Das Feindbild: Ultramontane Zentrumspfarrer und moralisierende Pastoren

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Abraham a Santa Clara II (Ludwig Thoma): „Über die sittliche Erziehung. Eine Fastenpredigt“. Simplicis­simus-Spezialnummer Das Zentrum, 8. Jg., Nr. 42, 12.1.1904, S. 330.

Die Auseinandersetzung des erklärten Bismarck-Anhängers Ludwig Thoma mit der Kirche ist nicht zu verstehen, ohne einen Blick auf den Kulturkampf des späten 19. Jahrhunderts zu wer­fen, von dessen Nachwirkungen die deutsche Kirchen- und Geistesgeschichte bis hin zum Er­sten Weltkrieg geprägt ist. Kulturkampf nennt man das Bündel von Maßnahmen, das der li­berale Bismarck-Staat gegen die Katholiken aufbietet, die er – ähn­lich den Sozi­aldemokraten – den zentrifugalen Kräften seines neuen Reiches zurechnet. Auf dem Höhe­punkt des Konfliktes befinden sich die meisten preußi­schen Bischöfe im Gefängnis oder im Exil, mit ihren Bistümern al­lenfalls durch Geheimdelegaten verbunden. 1878 amtieren in Preußen nur noch drei katholische Bischöfe. Die Bis­tümer Fulda, Osnabrück und Trier kön­nen jahrelang nicht besetzt werden. Aber dennoch wäre es zu kurz gegriffen, den Kultur­kampf al­lein als ein­seitige Repres­sion des protestantisch-liberalen Bismarck-Staates hinzu­stellen. Der Konflikt ist eher als Eskalation eines jahrzehn­telangen Entwicklungsprozesses zu verstehen, in dem Staat und Kir­che mitunter mühsam ihre ei­gene Identität im modernen Gesell­schaftswesen zu finden suchen. Schon der Krieg von 1866 war für die Katholiken ein schwer zu über­windender Schock gewesen, ihr Herz hatte überwiegend großdeutsch und pro-österreichisch geschlagen. Von protestantisch-liberaler Seite wird dieser Sieg denn auch als ge­schichtlicher Beweis der Überle­genheit des Pro­testantismus gefeiert.

Im katholischen Lager versteht man die Welt nicht mehr. Man will mit dem neuen, fremden Staatswesen unter preußi­scher Führung nichts zu tun haben. Lamentierend zieht man sich ei­n geistiges Getto zurück. Die Folgen zeigen sich zunächst in bildungspolitischer Hinsicht. Während die prote­stantischen Bevölkerungsteile weitgehend im Bürgertum verwurzelt sind und alle Formen der Bildung nutzen können, wird die Kluft zwischen den vielfach in ländlichen Regionen leben­den Ka­tholiken und dem allgemeinen Bildungs­standard immer tiefer. Die Katholiken verlie­ren vor allem auf dem flachen Land den Zugang zu den höheren Bil­dungsanstalten, denn das Humboldt'sche Gymnasium ist eine ausschließlich städti­sche Angelegenheit. Der Auseinan­dersetzung mit den geistigen Strömungen der Zeit ist man in katholischen Kreisen – Ausnah­men bestätigen die Regel – kaum mehr gewachsen. Dafür schließt man sich umso enger zum politischen Katholizismus zusammen und entwickelt in der Zentrumspartei ein wichtiges politisches Sprachrohr. Der Pfarrer sieht sich plötzlich nicht mehr als der einfache Seelenhirte des 18. und 19. Jahrhunderts, sondern als eine ultramontan agierende und politisch mobilisie­rende Kraft.[1]

Die Polemik Ludwig Thomas gegen diese politisierten, für die Zentrumspar­tei agitierenden Kleriker beginnt schon in der Frühzeit seines schriftstellerischen und jour­nalistischen Wirkens und findet einen ersten Höhepunkt im Jahr 1904, als er in der Simplicis­simus-Spezialnummer Das Zentrum unter dem Titel „Über die sittliche Erziehung. Eine Fa­stenpredigt. Von Abra­ham a Santa Clara II.“ eine offenkundige Analogie zwischen Zentrum und „vorreformatorischer Pfaffenherrschaft“ konstatiert[2]. Nachdem die Nummer von der Staatsan­waltschaft beschlagnahmt wird, schreibt Thoma an seinen Freund und Anwalt Con­rad Haus­mann: „Ich schicke Ihnen die Nummer und urteilen Sie selbst, ob darin die 'Religion' an­gegriffen ist. Nach bayerischer momentan herrschender Meinung allerdings, weil hier Zen­trum und Religion gleichbedeutend sind.“[3]

