahr zu Jahre schlechter, schwülstiger und unverständlicher werden. [...] Da ich nicht Theologe bin, will ich mich nicht zu tief in die Betrachtung versenken über die merkwürdige Erscheinung, daß von den Worten Christi, von seiner alle Schmerzen der Menschen lindernden Güte in den Gebetbüchern fast nichts enthalten ist, daß an Stelle seiner klaren Worte immer hohle und geschwollene Redensarten gegeben werden, die dem Volke rein gar nichts sagen. [...] Besonders im Ausmalen der ewigen Peinen und Höllenstrafen entwickeln die Skribenten eine unbegrenzte Phantasie und eine ungeheure Liebe fürs Detail. [...] Das ist das geistige Brot, welches so viele Priester dem Trost suchenden Volke zu bieten haben und man darf davon überzeugt sein, daß die Gebetbücher um so schlechter werden, je stärker der Einfluß der Jesuiten auf die Erziehung des Klerus wird.[7]
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[1] Ludwig Thoma: Dorfpolitiker, ebda., S. 558.
[2] Simplicissimus 11 (1906), Nr. 23, S. 358.
[3] Gemeint ist die antimodernistische Enzyklika „Pascendi domini gregis“ vom 8. September 1907. Dazu auch: Weiß, Otto (1995): Der Modernismus in Deutschland. Ein Beitrag zur Theologiegeschichte. Regensburg.
[4] Ludwig Thoma: Im Kirchenstaate Bayern. In: März. Eine Wochenschrift 2 (1908), H. 1, S. 392.
[5] Simplicissimus 15 (1910/11), Nr. 49, S. 831.
[6] Simplicissimus 12 (1907), Nr. 17, S. 275.
[7] März 7 (1913), H. 1, S. 14f.