Je wichtiger der Typus des Bauern und seiner Familie für Thoma werden, desto häufiger stellt er ihre Bodenständigkeit und Schlichtheit jetzt in Gegensatz zur Weltfremdheit und Ge­schraubtheit mancher Kle­riker: „Eine sterbende alte Bäuerin und an ihrem Totenbette den phrasenhaften Koopera­tor, ein Gegensatz, wie ich ihn lange bei mir herumtrug. Ein ar­beitsreiches, braves Leben, und die Theologie, die der Arbeit und der Bravheit so fremd ge­genübersteht, wie aller schönen Menschlichkeit.“[4]

Die zahlreichen Proteste und Anfeindungen, die solche Provokationen unweigerlich mit sich bringen, stacheln den Zorn Thomas erst recht an, und so machte er sich mit besonderem Ei­fer an die Fertigstellung eines seit 1902 gehegten Projektes, seines ersten Romans Andreas Vöst. 1905 ist das Werk abgeschlossen und lässt Thomas Konflikte mit kirchlichen Kreisen eskalie­ren. Ursprünglich sollte der Roman Der Pfarrer von Erlbach heißen, denn Georg Baustät­ter, „Pfarrer vom Erlbach und Kämmerer des Kapitels Berghofen“ spielt darin eine mindest ebenso wichtige Rolle, wie der Titelheld Andreas Vöst, der sich gegen einen ehrver­letzenden Eintrag des Pfarrers ins Kirchenbuch seiner Pfarrei zur Wehr setzen will. Der Konflikt mit dem reaktionären Geistlichen, der sein Amt offensichtlich für demagogische und politische Zwecke missbraucht, treibt den Schullerbauern schließlich in die Katastrophe. Hi­storischer Hintergrund des Stoffes ist die Entstehung des „Bayerischen Bauernbundes“ um die Jahrhun­dertwende, einer demokratischen und antiklerikalen Bewegung unter den Bauern. Und so sind der Figur des Schullerbauern Andreas Vöst zwei historische Vorbilder Pate ge­standen: Peter Loder, Scharlbauer aus Puchschlagen, Pfarrei Kreuzholzhausen im Bezirk Dachau, der mit seinem Pfarrer einen vergleichbaren Konflikt austragen musste, und Georg Eisenberger, Hutzenauer aus Ruhpolding, Aktivist und späterer Vorsitzender der Bauern­bund-Bewegung. Vösts Widersa­cher Georg Baustätter zeichnet Thoma als engstirnigen und gehässigen Vertre­ter der Zen­trumspartei, der soweit geht, den früh verstorbenen Säugling des Schullerbauern nicht in ge­weihter Erde begraben zu lassen, weil er nicht getauft ist. „Ich weiß nicht“, so lässt Thoma seine Überzeugung in den Roman einfließen, „ob der liebe Gott den unchristlichen Zustand eines Kindleins so hart beurteilt wie seine Geistlichen, aber das eine ist gewiss, dass es nicht in geweihter Erde ruhen darf, worin nur Christen liegen; darunter manche sonderbare.“[5]

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[1] Weitlauff, Manfred (1988): „Modernismus litterarius“. Der „Katholische Literaturstreit“. In: Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 37, S. 97-175. Und: Weber, Christoph (1992): „Eine starke, eng geschlossene Phalanx. Der politische Katholizismus und die erste deutsche Reichstagswahl 1871“. Essen.

[2] Simplicissimus 8 (1903), Nr. 42, S. 330f.

[3] Ludwig Thoma an Conrad Haussmann, München 9. Januar 1904. In: Ludwig Thoma. Ein Leben in Briefen, a.a.O., S. 146.

[4] Ein Leben in Briefen, ebda., S. 160.

[5] Ludwig Thoma: Andreas Vöst. Bauernroman. In: Ludwig Thoma. Gesammelte Werke, a.a.O., Bd. 5, S. 38.

Verfasst von: Dr. Norbert Göttler / Bayerische Staatsbibliothek

Sekundärliteratur:

Der Roman Andreas Vöst in der Wikipedia